Textdaten
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Autor: Giuseppe Pecchio
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Titel: Briefe über Portugal
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 42–43. S. 165-166, 170–171.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Briefe über Portugal.[1]

Ein Beitrag zur Charakteristik der Ereignisse der letztvergangenen Jahre.

(Lettres historiques et politiques sur le Portugal, par M. le Comte Joseph Pecchio; continuées par un ancien magistrat portugais; publiées per M. Léonhard Gallois, et augmentées d’un coup-d’oeil militaire sur le Portugal, par M. le général Pelet. Paris 1827.)


Lissabon 9 Febr. 1822.

Wenn ich nicht mit der Geschichte Portugals vertraut wäre, so hätte ich auf meiner Hieherreise schon aus der Art, wie die portugiesischen Landleute zu grüßen pflegen, schließen können, daß dieses Volk in langer Unterdrückung gelebt hat. Sobald sie einen Reisenden auch nur von fern erblicken, nehmen sie sogleich ihren breiten Hut ab, und senken ihn bis auf die Erde. Lavater hätte aus diesem Zuge vielleicht den Schluß gezogen, daß der Portugiese gelehriger und unterthäniger gegen Adel und Reichthum ist als der Spanier. Gewiß ist die Art zu grüßen keine gleichgültige Sache für den Beobachter: sie bezeichnet fast immer den Grad der Freiheit oder Sklaverei eines Volks. Die Orientalen werfen sich auf die Kniee, mit gekreuzten Armen; die Schweizer, die Engländer beschränken sich darauf, die Hand entgegen zu reichen. Vor der Revolution verneigte sich der französische Bauer aufs tiefste vor dem Marquis seines Dorfes; heutzutage grüßt er selbst die Pairs wie seines gleichen.

In allen Dörfern durch die ich kam, fand ich feste, schlanke Gestalten, mit angenehmen Zügen. Die Stirne des Spaniers und des Portugiesen ist breit und majestätisch; nie habe ich schönere gesehen, als in Raphaels Schule von Athen. Gall würde in ihnen das Organ der Eroberung finden. Dieß ist die Stirne Cäsars, Napoleons. Die Physiognomie des Portugiesen ist voll Ausdruck: was mir aber am meisten auffiel, ist die Verschiedenheit dieser Physiognomien. Es giebt Völker, welche wie in Eine Form gegossen zu seyn scheinen, z. B. die Chinesen, Oestreicher und Engländer. Unter der brittischen Garnison von Gibraltar, welche doch fünftausend Mann stark ist, konnte ich kaum zwei wirklich verschiedene Physiognomien unterscheiden; in Portugal aber könnte ein Mahler aus einem Haufen Landleute gleich die verschiedenen Personen eines Gemähldes zusammenstellen. –

Sie sind verwundert, daß ich Ihnen noch kein Wort von Politik geschrieben habe. Aber was soll ich Ihnen sagen, da ich schon das ganze Königreich durchreist bin, ohne noch ein einziges Zeichen seiner Wiedergeburt bemerkt zu haben? Noch steht das alte Gebäude aufrecht, und von dem neuen, konstitutionellen, ist kaum die Grundlage gelegt. ....


Lissabon 26 Febr. 1822.

Vorgestern endlich konnte ich einer Sitzung der Cortes beiwohnen. Sie versammeln sich in einem alten Kloster, welches den Tago beherrscht. Zwar ist ein Kloster nicht gerade der passendste Ort für die Sitzungen eines Kongresses, aber die Lage desselben könnte nicht geeigneter seyn, den portugiesischen Deputirten die Gefühle des Ruhms und des Glücks ihrer Nation zurückzurufen, denn gegenüber ist die Stelle wo einst die berühmte Escadre Vaso da Gamas unter Segel gieng.

Der Eingang in die Galerie gleicht zu sehr einem Seiltänzertheater. Der Saal selbst aber ist einfach und groß. Keine Verzierung zieht den Zuhörer von der Aufmerksamkeit ab, welche ihm hundert und vierzig Häupter auflegen, denen Michel Angelo keinen energischern Ausdruck hätte geben können. Die Verhandlungen hatten, als ich eintrat, bereits begonnen. Die Redner sprachen beinahe alle mit vieler Leichtigkeit. Es ist bemerkenswerth daß ein Volk, welches nie Gelegenheit hatte, die öffentliche Beredsamkeit auszubilden, sich dennoch in diesen Diskussionen nun so frei bewegt. Es ist dieß eine Folge theils der Sprache (obwohl die portugiesische weniger wohlklingend und majestätisch als die spanische ist), theils der beweglichen Imagination des Südländers. In allen Völkern lebt Poesie, aber nur die des Südens sind Improvisatoren.

Ich war eben damit beschäftigt alle diese braunen Gesichter, mit den starkgebogenen Brauen und den schwarzen Augen der Reihe nach durchzumustern, als ein Deputirter, der sich erhob, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Züge waren streng und scharfgezogen: seine Augen voll Feuer, seine Haare kurz, rauh und bereits etwas gebleicht; sein Teint ein dunkles Braun, seine Stimme volltönend, seine Gedanken hell, sein Ausdruck bestimmt und nervig. Man bemerkte in seiner Rede weder Parenthesen noch Umschreibungen; er beleidigte niemand und schmeichelte niemand. Unbekümmert um den Eindruck nach außen, seinen Blick fest auf den Präsidenten gerichtet, schien er nur der Inspiration seines Innern [166] zu folgen, während in den Mienen aller Zuhörer das freundliche Lächeln der Befriedigung und der Achtung lag. Ich konnte nicht länger meine Neugierde zurückhalten, und fragte um den Namen dieses Deputirten. Dieß ist, antwortete man mir, Thomas Fernandez, der Vater unserer Revolution. Er war es, der den Entwurf dazu machte, ihn seinen Freunden mittheilte, und sich mit diesen vereinigte, um ihn auszuführen. Er ist einer von unsern ersten Rechtsgelehrten. Unter der absoluten Herrschaft war er unbeugsam, und blieb bescheiden beim Triumphe der Revolution; ein Mann, unbescholten in seinen Sitten, streng in seinem Leben, mit Einem Worte unser Cato. Sein ganzes Leben war dem Vaterland geweiht. Er verachtet die Gunst des Hofes, und bewirbt sich nicht um die des Volks. Durch die ununterbrochene Geistesthätigkeit und die angestrengtesten Studien wurde seine Gesundheit geschwächt, und stets sind die oft wiederkehrenden Tage seines Krankseyns, Tage der Trauer für das Volk von Lissabon, dessen Abgott er ist.

Nach Fernandez erhob sich ein anderer Deputirter, höher von Gestalt, langsam in seinem Vortrag, aber hinreißend in seinen Gedanken: Borges Carneiro. Kein Redner weiß schneller als er, den Enthusiasmus seines ganzen Auditoriums zu erwecken. Seine Motionen sind stets kühn, und schmeicheln den Volksleidenschaften.

Der Dritte der das Wort nahm, war, wie es schien, ein Geistlicher, im Priesterornat, klein, mit kahlem Haupte und schwacher Stimme. Die Verhandlung betraf ein Militär-Reglement. Ich fragte meinen Nachbar ob dieser Priester ein Tempelherr sey, weil er sich in militairische Angelegenheiten mische. „Nein“, antwortete jener lächelnd, „es ist Castello Branco, Professor an der Universität Coimbra, einer unsrer größten Gelehrten. Vor der Revolution war er Mitglied der Inquisition; nun aber leiht er seine umfassende Beredsamkeit der Vertheidigung der Freiheit.“ „Spricht denn“, fragte ich weiter, „die servile Partei nie?“ „Nie,“ war die Antwort, „sie ist stumm, aber nicht taub.“

Ungeachtet der Versammlungssaal der Cortes gegen eine Stunde von der Neustadt entfernt ist, so waren doch die dem Publikum eingeräumten Galerien gedrängt voll. Meist soll hier die vollkommenste Ordnung und Ruhe herrschen. Heute aber, als Andrada, Deputirter von Brasilien, sich erhob, um des Volkes Liebling, Borges Carneiro, anzugreifen, begann es unruhig zu werden. Da rief ihm jener zu: „Ich verlange, daß ihr in den Grenzen der Achtung bleibt. Bei den Wahlen seyd ihr Könige, Unterthanen aber im Umkreise dieser Mauern.“

Noch muß ich Ihnen eine Anekdote erzählen, welche beweist wie sehr die portugiesischen Deputirten ihre Würde fühlen. Vor der Revolution war der König gewöhnt, allen die sich ihm vorstellten die Hand zum Kusse zu reichen. Als er nun zum erstenmal in der Cortessitzung erschien, bot Se. Majestät dem ersten der sich ihm nahte die Hand entgegen. Dieser schien zu glauben, der König wünsche unterstützt zu werden, nahm die Hand, legte sie auf seine Schulter, und stieg mit ihm die Stufen der Gallerie hinauf.

[170]
Lissabon, 5. März 1822.

Das Theater der italienischen Oper ist geschlossen, und auf dem der portugiesischen Comödie spielt man die Mysterien der Leidensgeschichte, das Leben der Heiligen und Märtyrer. Vor meinen Fenstern zieht eine Prozession vorüber, das Leiden unsers Herrn, Jesus Christus, vorstellend. Alle Fenster, hinter denen bisher keine Seele sichtbar gewesen war, fliegen auf, und die lieblichsten Gesichter mit schwellenden Lippen und dunkelglänzenden Augen beugen sich heraus. Durch alle Straßen drängen sich die Massen des Volks. Der Held dieses Schauspiels ist ein Christus, mächtighoch wie Goliath, mit langem schwarzen Haar und dunkelbrauner Haut, mühsam sich fortschleppend unter der Last eines ungeheuern Kreuzes. Hinter ihm jammert und schluchzt ein langer Zug von Frauen, in Mäntel von braunem Tuch gehüllt, und Tücher von weißem Mousselin um den Kopf gebunden.

Ein englischer General des letzten Jahrhunderts sagte, er habe nie einen portugiesischen Mönch gesehen, der nicht die Miene eines Soldaten, und nie einen portugiesischen Soldaten, der nicht das Aussehen eines Mönches gehabt hätte. Der erste Theil dieser Versicherung ist noch heute wahr. Die Mönche, die ich bei dieser Prozession sah, trugen das Haupt hoch, mit einer Art von triumphirendem Gange einherschreitend wie Garden auf der Parade. Warum sollten aber auch die Mönche nicht stolz und herabsehend seyn, da das Volk, die Minister und selbst der König so demüthig vor ihnen sind? Warum sollte ihr Sinn sich nicht erheben bei dem Gedanken, daß drei Millionen Portugiesen im Schweiße ihres Angesichts arbeiten, und den Ozean beschiffen, blos um sie zu bereichern. Die einzigen hervorragenden Gebäude Portugals sind die Klöster. Wer das Escurial in Spanien, und das Kloster Mafra in Portugal gesehen hat, erkennt, daß America nur für die Mönche erobert wurde. Als 1755 das Erdbeben Lissabon zerstörte, blieb das Franciskanerkloster allein mitten unter den Trümmern aufrecht, weniger wohl durch ein Wunder des heiligen Franciscus, als weil die festungsgleichen Mauern und Gewölbe jedem Sturm trotzten…

Das portugiesische Volk ist abergläubisch aber nicht fanatisch. Wenn heftiger Ostwind sich erhebt, laufen immer noch einzelne Leute auf gewisse Anhöhen, um zu sehen, ob nicht der König Sebastian, der 1568 in einer Schlacht gegen die Mauren fiel, aus Afrika zurückkehre. Bis jetzt hat der heilige Sebastian vergebens auf sich warten lassen, dessenungeachtet aber insultiren ihn seine [171] Gläubigen nicht, wie die Lazzaroni den heiligen Januarius, wenn dieser mit dem Wunder des fließenden Blutes zögern will. …


Lissabon, 26 Mai 1822.

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit General Sepulveda über Marschall Beresford. Er erkannte seine Verdienste an, die portugiesische Armee disciplinirt und zum Kriege gebildet zu haben. „Vor Marschall Beresford,“ sagte er, „war der Stand des Militairs der verachtetste in Portugal. Die Großen des Hofs fanden ihr Vergnügen darin, ihren Domestiken Lieutenants- und Capitainsgrade ertheilen zu lassen. Beresford hat die Offiziere dieser Schmach entrissen. Das Ehrgefühl und die Disciplin der jetzigen portugiesischen Truppen ist sein Werk. Deßwegen wurden auch, als er nach England zurückkehrte, seine militärischen Reglements in nichts geändert. Beresford war ein Despot, aber unbestechlich. Er hatte nicht Seelengröße genug, den tapfern General Gomez Freire und zwölf andere portugiesische Offiziere, welche 1817 gegen seine Person sich verschworen, vom Tode zu retten; aber daß er uns eine militärische Existenz gab, gibt ihm auch stets ein Recht auf unsere Achtung und unsern Dank.“

(Wenn die bis Mai 1822 reichenden Briefe des Grafen Pecchio, aus denen wir die bisherigen Auszüge genommen, wenigstens den Reiz einer lebendigen Darstellung haben, so ermangeln dagegen die in obigem Werke nun folgenden Briefe, angeblich eines frühern portugiesischen Staatsbeamten, alles eigenthümlichen Werthes, und scheinen blos trockene Compilationen aus den Pariser liberalen Blättern. Der angehängte Ueberblick über Portugals Lage in militärischer Hinsicht, von dem für die Geschichte der letzten Kriege so verdienstvollen General Pelet, hat zunächst nur für den Fall eines Angriffs Portugals von außen, Interesse.)

  1. Die Briefe gehen vom Februar 1822 bis Juni 1827. Wir heben diejenigen aus, welche uns zu Bezeichnung des Geistes der letzten portugiesischen Staatsveränderungen am meisten charakteristisch schienen.