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Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Christentum und Kreuz
Untertitel: Ein Vortrag, zu Eisenach gehalten am Sonntage Estomihi 1912
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Trowitzsch & Sohn
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
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D. Dr. Hermann von Bezzel
Oberkonsistorial-Präsident


Christentum und Kreuz
Ein Vortrag
zu Eisenach gehalten
am Sonntage Estomihi 1912


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Berlin
Trowitzsch & Sohn
1912


|  Verehrte Anwesende!
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 Heute vor 366 Jahren ist in Eisleben der Mann gestorben, dessen Andenken mit Ihrer schönen Stadt aufs Innigste verbunden ist. Wir gedenken unseres Lehrers Martin Luther als eines Zeugen, der im Glauben redet, obgleich er gestorben ist, und wissen, daß sein Glaube nicht diplomatisches Festhalten an bestimmten Traditionen war, durch das er sich und seine Kirche der kaiserlichen Gunst empfehlen wollte, auch nicht Befangenheit in scholastischen Formeln, die sein Lebenlang wie Ketten um die Füße schleiften, sondern die frohe Zuversicht eines Mannes Gottes, der das festhält, was er erlebt hat und immer wieder, was er festhält, erleben will. Ihm ist der Glaube der kühne, mannhafte Trotz auf Tatsachen, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und kein Verstand ausgeklügelt hat, die auch nur und eben deshalb in unzureichende Worte und Bezeichnungen gefaßt werden können, die aber Gott zum Heil der Welt gewirkt und aus der Ewigkeit für die Zeit hat geschehen lassen. Wenn der eine Vorwurf berechtigt wäre, daß lauter „irgend gute“ Rücksicht auf Kaiser und Reich die „hohen Artikel göttlicher Majestät“ festgehalten hätte, so wäre unser Reformator ein schwächlicher, nach allen Seiten hin schauender und schielender Diplomat, der| Sänger des Glaubensliedes ein Mann der Kompromisse, und der Schöpfer unseres Katechismus, des größten Volksbuchs, ein in den Vorhöfen der Großen um Anerkennung werbender Höfling, dem nicht unsere Ehrerbietung, sondern im günstigsten Falle Mitleid, schlimmer noch Verachtung gebührte. Auch von dem Glaubens begriff, den er verwarf, als ob Glaube ein Sichanpassen an eine Summe von Überlieferungen wäre, hat er wahrlich nichts uns überkommen, der Mann, der bereit war, die höchsten Evangelien zu verwerfen, wenn sie nicht Christum predigen, und die Schrift eines Judas Ischarioth anerkannt hätte, wenn sie Christum triebe. Man hat als sein letztes Vermächtnis die lateinischen Worte auf dem Schreibtisch gefunden: „Daß niemand die heilige Schrift genugsam verschmeckt zu haben glaube, er habe denn hundert Jahre lang mit Christo und den Aposteln die Gemeinde regiert.“ Man mag sich wohl das Wort eines dem Tode Nahen merken: „wir sind Bettler, das ist wahr,“ und das Gebet zu Herzen fassen: „Ich danke Dir, himmlischer Vater, daß Du mir Deinen lieben Sohn Jesum Christum geoffenbaret hast, den ich geprediget und bekannt, den ich geliebt und gelobt habe“, und dessen sich erinnern, daß der unter dem Kreuze seines Heilandes mit Lebenskraft und der Aufgabe seines Lebens betraute Lehrer der Deutschen, der Größte seit der Apostel Zeiten, sich des Einen rühmen durfte, die ganze Welt werde noch einmal überzeugt werden, daß Gott ihn darum gesandt habe, reine Wahrheit und Beständigkeit und rechte Erkenntnis Jesu zu verkünden.
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 Wenn es nun meine Aufgabe wäre, mit kurzen Worten die Theologie Luthers zu kennzeichnen, so würde ich auf seine Heidelberger Thesen vom Jahre 1518 zurückgreifen, in denen er von der Theologie der Ehren| und der Theologie des Kreuzes handelt. Die eine zieht vor „die Werke dem Leiden, die Ehre dem Kreuze, die Gewalt der Schwachheit, die Weisheit der Torheit, mit einem Wort das Böse dem Guten“; die andere, die wahre Theologie und Erkenntnis in Christo, dem Gekreuzigten, flattert nicht gen Himmel und fängt nicht an mit ihren Gedanken und Spekulationen oben am Dache zu bauen, sondern denkt an den, der Wege und Brücken zu uns gemacht und gesprochen hat: ich steige vom Himmel zu dir hinab, werde Mensch, liege in der Krippen, leide und sterbe an dir, – du glaube an mich und wage es auf mich, der ich für dich gekreuzigt bin. Kurz gesprochen: Luther lehrt uns, Christentum sei Zusammenschluß persönlichster Art mit der persönlichsten Offenbarung Gottes in Christo und zwar in dem Christus, der in den Mittelpunkt seines Erdenlebens das Kreuz gestellt hat, auf das sein Leben hinzielt, in dem es seinen Höhepunkt erreicht und von dem es die ganze Herrlichkeit ableitet, darum auch gewürdigt sein will. Christentum ist eben nicht ein noch so ausgeführtes und ausgeklügeltes System, nicht eine lückenlos schließende Kette von Tatsachen mit logischen Folgerungen, sondern das Werk eines von Gott der Welt gegönnten ewigen Erbarmers und die innere Gemeinschaft aller derer, die die sichtbaren und letzten Werke Gottes, die im Kreuz und Leiden erstehen, sich zueignen wollen. Nimmt man das Kreuz aus Christi Leben, so hat dieses Leben weder Spitze noch Ziel, weder Wertbedeutung noch Recht auf Wertschätzung. Und nimmt man Christum in seiner zentralen Bedeutung aus der Welt, so ist sie nicht zwar nur um einen Religionsstifter ärmer geworden, wohl aber um ihren einzigen wahren Freund, Heiland und Erlöser. Leidenskraft haben auch andere Religionslehrer| gepriesen. Ich erinnere nur an den Verzicht, den der Buddha predigt und an den Fatalismus des Islam. Aber, daß Leiden die Kraft des Lebens und Kreuz die Stärke des Daseins, beide Male von dem Kreuz her ist, hat nur Christus bezeugt. Religionsstifter hat es genug gegeben. – Vor 600 und mehr Jahren hat am Hofe des Staufers Friedrich II., der auch durch Ihre Stadt gegangen ist, einer über die drei größten Betrüger der Welt geschrieben, über Moses, Christus und Mohammed. – Aber so mit seiner Lehre eins, innerlich von ihr erfaßt und von innen nach außen sie bewahrend und bezeugend, mit sich ganz zusammenschließend, ist nur einer gewesen.

 Dieser Eine, sagt Luther einmal (Erlanger Ausgabe Bd. 23), wird von dem Teufel mit drei Heerspitzen an gegriffen: „eine will ihn nicht lassen Gott sein, eine will ihn nicht lassen Mensch sein und die dritte will ihn nicht lassen tun, was er getan hat“. Würde Luther zu unseren Zeiten gelebt haben, so würde er vielleicht von einer vierten Heerspitze noch reden, die darauf hingeht, die Geschichtlichkeit und Persönlichkeit Jesu überhaupt in Abrede zu nehmen.

 Den nennt man billig einen Toren, der ein feines Räderwerk einer in sich zusammengreifenden Uhr als unverursacht oder höchstens durch eine Menge von Wirkungen erstanden erklären wollte, die letztlich nicht von einem persönlichen Willen ausgehen. Aber wie sollen wir die Anschauung recht bezeichnen, welche die vier Evangelisten, arme Fischer und ungelehrte Zöllner, Männer ohne Philosophie und ohne Phantasie, das Lebensbild eines Mannes zeichnen läßt, dessen Umrisse, Schattenrisse wie im Nebel im Alten Testament vorgezeichnet waren, ohne doch je zu einer Wirklichkeit gelangt oder in einer| Persönlichkeit dargelebt zu sein? Eine Christusidee, ein Erlösermythus schwebt durch die Zeiten, der Wunsch, daß er sein möge, wird der Vater des Gedankens, daß er sei, und der Gedanke wiederum schafft das Lebensbild. Alle die Züge, welche schlichte Beobachtung, einfache Betrachtung, aufmerksame Jünger sich gemerkt und aufbewahrt haben, sind die Dichtungen raffinierter Phantasten und religiöser Hysteriker, welche so weit in ihrer Abgefeimtheit gehen, daß sie in dieses also gezeichnete Lebensbild ihre eigene Ärmlichkeit und Kleinlichkeit hineinreichen, damit sie mehr Glauben erwecken. Napoleon I. hat mit Recht gesagt, das Lebensbild Jesu zu erfinden sei gewiß ein göttliches Werk, d. h. nur Gott konnte dieses Lebensbild in seiner geschichtlichen Tatsächlichkeit vor den Augen armer Menschen sich vollziehen lassen, die es dann mit zitternder Hand und schwachem Griffel uns überlieferten. Es sind nicht Zeichnungen auf Goldgrund, die Farben sind oft ungeschickt gewählt, der Griffel scheint beim Versuch, den kühnsten Zug zu führen, abgebrochen, die Unzureichendheit der Darstellung wird durch die Unerreichbarkeit des Darzustellenden ebenso hervorgehoben wie diese durch jene. Aber die Schlichtheit ist Erweis der Wahrheit und die Wahrheit das Siegel auf die Wirklichkeit. Christus ist nicht die Projektion eines Begriffes, noch der armselige Versuch, eine Menge von Gedanken auf eine Person gleichsam zu fixieren, weder ein lichtes Wolkengebilde noch ein trüber Schatten riß, sondern, „was wir gesehen mit unseren Augen, was wir gehört, was wir beschaut und unsere Hände betastet haben“, – so wenig es auch war, weil das Ohr sein Wort nicht ganz erfassen und das Auge nicht ganz die Erscheinung in sich schließen und die Hände nur zitternd an das Geheimnis rühren konnten –,| das ist Wort des Lebens, Werk des Lebens und Leben selbst.
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 Dieses Leben ist Gott, mit dem, der es gedacht und den Gedanken in das Wort und das Wort in die Person gefaßt hat, wesenseins. Von Ewigkeit her hat Gott sich in sich selbst erschaut und an sich selbst erbaut und sich selbst sich anvertraut, und dieser Prozeß des Schauens, der Selbstschau, der Selbsterbauung und Selbstvertrauung ist ein persönlicher. Leiblichkeit, ob auch nicht nach unserem Sinn, ist und bleibt das Ziel der Wege Gottes. Dieses Ergebnis göttlicher Selbstschau, der Niederschlag göttlicher Selbsterfassung, der Widerhall des Gottrufes in die Weiten der Ewigkeit ist Christus, den die Kirche Gottes eingeborenen Sohn nennt, nicht als ob sie damit das absolut zutreffende und Christi Person völlig deckende und ausschöpfende Wort gefunden hätte –, das kann und wird ihr erst die Ewigkeit schenken, die von Begrifflichkeiten losmacht und in Anschaulichkeiten uns lehren will. – Aber relativ am meisten und für die Zeitläufte, in denen wir uns befinden, am ehesten zutreffend ist das Bekenntnis der Kirche aller Zeiten, daß Jesus Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, geboren, nicht geschaffen sei. „Wäre Christus nicht Gott“, sagt Luther einmal, „so hätte Gott längst alle unsere Theologen die Erde lassen verschlingen. Begreifen mag man’s nicht, aber glauben kann man’s. Glauben aber kann man nur an Gott.“ Wir sprechen näher: Jesu Worte, mit denen er sich als den vom Vater Aus gegangenen und zum Vater Heimkehrenden bezeichnet, mit denen der arme Zimmermann von Nazareth die Zeit herannahen erklärt, in der man im Wetteifer Herr Herr zu ihm sagen werde, in denen er sich als den Lebens weg und die Lebenswahrheit und die Lebenseinheit mit| Gott bezeichnet, sind aus einem klaren Selbstbewußtsein erflossen, das weder die Sünde trüben noch die Nichtanerkennung stören noch der völlige Mißerfolg vernichten konnte. Nicht Gott zweiten Grades, was ein Widerspruch in sich selbst ist, nicht Gott in abgeleitetem Sinne, was Vernichtung der Gottwahrheit wäre, sondern völlig eines Wesens mit Gott ist der, dem man, wie Schlatter sagt, mit tausend Huldigungen und den höchsten Lobeserhebungen vergeblich naht, wenn man ihm nicht die eine Bezeichnung zukommen läßt, die nicht eine Huldigung, sondern nur die Anerkennung der Tatsache in sich schließt: Sohn des lebendigen Gottes und darum Gott selbst.
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 Weil er eben nicht nur auf Gottes Seite steht, sondern eins mit Gott ist, kann er jede Gottesidee in sich aufnehmen nicht nur, sondern in sich darstellen und auslegen, ihr zur vollen Genüge, ohne doch seinerseits etwas zu verlieren. Sie gewinnt durch ihn, er verliert nichts an sie, sie wird durch ihn erfüllt, er nicht durch sie in seiner Größe beeinträchtigt. Welche Idee aber hat Gott von Anbeginn der auf den Punkt sich fixierenden Ewigkeit, den man Zeit nennt, mehr bewegt, als die eines Abbildes, das seine Wesenszüge an sich trüge, ohne doch sein Wesen ganz zu erschöpfen? Durch den Sohn hat er die Welt gemacht, in der Sohnesgeburt die Menschheitsidee gefaßt, darum ist der Sohn mächtig und willig, diese Idee in sich darzustellen. Er ist nicht nur der zweite, sondern der letzte Mensch, die Komplettierung des Menschheitsgedankens, den der Zwischeneintritt der Sünde aufhielt und verwirrte. Das Zerrbild im ersten Adam nach seiner Gottentfernung hat Christus entwirrt, aufgeklärt und zurechtgestellt, so daß die gesamte Menschheitsidee in ihm nicht nur verneut, sondern vollendet ist. Menschwerdung Christi ist, darin haben große Denker recht, wenn auch der Gedanke| an sich keine praktische Bedeutung hat, eine in ihm gelegene Notwendigkeit, ein Postulat seiner Liebe zu Gott, ja eine Pflicht seiner Selbsterhaltung. Vielleicht ist es irreführend, ich finde aber kein anderes Wort für meine Anschauung als das: Wäre er nicht Mensch geworden, so wäre er nicht Gott geblieben. – Aber freilich, die Kirche redet nicht von dieser Menschwerdung metaphysischer Notwendigkeit, sondern von einer Menschwerdung, welche die furchtbare Diesseitigkeitsrealität der Sünde vernotwendigt hat, von einer durch die Sünde auf die Erde niedergezwungenen Gottesliebe, die zwischen den Reinen und die Unreinheit, zwischen den heiligen Gott und den heillosen Menschen in die Wahl gestellt, diesen und diese erkor und jenen ließ. Mit der Kirche aller Zeiten bekennt Luther den Gehorsam des Menschensohnes, der die Menschheitsidee in ihrem Zerrbilde durch lebte, wie er sie in ihrem Urbild hätte durchleben wollen und sollen. Er weiß von einem Gehorsam, der Gottes eingebornen Sohn an Gebärden, in Reden und Schweigen, in Wachen und Schlafen, in Begehr und Verzicht ganz Mensch werden und sein ließ, also daß er die Folgen der Sünde von uns auf sich nahm, ohne ihr in seiner Innerlichkeit den Eintritt zu verstatten. Er hat die Schuld unverschuldet und die Strafe, ohne sie verwirkt zu haben, und den Zorn, ohne ihn verdient zu haben, und den Tod, ohne ihn mit irgendeinem Hauch seines Wesens an sich erlebt zu haben, er hat alle diese unbekannten Größen zur Wirklichkeit seines Lebens gemacht, gehorsam bis zum Kreuze. Wenn er das nicht getan hätte, so wäre unsere Erlösung ein Phantom, wir müßten von Ketten und Banden zu einem reden, der um sie, aber nicht sie wüßte, die Krankheit einem klagen, der aus dem tausendfachen Röcheln einer todgeweihten| Menschheit den Schluß auf die Furchtbarkeit des Leidens ziehen konnte, das er selbst nie empfand. Was für uns Kraft und Krone unseres Christenstandes ist, Ehrenpreis seines Gottlebens, wäre ein leerer Schall, ja nie erklungen, das Kreuz stünde unverstanden in der Welt, denn alle, die sich und ihr Leben an das Marterholz gewagt hätten, wären an ihm nicht einmal sich zur Genüge, geschweige denn Gott zur Befriedigung, verblutet und das Grab wäre das begrüßenswerte Ziel einer um Befreiung ringenden und in solchem fruchtlosen Ringen todmatt gewordenen Menschheit. Aber Christus hat, aller Dinge seinen Brüdern gleich, allerorten und allerart versucht, von Feinden bedroht, von Freunden verlassen, vom Schnöden umgaukelt, von der Wirklichkeit verletzt, durch gute Gerüchte und böse Gerüchte verfolgt, geängstet, geschmäht, verlästert, verlassen, sein gottinniges und gottgemäßes Leben am Kreuze Kraft um Kraft, Gabe um Gabe, Zug um Zug geopfert und die furchtbare Friedlosigkeit eines verfehlten Lebens anstatt der vor ihm liegenden Heimatfreude erwählt, damit der Gedanke an die Menschheit dem Vater wieder Freude und dieser Gedanke der Menschheit Friede würde. Von diesem Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen, rühmt der Apostel, der am tiefsten in die Zusammenhänge von Sünde und Gnade, von Tod und Leben Einschau ge halten hat: Er ist unser Friede. In ein kaltes Grab gesenkt, hat sein gottmenschlicher Leib kraft der ihm inne wohnenden Reaktion gegen Todesfolge und Todesschmach die Riegel des Todes gesprengt und für uns das Sterben in die Wunderbarkeit eines harrenden Schlafes, in einen dulce somnium sine somno verwandelt. Der größte neutestamentliche Theologe der Jetztzeit rät, daß alle Theologen wenigstens einmal im Jahr das 15. Kapitel| des 1. Korintherbriefes lesen möchten, dann werde man vieler leerer und müßiger Fragen los werden. Nein, kein Wundermensch und doch das größte Wunder, kein menschlicher Heros und doch der größte Held, kein Genie und doch die höchste Weisheit, kein Talent, und doch die höchste Gabe und Kraft, so ist Christus wahrer Mensch, Wirklichkeitsmensch, in allen Stücken, auf allen Wegen der Mensch, nicht ein Mensch, mit dem Leide unzertrennlich verbunden, seine Spuren auch in der Herrlichkeit noch tragend. Es ist ein schlichtes, ein ungelehrtes und doch aller Weisheit höchste Summe in sich begreifendes Bekenntnis: wahrer Mensch und wahrer Gott, den man bitten darf, weil er Mensch ist, zu dem man beten kann, weil er Gott ist, mit dem man brüderlich redet, weil er die erste Andeutung versteht, zu dem man sich aller Macht versieht, weil er göttlicher Art ist. Es ist Luthers höchstes Verdienst, daß er auf dem Hintergrunde einer vollen Menschheitsgeschichte und Menschheitsgestalt das lichte Gottesbild sich abheben läßt, er geht ganz in die Tiefe des tatsächlichen Erdenlebens, das der Heiland durchmessen hat, um uns auf die Höhe zu geleiten, die er jetzt einnimmt, zu der er die ganze Menschheitsgeschichte gleichsam ihr Los antizipierend erhob. „Ich, erhöht von der Erde, will sie alle zu mir ziehen,“ gleich wie ihn das All der Menschheitsgeschichte zu sich in die Schmach herabzog.
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 Wenn wir an der Wahrheit und der Geschichtlichkeit Jesu Christi, dem sein Menschheitsleben nichts von seiner Göttlichkeit abdrang, festhalten, so wissen wir uns von ihm jederzeit verstanden und dann am meisten, wenn wir uns selbst ein Rätsel sind. Er hat die Gebundenen von dem eigenen Ich, das Grundwesen und Vollzug des Leides bedeutet, dadurch befreit, daß er sich an| dieses Ich des Fluches band, und die an der Zeiten und Zeitfragen Flüchtigkeit und Nichtigkeit Verkauften hat er dadurch gelöst, daß er seine Ewigkeit und ihre Reinheit an den Augenblick und seine Sünde wagte. Die umstrittene Seele, um die Gottes Gnadenabsicht und der peinvolle Neid des Verführers kämpften, hat er in seinem Ringen gewonnen, von Gott seinem Vater dem Feinde ausgeantwortet und überlassen, der ihn seine Frömmigkeit aufgeben, von Gott Abschied nehmen und ihn erwählen ließ. Fortan liegt die Lösung des Menschheitsrätsels in der Erlösung, und in dem Kreuz, dem Zeichen des höchsten Widerspruchs, den es mit der sieghaften Majestät endlichen Triumphes herausfordert, liegt das Heil der Welt.
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 Verehrte Anwesende, das sind keine neuen Gedanken, aber Gedanken, die immer wieder neu werden und den ihrer froh sein lassen, der ihnen mit ganzem Herzen nachhängt. „So ist nun dieser Artikel, daß Christus wahrer natürlicher Gott und Mensch sei, unser Fels, darauf unser Heil und unsre Seligkeit gegründet ist.“ „Diese Lehre ist wahrlich kein verschlossenes Schloß und Riegel, wer neben ihr vorbeigeht, trifft das Rechte nimmermehr.“ Sie wissen, in welch’ bewegter Zeit wir leben. Das Wort vom Kreuz ist nicht bloß in sich selbst und als solches eine Torheit, sondern wird als törichte Erfindung etlicher unfolgerichtig und unklar denkender Schwärmer dar gestellt und entlarvt. Nicht daß es über die Wege der Kultur als müßiges Querholz gelegt ist, macht sein Ärgernis aus, sondern das ist der eigentliche Anstoß an ihm und in ihm, daß es die widerstrebendsten Begriffe in sich zu vereinen vorgibt und dem Unendlichkeitsfortschritt der Welt in ebenso plumper als unnützer Weise wehrt. Es hat eine Zeit gegeben, wo die Wände kaiserlicher Paläste und die Mauern der Kasernen von| Karikaturen des Kreuzes bedeckt waren, damit man sehen möchte, welch einem erbärmlichen Machwerk trübster und unklarster Mystik die Sekte der Nazarener nachhänge. Aber diese Zeit hat in ihrem Schoße die großen Apologeten der Tat geborgen, die in den Tod hineinjauchzenden Märtyrer, die Frauen und zarten Jungfrauen, welche für das Kreuz und den es Tragenden und den von ihm Getragenen ihr Leben in den Tod zu geben sich freuten, die aus dem dunklen nächtigen Himmel einer christusfernen und feindlichen Welt leuchteten wie einsame Sterne, die ihre stille Bahn der Morgenröte zu ziehen, die großen Gestalten, die jetzt näher als vor Jahrhunderten zu uns herniedergrüßen, Rufer zum Kampfe, Propheten des Sieges.

 Der heutige Tag heißt der Tag Concordiae. Sollten unsere Väter recht behalten, die behaupteten, mit Luther sei die Eintracht gestorben, sollte nicht vielmehr der heutige Sonntag mit dem alten Introitus des 71. Psalm (Vers 3) uns mit all unserer Not, mit der tiefbegründeten Selbst anklage und Selbstverurteilung, mit der wehmutsvollen Klage über Entzweiung und Entfremdung uns desto fester das Kreuz umfassen lassen, an dem eine Welt versank, um in ihm zu erstehen?

 Echt protestantisch erheben wir Herzen und Hände zum Treuschwur, in der Freiheit bestehen zu wollen, mit der uns Christus befreit hat, nicht mit erborgten Stützen das zu halten, was entweder in sich selbst Halt besitzt oder haltlos versinken müßte, mit dem stolzen Wahrspruch: wir können nichts wider die Wahrheit. Echt lutherisch sehen wir nicht in eine sinkende Abendröte eines besseren Tages, sondern hoffend zur Morgenröte des Tages, an dem Recht Recht bleibt. Als Leute, die Prophetengräber nicht mit Redeblumen und stark duftenden| und schnell verwelkenden Blüten schmücken, bitten wir, unseren toten Vater damit ehren zu dürfen, daß wir leben wie er’s wünscht, engen Gewissens und weiten Herzens, treu im Erdenberuf, der dem Himmelsberuf dient.

 Aber mehr als protestantische Hoffnung und lutherischer Glaube bedeutet, und höher als diese tiefen markigen Klänge geht das hohe Lied der Liebe, in der wir Knechte des Kreuzes und der von ihm Erlösten bleiben wollen. Diese Liebe hört nimmer auf und fällt nicht dahin, wenn auch ihre Sänger und Träger von hinnen ziehen. Sie gehen durch die Zeitlichkeit hindurch, um in der Vollendung ein neues Lied und eine alte Liebe zu haben und zu üben. Gott, der das Geheimnis der Passion in Christo geoffenbart und in den Ernst der Passion des Lebens gesetzt hat, verleihe Ihnen und mir Kraft, Mut und Freude des Kreuzes und durch dies alles das Erlebnis seines Sieges an uns und unserem Volke.


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Verlag von Trowitzsch & Sohn in Berlin.


Ist das Christentum als Religion überbietbar? Von Pfarrer Dr. Wilh. Ernst.

Geh. 75 Pf.
 Klar gedachte und übersichtlich geordnete Gedanken. Wir können nur raten, die Schrift zur Hand zu nehmen. Der Lohn wird sein vermehrte Freudigkeit auf christlichem Standpunkt.
„Ev. Protest. Kirchenbote.“ 


Christentum und Kultur. Ein Beitrag zur christlichen Ethik. Von D. Dr. E. W. Mayer, Professor der Theologie an der Universität Straßburg i. E.

Geh. 1 M. 40 Pf.
 Eine klare Antwort: auf eine schwere Gewissensfrage.


Der Sieg des Christentums über die Welt der Antike. Von Lic. Dr. Gg. Grützmacher, Professor der Theologie in Heidelberg.

Geh. 70 Pf.
 Sprache und Form ist glänzend, die Angaben verraten den Historiker und Kenner der ganzen Literatur.
„Auf dein Wort.“ 


Frauenlos und Frauenarbeit in der Geschichte des Christentums. Von Professor Johs. von Walter.

Geh. 2 M., geb. 2 M. 80 Pf.
 Interessant zu lesen, aber auch geeignet, die prinzipielle Klarheit und das rechte Verständnis gegenüber modernen Bewegungen zu fördern.
„Hannov. Sonntagsblatt.“ 


Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Alte oder neue Moral? Von D. R. Seeberg, Professor a. d. Universität Berlin.

Geh. 1 M. 20 Pf.
 Es ist ein Vorzug des Buches, daß man es unbedenklich auch jungen Leuten in die Hand geben kann; ein herzerquickender Hauch der Wahrheit und der Reinheit liegt über dem Ganzen.
„Reichsbote.“ 


Adolf Stoecker. Zwei Reden von Prof. D. Reinh. Seeberg und Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. Adolf Wagner. Mit letztem Porträt Stoeckers

Geh. 1 M.
 Die beiden Reden ergänzen einander: Geh. Rat Prof. Wagner bringt persönliche Empfindungen und Erinnerungen zum Ausdruck, während Prof. Seeberg längere Reden Stoeckers, den gesegneten Prediger, den großen Organisator, den Wecker der Inneren Mission, gewaltigen Kirchenmann, weitblickenden Politiker und zündenden Volksredner als geschichtliche Persönlichkeit charakterisiert.
„Blätter f. innere Mission.“ 


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Druck von Trowitzsch & Sohn, Berlin SW.48, Wilhelmstr. 29.


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Verlag von Trowitzsch & Sohn in Berlin.


„Wenn ihr Mich kennetet –“. Vorträge für ernste Frager.

Von Generalsuperintendent Paul Blau In Posen. Mit einer Vorrede von Oberhofprediger D. E. Dryander. Vierte, neu bearbeitete Auflage. Gebunden 3,25 M.
 Verfasser kennt die Zweifel des Menschen unserer Tage. Mit dem ganzen Reichtum moderner naturwissenschaftlicher Bildung in ungewöhnlichem Maße ausgerüstet, zeigt er ihnen, wie diese heutige Bildung den Denkenden nicht zur Bekämpfung, sondern im Gegenteil zur Bestätigung des christlichen Glaubens gereicht. Noch erhöht wird der Genuß des Buchs durch die vollendete Schönheit seiner Sprache. Die Darbietung nenne ich in jeder Beziehung vorbildlich.
Reformation. 


Und dann? Zehn biblische Vorträge über die persönliche Vollendung. Von Generalsuperintendent Paul Blau in Posen. Zweite, durchgesehene Aufl. Geb. 2,80 M.

 Hier redet einer, der nicht nur die Schrift gründlichst kennt, sondern vom Geist der Schrift selbst durchhaucht ist.
Reichsbote. 
 Dieses schöne Buch wird seinem Leser Lebens- und Sterbensfreudigkeit stärken. Daher wünschen wir ihm allerweiteste Verbreitung
Evangelisch-Kirchl. Anzeiger 


Hat Gott gesprochen? Eine biblische Unterredung mit unserer Zeit.

Von Hermann Wagner, Pastor an der Lazarus-Gemeinde, Berlin. In Pergamentumschlag geheftet 1,80 M.
 Mit großer Sorge habe ich meinen Sohn als Theologiestudierenden zur Universität ziehen lassen. Weiß ich doch, wie viele nicht als Zeugen des göttlichen Wortes, sondern als seine Kritiker und Leugner heute wieder kommen. Ich habe ihm diese Schrift als treuen Berater geschenkt.
Pilger aus Sachsen. 
 In tiefer, reicher und gemeinverständlicher Weise ist in diesem Büchlein geleistet, was manche größere Bücher nicht zum lebensvollen Ausdruck bringen; es zeigt den ewigen Wert des Gotteswortes gegenüber allen durch die modern-wissenschaftliche Forschungen entstandenen Beunruhigungen.
Der Reichsbote. 


Das Geheimnis des Kreuzes.

Von D. Bernhard Weiß, Wirklicher Geheimer Rat, ord. Professor an der Universität Berlin. Geheftet 80 Pf.

 Der berühmte Altmeister der neutestamentlichen Forschung entwickelt in ergreifender Darstellung die ewige Bedeutung und das heilige Geheimnis des Kreuze Christi.