Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Charakterzüge Nestroy’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 785
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[785] Charakterzüge Nestroy’s. Der lebenslustige und originelle Komiker und Volksdichter fürchtete in seinen letzten Jahren den Tod so sehr, daß ihn jede Anspielung auf Krankheit und Sterben außer Fassung brachte. Vor Charles Müller’s Gemälde „Der Tod der Girondisten“ haben ihn seine Freunde ohnmächtig zusammenstürzen gesehn. Er wollte das Bild für sich copiren lassen, um sich an die Schrecknisse des Todes zu gewöhnen.

Eines Abends fand er seine Schminke zu feucht, er schickte sie dem Fabrikanten zurück. Dieser ließ ihm sagen, er möge die Schminke nur gehörig austrocknen lassen, dann würde sie ihm noch im nächsten Jahre vortreffliche Dienste leisten, wenn er dann noch lebe und Komödie spielen könne.

Nestroy ließ erbleichend den Spiegel aus der Hand fallen, blickte den Garderobier starr an und stammelte: „Seh’ ich denn aus wie ein Mann, der das nächste Jahr nicht mehr erleben wird?“

„Lächerlich!“ antwortete der Gefragte, „Sie strotzen ja in der Fülle der Gesundheit. – Ein Mann, wie Sie, dem alle Freuden des Lebens zu Gebot stehn, sollte sich keine trübe Minute machen lassen.“

„Freuden – Freuden? Der Schauspieler hat nur eine Freude – die Schadenfreude, wenn Einer seiner Collegen durchfällt.“

„O nicht doch – Sie denken besser von den Künstlern.“

„Ich denke von Jedermann das Schlechteste, selbst von mir, und habe mich noch nie getäuscht.“

Noch viel mehr als den Tod fürchtete er den Scheintod.

„Vor zweitausend Jahren ließen die Römer ihre Leichen verbrennen,“ schreibt er in seinem Testament. „Vielleicht werden wir nach zweitausend Jahren auch so klug, – da ich das aber leider nicht abwarten kann, verordne ich“ u. s. w.

Trotz dieser Todesahnung und Todesfurcht verließen ihn Humor, Witz und Sarcasmus nicht.

Eigenthümlich berührten sich in Nestroy’s Charakter die beiden Extreme: Unverwüstliches Phlegma und schrankenlose Heftigkeit. Als am 16. October 1848 die kaiserlichen Soldaten gegen Bem’s Barricaden in der Jägerzeile anstürmten, und das Gewehrfeuer und der Kartätschendonner die Häuser in ihren Grundfesten erschütterten, saß Nestroy ruhig und gemüthlich in seiner Theatergarderobe und spielte Karten mit seinen Collegen. Die Kugeln sausten über die Dächer, die Bomben schlugen in die naheliegenden Häuser ein, Nestroy mischte ungestört die Karten und spielte ruhig weiter. Endlich zerschmetterte eine Kartätschenkugel das Fenster der Garderobe und schleuderte Glasscheiben und Rahmen mitten in’s Zimmer. Jetzt erst erhob sich der Komiker und sagte in seiner bekannten lakonischen Weise: „Kinder, jetzt gehn wir, sonst könnten uns ein paar Könige in der Hand verbrennen.“

Als Director war Nestroy ein Vater seiner Mitglieder und wurde von ihnen ebenso geliebt, als sein Vorgänger Karl gefürchtet wurde. Er war ein Mann, der Fünf gerade sein ließ und zu Allem „Ja“ sagte, darum witzelten auch seine Schauspieler: Weil der Director nur Ja sagen könne, habe er Regisseur und Secretair nur zum Neinsagen engagirt. Es kostete nur ein bittendes Wort, eine Thräne, um seine Casse zu öffnen; selbst wenn er getäuscht wurde, konnte er dem Bittsteller nicht zürnen.

Eines Tages trat ein Chorist laut schluchzend in sein Zimmer.

„Mein Gott, was haben’s denn?“ frug Nestroy bestürzt.

„Ach, Herr Director, meine Frau – meine gute arme Peppi ist vor einer Stunde gestorben.“

„Na, na – das ist freilich ein Unglück – aber verzweifeln’s nicht! Gott hat sie zu sich genommen – sterben müssen wir ja Alle.“

„So ein braves Weib wird wohl nicht wieder geboren – blutige Thränen könnt’ ich weinen – es giebt keine zweite Peppi mehr! Und ich bin so arm und unglücklich, daß ich ihr nicht einmal einen Sarg bestellen kann.“

„Da haben’s zwanzig Gulden derweil, wir werden schon mehr thun, aber sein Sie nur ein Mann und fassen Sie sich!“

Der Chorist dankte mit Thränen der Rührung und verließ laut jammernd das Zimmer, um den Sarg zu bestellen. Den klugen und minder leichtgläubigen Secretair befremdete dieser plötzliche Todesfall. Eine Stunde später trat er in die Wohnung des Choristen und fand ihn und – seine verstorbene Peppi lustig schmaußend und zechend am gut bestellten Tisch.

Nestroy sagte gutmüthig lächelnd, als er von dieser groben Mystification in Kenntniß gesetzt wurde: „Der Spitzbue! Aber ’s freut mich doch, daß seine brave Peppi nicht gestorben ist.“ Und der Chorist blieb nach wie vor im Engagement.

Originell sind die Improvisationen, mit denen Nestroy Photographien unterfertigte. Unter sein eigenes Bild, das er dem Schauspieler Gämmerlen sendete, schrieb er:

„Das Bild, das ich Dir hier spendire,
Häng’ hoch über Deine Thüre,
Damit es Dein Kämmerlein ziere,
Tapferster der bairischen Exkanoniere.“

Unter ein anderes Bild, das sein ältester Freund und Gefährte, Oberregisseur Grois, besitzt, der im Rufe diplomatischer Gewandtheit steht:

„Sei gegen Alle Liguorianer,
Nur gegen mich sei Kaner!“

Endlich unter ein drittes Bild, das im Kunsthandel circulirt:

„Den größten Meister im Treffen gewöhnlich man Jenen nennt,
Wo man die Getroffenen allsogleich erkennt,
Den größten Pfuscher im Treffen möcht’ ich daher das Schicksal nennen,
Denn die es trifft mit seiner schweren Hand, sind selten wieder zu erkennen.“