Chemische Briefe/Dreiundvierzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Dreiundvierzigster Brief.


Die Versuche von Kuhlmann, Schattenmann und Lawes lehren übereinstimmend, dass die Ammoniaksalze einen vorwaltenden günstigen Einfluss auf die Halm- und Blattentwickelung äussern und wenn sich dieser Einfluss in gleicher Weise auf die unterirdischen Organe, auf die Wurzeln erstreckt, so dürfte sich herausstellen, dass die Wirkung des Ammoniaks, die Entwickelung derjenigen Organe, welche zur Aufnahme der Nahrung bestimmt sind, befördert und unterhält, und dass diese Salze, zur richtigen Zeit angewendet, die Anzahl der Blätter und Wurzelfasern vermehren.

Dieser Umstand erklärt die günstigen Wirkungen, welche ammoniakreiche Düngmittel auf die Vegetation im Frühling ausüben, während ihr Einfluss unter sonst gleichen Umständen im Sommer nur gering ist.

Wenn die Pflanze in der That in der ersten Zeit ihrer Entwickelung eine entsprechende Anzahl von Blättern und Wurzelfasern gewonnen hat, so kann, wenn die andern Nahrungsstoffe im Boden nicht fehlen, eine weitere Zufuhr von Ammoniak für die Ausbildung des Gewächses nicht von grossem Nutzen sein, da die vorhandenen Blätter jetzt aus der Luft aufzunehmen und zu empfangen vermögen, was sie an stickstoffreicher Nahrung zur Samenbildung bedürfen. Im Sommer ist die Luft reicher an Wasserdampf als im kälteren Frühling, und da nach allen hierüber angestellten Untersuchungen der Ammoniakgehalt der Luft mit der Temperatur und ihrem Wassergehalte steigt, so finden die Pflanzen aus diesem Grunde im Sommer mehr Ammoniak in der Luft vor als im Frühling und man kann es als eine Regel betrachten, dass die Gewächse in der kälteren Jahreszeit abhängiger sind von einer Zufuhr von Ammoniak aus dem Boden als in der wärmeren, oder dass die Anwendung stickstoffreicher Düngmittel im Frühling am nützlichsten für die Gewächse ist.

Als eine ziemlich allgemeine Erfahrung hat es sich in Schottland und England herausgestellt, dass zu einer guten und sicheren Ernte von Rüben die phosphorsauren Erdsalze nicht immer genügen; im Mai gesäet, muss denselben ein ammoniakreiches Düngmittel zugesetzt werden, während die Rüben in der Mitte Juni gesäet, mit Phosphaten allein, in der Regel eben so gut als in Verbindung mit Ammoniak gedeihen.

Es lassen sich hieraus ziemlich genau die Fälle bestimmen, in welchen das Ammoniak geradezu schädlich wirkt; denn während ammoniakreicher Dünger das Wachsthum des blätterreichen Kopfkohles befördert und verlängert, hindert derselbe die Entwickelung der Wurzeln der Turnipsrübe; auf Stellen, auf denen Misthaufen lagen, treibt diese häufig nur Stengel und Blätter; unter denselben Verhältnissen treibt die Mangoldrübe die stärksten Wurzeln; die Blüthezeit dieser Pflanze wird hierdurch aufgehalten und verzögert.

Damit eine Pflanze blühe und Samen trage, scheint es bei vielen nothwendige Bedingung zu sein, dass die Thätigkeit der Blätter und Wurzeln eine gewisse Grenze, einen Ruhepunkt erreiche; erst von da an scheint die vegetative Thätigkeit nach einer neuen Richtung die Oberhand

[384] zu gewinnen und die vorhandenen Säfte, wenn sie nicht weiter zur Ausbildung neuer Blätter und Wurzelfasern in Anspruch genommen werden, dienen jetzt zur Bildung der Blüthe und Samen.

Mangel an Regen und damit an Zufuhr von Nahrung beschränkt die Blattbildung und befördert die Blüthezeit bei vielen Pflanzen. Trockne und kühle Witterung beschleunigt die Samenbildung. In warmen und feuchten Klimaten tragen die Cerealien im Sommer gesäet wenig oder keinen Samen und auf einem an Ammoniak armen Boden kommen die Wurzelgewächse weit leichter zum Blühen und Samentragen, als auf einem daran reichen.

Bei der Anwendung stickstoffreicher Dünger muss darum der Landwirth den Zweck klar vor Augen haben, den er erreichen will. Wie man einem Thier, wenn man es mästen und dabei gesund erhalten will, nicht mehr Futter täglich giebt als es verdauen kann, so sollte es bei der Pflanze sein.

Der Dünger muss immer eine solche Beschaffenheit haben, dass er der Pflanze die ihr angemessene Nahrung in jeder Periode ihres Wachsthums darbietet. Pflanzen von längerer Vegetationszeit haben deswegen keine oder nur eine geringere Zufuhr von stickstoffreichem Dünger nöthig als andere von kurzer; bei solchen, welche kräftig und rasch sich zu entwickeln vermögen und die kürzeste Vegetationszeit haben, sind die concentrirten Düngstoffe denen vorzuziehen, welche ihre wirksamen Bestandtheile nur langsam abgeben. In trocknen Gegenden gedeiht der Winterweizen nach Klee ohne weitere Düngung, während der im Frühling gesäete Weizen in der Regel von der Anwendung des peruanischen Guano oder des Chilisalpeters (top dressing) den grössten Vortheil zieht.

Die Aufeinanderfolge einer und derselben Pflanze auf dem nämlichen Felde macht dieses Feld, wenn es die chemischen Bedingungen ihres Wachsthums in reichlicher Menge enthält und die physikalischen Eigenschaften in richtiger Beschaffenheit besitzt, darum nicht ungeeignet für die Cultur dieser Pflanze; wenn die Pflanze auf einem solchen Felde nach dem dritten oder vierten Jahre nicht mehr gedeiht, so liegt offenbar der Grund nicht in einem Mangel an ihren Lebensbedingungen, von denen wir angenommen haben, dass sie vorhanden seien, sondern in der Anhäufung von Ursachen, welche ihre gesunde Entwickelung beeinträchtigen.

Alle Nahrungsmittel der Gewächse sind chemische Verbindungen, welche vermöge ihrer chemischen Eigenschaften gewisse Wirkungen auf die Substanz der Zellen und feinsten Gebilde der Blätter und Wurzeln ausüben, durch welche die Pflanzen ihre Nahrung sich aneignen; mit ihrer Quantität steigt ihre chemische Wirkung, und in einem gewissen Verhältniss den Pflanzen dargeboten, kränkeln diese und sterben zuletzt ab.

In einer Luft, welche über eine gewisse Grenze hinaus, wenn auch nur eine Spur freies Ammoniak enthält, sterben viele Pflanzen wie von einem Gifthauch getroffen; in gleicher Weise wirkt die Kohlensäure, wenn auch in minderem Grade; andere sterben in einem Boden, welcher durchfeuchtet ist von schwachen Lösungen freier Alkalien oder alkalischer Erden und Salze.

In der Natur finden wir die wunderbare Einrichtung getroffen, dass die Ackerkrume durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften,

[385] die ihr angehören, die chemischen Wirkungen der ernährenden Substanzen auf die aufgesaugten Wurzeln völlig aufhebt. Das freie Ammoniak, die freien Alkalien und alkalischen Erden werden von der Ackerkrume gebunden und verlieren mit ihrem Lösungsvermögen ihren den Pflanzen schädlichen chemischen Charakter, die Pflanze wählt aus, was zu ihrem Bestehen nothwendig ist, ohne irgend hieran gehindert zu sein durch fremde, ihre gedeihliche Entwickelung gefährdende Einflüsse.

Es ist klar, dass der Boden eine solche neutrale chemische Beschaffenheit als nächste Bedingung des gesunden Zustandes und der Verrichtungen der Pflanzenwurzeln besitzen muss. Für die verschiedenen Pflanzengattungen sind diese Bedingungen besonderer Art; die eine bedarf die Bestandtheile des frischen Quellwassers; die anderen gedeihen nur in Sümpfen, manche auf kohlenstoff- und säurereichen, wieder andere nur auf Feldern, welche Ueberfluss an alkalischen Erden besitzen.

Durch die Cultur selbst wird die Beschaffenheit des Bodens geändert, nicht nur in so fern in der Ernte demselben ein Theil der activen Materien genommen wird, sondern auch dadurch, dass er durch manche Gewächse, durch die Rückstände ihrer Wurzeln ein grösseres Verhältniss an kohlenstoff- und stickstoffreichen Stoffen empfängt. Die Bereicherung des Bodens an organischen Materien scheint für manche Gewächse eine Ursache der Krankheit und des Absterbens zu sein. Viele Rübengewächse, der Klee gedeihen auf einem solchen Feld nicht mehr, manche Gräser sind auf solchen Bodenarten nicht aufzubringen und sterben bald aus.

Man hat in England häufig wahrgenommen, dass die Turnipsrübe, wenn sie auf demselben Felde in allzukurzen Zwischenräumen gebaut wird, einer eigenthümlichen Krankheit verfällt, welche sich in einer ungewöhnlichen Wurzelbildung äussert; anstatt eines mehrere Pfunde schweren runden fleischigen und knolligen Wurzelstocks, von dem aus einzelne Faserwurzeln im Boden sich verbreiten, zertheilt sich die Pfahlwurzel in eine grosse Anzahl stenglige halbfingerdicke, harte, holzige Längenwurzeln (finger and toe). Diese Krankheit, welche in der Beschaffenheit des Bodens liegt, wird durch starke Düngung mit gebranntem Kalk beseitigt, aber es ist sicher, dass der Kalk nicht wirkt, weil im Boden daran Mangel war, denn wenn man ihn wie andere Dünger dem Felde zur Saatzeit giebt, so ist seine Zufuhr wirkungslos; seine Wirkung wird erst nach einem oder zwei Jahren wahrnehmbar. Der Kalk muss offenbar, um eine günstige Aenderung in der Beschaffenheit des Feldes auszuüben, bis zu einer gewissen Tiefe dringen, wozu eine beträchtliche Zeit gehört.

Durch einfache Düngung mit saurem phosphorsaurem Kalk und gänzlichem Ausschluss von organischem Dünger ist es Lawes gelungen, neun Jahre nach einander Turnips zu bauen und im neunten Jahre eine Ernte von 187 Ctr. Wurzeln zu erzielen.

Eine Ackerkrume, welche reich ist an organischen Stoffen, giebt an Regenwasser, das langsam durchsickert, eine Materie ab, welche das Wasser braun färbt und demselben zuweilen saure Reaction ertheilt. Mischt man eine solche mit etwas gebranntem Kalk, so verliert diese organische Substanz ihre Löslichkeit in Wasser und ihre Verbreitbarkeit im[1] Boden. Der Kalk zersetzt die organischen Substanzen, durch seine

[386] Anwesenheit wird der den Pflanzen schädliche Fäulnissprocess in den ihnen vortheilhaften Verwesungsprocess übergeführt.

Ein Gehalt an organischen Stoffen in einem an Silicaten reichen Boden bewirkt, dass Wasser, welches diesen Boden durchdringt, eine weit grössere Menge Kieselsäurehydrat auflöst, als für manche Gewächse, namentlich für den in den Wurzeln vorgehenden Aufsaugungsprocess förderlich ist. Durch den Kalk wird diese Eigenschaft aufgehoben, durch seine directe Wirkung auf die Silicate wird zuletzt Kali in Freiheit gesetzt und in der Ackerkrume verbreitbar gemacht. Die Esparsette gedeiht und dauert aus auf Feldern, welche reich an Kalk sind. Es ist sicher, dass der Kalk in einem solchen Boden den Esparsettepflanzen nicht darum nützlich ist, weil sie mehr Kalk für ihre Lebenszwecke bedürfen als andere Pflanzen, welche auf einem an Kalk weit ärmeren Boden mit Ueppigkeit gedeihen, sondern es muss die Ursache der Nothwendigkeit des Ueberschusses an Kalk darin gesucht werden, dass derselbe gewisse Schädlichkeiten ausschliesst, welche bei der langen Dauer dieser Gewächse auf demselben Boden sich nach und nach darin anhäufen.

Dass in einer Menge von Fällen, in welchen dieselben Pflanzen auf dem nämlichen Boden nicht mehr gedeihen wollen, die angedeutete Ursache nicht allein wirkt, sondern Mangel an Nahrung überhaupt oder im richtigen Verhältniss als der nächste Grund des Nichtgedeihens angesehen werden muss, versteht sich wohl von selbst. Das Inbetrachtziehen so vieler Ursachen, welche das Gedeihen der Gewächse hindern oder befördern, macht eben die Landwirthschaft zu dem schwierigsten aller Betriebe.

Auf Feldern, welche perennirende Pflanzen tragen, deren Wurzeln nicht in die Tiefe dringen, sammeln sich allmählich ähnliche Schädlichkeiten an, welche das Gedeihen zukünftiger Pflanzengenerationen benachtheiligen, und alle Einflüsse wohlerwogen, scheint das Bewässern der Wiesen mit Rieselwasser neben anderen auch den wichtigen Zweck zu haben, dass durch den im Wasser gelösten und in den Boden eindringenden Sauerstoff und die Kohlensäure in dem Boden diese Schädlichkeiten entfernt und eine ähnliche Beschaffenheit hergestellt wird, wie sie das Ackerfeld durch fleissiges Pflügen empfängt. Eine Analyse des von den Wiesen abfliessenden Wassers dürfte leicht ergeben, dass dasselbe eben so viel an Mineralsubstanzen und Ammoniak ab- als zuführt. Es versteht sich wohl von selbst, dass hier nicht Wiesen gemeint sind, die man mit Mistjauche gedüngt hat, oder welche mit dem an Pflanzennahrungsstoffen reichen Abzugswasser aus Städten bewässert werden, da in diesen zwei Ursachen zusammen wirken, welche die Erträge steigern, deren eine (Zufuhr von mineralischen Nahrungsstoffen und Ammoniak) in dem gewöhnlichen Quell- und Bächewasser so gut wie ausgeschlossen ist.

  1. WS: korrigiert, im Original: m