Christenfreude
Christenfreude.
Bruder Leo und Franciscus gingen
In den Pflichten ihres strengen Ordens
Ueber das Gebürge. Schneidend wehte,
Um und um sie, Hauch des kalten Winters.
Deckt ihr nacktes Haupt nur dünn’ und kärglich.
„Bruder Leo, rief Franciscus, höre!
Stehe still!
Wenn hinter uns die Menge
Aller Christenheit! der Erden Sterne!“ –
Und der Ruf uns gegen Ost und Abend,
Nord und Süd auf seinen Flügeln träget,
Daß, wohin wir kommen, Städt’ und Dörfer,
Die uns grüßen, uns Erquickung reichen,
Knieend unsern Segen sich erflehen,
Und darüber unser Herz frohlockte –
Bruder Leo, das ist nicht die Freude,
Weiter gingen sie; der Hauch des Winters
Wehete gelinder, und Franciscus
Redet fort: „Wenn vor dem hohen Pulte
Des berühmtesten, des vollsten Tempels
Auf die Sprüche unsrer Weisheit, saugen
Durstend ein den Odem unsrer Lippe;
Wenn wir Herzen spalten, führen Seelen,
Tausend Seelen im Triumph gefangen,
Jedes Ohr dahinschwimmt, und die Augen
Süße Bäche weinen; Seufzer steigen
Zu uns auf, ein süßer, süßer Weihrauch –
Und uns dann der Busen voller schläget,
Bruder Leo, das ist nicht die Freude,
Echte, wahre Christenfreude nicht.“
Als sie weiter kamen, in die schöne
Reichbewohnte Ebne, sprach Franciscus:
Die Geheimniße in Erd’ und Himmel,
Kenneten den Weg der Vögel, Fische,
Thier’ und Menschen, selber auch der Sterne;
Bruder Leo wüßte jede Zukunft,
Und wir aller Menschenherzen Tiefen,
Jeden Abgrund der Gewissen sähen,
Und sie wie Allmächtige beherrschten,
Wenn darüber unser Herz frohlockte –“
Schon gesammlet und begehrte Wunder.
„Bruder, wenn uns Gott nun Wunder gäbe,
Wunder, selbst den Satan zu entwaffnen,
Kräfte, diesem Tauben, jenem Stummen,
Hand und Fuß zu geben; der verwesten
Menschen-Asche neue Lebensfunken –“
Leo fiel ihm ein: „o guter Vater,
Warum sprichst du also? Oeffne lieber,
Sprach Franciscus: „Als vor jener Hütte,
Der wir Segen brachten, uns der Pförtner
Halbgesehn, die Pforte kaum eröfnet,
Drohend fortwies, und uns heilge Lügner
Wenn wir da, als hätt’ er uns mit warmem
Mildem Bad’ erquickt, den Gruß annahmen,
Und uns freuten und in Windes Pfeifen
Auf dem harten Stein, auf jenem Berge
Und der Schnee uns wie mit Rosen deckte;
Wir besprachen uns, wie wir dem Feinde
Wohlthun könnten, ihn mit Segen lohnen –
Bruder Leo, war uns das nicht Freude?“
„Jener Jünger, den als Kind wir liebten,
Dieser Freund, dem wir das Herz vertrauten,
Jener Fremdling, dem wir Gut und Leben
Glück und Wohlseyn gaben, wenn der Eine
Das Geheimniß unsres Herzens ausstößt,
Vollgemischt mit Lügen, und der Dritte
Ins Gesicht uns speit und schlägt uns blutig,
Schneidet uns mit Waffen unsrer Güte
Feinster Nerv erbebt, und alle Buben
Ueber uns frohlocken; und wir dennoch
Unsre Güte nicht bereuen, fröhlich
Uns zu neuer größrer Güte rüsten,
In die Dornenkron’, als wär’ es Lorbeer,
Den Verräther mit dem Kuß der Liebe
Segnen, und uns freun der Ehren Christus –
Bruder Leo, das ist Christenfreude!“
„Sieh, wir gehen jetzt in die Versammlung
Unsrer Brüder, wohin sie mich luden,
Daß ich ihnen meinen Rath ertheile.
Wenn ich rede, was das Herz mir eingiebt,
Rufend: „Nein! wir wollen nicht, daß Dieser,
Ein Unwissender, ein Unerfahrner,
Ueber uns gebiet’!“ und mit Verachtung,
Hassend mich aus ihrer Mitte stoßen,
Wenn ich dann nicht, als ob sie mit hohen
Ehren mich empfingen und lobpriesen,
Ihren Spott in höchster Ruh’ ertrüge;
Heiter im Gemüth, mit frohem Antlitz,
Mit demüthger Liebe zu vergelten,
Bruder Leo, so bin ich des Ordens,
Den ich Christo stiftete, nicht würdig.“