Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug/Tafel 1. Iasons Ankunft in Iolkos

Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug (1884) von Herman Riegel (Hrsg.)
Tafel 1. Iason’s Ankunft in Iolkos.
Tafel 2. Iason beim Orpheus.
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Tafel 1. Iason’s Ankunft in Iolkos.

Wie bemerkt, beginnt die Sage mit der Rückkehr des Iason nach Iolkos, welche letztere Carstens hier auf dem ersten Blatte dargestellt hat, die er aber auch in grösserem Maasstabe und mit einigen Veränderungen in Bleistiftumriss 1796 ausgeführt hatte. Letztere Zeichnung, welche das Museum zu Weimar besitzt, ist im ersten Bande dieses Werkes auf Tafel 39 wiedergegeben. Es scheint, dass dieselbe die ältere Form der Komposition zeigt, indem auf der vorliegenden Tafel die Stücke am linken Rande weggeschnitten und die Architektur verbessert wurde, wodurch das Ganze gewonnen hat.

Über den Inhalt der Darstellung sagt Fernow: „Jason kehrt als zwanzigjähriger Held von dem Gebirge Pelion, wo der Kentaur Chiron ihn erzogen hatte, nach Jolkos zurück, um sich des vom Pelias ihm entrissenen Thrones wieder zu bemächtigen. Er erscheint in göttergleicher Gestalt und Schönheit in Jolkos, wo er dem Pelias auf dem Marktplatze begegnet, der ihn an dem unbeschuheten Fusse und an den zwei Speeren erkennt, die Jason trug. Das Volk ist verwundert und Pelias bestürzt über seine Ankunft. Der Stoff zu dieser Darstellung ist aus Pindar’s vierter pythischer Ode genommen.“[1]

In dieser Ode (v. 114 ffg.) wird das Ereigniss wie folgt geschildert:

„Geweissagt war es, dass Pelias einst
Durch die Hand stolzherziger Aiolossöhne
Oder unbeugsame Listen
Falle. Da drang in das sinnende Herz ein grauser Spruch ihm,
Der von dem Mittel der Erde,
Der grünumlaubten Mutter, scholl:
Vor dem Mann mit Einem Schuh stets
Sorgsam in Acht sich zu nehmen, sobald
Er von hochgeleg’nen Hürden nach der lichthellen Flur,
Nach dem hehren Iolkos käme,
Sei er Fremdling oder ein Bürger. Und bald
Kam ein Mann mit doppelter Lanze gerüstet,
Grauser Art: ihm deckte die Glieder ein Kleid,
Das sich, nach magnetischem Brauch, der Gestalt,
Der stolzen, wohl anschmiegte; wider
Schauernde Regen umhüllte des Panthers Fell die Schultern.
Nicht von der Scheere gemäht,
Floss seiner Locken reicher Glanz
Dicht hinab den ganzen Rücken.
Und mit erhobenen Schritten sofort
Trat er, unverweilt erprobend seinen furchtlosen Muth,
Auf den volkumschwärmten Markt hin.
Und ihn kannte Keiner; doch blickten sie wohl
Ihn staunend an, und Mancher sprach:
Wahrlich, der Fremdling, es ist
Nicht Phoibos, nicht auf ehernem Wagen der Mann
Aphrodita’s! Auch in Naxos’
Lachenden Fluren erlosch
Iphimedeia’s Stamm, mit Otos starbst auch du,
Ephialtes, verwegener Held!
Auch Tityos fiel von der Artemis Pfeil,
Den unbesiegbar raschen Schwungs die Göttliche
Dem Köcher entrafft,
Dass der Mensch auf möglicher Liebe Genuss
Nur den Wunsch zu richten wage.
Also dort im Wechselgespräche vereint
Redeten sie. Da nahte sich Pelias eilend
Auf gebohntem Stuhl mit dem Mäulergespann,
Hastigen Laufs; und als er den einzigen Schuh,
Den wohl bekannten, an dem rechten
Fusse gewahrte, da staunt’ er; doch listig seinen Schrecken
Bergend im Busen, begann er:

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„Welches Land, o Fremdling, ist
Deine Heimath? Welcher Erd-ent-
sprossenen Sterblichen dunkeler Schooss
Brachte dich an’s Licht? Durch hassenswerthen Trug schände nicht
Dich selbst und nenne dein Geschlecht uns.“
Und beherzt entgegnet’ in freundlichem Wort
Iason dies: „ich bringe die Schule des Cheiron,
Hoff’ ich, mit; aus waldiger Kluft des Kentaurs
Von Chariklo komm’ ich und Philyra, wo
Mich seine keuschen Töchter pflegten,
Habe vollendet das zwanzigste Jahr und nie in Worten
Oder in Werken daselbst
Unlauter mich bewiesen; nun
Kam ich heim, um meines Vaters
Alte Gewalt mir zu nehmen, die nicht
Nach Gebühr verwaltet wird, die Zeus dem Volksherrscher einst,
Aiolos, und seinem Stamm gab.
Denn ich höre, Pelias habe den Thron,
Bethört von blassen Neides Groll,
Unserem Vater geraubt,
Trugvoll, gewaltsam, und er besass ihn mit Recht.
Aison, als ich kaum das Licht sah,
Fürchtend des herrischen Manns
Trotzigen Übermuth, erhob, als wär’ ich todt,
Um mich in dem Königspalast
Die Klage der Trauer und sandte mich dann,
Umhüllt von Purpurwindeln, insgeheim, indess
Wehklagten die Frau’n,
Meinen Pfad heimstellend der Nacht, in die Hut
Cheiron’s hin, des Kronossohnes.
Doch ihr kennt von Allem das Wichtigste nun.
Jetzt, Bürger, zeigt mir der wackeren Väter
Königshaus, die prangten auf leuchtendem Ross.
Denn des Aison Sprosse von heimischem Stamm,
Nicht fremd in fremdem Land erschein’ ich;
Und von dem göttlichen Cheiron empfing ich Iason’s Namen.“

Über das Auftreten des heimkehrenden Iason mit nur einem Schuh berichtet Apollonios (I. v. 8/11) und auch Apollodor (I. 9, 16), dass er den andern beim Durchwaten des Flusses Anauros verloren hatte. So wurde nach Götterrathschluss, anscheinend wie durch Zufall, der Spruch des Orakels, wie er dem Pelias einst gegeben war, erfüllt.

Der Text der Koch’schen Stiche giebt theils wortgetreu, theils umschrieben die Erzählung Pindar’s ausführlich wieder.




  1. In meiner Ausgabe, S. 148.