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Menschheit den Schluß auf die Furchtbarkeit des Leidens ziehen konnte, das er selbst nie empfand. Was für uns Kraft und Krone unseres Christenstandes ist, Ehrenpreis seines Gottlebens, wäre ein leerer Schall, ja nie erklungen, das Kreuz stünde unverstanden in der Welt, denn alle, die sich und ihr Leben an das Marterholz gewagt hätten, wären an ihm nicht einmal sich zur Genüge, geschweige denn Gott zur Befriedigung, verblutet und das Grab wäre das begrüßenswerte Ziel einer um Befreiung ringenden und in solchem fruchtlosen Ringen todmatt gewordenen Menschheit. Aber Christus hat, aller Dinge seinen Brüdern gleich, allerorten und allerart versucht, von Feinden bedroht, von Freunden verlassen, vom Schnöden umgaukelt, von der Wirklichkeit verletzt, durch gute Gerüchte und böse Gerüchte verfolgt, geängstet, geschmäht, verlästert, verlassen, sein gottinniges und gottgemäßes Leben am Kreuze Kraft um Kraft, Gabe um Gabe, Zug um Zug geopfert und die furchtbare Friedlosigkeit eines verfehlten Lebens anstatt der vor ihm liegenden Heimatfreude erwählt, damit der Gedanke an die Menschheit dem Vater wieder Freude und dieser Gedanke der Menschheit Friede würde. Von diesem Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen, rühmt der Apostel, der am tiefsten in die Zusammenhänge von Sünde und Gnade, von Tod und Leben Einschau ge halten hat: Er ist unser Friede. In ein kaltes Grab gesenkt, hat sein gottmenschlicher Leib kraft der ihm inne wohnenden Reaktion gegen Todesfolge und Todesschmach die Riegel des Todes gesprengt und für uns das Sterben in die Wunderbarkeit eines harrenden Schlafes, in einen dulce somnium sine somno verwandelt. Der größte neutestamentliche Theologe der Jetztzeit rät, daß alle Theologen wenigstens einmal im Jahr das 15. Kapitel

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Hermann von Bezzel: Christentum und Kreuz. Trowitzsch & Sohn, Berlin 1912, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Christentum_und_Kreuz.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)