<<< Neunzehnter Brief >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Chemische Briefe
Seite: {{{SEITE}}}
von: Justus von Liebig
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wikisource-Indexseite
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[146]


Neunzehnter Brief.


Die erste und wichtigste Ursache aller Umwandlungen und Veränderungen, welche die organischen Atome erleiden, ist, wie in dem vorhergehenden Briefe erwähnt, die chemische Action des Sauerstoffs; Gährung und Fäulniss stellen sich erst in Folge eines beginnenden Verwesungsprocesses ein; ihre Vollendung ist die Herstellung eines Gleichgewichtszustandes; indem sich der Sauerstoff mit einem der Elemente des organischen Körpers verbindet, wird der ursprüngliche Zustand des Gleichgewichtes der Anziehung aller Elemente aufgehoben, er zerfällt und spaltet sich in Folge der Ausgleichung aller Anziehungen in eine Reihe von neuen Producten, welche, wenn nicht neue Störungen, neue Ursachen der Veränderung auf sie einwirken, keinem weiteren Wechsel in ihren Eigenschaften mehr unterliegen.

Allein wenn auch die chemische Action, welche die Elemente der organischen Atome in der Gährung und Fäulniss auf einander auszuüben vermögen, in der Art sich völlig ausgleicht, dass zwischen den Anziehungen der neugebildeten Producte ein Ruhestand sich einstellt, so findet ein solches Gleichgewicht in Beziehung auf ihre Anziehung zum Sauerstoff in keiner Weise statt. Die chemische Action des Sauerstoffs hört erst dann auf, wenn die Fähigkeit ihrer Elemente, sich mit Sauerstoff zu verbinden, erschöpft ist. Die chemische Action des Sauerstoffs ist ja nichts anderes, als das Streben nach Verbindung; eine Ausgleichung dieses Strebens kann, wie sich von selbst versteht, erst dann eintreten, wenn durch die Wirkung des Sauerstoffs Producte gebildet werden, denen das Vermögen, noch mehr Sauerstoff in sich aufzunehmen, völlig abgeht; erst dann befinden sich ihre eigenen Anziehungen mit denen des Sauerstoffs im Gleichgewicht.

Die Gährung oder Fäulniss stellt ein Stadium des Rückganges der zusammengesetzteren organischen Atome in einfachere Verbindungen dar; mit dem Uebergang der Producte der Gährung und Fäulniss in luftförmige Verbindungen durch den Verwesungsprocess vollendet sich der Kreislauf; die Elemente der organischen Wesen, welche ursprünglich, ehe sie Antheil an den Lebensprocessen nahmen, Sauerstoffverbindungen waren, der Kohlenstoff und Wasserstoff, nehmen die Form von Sauerstoffverbindungen wieder an. Der Verwesungsprocess ist ein bei gewöhnlicher Temperatur erfolgender Verbrennungsprocess, in welchem die

[147] Elemente der organischen Atome oder die Producte der Gährung und Fäulniss der Pflanzen- und Thierleiber sich allmählich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden.

Kein Organismus, kein Theil eines Thieres oder einer Pflanze ist fähig, nach dem Verlöschen der Lebensthätigkeit der chemischen Action, welche Luft und Feuchtigkeit auf sie ausüben, zu widerstehen, denn aller Widerstand, den sie als Träger und Vermittler der Lebensäusserungen vorübergehend besassen, hört mit dem Tode völlig auf; ihre Elemente fallen der unbeschränkten Herrschaft der chemischen Kräfte wieder anheim.

Mit der Lichtung der Urwälder Amerika’s, mit der erhöhten Leichtigkeit des Zutritts der Luft zu dem an Pflanzenüberresten so reichen Boden ändert sich allmählich seine Beschaffenheit; nach einer gewissen Anzahl von Jahren findet sich keine Spur dieser Ueberreste mehr vor. Die Oberfläche Germaniens war zu Tacitus Zeiten mit einem undurchdringlichen Walde bedeckt; der Boden muss damals dieselbe Beschaffenheit gehabt haben, wie die Dammerde der Urwälder Amerika’s; aber alle diese Producte des Pflanzenlebens sind für unsere Wahrnehmung völlig verschwunden. Die Milliarden von Schalthieren und anderen Thieren, deren Ueberreste ganze Gebirgslager bilden, – ihre Leiber sind nach dem Tode in Gährung und Fäulniss und durch die fortdauernde Einwirkung der Atmosphäre in luftförmige Verbindungen übergegangen, und ihre Gehäuse, ihre Knochen, ihre unzerstörbaren Bestandtheile legen Zeugniss ab von einem unausgesetzt verlöschenden und stets sich wieder erneuernden Leben.

Nur an Orten oder in Lagen, wo der Zutritt des Sauerstoffs beschränkt oder abgeschlossen war, finden wir, wie in den Torf- und Braunkohlenlagern, die erkennbaren Ueberreste urweltlicher Vegetationen in einem verlangsamten Zustande der Verwesung noch vor.

Zum Eintreten und zur Vollendung des Oxydationsprocesses der Verwesung sind Wasser und eine angemessene Temperatur, ganz wie bei der Gährung oder Fäulniss, durchaus nothwendige Bedingungen; Austrocknen oder Eiseskälte hebt alle Verwesungs- und Gährungsprocesse auf; die Uebertragung der eingetretenen Selbstentmischung von einem Theilchen zum anderen setzt einen Ortswechsel, die Beweglichkeit dieser Theilchen voraus, welche durch das Wasser möglich gemacht und vermittelt wird; bei der Verwesung ist es insbesondere eine gewisse erhöhte Temperatur, wodurch die Fähigkeit der Elemente, sich mit dem Sauerstoff der Atmosphäre zu verbinden, gesteigert wird.

Eine Menge organischer Materien ist im feuchten Zustande fähig, Sauerstoff aufzunehmen; vielen anderen, man kann sagen den meisten, geht diese Fähigkeit für sich völlig ab.

Wenn wir feuchtes Heu oder faules Holz in ein Gefäss mit Luft bringen, so ändern sich in sehr kurzer Zeit alle Eigenschaften dieser Luft. Ein angezündeter Holzspan, der im Anfange darin fortbrannte, verlischt nach zwei bis drei Stunden in dieser Luft ganz so, wie wenn man ihn brennend in Wasser getaucht hätte. Eine genauere Untersuchung ergiebt, dass aller Sauerstoff der Luft völlig verschwunden, und dass seine Stelle eingenommen ist durch ein dem Sauerstoff gleiches Volumen Kohlensäure. Wird die kohlensäurehaltige Luft entfernt und

[148] durch frische ersetzt, so stellt der nämliche Process sich auf’s Neue ein, ihr Sauerstoff verwandelt sich in Kohlensäure. Wenn wir das Holz oder Heu angezündet in dieser Luft hätten verbrennen lassen, so wäre die eingetretene Veränderung der Luft ganz die nämliche gewesen.

In dem Bleichen der Farben an der Luft oder der sogenannten Rasenbleiche hat man den Verwesungsprocess in einem grossen Massstabe in technischer Anwendung. Die Leinwand oder Baumwolle ist gewöhnliche Holzfaser, mehr oder weniger gefärbt, durch fremde, in der Pflanze enthaltene oder in der Darstellung hinzugekommene organische Substanzen. Mit Wasser benetzt und dem Sonnenlichte ausgesetzt, stellt sich augenblicklich an der ganzen Oberfläche ein langsamer Verbrennungsprocess ein, der Sauerstoff der das Zeug berührenden Luft wird unausgesetzt in Kohlensäure verwandelt. Das Gewicht des Stoffes nimmt, eben weil er verbrennt, in jeder Zeitsecunde ab, die färbenden Materien verschwinden allmählich und mit ihnen eine beträchtliche Menge Holzfaser, indem ihre Elemente in Sauerstoffverbindungen übergehen. Bei einer länger dauernden Einwirkung verliert das Zeug seinen Zusammenhang und verwandelt sich in eine der Papiermasse ähnliche Materie, welche fortfährt zu verwesen, so lange die Bedingungen zur Sauerstoffaufnahme oder zur Verwesung noch vorhanden sind.

In einer ganz ähnlichen Weise, wie das Holz, wie der stickstofffreie Hauptbestandtheil der Pflanzen, verhalten sich die stickstoffhaltigen. Frisches Fleisch, die gewöhnliche Bier- oder Weinhefe, eins der ersten Producte der Umsetzung der stickstoffhaltigen Bestandtheile der Pflanzen durch Gährung, entziehen der Luft ihren Sauerstoff, und geben an sie, wie das Holz, ein gleiches Volumen Kohlensäure zurück. So fanden sich bei der Verlegung des Kirchhofes des Innocenz aus dem Innern der Stadt vor die Thore von Paris die meisten Leichen, dem Anschein nach, in Fett verwandelt. Die Substanz der Haut, Muskeln, Zellen und Sehnen war bis auf die Knochen völlig verschwunden, nur das der Verwesung am längsten widerstehende Fett der Leichen war als Margarinsäure zurückgeblieben, von welcher damals Hunderte von Centnern von den Seifensiedern in Paris zu Lichtern und Seife verarbeitet wurden. Von Fleisch, welches man in fliessendem Wasser aufhängt oder in feuchter Erde vergräbt, bleibt nach einem gewissen Zeitraume nichts als das darin enthaltene Fett zurück.

Alle verwesenden Materien verhalten sich in feuchtem Zustande gegen die Luft bei gewöhnlicher Temperatur ganz, wie wenn man sie getrocknet der Glühhitze ausgesetzt hatte; sie gehen in den Zustand der Sauerstoffaufnahme über, sie verbrennen.

Dem Weingeist, einem anderen Producte der Gährung zuckerhaltiger Pflanzensäfte, geht das Vermögen, so wie diese zu verwesen, völlig ab; in reinem Zustande oder mit Wasser gemischt der Luft ausgesetzt, verdampft er zuletzt, allein ohne sich mit Sauerstoff zu verbinden; man weiss, dass er sich in höherer Temperatur leicht entzündet und zu Kohlensäure und Wasser verbrennt; es ist klar, dass seine Elemente eine grosse Verwandtschaft zum Sauerstoff haben, die höhere Temperatur ist ja nur eine Bedingung zu ihrer Aeusserung. Ganz wie der Weingeist verhalten

[149] sich Wasserstoffgas und viele brennbare Körper; erst in gewissen Wärmegraden äussert sich ihre Verwandtschaft zum Sauerstoff.

Auch in dem Verwesungsprocess hat man den merkwürdigen Einfluss erkannt, den eine im Zustande der Umsetzung oder Thätigkeit begriffene Materie auf die Theilchen einer daneben liegenden ausübt, welche für sich allein nicht fähig ist, in den nämlichen Zustand der Umsetzung, Veränderung oder Thätigkeit überzugehen.

Bei Berührung mit einer verwesenden Substanz zeigen nämlich eine Menge Materien bei gewöhnlicher Temperatur Verwandtschaft zum Sauerstoff, sie gehen eine Verbindung mit ihm ein, welche sonst erst durch höhere Hitzgrade vermittelt werden kann. Der Zustand der Sauerstoffaufnahme eines verwesenden Körpers überträgt sich auf alle Materien, die sich damit in Berührung befinden, sie verhalten sich wie wenn sie Theile oder Bestandtheile desselben wären, und ihre Verbindung mit dem Sauerstoff wird auf eine ähnliche, nicht weiter erklärbare Weise wie durch die Wärme vermittelt. Die Berührung mit einer verwesenden Materie ist die Hauptbedingung der Verwesung für alle andere organische Substanzen, denen das Vermögen, sich mit Sauerstoff zu verbinden, bei gewöhnlicher Temperatur nicht zukommt. In Folge der vor sich gehenden Verbindung ihrer Elemente mit dem Sauerstoff steigt die Temperatur der verwesenden Materien über die des umgebenden Mediums; allein so gross auch der Einfluss ist, den die Wärme auf die Beschleunigung des Vorganges ausübt, sie ist nicht, wie in anderen chemischen Processen, die Ursache der Verwandtschaftsäusserung zum Sauerstoff.

Hängt man in einer Flasche voll gewöhnlicher Luft, der man eine gewisse Menge Wasserstoffgas zugesetzt hat, einen mit feuchten Sägespänen, Seide, Dammerde etc. gefüllten Leinwandbeutel auf, so fahren diese Materien fort, ganz wie in freier Luft, zu verwesen, sie verwandeln das sie umgebende Sauerstoffgas in Kohlensäure; das Bemerkenswertheste hierbei ist nun, dass auch der zugesetzte Wasserstoff verwest, dass er durch die Berührung mit diesen verwesenden Substanzen die Fähigkeit erhält, sich bei gewöhnlicher Temperatur mit Sauerstoff zu verbinden. Wenn es an Sauerstoff nicht mangelt, so wird aller Wasserstoff in Wasser zurückgeführt.

Ganz wie das Wasserstoffgas verhalten sich andere brennbare einfache und zusammengesetzte Gase. Der Dampf von Weingeist z. B. in einem Raume, welcher verwesendes Holz oder andere verwesende Substanzen enthält, nimmt, wie das Wasserstoffgas, Sauerstoff aus der Luft auf, er verwandelt sich in Aldehyd, sodann in Essigsäure, welche, indem sie tropfbar-flüssig wird, sich der weiteren Einwirkung des Sauerstoffs entzieht. Auf diese Eigenschaft verwesender Substanzen, die Anziehungen aller organischen Körper zum Sauerstoff und namentlich die des Weingeistes zu erhöhen, gründet sich die sogenannte Schnellessigfabrikation.

Während sonst die Ueberführung gegohrener Flüssigkeiten in Essig, des unvollkommenen Zutritts der Luft wegen, Wochen und Monate lang dauerte, ist man jetzt dahin gelangt, den Weingeist in weniger als 24 Stunden in Essig zu verwandeln, hauptsächlich dadurch, dass man den mit Wasser verdünnten Branntwein durch Fässer langsam fliessen lässt, welche mit gehauenen oder gehobelten Holzspänen angefüllt sind,

[150] während gleichzeitig durch diese Späne ein schwacher Luftstrom circulirt. Verglichen mit dem alten Verfahren, findet sich durch diese Einrichtung die der Sauerstoffaufnahme fähige Weingeist-Oberfläche ins Tausend- und Mehrfache vergrössert; die natürliche Folge ist, dass die Zeit der Verwesung desselben um das Ebensovielfache verkürzt wird. Im Anfang, wenn die sogenannten Essigbilder in Gang gesetzt werden, setzt man dem Branntwein gewöhnlich kleine Mengen solcher Stoffe zu, welche verwesbare Substanzen enthalten, wie Bierwürze, Honig, unfertigen Essig etc.; allein sehr bald geht die Holzoberfläche selbst in den Zustand der Sauerstoffaufnahme über, und vermittelt von da an den Uebergang des Branntweins in Essig, ohne weitere Mitwirkung von anderen verwesenden Materien.

Die Entstehung der Salpetersäure oder salpetersaurer Salze und ihr Vorkommen in gewissen Garten- und Ackererden, in dem Boden und in den Mauern von Viehställen oder Häusern, in dem Brunnenwasser der Städte und Dörfer beruht auf derselben Ursache, wie die Bildung der Essigsäure aus dem Alkohol geistiger Getränke: sie entsteht aus Ammoniak, einem der letzten Producte der Fäulniss thierischer oder überhaupt stickstoffhaltiger Materien.

Wenn sich Ammoniak bei Gegenwart von Kalk, Magnesia, Kali etc. und einer gewissen Menge Feuchtigkeit in Berührung befindet mit verwesenden Materien, so verbinden sich seine Elemente, Stickstoff und Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Luft zu Wasser und Salpetersäure, welche letztere mit alkalischen Erden und Alkalien salpetersaure Salze bildet.

Die krystallinischen Salze, welche häufig aus den Mauern von Viehställen oder Wohnhäusern auswittern, namentlich an Orten, welche von Flüssigkeiten aus Latrinen befeuchtet sind, bestehen aus salpetersauren Salzen, in der Regel aus salpetersaurem Kalk, einem Salze, welches aus feuchter Luft Wasser anzieht und zerfliesst und durch dessen Vorhandensein eine bleibende Nässe in den Mauern verursacht wird.

Ein grosser Theil des in Frankreich zur Pulverfabrikation dienenden Salpeters wird in Paris aus dem unteren Theil der Pariser Häuser, der mit den Flüssigkeiten der Strasse in beständiger Berührung ist, aus den darin sich bildenden salpetersauren Salzen gewonnen; indem der Kalk der Mauern allmählich von der Salpetersäure aufgelöst wird, verlieren die Mauern ihre Festigkeit und ihren Zusammenhang, daher der Name Mauerfrass für diese den Mauern so schädliche Salpeter-Bildung. In Indien, wo die Lufttemperatur höher und die Luft feucht ist, verwesen thierische Substanzen besonders schnell, und es erzeugt sich dort, indem weniger Ammoniak der langsamen Verbrennung entgeht, eine im Verhältniss weit grössere Menge von salpetersauren Salzen.

Die Anwendung der Kenntniss des Verhaltens verwesender Materien auf die Bier- und Weinfabrikation liegt ganz nahe. Die Eigenschaft des Bieres oder Weines, bei Berührung mit der Luft in Essig überzugehen, beruht stets auf der Gegenwart fremder Substanzen, deren Fähigkeit Sauerstoff anzunehmen, sich den Weingeisttheilchen, mit denen sie in Berührung sind, überträgt; mit ihrer Entfernung geht dem Wein und Bier das Vermögen, sauer zu werden, gänzlich ab.

In dem Safte zuckerarmer Weintrauben bleiben nach vollendeter Gährung, nach dem Zerfallen des Zuckers in Kohlensäure und Weingeist

[151] eine beträchtliche Menge stickstoffhaltiger Bestandtheile mit den nämlichen Eigenschaften zurück, die sie im Safte vor der Gährung besassen. In dem zuckerreichen Safte der Weintrauben aus südlichen Zonen ist das Verhältniss umgekehrt, es bleibt in diesem eine Menge Zucker unzersetzt, nachdem sich alle stickstoffhaltige Substanz im unauflöslichen Zustande der Hefe völlig abgeschieden hat. Diese letzteren Weine ändern sich an der Luft nur wenig, eine Säurung tritt für diese nur bei rothen Weinen ein, deren Farbstoff leicht veränderlich ist und, mit Luft in Berührung, die Rolle der stickstoffhaltigen Bestandtheile übernimmt.

Die in dem Weine nach der Gährung bleibenden stickstoffhaltigen Bestandtheile des Traubensaftes sind die früher erwähnten Gährungserreger des Zuckers; nach seiner Entfernung üben sie auf den Alkohol ganz die Wirkung aus, welche das verwesende Holz besitzt; sie sind die Erreger und Vermittler des jetzt eintretenden Säurungsprocesses.

Die Verwandtschaft dieser Substanzen zum Sauerstoff ist sehr gross; in der kurzen Zeit des Ueberfüllens von Wein aus einem Fass in ein anderes nehmen sie aus der Luft Sauerstoff auf und versetzen den Wein in den Zustand der Säurung, welcher unaufhaltsam fortschreitet, wenn er nicht künstlich aufgehalten wird. In dem Fasse, welches den Wein aufzunehmen bestimmt ist, wird, um dieser vorzubeugen, ein Stück Schwefelspan verbrannt; die darin enthaltene Luft wird hierdurch ihres Sauerstoffs beraubt, es entsteht eine seinem Volumen gleiche Menge schweflige Säure, welche von der feuchten Holzoberfläche des Fasses mit Schnelligkeit absorbirt wird. Die schweflige Säure besitzt eine noch grössere Verwandtschaft zum Sauerstoff, als die im Weine enthaltenen Säurungserreger; indem sie sich von der inneren Fassoberfläche nach und nach im abgefüllten Weine vertheilt, und den Säurungserregern so wie der Flüssigkeit selbst allen aus der Luft aufgenommenen Sauerstoff wieder entzieht, wird der Wein in den Zustand zurückversetzt, den er vor dem Abfüllen besass. Die schweflige Säure findet sich im Wein in Schwefelsäure verwandelt.

Bei dem Lagern der Weine findet durch die Holzwände der Fässer ein beständiger, wiewohl sehr langsamer Luftwechsel statt, oder, was das Nämliche ist, der Wein ist unausgesetzt mit einer sehr kleinen Menge Sauerstoff in Berührung, woher es denn kommt, dass sich nach einer gewissen Zeit die ganze vorhandene Menge des Säurungserregers im Wein in der Form der sogenannten Unterhefe abscheidet.

Die Ausscheidung der Wein- und Bierhefe während der Gährung des Traubensaftes oder der Bierwürze geschieht in Folge einer Sauerstoffaufnahme, oder, was das Nämliche ist, durch einen im Innern der gährenden Flüssigkeit vor sich gehenden Oxydationsprocess. Der stickstoffhaltige Bestandtheil der Gerste ist für sich im Wasser nicht löslich; im Malzprocess wird er, während das Korn keimt, löslich im Wasser; er nimmt dieselbe Beschaffenheit an, welche der im Traubensafte enthaltene stickstoffhaltige Bestandtheil von Anfang an besitzt.

Durch Sauerstoffaufnahme verlieren beide ihre Löslichkeit im Wein und Bier. Nach den besten hier angestellten Analysen ist die Wein-

[152] und Bierhefe weit reicher an Sauerstoff, als die stickstoffhaltigen Substanzen, aus denen sie entsteht.

So lange noch gährende Zuckertheilchen in der Flüssigkeit neben diesen Materien vorhanden sind, ist es die Flüssigkeit selbst, welche durch Zersetzung von Wasser oder einer kleinen Menge Zucker den zu ihrem Uebergang in Hefe nöthigen Sauerstoff liefert; dieser Oxydationsprocess im Innern der Flüssigkeit, der ihre Abscheidung bedingt, findet mit dem Verschwinden des Zuckers seine Grenze; er stellt sich aber auf’s Neue ein, wenn die Flüssigkeit durch Zusatz von Zucker in den gährungsfähigen Zustand zurückversetzt wird; er stellt sich ferner ein, wenn die Oberfläche der Flüssigkeit mit Luft in Berührung gelassen wird; in letzterem Falle geschieht ihre Abscheidung auf Kosten des Sauerstoffs der Luft, also in Folge ihrer Verwesung.

Es ist nun erwähnt worden, dass die Gegenwart dieser stickstoffhaltigen Materien neben Alkohol bei hinlänglichem Luftzutritt die Ueberführung des Alkohols in Essigsäure bedingt; nur die Ungleichheit ihrer Verwandtschaft zum Sauerstoff ist der Grund, dass beim Lagern des Weines, wo der Luftzutritt äusserst beschränkt ist, sich nur der stickstoffhaltige Bestandtheil, und nicht gleichzeitig auch der Alkohol oxydirt; in offenen Gefässen würde der Wein unter diesen Umständen in Essig übergegangen sein.

Es ist nach dem Vorhergehenden klar, dass, wenn wir ein Mittel hätten, die Säuerung des Alkohols, seinen Uebergang in Essigsäure bei einer unbeschränkten Zufuhr von Luft oder Sauerstoff zu hindern, wir damit in der kürzesten Zeit dem Wein und Bier eine unbegrenzte Haltbarkeit, die völlige Reife zu geben vermöchten; denn unter diesen Umständen würden sich alle die Säurung bewirkenden Materien des Weines und Bieres mit Sauerstoff verbinden, sie würden in unauflöslichem Zustande abgeschieden werden. Mit ihrer Entfernung würde der Alkohol das Vermögen, Sauerstoff aufzunehmen, gänzlich verlieren.

Dieses Mittel hat die Experimentirkunst in einer niedrigen Temperatur aufgefunden, und es hat sich darnach, namentlich in Bayern, ein Gährverfahren gebildet, auf welches die vollendetste Theorie einfacher und sicherer und den wissenschaftlichen Grundsätzen mehr entsprechend kaum hätte führen können.

Der Uebergang des Alkohols in Essigsäure durch Berührung mit einer verwesenden Substanz findet am raschesten statt bei einer Temperatur von 35 Grad; unterhalb derselben nimmt die Verwandtschaft des Alkohols zum Sauerstoff ab; bei einer Temperatur von 8 bis 10 Grad (des hunderttheiligen Thermometers) findet unter diesen Umständen keine Verbindung mehr statt; die Neigung oder die Fähigkeit der stickstoffhaltigen Substanzen, Sauerstoff anzuziehen, ist aber bei dieser niedrigen Temperatur kaum merklich geschwächt.

Es ist darnach einleuchtend, dass, wenn die Bierwürze, wie dies in Bayern geschieht, in weiten, offenen Gefässen, welche dem Sauerstoff unbeschränkten Zutritt gestatten, der Gährung überlassen wird, und zwar in einem Raume, dessen Temperatur 8 bis 10 Grad nicht übersteigt, eine Abscheidung der Säurungserreger gleichzeitig im Innern und an der Oberfläche der Flüssigkeit stattfindet. Das Klarwerden des Bieres

[153] ist das Zeichen, woran man erkennt, dass keine weitere Abscheidung mehr erfolgt, dass diese Materien, und damit die Ursachen der Säurung, entfernt sind. Eine den Principien gemäss ganz vollkommene Entfernung derselben hängt von der Erfahrung und Geschicklichkeit des Brauers ab; sie wird, wie man sich leicht denken kann, nur in einzelnen Fällen erreicht, allein immer wird nach diesem Gährverfahren ein in seiner Haltbarkeit und Güte das gewöhnliche weit übertreffendes Bier gewonnen.

Der ausgezeichnete Nutzen, den die Anwendung dieser Grundsätze auf eine rationellere Weinbereitung haben muss, liegt auf der Hand, und kann in keiner Weise bestritten werden; die unvollkommene Erkenntniss oder die Unkenntniss derselben ist offenbar der Grund, dass diese Gährmethode nicht längst schon der Weinbereitung die grossen Vortheile verschafft hat, die sich davon erwarten lassen; denn der darnach bereitete Wein wird sich zu dem gewöhnlichen verhalten, wie ein gutes bayerisches Bier zu gewöhnlichem Bier, zu dessen Darstellung dieselbe Quantität Malz und Hopfen gedient hat. Der Wein muss dadurch in der kürzesten Zeit dieselbe Reife und Güte erhalten, die er sonst erst nach jahrelangem Lagern zeigt. Wenn man sich erinnert, dass die Weinbereitung auf Ende October, also gerade in die kühle Jahreszeit fällt, die der Biergährung so günstig ist, dass hierzu keine anderen Bedingungen, als ein sehr kühler Keller und offene weite Gährungsgefässe gehören, dass die Gefahr der Säurung beim Wein unter allen Umständen viel geringer ist, als beim Bier, so wird man auf den besten Erfolg mit Sicherheit rechnen können [1].

Man darf hierbei nicht vergessen, dass der Wein im Verhältniss eine weit geringere Menge von stickstoffhaltigen Materien nach der Gährung zurückbehält, als die Bierwürze, und dass es zu ihrer vollkommenen Abscheidung eines beschränkteren Luftzutritts bedarf.

[154] Ganz diesen Principien entgegen findet die Gährung des Weines am Rhein an sehr vielen Orten nicht in kühlen Kellern, sondern in offenen, viel zu hoch und deshalb zu warm liegenden Räumen statt, und man schliesst durch aufgesetzte Blechröhren, die mit Wasser gesperrt sind, den Zutritt der Luft während der Gährung völlig ab. In dieser Hinsicht wirken diese Röhren jedenfalls nachtheilig auf die Qualitäten des Weines, sie sind in jeder anderen als eine vollkommen nutz- und zwecklose Erfindung eines müssigen Kopfes zu betrachten, die man eben nachahmt, ohne sich weitere Rechenschaft zu geben.

  1. Einer der intelligentesten Landwirthe und Weinproducenten des Grossherzogthums Baden, Freiherr v. Babo, schrieb mir im April 1843 Folgendes: „Von der Behandlung meines rothen Weines im vorigen Herbste nach dem bayerischen Gährverfahren kann ich Ihnen berichten, dass dieselbe wieder einen ausgezeichneten Erfolg hatte. Unsere weinbauenden Praktiker können die Sache nicht begreifen, so klar ist es, dass, was bei dem Bier von so vorzüglichem und anerkanntem Erfolg ist, auch bei dem Wein zweckmässig sein muss.“ Ein Versuch, den Herr v. Babo im Herbst 1841 mit rothem Wein anstellte, war eben so günstig ausgefallen, ganz besonders in der Farbe. Die Gährung des rothen Weines konnte möglicher Weise eine Klippe sein, woran das Verfahren hätte scheitern können, allein nach diesen so gelungenen Versuchen halte ich es der allgemeinsten Anwendung fähig. Versuche im Grossen, welche auf dem Johannisberg im Jahr 1846 mit 6 Fässern Weinmost, jedes von 1200 Flaschen Inhalt, welche der Fürst Metternich bereitwilligst zur Verfügung stellte, unter der Leitung des erfahrenen Kellermeister Heckler angestellt wurden, haben ergeben, dass der Luftzutritt während der Dauer der Gährung einen wesentlich günstigen Einfluss auf die Qualität des Weines äussert. In jedes dieser Fässer wurden am Spund Oeffnungen bis zu 12 Zoll im Quadrat geschnitten, und es zeigt sich, dass eine Oeffnung von 6 Zoll im Quadrat, bedeckt mit einem Stück grober Packleinwand, vollkommen genügt, und dass der in dieser Weise vergohrene Wein eine merklich bessere Qualität besitzt, als der Wein, welcher mit aufgesetztem Gährrohr bei Luftabschluss vergohren hatte. Ganz ähnliche Resultate erhielt Herr Dr. Crasso, als er den Most in aufs Hohe gestellten Stückfässern gähren liess, deren oberer Boden herausgenommen und zum Zudecken während der Gährung benutzt wurde. (Siehe Ann. d. Chem. u. Ph. LIX. p. 360.) In anderen Versuchen, in denen man weissen Wein in unbedeckten, offenen Bütten gähren liess, verlor der Wein von seinem Bouquet und wurde flatt.