Botschafter Garibaldi’s in Neapel

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Botschafter Garibaldi’s in Neapel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 620, 622-624
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[620]

Castello dell’ Uovo.   Königliches Residenzschloß.       Castello nuovo.   Fort St. Elmo.
Neapel von der Seeseite.

[622]
Botschafter Garibaldi’s in Neapel.[1]
Zweiter Brief eines deutschen Malers in der Garibaldi’schen Armee.
(Mit Abbildung von Neapel.)
Neapel, den 27. August.

Mitten in der neapolitanischen Hauptstadt und ganz offen in der Uniform eines Garibaldi’schen Offieiers! So bin ich hier – mir selbst ein Traum, ein Räthsel. Welch furchtbares Kriegsheer, welch mächtige Flotte, welch entsetzliche, allgegenwärtige, allmächtige Polizei-, Kerker- und Tortur-Gewalt stand diesem Bourbonen-Throne [623] zu Gebote! Und ich einzelner Mensch bin jetzt mächtiger, als dieser furchtbarste aller Tyrannen-Apparate, blos weil mich der Heiligenschein Garibaldi’s umgibt. Oder träume ich? Schreite ich unter einem Volke von Illusionen? Nein, da bin ich wirklich in der Glorie Neapels, der Toledo-Straße. Sie führt direct herunter nach dem „realen Palast“ des Königs, einem ovalen Festungswerke. Gegenüber erhebt sich hinter dem furchtbaren Arsenale das ungeheuere längliche Viereck des eigentlichen „Königs-Palastes“, geschützt durch eigene Mauern, mit dem neuen Castell (Castello nuovo) rechts dicht daneben und dem Arsenale auf der Wasserseite, dem Halbmonde des eigentlichen Regierungs-Hafens mit dem Castello dell’ uovo auf dem linken Flügel, und der befestigten Gemaro-Spitze auf dem rechten. Vom Norden her wird die Stadt durch das Castello St. Elmo auf hohem Berge beherrscht. Doch ich will Dir keine Festungen und Befestigungsinstrumente des Bourbonen-Thrones aufzählen. Sie sind zerfallen, ohnmächtig, todt, obgleich von keiner einzigen feindlichen Kugel nur berührt. Wir leben in dem merkwürdigsten Acte, wo die Weltgeschichte auf ganz eigene und wohl beispiellose Weise zum Weltgerichte ward. Noch sind alle die raffinirten, kannibalischen Marterwerkzeuge vorhanden, durch welche diese Bourbonen ihre Feinde vernichteten und in lähmendem Schrecken hielten. Noch umgeben Armeen, Kriegsschiffe, Kerker, Torturinstrumente, Polizei, Pfaffen, Lazzaroni – Alle Stützen des Thrones – in Wirklichkeit und Masse ihre ehemalige nährende, wärmende, sie willenlos um sich herumtreibende Sonne; aber diese Sonne ist erloschen in eigener Schmach und zieht nicht mehr und treibt nicht mehr. Die Planeten und Trabanten sind aus ihren Bahnen gewichen und schwanken ohne Centrum umher, laut schreiend, daß Garibaldi sie als neuer Brennpunkt anziehen, bewegen, erwärmen solle. Dieses Erlöschen in eigener Schande, dieses moralische und dann wirkliche Zerfallen aller Umgebung ist – in dieser raschen und dramatischen Weise wenigstens – beispiellos in der Geschichte. Welche Scenen der Auflösung! In der furchtbarsten Hitze der brennenden Toledo ereifern sich Alt und Jung, Vornehm und Gering, Männer und Frauen athemlos und triefend und halb nackt, ihre Wohnungen und glänzenden Läden auszuräumen und irgendwie in Sicherheit auf fremde Schiffe zu bringen.

Die bezaubernden Juwelier- und Seiden-Bazars, die ich vor Jahren inmitten lustiger Menschenströme bewunderte, sind geschlossen und werden durch Seitenthüren vorsichtig ausgeräumt. Vor einem der ersten Hotels stehen prächtige Möbels, Spiegel, Uhren etc. und werden auf einen Lastwagen gepackt. Die Straße steht voller Reisekoffer und Möbelwagen. Die Leute fliehen auf die Inseln, nach Sorrento, Capri, Castellamare etc. Selbst die Lazzaroni, sonst in allen Gossen und schattigen Stellen umherliegend, haben ihre alten Schlafstellen verlassen und logiren in den Felsenhöhlen des Berges Posilippo draußen auf der Westseite der Stadt oder nördlicher auf dem Chiaga, trotz naher Nachbarschaft des furchtbaren Elmo-Castells.

Vorige Nacht wollte ich die schmutzige Tunnelstraße „la Grotta“ besuchen, um mir die interessante schlafende Bevölkerung derselben anzusehen. Ein deutscher Freund begleitete mich und versprach mir, daß ich gestehen würde, niemals etwas Malerischeres gesehen zu haben. Ja, wer das malen könnte! Möglich wär’s, Bilder nach dem grellen Scheine unserer Stocklaternen abzugrenzen und den Raum mit dürren, braunen Gliedern und Verkrüppelungen und spärlich deckenden Lumpen auszufüllen – aber dieser Geruch! Still davon, sonst werde ich trotz meiner guten Nerven hinterher ohnmächtig. Sie schliefen sonst auf den Straßen, wie und wo sie eben hinfielen. Jetzt trauen sie nicht mehr, auch wird der Platz für allerlei kleine Tumulte, Emeuten und Reibungen gebraucht. Soldaten und National-Gardisten, echte neapolitanische Soldaten und deutsche Miethlinge, treue und „untreue“ Truppen in derselben Compagnie, alle diese Kriegerarten und die „Popolani“, Polizei und Soldaten, Polizei und Volk, Parteien im Volke – Alles reibt sich gelegentlich gegen einander, schreit, schlägt, schießt, läuft, verfolgt und wird verfolgt. – Solche Scenen wechseln Tag und Nacht in den abenteuerlichsten Combinationen mit einander und enden größtenteils irgendwie lächerlich, obgleich auch schon ernste Verwundungen und (wie vorigen Dienstag) einige Todte dabei vorkamen. Welch eine Tollhauswirthschaft!

Doch ich habe Dir noch gar nicht gesagt, wie ich eigentlich hierher gekommen bin. Es ist etwas Diplomatie dabei, die ich selbst nicht recht verstehe, da ich blos eine äußerliche, untergeordnete Rolle dabei spiele und nicht eingeweiht ward. Was mich betrifft, so hatte ich nach der Schlacht bei Milazzo bis jetzt folgendes Schicksal. Nachdem ich im Lazareth allerlei Dolmetscherdienste geleistet und mich im Allgemeinen nützlich zu machen gesucht hatte, ward ich nach Messina gesandt, wo ich aber nichts von Belang zu thun bekam, so daß ich Zeit gewann, mich nach unsern deutschen Landsleuten hier umzusehen, Kaufleuten, fast lauter Kaufleuten, darunter manchen krösusartigen Handelsfürsten, die aber zum Theil noch geschlossen und eingepackt hielten. Manche hatten für Tausende von Scudi Waaren auf fremde Schiffe in Sicherheit gebracht, und enorme Summen für diese rasche, extemporirte Verladung zahlen müssen. Ich lernte einige von den Jüngeren, größtentheils Dienern und Buchhaltern, kennen und lieb gewinnen. Die Herren selber erschienen mir, so weit sie in das Bereich meiner Beobachtung kamen, sehr vornehm und verdrießlich, und gaben mir ganz verächtlich zu verstehen, daß dieser „Garibaldi’sche Schwindel“ alle Geschäfte ruinirt habe – doch nein, ich will diese Schmach der Deutschen, dieser Sclaven des Mercur, dieser elenden Leibeigenen ihrer feuerfesten Mammons, nicht als ein Charakteristikum aller der zahlreichen deutschen Kaufleute Messina’s hinstellen; aber Thatsache ist, daß sich diese Ansicht in einem Privatkreise mehrerer ganz entschieden gegen mich geltend machte, so entschieden und persönlich beleidigend für mich, daß ich das Haus verließ, ohne die Bemühungen einzelner Damen, die Sache zu schlichten, weiter abzuwarten.

Diese Leute sahen in der Befreiung Siciliens, in dem Kampfe für die Einheit Italiens nur Geschäftsstörung und Geldverlust, weiter nichts. Auch waren sie besonders wüthend auf die vielen Deutschländer, die ihnen kein einziges Schiff zum Schutze senden konnten, so daß sie mit ihren Waarenballen auf französischen, englischen, amerikanischen, spanischen Schiffen für schwere Miethe Unterkommen gesucht hatten. Sie waren sehr für die Einheit und Flotte Deutschlands, aber nicht für die Italiens, weil diese ihnen eben Geld gekostet hatte. Nichts Ungewöhnliches!

Nach etwa achttägigem Aufenthalte in Messina bekomme ich ein Schreiben aus dem Hauptquartiere, worin ich ersucht werde, als Deutscher an einer maritimen Expedition Theil zu nehmen, damit ich im Falle, daß Dolmetschung aus dem Deutschen nöthig werde, zur Hand sei. Zweck und Richtung der Expedition wird nicht angegeben, auch nicht auf besonderes Anfragen. Es bleibt mir freigestellt, unter den mysteriösen Bedingungen entweder abzulehnen oder anzunehmen. Just des Mysteriösen wegen thue ich sofort das Letztere.

Wir dampfen zwei Tage später auf dem himmlischen, blauen Meere umher, größtentheils Angesichts der malerischen, in herrlichen Farben spielenden Küsten des Festlandes. Ein Garibaldi’scher General ist Chef unserer Mission, die aus 60 Personen besteht, deren mir keine etwas Genaues über unsern Zweck sagen konnte oder wollte. Endlich – ich übergehe mancherlei kleine Erlebnisse und Abenteuer – bekommen wir ein großes Kriegsschiff mit grün-weißrother, also sardinischer Flagge in Sicht. Die beiden Fahrzeuge nähern sich einander, und die Commandeurs derselben dialogisiren in der Flaggensprache. Endlich kommen Boote von dem Sardinier und holen uns ab. Wir werden auf dem Deck, das von martialischen, herrlichen, großen, schönen Casciatori, den berühmten sardinischen Rifle-Schützen glorreichen Krim-Andenkens, wimmelt, sehr militärisch feierlich empfangen, bewirthet und anständig quartiert. Am folgenden Morgen wächst die goldene Bai von Neapel aus dem Morgenlichte des Meeres vor uns auf. Nach drei Stunden sind wir im Hafen und ankern dicht am Bollwerk, wo Uniformen, Helme und Gewehre, ja selbst die Augen der Soldaten blitzen, so nahe sind wir. Wir salutiren und hurrahen, die Truppen am Lande jubeln uns entgegen und drängen sich dicht am Bollwerke entlang. Ich sehe fast lauter deutsche Gesichter. „Guten Morgen, Cameraden!“ schrie ich ihnen deutsch zu. Lauter Jubel in deutscher Sprache mit vielen Zischlauten. „Wie kommscht Du daher, Landschmann?“ u. dergl. Es schreit deutsch und italienisch herüber und hinüber. Nach einer halben Stunde bekommen 50 Mann Erlaubniß zu landen. Die neapolitanischen Söldlinge schreien nach den Deutschen. Es steht mir frei, mit hinüberzugehen, ich werde sogar darum ersucht, mit meinen Landsleuten ein vernünftig Wort zu reden. Im Nu sind wir drüben, umgeben, umjauchzt von bunten Volksmassen und Soldaten des „absoluten“ Königs beider [624] Sicilien. Sie schleppen uns triumphirend durch die Stadt und zeigen uns allerhand Merkwürdigkeiten, führen uns in Kaffee- und Limonadenkneipen – lauter Jubel und Demonstration für Garibaldi und Victor Emanuel. In der Toledostraße werden wir allerdings mehrmals von „Getreuen“ insultirt, aber von den Volksmassen immer sehr entschieden in Schutz genommen, ehe wir selbst uns zu wehren brauchen. Wir wiederholten unsere Besuche, bis eine Abtheilung unserer Leute eines Abends von neapolitanischen Jägern ernstlich attakirt wurde. Souveraine „Popolani“ zischen und schimpfen für unser Interesse. Die Jäger hauen auf uns und sie ein. Wir wehren uns. Ein lächerliches Gebalge und Geschiebe, bis Blut fließt und die Sache ernstlich wird. Plötzlich kommt ein starkes Detachement Nationalgarde und arretirt uns und die Jäger. Wir wurden einzeln wieder auf unser Schiff befördert. Cameraden der Jäger verlangen Auslieferung ihrer gefangenen Collegen. Aber die Nationalgarde ladet scharf, und das Volk auf ihrer Seite droht. Dies erscheint den Jägern zu bedenklich, sodaß sie Fersengeld geben. Seitdem sind wir ganz populär geworden und streifen unbelästigt, vielfach gefeiert am Lande umher. – Das sardinische Kriegsschiff soll „faules Spiel“ beabsichtigt haben, die Dictator-Würde Garibaldi’s zu verhindern, zu umgehen, durch einen sardinischen Bevollmächtigten zu ersetzen (wie in Palermo). Unsere Mission scheint, so viel ich errathe, glücklich zuvorgekommen zu sein, wenigstens mit Erfolg protestirt zu haben. Wie ich merke, hoffte man von mir guten Einfluß auf die deutschen Söldner. Ich denke auch, etwas geleistet zu haben. In zwei bis drei Tagen erwarten wir Garibaldi als neuen Herrscher in Neapel. Er hofft ohne Schwert zu kommen und zu siegen!





  1. Drei Tage vor dem Einzuge Garibaldi’s geschrieben.   D. Red.