Carrara und seine Marmor-Industrie
Carrara und seine Marmor-Industrie.
Eng verbunden mit der Geschichte der Bildhauerkunst ist der Name „Carrara“! Wer kennt nicht den „carrarischen Marmor“? Seit vielen Jahrhunderten behauptet er seine Bedeutung als vorzüglichstes Material für die Ausübung einer der edelsten Künste; überall wird er geschätzt und gesucht, und die großartigsten Kunstwerke, verbreitet über die ganze Erde, sind Zeugen seines Werthes.
Zwischen dem Golf von La Spezia, dem Hauptkriegshafen des Königreichs Italien, und der Mündung des Arno in das Mittelländische Meer tritt der Gebirgsstock der Apenninen nicht so unmittelbar an’s Meer heran, wie weiter nördlich: eine wohlangebaute Ebene von außerordentlicher Fruchtbarkeit zieht sich längs der Küste hin, dahinter erheben sich Vorberge von geringer Höhe, vielfach mit Oelbäumen und Kastanien bewachsen: dann erst steigt eine gewaltige Bergkette nackt und schroff zu imposanter Höhe empor.
Dort liegt die Stadt Carrara mit ihren Marmorgruben, etwa dreißig Kilometer östlich von La Spezia, vierundfünfzig Kilometer von Pisa; sie bleibt dem Auge des auf der Eisenbahn längs der Küste Reisenden verborgen, weil zwischen den Bergen gelegen; doch ist von der Station Avenza aus ein Bahnstrang nach Carrara gelegt worden, welchen der Zug in zehn Minuten durcheilt. Außerdem führt eine zweite, nur zum Transporte des Marmors bestimmte Eisenbahn bis an’s Meer und zugleich über Carrara hinaus, immer bergauf, bis dicht an die Gruben hinan. [456] Dieselbe wurde im Jahre 1876 eröffnet und hat eine Länge von fünfzehn Kilometern; sie ist ein Actienunternehmen und zwar ein recht kostspieliges, da beim Bau große Schwierigkeiten zu überwinden waren, sodaß sich auf der geringen Strecke mehrere Viaducte und Tunnel befinden, unter letzteren ein besonders interessanter; er ist durch den Marmor gesprengt, ohne jedes Mauerwerk. Dicht dabei befindet sich im Felsen ein halbkreisförmiger Ausschnitt antiken Ursprungs; ganz deutlich erkennt man die Stellen, wo der römische Sclave einst den Meißel ansetzte.
Die Bahn fuhr in die Thäler von Colonnata und Torano, die hauptsächlichsten Fundstätten des Marmors, und überschreitet dicht bei der Stadt Carrara den Bach Carrione, welcher das Thal von Torano durchfließt; in diesem Thale sind die bedeutendsten Gruben, und daselbst wird der reinste Marmor gefunden. Dort, wo der Bach Carrione in’s Meer mündet, befindet sich die Marina di Avenza, wo der Marmor, welcher über See befördert werden soll, verladen wird. Zwei mächtige Docks sind zu diesem Zwecke, das eine von Engländern, das andere von Einheimischen, erbaut worden; beide sind mit doppelten Geleisen versehen und ragen fast bis dreihundert Meter in’s Meer hinein. An schönen Tagen liegen immer eine Menge Schiffe bereit, die kostbare Ladung aufzunehmen, und ein reges Leben entfaltet sich am Strande, wo die ausgedehnten Depots für Marmor durchschnittlich einen Werth von mehreren Millionen Franken in sich bergen
Vom Meeresufer bietet sich ein prächtiges Panorama dem Auge dar; während sich nach Süden zu das Mittelmeer in schimmerndem Blau ausdehnt, wird der Norden vom mächtigen Gebirgskamme der Apenninen begrenzt, über welchen hinaus viele Bergspitzen gen Himmel ragen; die höchste derselben, der über 5000 Fuß hohe Monte Sagro, ist mit seinen weiß glänzenden Flecken den Schiffern ein weithin sichtbares Wahrzeichen.
Die Landstraße nach Carrara ist in ihrer ganzen Länge von einer starken halben Stunde trotz des Bestehens der Eisenbahn außerordentlich belebt von Fuhrwerken aller Art. Den bei Weitem überwiegenden Theil derselben bilden die Karren für Beförderung der Marmorblöcke, meist mit nur zwei plump, doch überaus dauerhaft gearbeiteten Rädern versehen und mit den breitgehörnten grauen Stieren bespannt. Die kolossalen Lasten haben der Straße tiefe Spuren eingedruckt, und ihr Zustand erscheint durch den ununterbrochenen Verkehr dieser schwerbeladenen Karren trotz fortwährender kostspieliger Reparaturen doch als ziemlich verwahrlost.
Die Stadt Carrara liegt auf klassischem Boden, ihre Gefilde waren schon zu einer Zeit der Cultur erschlossen, als die Gründung Roms noch in weiter Ferne lag. Nicht ganz eine deutsche Meile von Carrara entfernt befinden sich nicht weit von der Landstraße und nahe dem Meere die Ueberreste der uralten Stadt Luna, bei den Griechen Selene, jetzt Luni genannt, wonach noch heutzutage die ganze Landschaft den Namen „La Lunigiana“ trägt.
Die Stadt Carrara zählt mit ihren Vorstädten etwa 27,000 Einwohner, welche zum größten Theile von der in bestem Fortschritte befindlichen Marmorindustrie leben.
Sehr interessant sind einige alte Häuser aus dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert in Via Finelli und anderen Straßen, nach damaliger Manier an Thür und Fenstern mit zierlichen Säulchen geschmückt; so das Gebäude, welches Michel Angelo bei seinen wiederholten Besuchen zu Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts beherbergte; der Dom, im gothischen Stile des dreizehnten Jahrhunderts erbaut, steht unter dem Schutze des Staates, der jährlich zur Unterhaltung und Restauration desselben beisteuert; von modernen Bauten sind erwähnenswerth einige Privatgebäude und das zwar kleine, doch geschmackvolle Theater. Die Hauptplätze der Stadt sind mit Statuen geschmückt, so steht auf Piazza Alberica das Monument der Maria Beatrice d’Este und auf Piazza del Duomo die Statue des Andrea Doria. Die Akademie der schönen Künste enthält viele Gypsabgüsse klassischer Werke und zu Luna gefundene Römerarbeiten; zu ihren Ehrenprofessoren gehörten unter Anderen Rauch und Thorwaldsen. Eine Menge Bildhauerwerkstätten sind des Besuches werth, zum Beispiel diejenigen der Professoren Lazzerini, Carusi, Bacca und vieler Anderer, wo fleißige Hände fortwährend Meißel und Hammer führen und die reizendsten Kunstwerke [457] entstehen. An Material fehlt es ihnen nicht, denn eine halbe Stunde hinter der Stadt beginnt das Reich der „Cave“, der Marmorgruben.
Die Cave von Carrara waren schon vor der Herrschaft der Römer bekannt und wurden, wenn auch in geringem Maßstabe, ausgebeutet. Dies geht aus den ältesten uns überlieferten Nachrichten lateinischer Schriftsteller hervor. Carrara und das nahe gelegene Dorf Colonnata, neben Torano Mittelpunkt der Marmorgruben, wurden früh römische Colonien, und der damals sogenannte Lunensische Marmor wurde dazu verwandt, die Monumente des republikanischen und kaiserlichen Rom zu schmücken, indem er bald den berühmten Marmor vom Pentelikon und den Parischen Marmor von der ersten Stelle verdrängte.
Mit dem Verfall der römischen Macht nahm die Marmorindustrie in den Bergen von Carrara mehr und mehr ab und sank zu völliger Unbedeutendheit unter der Herrschaft der Gothen und Longobarden, sodaß im frühesten Mittelalter nur wenige Denkmäler aus jenen Gruben hervorgegangen sein mögen. Sie hob sich erst unter der Herrschaft des Hauses Malaspina, welches auf alle Weise zu ihrer Förderung beitrug und nur geringe Abgaben von den Pächtern der Cave forderte, sodaß letztere im sechszehnten Jahrhundert jährlich nur die Summe von 450 Goldgolden entrichteten. Zur damaligen Zeit ließ unter Anderen der arabische Herrscher von Fez auf der Rhede von Avenza mehrere Schiffe mit dem kostbaren Gestein befrachten, welches damals schon seinen Weg über die Alpen fand und nach Deutschland, Frankreich, England und Spanien befördert wurde.
Für das außerordentliche Gedeihen der Marmorindustrie in der Neuzeit bilden den besten Beleg die statistischen Nachrichten der Handelskammer von Carrara, welche den folgenden Angaben als Grundlage dienen.
Im Bezirke der Commune Carrara befinden sich 645 Cave di Marmo, Marmorgruben, wovon über 400 im Betrieb sind. Die bedeutendsten und lohnendsten derselben sind im Thale von Torano gelegen, dann in demjenigen von Colonnata und endlich in den kleineren Seitenthälern und ziehen sich mehrere tausend Fuß am Gebirge hinauf. Man greift kaum zu hoch, wenn man die Zahl der in den Gruden beschäftigtent Arbeiter auf etwa 5000 angiebt. Zum Zertheilen der Blöcke dienen über 60 Sägemühlen mit etwa 300 Rahmen und 400 Arbeitern. Gegen 30 Beutelkasten zum Schleifen des Marmors beschäftigen etwa 70 Personen. Der dazu erforderliche Sand muß von Viareggio herbeigeschafft werden, weil derjenige der Gebirgsbäche als zu kalkhaltig keine Verwendung finden kann. Das jährlich verbrauchte Eisen erreicht das Gewicht von 2400 Centnern, und die Kosten für das Sägen der Blöcke betragen mit Einrechnung der Ausgaben für Sand und Eisen circa 18 Franken pro Cubikmeter. Die Zahl der Kunstwerkstätten für Sculptur, Architektur und Ornamente, welche gegenwärtig in Carrara existiren, beträgt 106 mit gegen 250 Arbeitern, ohne von dem außergewöhnlichen Arbeiten zu sprechen: wenn solche vorliegen, vereinigt sich die nöthige Anzahl von Künstlern zu gemeinsamem Schaffen, wie z. B. letzthin behufs Decoration einer großen Kirche von Rio de Janeiro.
[458] Der jährliche Ertrag der Cave von Carrara beträgt nicht weniger als etwa 220,000 Tonnellate, gleich 2,200,000 Centner Marmor, theils in rohen Blöcken, theils gesägt und verarbeitet. Dieses kolossale Ouantum repräsentirt einen Werth von etwa 10 Millionen Franken und wird zu Lande und Wasser nach allen Himmelsrichtungen aufgeführt. Nur die Ausfuhr nach Amerika hat, in Folge des dortigen hohen Eingangszolls, in den letzten Jahren bedeutend nachgelassen.
Wiewohl das Gebirg nicht nur weißen Marmor, sondern auch farbigen und bunten enthält, so ist doch die Production der letzteren verschwindend gering gegenüber den ungeheuren Massen weißen Marmors, welche in den Cave von Carrara gebrochen werden. Man unterscheidet hier mehrere Qualitäten, je nachdem der Marmor sich zur Verarbeitung eignet und äußeren Einflüssen zu widerstehen vermag. Die erste Stelle nimmt der Marmo statuario ein, der wieder nach Glanz und Feinkörnigkeit in drei Qualitäten geschieden wird; dann folgt der Bianco-Chiaro, auch ein vorzüglicher Marmor von herrlich weißem Glanze, doch schon minder brauchbar, als der erste, um die Wunder der Bildhauerkunst hervorzuzaubern. Ihm schließt sich der Venato oder geäderte Marmor und der Ordinario oder gewöhnliche an.
Der Marmo statuario ist von vorzüglich seiner Structur und einem so reinen, glänzenden Weiß, daß man sich fast geblendet fühlt bei Betrachtung eines frischgebrochenen, von der Sonne grell beschienenen Stückes: er ist weiß, wie frischgefallener Schnee. Er findet sich in großen Knoten im Gebirge und ist von intensiv gefärbtem Gestein umgeben, welches die Marmorgräber mit dem Ausdrucke „Madremacchia“ oder Mutterfleck bezeichnen; dieser Mutterfleck ist nichts anderes, als alle Art von Unreinigkeit, welche, ursprünglich im Kalkstein enthalten, sich in Folge des Krysiallisationsprocesses abgesondert und zusammengefunden hat und in ihrem Innern den reinen Marmor von absoluter Weiße, ohne den kleinsten Flecken enthält.
Wenn daher die Cavatori oder Marmorgräber einen Block Marmo statuario von beträchtlicher Größe losgebrochen haben, so hüten sie sich, die Madremacchia völlig abzulösen; sondern sie lassen dleselbe daran haften, damit so der etwaige Käufer sich von der absoluten Reinheit des Inneren und der ausgezeichneten Qualität des Marmors überzeugen kann. Der Laie steht allerdings überrascht vor einem solchen ihm als Marmor bester Güte-bezeichneten Blocke, wenn er ihn theilweise mit großen häßlichen, schwarzen Flecken bedeckt sieht.
In nur etwa dreißig Gruben wird dieser Marmor gefunden, während die bei Weitem meisten Cave den Marmo Bianco-Chiaro und die anderen Qualitäten produciren.
Sehr lohnend ist ein Gang durch die Berge, welche die wichtigsten Gruben enthalten, und in dieser Beziehung bietet am meisten das Thal von Torano, so genannt nach dem von Carrara etwa vierzig Minuten entfernten Dorfe Torano und durchflossen vom Bache Carrione, dessen Wasser unterwegs viele Sägen zu treiben hat, in welchen rastlos das Eisen durch die Riesenblöcke knirscht. Die tiefgefurchte Straße und die zum Transporte des Marmors erbaute, oben schon erwähnte Eisenbahn bilden den besten Wegweiser: denn hier münden die steilen Abstürze von allen Seiten ein, auf welchen die losgelösten Blöcke zu Thal kommen. – Schon lange vor Sonnenaufgang eilen die kraftvollen Männer zu ihren betreffenden Gruben, und um fünf Uhr früh beginnt gewöhnlich die schwere Arbeit in den Cave, um bis drei Uhr fortgesetzt zu werden. Wahrlich ein saures Brod, das manchen Schweißtropfen kostet, der von den gebräunten Stirnen der Arbeiter rinnt; ernst und schweigsam verrichten dieselben ihre Arbeit, welche nicht nur die ganze körperliche Kraft in Anspruch nimmt und oftmals auf’s Höchste anstrengt, sondern auch unausgesetzte Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert, da zuweilen eine kleine Unachtsamkeit sowohl das eigene Leben, wie auch das der Gefährten bedrohen kann.
Und wirklich kommen täglich unter jenen Tausenden von Arbeitern Unglücksfälle vor, sodaß Arm- und Beinbrüche nichts Seltenes sind, in der Regel obenein mit schweren Complicationen verbunden, mit starken Anschwellungen der verletzten Glieder, da sie in den meisten Fällen von dem zermalmenden Gewichte der Marmorblöcke herrühren; durchschnittlich fallen Jahr aus Jahr ein circa zwanzig Menschenleben der gefährlichen Arbeit zum Opfer. Nicht nur in den Gruben selbst, sondern auch auf dem Transporte sind diese traurigen Folgen meist ungenügender Vorsicht häufig und mancher in der Vollkraft stehende Mann wird mitten in seinem Wirken von einem plötzlichen Tode ereilt.
Der Tagelohn des gewöhnlichen Arbeiters beträgt drei Franken und mehr, die intelligenteren und mit der Beaufsichtigung ihrer Cameraden und Anordnung der auszuführenden Verrichtungen betrauten Leute erhalten bis zu sechs Franken. Wenn über die regelmäßige Zeit hinaus gearbeitet wird, so werden zwei, drei Stunden mit eineinhalb Franken bezahlt. Das ist nicht viel, wenn man die theueren Preise der Lebensmittel in Betracht zieht. Denn wenn auch das Territorium von Carrara reich ist an Wein, Oel und Früchten und den Vortheil einer reichlichen Bewässerung besitzt, so genügt doch die Production an Korn kaum zur Hälfte für den Bedarf der Bevölkerung, weshalb eine starke Einfuhr stattfindet. Die Zahl der Landwirthschaft treibenden Bewohner ist gering, weil eben Alle größeren Verdienst bei Bearbeitung des Marmors suchen, und so wird der Acker spät, in Hast und Eile bebaut von denjenigen, deren Hauptbeschäftigung in den Bergen zu suchen ist. Ueberdies erwächst den Leuten eine nicht zu unterschätzende Mehrausgabe für Kleidung und besonders für Schuhwerk, welches auf unglaubliche Weise in den Gruben und auf dem scharfkantigen Gesteine ruinirt wird. Alles dies in Erwägung gezogen, ist der Tagelohn eines „Cavatore“ (Grubenarbeiters) wahrlich nicht zu hoch bemessen.
Die Marmorgruben sind ausnahmslos „al ciel aperto“, unter freiem Himmel, angelegt, ohne Herstellung von Schachten und Tunnels. Der Meißel und Hammer für Losbrechen und das Pulver für Lossprengen der Blöcke sind die Hauptfactoren bei der Arbeit in den Gruben. Von allen Seiten hört man den Schlag des Hammers, rastlos fällt er auf den Meißel nieder; doch oft wird dieses eintönige Geräusch unterbrochen durch langgezogene Hornsignale; dies ist das Zeichen, daß eine Mine angezündet werden soll, und nun heißt es, sich möglichst aus dem wahrscheinlichen Bereiche ihrer Wirkung entfernen. Mit fürchterlichem Knalle, dem ein dröhnendes Echo der Berge nachfolgt, springt die Mine; Felsstücke werden emporgeschleudert und rollen unaufhaltsam in die Tiefe, in ihrem Gefolge das kleinere Gestein. Der Marmorblock verfolgt unbeirrt seinen Weg bergab, bis die Steilheit des Berges sich verflacht.
„Hurtig mit Donnergepolter entrollet der tückische Marmor.“
Die Stelle, wo der Block liegen geblieben ist, dient ihm vorlaufig als Ruhestätte; er ist, wie der Cavatore sich ausdrückt, „al poggio“ („am Berge“) angekommen. Dort wird er einigermaßen hergerichtet, er wird in Form gebracht, meist viereckig behauen und vom schlechten Gesteine befreit: mit einem Worte, er macht hier schon einigermaßen Toilette, um sich würdig der noch tief unter ihm liegenden Welt zu präsentiren.
Der so hergerichtete Block wird nun mit Hebestangen und Brecheisen behutsam bis zur gebahnten Straße weiter bewegt. Wo die Steigung des Abhanges alsdann wieder eine so starke wird, daß man befürchten könnte, der Block würde durch seine eigene Schwere zur Tiefe gezogen und sowohl unten Unheil anrichten, wie auch selbst im Sturze beschädigt werden, ist abermals die größte Vorsicht geboten; er wird sorgsam mit starken Seilen umwunden und, an diesen gehalten, allmählich herabgelassen. Das ist ein gefährliches Stück Arbeit, denn oft müssen seinen Weg hemmende Steine bei Seite geschafft und ihm Luft gemacht werden. Zu diesem Behufe steigen Arbeiter mit Brecheisen hinab und beseitigen die Hindernisse; das darf nur behutsam und unter beständiger Aufmerksamkeit der den Block an den Seilen Haltenden geschehen, um dem Zerquetschtwerden der unten Befindlichen vorzubeugen.
Die Bahn, auf welcher die Blöcke theils geschoben, theils rutschend und zurückgehalten aus einer Grube zur fahrbaren Straße oder zur Eisenbahn gefördert werden, heißt die „Lizza“, die Arbeiter, welchen diese Aufgabe obliegt, die „Lizzatori“. Je schwerer der betreffende Block und je tiefer im Gebirge die Grube liegt, desto zeitraubender und gefährlicher ist selbstverständlich die Arbeit, und man kann sich kaum einen Begriff machen von der Mühe, welche das Zuthalschaffen eines Blockes von mehreren hundert Centnern Gewicht verursacht; eine schwere Verantwortlichkeit ruht auf den Schultern der Aufseher, deren Anordnungen sich die Arbeiter unbedingt zu fügen haben.
Solche besonders werthvolle Blöcke bleiben in vielen Fällen hier am Fuße des Berges ruhen, bis sie einen Käufer gefunden [459] haben, was meist nicht lange dauert, da die Nachfrage eine sehr rege ist.
Die Mehrzahl der Blöcke, welche sich nicht durch besondere Größe auszeichnen, werden, bald nachdem sie die gebahnte Straße erreicht haben, weitergeschafft. Dies besorgen die Carratori oder Karrenführer mit mehreren hundert Paar Stieren; sie führen die Blöcke entweder bis zur Eisenbahn oder zu den Sägemühlen oder zur Rhede von Avenza.
In den Sägemühlen, welche ganz nach dem Muster der Holzsägemühlen eingerichtet sind, werden die Blöcke zu Platten geschnitten. Andere Blöcke werden handwerksmäßig zu aller Art Geräthschaften verarbeitet, und selbst auf den Straßen Carraras kann man die fleißigen Einwohner bei dieser Beschäftigung beobachten. Mir fiel besonders eine Straße auf, in welcher ich ein halbes Hundert ganz und halbfertiger Badewannen wahrnahm, jede von einem geschickten Arbeiter eifrig mit Hammer und Meißel für ihre einstige Bestimmung hergerichtet. Eine große Anzahl Blöcke wandert in die Ateliers der Meister und die Bildhauerwerkstätten der Copisten, welche unermüdlich nach den Gypsmodellen von Antiken oft künstlerisch vollendete Arbeiten herstellen. Der Rest endlich, abgesehen von dem Marmor, der auf Bestellung in’s Ausland geht, findet sich auf der Rhede von Avenza in großartigen Depôts zusammen, daselbst auf Käufer harrend.
Der Marmo statuario erster Qualität wird auf der Rhede von Avenza bis zu 1600 Franken pro Cubikmeter bezahlt, derjenige zweiter Qualität bis über 500 Franken, der dritter Qualität bis 300 Franken; der Preis für Bianco-Chiaro bewegt sich zwischen 150 und 250 Franken, der von Marmo Venato zwischen 180 und 250 Franken, während der Ordinario ebenso hoch wie der schlechteste Bianco Chiaro bezahlt wird. Es giebt natürlich Blöcke von Marmo statuario, für welche sich ein fester Preis nicht bestimmen läßt; so wurde in der einem Herrn Fabricotti gehörigen Grube del Polvaccio im Jahre 1864 ein Block besten Marmors von 300 Cubikmeter ausgegraben, welcher mit 50,000 Franken bezahlt wurde. Ueberhaupt wird der Marmor aus einigen renommirten Gruben, deren Erzeugnisse sich bereits bewährt haben, z. B. durch ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Einflüsse der Witterung, mehr gesucht, als solcher aus weniger bekannten Gruben, und deshalb auch höher geschätzt.
Noch an vielen anderen Orten des Gebirges findet sich Marmor, und bedeutende Gruben werden in der Nähe von Massa und Seravezza ausgebeutet. Allein das Gebiet des besten Marmors von unvergleichlicher Schönheit beschränkt sich im Großen und Ganzen auf das Thal von Torano. Es ist eine unermeßliche Fundgrube des edlen Steines; ganze Berge desselben sind im Laufe der Jahrhunderte losgebrochen worden; doch fragt man die Marmorgräber von Carrara, ob denn der Vorrath nicht etwa bald ein Ende nehmen könnte, so zeigen sie lächelnd und unter Kopfschütteln auf den Monte Crestola, dabei erwidernd:
„O Signore, an jenem dort wird noch mancher Meißel stumpf gemacht werden!“