Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Blutrache
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aus: Gedichte. 1. Band, S. 190–198
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[190]

Blutrache.

Nordische Sage in drei Romanzen.

1.

Herr Thorstein in der Halle sitzt,
Der blinde Greis in Schmerzen,
Ein Enkel liegt in seinem Arm
Und weinet ihm am Herzen.

5
Wo ist dein Vater, kleines Kind? –

Sein Feind hat ihn erschlagen.
So tröste dich die Mutter dein! –
Todt ist sie von dem Klagen.

So hüte doch Allvater dich,

10
Lasse dich in Frieden schlafen,

Und wachsen hoch und werden stark,
Bis du den Feind kannst strafen!

In der Halle sitzt der blinde Greis,
Er segnet seinen Enkel:

15
„Mein Aug’ ist dunkel, mein Arm ist schwach,

Es beben meine Schenkel.“

„O sänke nicht die welke Hand,
So oft ich sie will heben!
Was kann ich so in halbem Tod,

20
Und du mit halbem Leben?“


[191]
So sitzt der blinde Greis und klagt;

Da pocht es an die Pforte,
Und öffnet leis und ruft herein
Zur Schwelle die flücht’gen Worte:

25
„Die Braut sie mir raubten, es war dein Sohn

Dabei, und den hab’ ich erschlagen;
Und willst du ihn rächen, es werden dich
Die alten Füße nicht tragen.“

„Schnell ist mein Tritt, irr’ ist mein Gang,

30
Dem Wolf gleich in der Wüsten,

Es soll nach meinem rothen Blut
Vergebens euch gelüsten.“

„Doch Buße biet’ ich dir genug:
Du kannst den Beutel nicht schauen,

35
So höre rasseln des Silbers Klang,

Deinen Ohren magst du trauen!“

Er schwingt den schweren Beutel hoch,
Steht harrend unter der Schwelle;
Doch aus den blinden Augen springt

40
Dem Greis die zornige Quelle.


„Weh mir, daß ich nicht wandeln kann
Wohl mir, daß ich nicht kann sehen!
Es darf in meiner Halle Thor
Des Sohnes Mörder mir stehen.“

[192]
45
„Er labt den Blick an meiner Faust,

Die nicht mehr weiß zu schlagen;
Er meint, daß ich das liebste Kind
Im Beutel müsse tragen.“

„Aus dem Herzen, wo den Sohn ich trag’,

50
Aus dem Herzen hol’ ich die Waffen;

Die Flüche schick’ ich nach dir aus,
Die sollen mir Rache schaffen.“

„Den Fluch all’ deinem Tritt und Schritt
Und deinem schnöden Gelde,

55
Ich hab’ ihn längst hinaus gesandt

Er harret dein im Felde.“

„Er gehet um in meinem Stamm,
Er schreit in Aller Ohren;
Du, wandle nur aus meinem Haus,

60
Bist überall verloren!“


So sitzt der blinde Greis im Stuhl,
Rührt keines seiner Glieder,
Und schlägt mit seiner Stimme Schall
Den Mörder doch darnieder.

[193]
2.

65
Und draußen pfeift ihm zu der Sturm,

Es spinnt ihn ein der Regen,
Es sausen ihm die Speere nach,
Und klirren Schwerter entgegen.

In Wind und Wetter schickt nach Ihm

70
Des Greisen Flüche der Norden;

Die Kämpfer hielten über ihn Tag,
Und friedlos ist er worden.

Er schweifet in den Klüften um,
Sucht Wohnung in den Wäldern

75
In später Abenddämm’rung Grau’n

Wagt er sich nach den Feldern.

Da kehrt er bei den Kämpen ein,
Läßt Salz und Brod sich geben,
Er deckt die Augen mit der Hand

80
Und ißt mit Hast und Beben.


Doch zündet man die Lampen an,
So fährt er auf vom Sitze,
Daß nicht verrathend ihm der Strahl
In’s Mörderantlitz blitze.

85
Entwichen ist er auf die Flur; –

Die mit ihm Brod gebrochen,
Sie wetzen das Messer hinter ihm;
Die Schuld will seyn gerochen.

[194]
So scheucht’s ihn in dem Land umher
90
Fünf schöne Jünglingsjahre;

Ihm kommt kein Becher mehr zur Hand,
Kein Kranz mehr in die Haare.

Bei seinen Feinden wohnt die Braut,
Er weiß nicht, was sie treibet.

95
Er weiß nicht ob sie weint oder lacht

Und ob sie ein Anderer weibet.

Und wie das fünfte Jahr ist um,
Wankt er zu Thorsteins Schwelle;
Der blinde Greis dort sitzt er noch

100
Im Gram auf der alten Stelle.


Es stürzt der Jüngling vor ihn hin:
„Bei dir ist kein Vergeben,
Ich lege mein Haupt in deinen Schooß,
Dein Fluch läßt mich nicht leben.“

105
Dem Greise zuckt’s wie Jugendkraft

In seinen welken Armen,
Die Fäuste fassen des Feindes Haupt,
Sie fassen es ohn’ Erbarmen.

Doch als er hielt so fest gedrückt

110
Das Haupt an seinen Lenden,

Am warmen Leben schaudert’s ihn
Den Fluch doch zu vollenden.

[195]
Da kommt sein junger Enkel auch

In Kindeslust gesprungen,

115
Und um den Fremdling, wie zum Schutz,

Hält er den Arm geschlungen.

Jetzt will dem Alten, aufgethaut
Die Faust nicht länger sich ballen,
Jetzt läßt er über des Jünglings Haupt

120
Die Finger spielend wallen:


„Deine Wang’ ist weich, deine Stirn’ ist hoch,
Dein Haar ist lang und flachsen;
Es sitzt das Haupt am besten doch
Da, wo es ist gewachsen.“

125
„Ja, trag’ es auf dem schlanken Hals

In meinem Hof und Garten;
Du sollst an Sohnes Statt mein Feld,
So lang’ ich’s will, mir warten!“

„Fäll’ Holz aus meinem Walde dort,

130
Bau’ dir ein Haus daneben!

Jetzt wird mir wohl und däucht mir gar,
Mein Kind sey wieder am Leben.“

Der Jüngling schnellte sein Haupt empor,
Hat rasch sich aufgeschwungen.

135
Dem blinden Greisen die Zähr’ entquoll,

Die Thräne strömte dem Jungen.

[196]
3.

Der Enkel wächst mit Lust heran,
Wie Nordlands Knaben blühen;
Um wenig Jahre sey es noch,

140
Ist er zum Mann gediehen.


Die Stunden, die flogen schnell dahin,
Wie man ein Liedlein singet;
Das Feld gedieh, das Haus stieg auf,
Der Greis saß wie verjünget.

145
Es hing ihm eine Wolke wohl

In seiner Stirne Falten;
Der Jüngling fragt nicht, dient so treu,
Bis es erfreute den Alten.

Doch wie die Zeit nun schneller ging,

150
Sah man ihn stille sitzen,

Und aus den hohlen Augen war’s,
Als wollt’ ein Feuer blitzen.

Zuletzt das Schweigen doch er brach,
Das manchen Tag gedauert.

155
Er sprach: „stellt mir den Enkel her!“

Er rief’s, von Schmerz durchschauert.

„Großvater, laß nicht führen mich!
Auch Frühling wird’s im Norden,
Du siehst nicht, wie ich gewachsen bin,

160
Ich bin ein Jüngling worden.“


[197]
Der schlanke Knabe, der eilt herzu,

Ihn faßt der Greis mit Zittern,
„Ja,“ ruft er, „Sommer im Norden ward’s,
Ich horche den Ungewittern!“

165
„Weh mir, es sprosset ihm schon der Bart,

Es schwellen die Glieder, die Knochen,
Er ist ein Mann geworden und hat
Den Vater noch nicht gerochen!“ –

„Blutrache, heilig, alt Gesetz,

170
Wie unsre Götter und Eichen,

Vor dir muß unsers Hauses Fried’
Und Liebe mir heut erbleichen!“

„Seht ihr es nicht? mir däucht, ich seh’s, –
Und bin ich doch blind so lange –

175
Wie seine Augen funkeln wild!

Du dort, ist dir nicht bange?“

„O weh’, du hast mir gedient so fromm,
Hast’s wie ein Sohn getrieben!
Du solltest führen in’s neue Haus

180
Die Braut, die dir treu geblieben.“


„Jetzt kannst du bei mir nicht bau’n dein Haus,
Bei mir dein Weib nicht freien.
Wie soll in seinem Angesicht
Dir dein Geschlecht gedeihen?“

[198]
185
„Nimm dir aus Kammer und Stall ein Theil,

Was mir der Sohn sollt’ erben!
So lange die Rach’ in dem Knaben schläft,
Fleuch, fleuch! du sollst mir nicht sterben!“

„Zur fernsten Orkneysinsel zeuch!

190
Dort, hinter der Fluthen Walle,

Dort bau von meinem Gute dir
Eine feste, helle Halle!“

„Dort lebe sicher und zeug’ ein Kind
Für deines Alters Tage!

195
Und keiner sey, – nimm hin den Wunsch –

Der dir den Sohn erschlage!“