XXXIX. Das Edinburger Schloss Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XL. Cadix
XLI. Dieppe
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CADIX
CADIZ CADIZ

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XL. Cadix.




Nahe bei der Meerenge, welche, zwei Welttheile scheidend, die Gewässer des mittelländischen und atlantischen Oceans verbindet, an der Südküste Spaniens, trennt ein schmaler, aber tiefer Arm der See eine etwa 4 Stunden lange und halb so breite Uferstrecke vom festen Lande. Dieses kleine Eiland ist die Insel Leon. Aus der Westseite derselben streckt eine schmale Landzunge in nördlich gekrümmter Richtung drei Stunden weit sich in das Meer hinaus, eine der schönsten Bayen und den besten Hafen der Erde bildend. An ihrem Ende wird jene Erdzunge breit und sie erhebt sich als ein Fels 60–80 Fuß über die Fluthen. Dieser, dessen nördlicher Theil senkrecht und unersteiglich zu dem Meere hinab fällt, und dessen Südseite mit einem schützenden Doppel-Halbkreis von kaum den Wasserspiegel erreichenden Klippen umgeben ist, trägt die einst reichste Handelsstadt der Welt, und noch jetzt eine der bedeutendsten und schönsten Spaniens – das uralte Cadix.

Seine Erbauer waren die Phönizier, Colonisten aus Tyrus, die die Wichtigkeit seiner Lage, an der Pforte zweier Meere, für ihre Handelszwecke, als sie die Säulen des Herkules umschifft hatten, bald bemerkten. Noch jetzt sieht man bei ruhigem Wasser in der See die Trümmer des Herkulestempels und der Häuser des alten Gades, dessen Baustelle im Laufe der Jahrtausende Beute der rastlos anstürmenden Wogen geworden zu seyn scheint. Nach dem Untergange des Mutterstaates besaßen es die Carthaginenser, dann die Römer. Zu allen Zeiten der Weltherrschaft dieses Volks war es ein Mittelpunkt des Handels für den Europäischen Westen. In der Folge bemeisterten sich die Araber des wichtigen Orts, unter deren Herrschaft er einen hohen Wohlstand erreichte. 1260 wurde er durch die Spanier eingenommen. In deren Besitz ist er seitdem geblieben.

Die große Zeit für Cadix datirt vom siebzehnten Jahrhundert und hat in jener wichtigen Epoche ihren Ursprung, mit der, in dem 15ten und zu Anfang des 16ten Jahrhunderts, eine neue Laufbahn für die Menschheit überhaupt begonnen hat. Als sich der Mensch mit dem Donner und dem Blitze des Himmels bewaffnete, kam die Kraft in die Hände Derer, welche an der Spitze der Staaten standen; die rohe Gewalt der Einzelnen, welche der Ordnung, der Ruhe und dem Frieden entgegen gewirkt, wurde gebrochen; das Faustrecht für immer zerstört. Kunst und Gewerbfleiß nahmen überall zu unter dem Schirm des Friedens. Wohlhabenheit, die Mutter des Verbrauchs fremder Erzeugnisse, die Pflegerin des Handels, kehrte ein in das Haus des Bürgers. Kanonendonner aber war ein würdiges Präludium für die Erfindung jener Kunst, welche den geschriebenen Gedanken beflügelt, so daß er in den Seelen von Millionen wiederhallt und an’s fernste [94] Ohr schlägt. Der Bücherdruck erstand. – Jetzt brach das Licht durch die Finsterniß des Zeitalters, die Saat des Wissens und Erkennens streute sich über die Erde aus und den in strenger Abgeschiedenheit und in gegenseitigem Haß von ihren Unterdrückern und Herrschern schlau erzogenen Völkern waren die Mittel gegeben, Ideen zu tauschen, sich zu verständigen, zu befreunden. – Die Entdeckung von Amerika war der dritte große Fund jener Zeit, mit welcher die Geschichte der Menschheit eine höhere Bedeutung erhält. Columbus erwarb für Spanien die zweite Erdhälfte und gab ihm den Welthandel, den er, und Vasco de Gama, Afrika’s Umschiffer, den Krallen des Venedischen Leu’s für immer entriß. – Bald trat auch das vierte große Ereigniß jener Periode ein, die Sonne der Reformation ging auf und scheuchte den Nebel hinweg, in welchen Betrug und Aberglaube die erhabene Lehre des Weisen von Judäa bis zur Unkenntlichkeit gehüllt hatten. Die Reformation, durch welche der erstorbene Glaube an eine thätige Tugend und an eine eigene Kraft den Christen wieder gegeben wurde, hatte zur unmittelbaren Folge, daß sie die Nationen zum Nachdenken weckte, die sich nun bald in einem andern Stande zu ihrem Schöpfer und zu ihren Brüdern betrachteten, als sie früher zu thun gelehrt worden. Selbst von den schwächern Völkern, die das volle Licht nicht zu fassen, oder doch nicht zu bewahren den Muth hatten, wurden nun viele zur Denkfreiheit erhoben und alle haben seine wohlthätige Wirkung geerndtet; denn auch die katholische Lehre ist gegen das, was sie früher gewesen, von zahllosen Schlacken gesäubert; sie reinigt sich immer mehr, und die Kraft des alten, blinden Glaubens, daß die Sünde für den baaren Thaler vergeben werde, oder ein Heiligenbild die eigene Schuld sühnen könne, ist tief gesunken.

Doch kehren wir zurück zum Faden unserer Geschichte. – Die Bevölkerung und Civilisation, und als beider Produkt, der Handel, schritten in Europa aus den erwähnten Ursachen unglaublich schnell vorwärts. Die üppigste Erndte machte Spanien; ihm öffneten sich die Schätze von Potosi in Peru, von Zakatekas in Meriko; Macht und Reichthum strömten in seinen Schooß. – Karl V. war der gewaltigste Monarch der Erde. Dem Erben seiner Kronen, Philipp II., hinterließ er von seinen Eigenschaften nichts, als seine grenzenlose Herrschsucht. Philipp, schon Herr der unermeßlichen Schätze der neuen Welt, ward, durch den bald darauf erfolgenden Anfall Portugals, auch noch alleiniger Herr Indiens. Niemals war so viel Macht in eines Menschen Händen vereinigt! Aber was sollte das Reich des Handels in den Händen eines Despoten, der bei grenzenloser Herrschsucht von einem schlechten, entarteten Herzen und blinden Religionsfanatismus geleitet wurde? eines Fürsten, der die Nationen, die seinem Zepter gehorsamten, statt sie zu einer allgemeinen Glückseligkeit, welcher der Mensch durch Aufklärung, Wohlhabenheit und Fleiß theilhaftig werden kann, zu erziehen, nur unter seine Füße zu treten bestrebt war? eines Tyrannen, vor dessen Augen kein Mensch Gnade gefunden, der der Menschenwürde sich bewußt war, sondern nur der einzelne Knecht und der blinde Vollstrecker seines oft teuflischen Willens? In seinen Händen verwandelte sich, was in [95] bessern Händen für seine Völker bleibender Segen gewesen wäre, in Fluch. Mit den Schätzen der Welt, die er ausschließlich ausbeutete, bezahlte er den Wütherich Alba und ein Heer von Henkern, das er sandte, um das aufgeklärteste, gewerbfleißigste, würdigste seiner Völker, die Niederländer, abzuschlachten, oder er vergeudete sie an ungeheuere, geschmack- und nutzlose Prachtbauten, an Klöster und geistliche Stiftungen, oder an abenteuerliche, kriegerische Unternehmungen gegen fremde Völker, für die er den Spott, den Haß und die Verachtung der Welt erndtete. Er, der alle Mittel in Händen hatte, Spaniens Größe und Glück auf Jahrhunderte zu befestigen, legte den Grund zu seinem Verfall. Die gegen die Niederländer verübten Grausamkeiten (nur die neueste Geschichte liefert ein Beispiel ähnlicher Volksquälerei), reizten jene zum Aufstande, der, nach 50jährigem Kampfe, für die Sache der Gewissensfreiheit und der Menschenrechte auf das glorreichste endigte. – Für Spanien waren die Niederlande für immer verloren, und der spanische Handel mit den Kolonieen, der dort hauptsächlich, vorzüglich in Antwerpen, seinen Sitz gehabt hatte, zog sich nun nothwendig von dort weg und in das Mutterland zurück. – Von dieser Zeit an war Cadix, das schon früher Antheil an demselben gehabt und große Reichthumer erworben hatte, für Amerika das, was ihm Antwerpen früher gewesen war; und als durch spätere Verfügungen der spanischen Machthaber, und nachdem auch Portugal das spanische Joch abgeschüttelt hatte, der Verkehr mit Amerika auf Cadix ausschließlich beschränkt wurde, wurde es der Punkt, in dem über ein Jahrhundert lang alle Schätze der Neuen Welt und alle europäischen Tauschgüter gegen dieselbe zusammenströmten. Der höchste Flor von Cadix fällt in die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Damals hatte der Ort 180,000 Einwohner, sein Kapitalumsatz übertraf den von Venedig in seiner glänzendsten Epoche, sein Hafen wurde jährlich von 2800 Schiffen besucht. – Doch die alberne und schlechte Politik der spanischen Regierung, welche für den Handel mit den Kolonieen immer härtere und neue Fesseln ersann, und die, in der Absicht, die keimende Kraft derselben durch allgemeine Verarmung niederzuhalten, Einfuhr wie Ausfuhr mit den ungeheuersten Zöllen und Auflagen beschwerte, machte, daß sich die Handelsgröße von Cadix nicht lange auf dieser Höhe behaupten konnte. Die Amerikaner fingen an, sich nicht mehr ausschließlich aus dem Mutterlande zu versorgen; es entspann sich ein ausgedehnter, gesetzwidriger Verkehr zwischen ihnen und den Engländern, Holländern und Franzosen, deren Kolonieen in Westindien nun eben so viel Niederlagen und Märkten von Ein- und Ausfuhrwaaren für das spanische Amerika abgaben. Solcher Schmuggelhandel wurde, da an eine wirksame Bewachung der spanisch-amerikanischen Küste, ihrer ungeheuern Ausdehnung wegen und bei dem immer zunehmenden Verfall der spanischen Seemacht, nicht zu denken war, mit beispielloser Dreistigkeit und in solcher Größe betrieben, daß er in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts mehr betrug, als der gesetzliche Verkehr mit dem Mutterlande selbst. Obschon von Jahr zu Jahr das Geschäft von Cadix mit Amerika aus eben erwähnter Ursache und in dem Maße sank, als die Ohnmacht Spaniens in den Kolonieen sich steigerte, und ihm die Mittel, seine harten und albernen [96] Diktate wirksam zu machen, abgingen, so war es bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts doch immer noch sehr ansehnlich. Noch 1772 sandte Cadix für 66 Millionen Gulden europäische Waaren dorthin, und führte dagegen für 90 Millionen (an Gold und Silber allein für 60 Millionen) Erzeugnisse der transatlantischen Provinzen ein. Unter den Exporten aber befanden sich nur für etwa 2 Millionen spanische Waaren, meistens Quecksilber; das Uebrige waren Erzeugnisse der Fabriken des übrigen Europa’s; schlesische Leinen empfing und versendete es für mehr als 11 Millionen Gulden! Denn Spanien hatte längst aufgehört, selbst zu fabriziren; der arbeitsfähige Theil des Volkes trieb das DOLCE FAR NIENTE in den zahlreichen Klöstern, oder war nach Amerika ausgewandert, und so blieb am Ende von allen Schätzen Mexiko’s dem Mutterlande nichts, als die Provision der Cadixer Zwischenhändler. Die Milliarden, welche Amerika sendete, rollten ihm durch die Finger wie einem Kassierer; sie gingen und kamen; aber eigen waren sie ihm nicht. –

Indessen war die Lage von Cadix, so lange dieser Zustand dauerte, obschon weit entfernt an die Herrlichkeit früherer Zeit, als es in Sevilla 10,000 Seidenweberstühle für Amerika beschäftigte, zu erinnern, gegen die der andern Seestädte des unglücklichen Spaniens immer noch beneidenswerth. Den Todesstoß erhielt es erst durch den Abfall der südamerikanischen Kolonieen, ein Ereigniß, in welchem Spanien die Frucht der sorgfältig ausgestreuten Saat der Unterdrückung und Ungerechtigkeit reichlich erndtete. Seitdem die unabhängigen Freistaaten Südamerika’s, nach fast zwölfjährigem ruhmvollen Kampfe mit ihren alten Zwingherren, diese ausgetrieben und allen Verkehr mit dem Mutterlande abgebrochen und verboten haben, ist Cadix auf das geringfügige Geschäft mit der Havannah und den Philippinen und den Export der Produkte Andalusien’s beschränkt, welche zusammen kaum 12 Millionen Gulden Kapital beschäftigen. So geht Cadix, das vormals so reiche, mächtige, große Cadix, durch seine Lage zur Beherrscherin des Handels zweier Meere von der Natur bestimmt, unaufhaltsam seinem Verfall, seiner Verarmung entgegen. Der Hafen verschlämmt; Kayen, Dämme verfallen; die Magazine, welche einst die Produkte von drei Welttheilen in sich aufnahmen, sinken in Trümmer; die herrliche Bay, auf der die prunkvolle und furchtbare Seemacht eines einst allmächtigen Reichs umherschwamm, in der aus einem Wald von Masten die Flaggen aller Nationen flatterten, ist verödet; Registerschiffe und Gallionen, die das Gold und Silber Mexiko’s und Peru’s brachten, sieht man nicht mehr; es sind nur noch Namen der Erinnerung. Selbst das Meer scheint seine Angriffe gegen die alte Herrin zu verdoppeln. Einen Theil der Erdzunge, welche Cadix mit der Insel Leon verbindet, haben Sturmfluthen durchrissen und ein großer Theil der Festungswerke ist unterwaschen; ihr naher Einsturz bedroht ein Drittel der Stadt mit Ueberfluthung. In der großen, reinlichen Stadt, wo sich sonst wohlhabende, fleißige, glückliche Menschen drängten, finden kaum noch 50,000 ihr Brod, und darunter 10,000 Mönche und Bettler. Und was ist die Grundursache solches Verfalls? Zwei Worte geben Antwort: Pfaffenthum und Despotismus. –