XIII. Der Pavillon zu Brighton in England Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XIV. Bingen
XV. Cootub-Minar, Ruinen von Delhi
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BINGEN.

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XIV. Bingen.




In des Rheingau’s herrlichem Schmuck ist das Städtchen Bingen eine der köstlichsten Perlen. Es liegt (6 Stunden von Mainz entfernt), am linken Stromufer, dem Rhein und der Nahe, die hier zusammenfließen, malerisch schön in den Armen. Der Berg von Rüdesheim, dieses erstaunenswürdige Kunstwerk des ausdauernden, belohnten Menschenfleißes, steht wie ein gewaffneter Riese mit seinem breiten Gürtel der köstlichsten Weinreben und seinem stolzen Eichenkranze auf dem Haupte dem freundlichen Städtchen gegenüber.

Gleich hinter demselben schauen die Ruinen der Burg Klopp von einer Bergwand, die steil emporsteigt, seitwärts in das Nahethal herein, und von den Höhen rechts und links ragen die Trümmer mehrerer alten Vesten, Kapellen und Klöster.

Schön ist die Aussicht von der uralten Brücke, über Nahe und Rhein, gerade gegen die Felsmauer zugekehrt, welche die Burg Ehrenfels trägt. Sie ist in unserem Bilde auf das treueste versinnlicht. Aber schönere noch öffnen sich Dem, der die umliegenden Hügel besteigt; die herrlichste unter Allen aber hat man von der ebengenannten Ruine des Schlosses Klopp, dieselbe, die auf unserem Bilde von der Höhe rechts auf Bingen herunter schaut.

Fast bis zum Gipfel ist der Berg, auf dem sie liegt, mit Weingeländen umzogen. Der jetzige Besitzer hat überall zwischen den Reben anmuthige, mit Blumen und Sträuchern geschmückte Spaziergänge angelegt. Fast bei jedem Schritte kommt man in Versuchung stille zu stehen, gleichsam gefesselt von der immer neue Reize entfaltenden, herrlichen Landschaft. Die schönsten Aussichts-Punkte haben alle bequeme Ruheplätzchen, bald Rasensitze von dicklaubigen Bäumen überschattet, bald Kiosks und Veranda’s in abwechselnder Mannichfaltigkeit. Ein kleiner Salon mit einem lieblichen Zimmer nimmt diejenige Stelle ein, von der aus die Aussicht am köstlichsten erscheint. Eine in der Nähe angebrachte Aeolsharfe tönt gleichsam dem Ewigen, der so Herrliches geschaffen, Halleluja. –

Von diesem anmuthigen Plätzchen erkennt man erst recht Bingen’s wunderschöne Lage. Rechts überblickt man die lachendste vom Rhein durchströmte Landschaft, grünende Inseln, die zahlreichen Ortschaften und Burg- und Klostertrümmer des Rheingaues, zunächst das stattliche Geisenheim mit den pallastähnlichen, blendenden Häusern und den endlosen, breiten Rebengeländen; weiter im Hintergrunde prangt das Schloß Johannisberg, und von da reicht das Auge bis zu den blau dämmernden Felsen bei Heidelberg und dem fernen Melibocus. Zur linken [32] Seite wirft der Rhein tief im Thale seine empörten Wogen schäumend über Klippen. Auf den beiden Ufern erheben sich Felsenmassen zu Bergen, als ewige Vormauern gegen den wüthenden Strom, und sehen ernst und still auf sein furchtbares Tosen herab. Hatto’s Thurm, der Thurm der grauenvollen Sage, stets umtobt von der wilden Brandung, steht mitten in den Fluthen; ihm gegenüber sieht man die leichten Schiffchen wie im Tanze dem immerkreisenden Strudel des Bingerloches vorüberschweben und sich bald darauf im dunkeln Felsgeklüfte verlieren. Seitwärts strömt die Nachenreiche Nahe aus ihrem romantischen Thale dem größeren Strome zu, überwölbt von der fünfbogigen Brücke. Bingen gerade gegenüber liegt Rüdesheim mit seiner alten Römerburgruine, lang hingestreckt, dahinter seine Rebenterrassen, vom Niederwald gekrönt, durch dessen dunkles Laub das weiße Gemäuer eines Kirchleins hervorschimmert, und weiter links, am Eingange des dunkeln Rheinthals, lugt wieder das pittoreske Rheinfels, gleichsam wie eine Schildwacht, herüber. – Rückwärts schauend, ragt oben von der Höhe, die herrliche Burgruine Klopp selbst empor, von deren Zinne der wagende Wanderer dieselbe Aussicht, nur reizender noch, noch einmal genießt. Sie ist unbestritten eine der schönsten der Erde. –

Und wie glücklich, – so jauchzen Tausende an dieser Stelle, – müssen die Menschen seyn, die dieses paradiesische Land bewohnen! Voll so seligen Glaubens wandern Viele aus dem Rheingau, ohne zu prüfen. Thäten sie’s, bald würden sie sich enttäuschen. – Es ist hier nicht besser, als allenthalben; die Sterblichen haben sich ungleich in den Genuß und die Arbeit getheilt. Mehr als 22,000 Menschen nähren sich im Rheingau auf kaum 20,000 Morgen bebauten Feldes; fast in keinem Lande der Erde fällt ein so kleines Stückchen ihrer Scholle dem Sterblichen zum Theil. Aber doch wären sie glücklich, – denn die Natur schüttet hier ihre Gaben in doppelter Fülle aus, – wäre der Boden, den sie bauten und mit ihrem Schweiße düngten, ihr Eigenthum. Dem ist jedoch nicht so. Bei weitem der größere Theil ist seit undenklichen Zeiten Eigenthum der Pfaffen gewesen, oder des Adels, oder beider Erben, der Fürsten; seit uralter Zeit haben List und Gewalt von diesem Paradiese so viel an sich gerissen, als sie immer zu ergreifen und zu behaupten im Stande waren. Und Jahrhunderte haben das von der List und der Stärke Errungene zum rechtmäßigen Besitze geheiligt, das Gesetz hat den schützenden Zaun um denselben gezogen und der Himmel, – er hat ja seinen Wächtern das Siegel der Unfehlbarkeit aufgedrückt! – Es ist hier wie überall, (überall auf unserer Erdhälfte wenigstens,) und es ist nie anders gewesen. Und wird es jemals anders werden? – – – „Viele für Wenige“ lautet, vollgültig, der Spruch von den Säulen des Herkules bis nach Japan, und auch im Rheingau wird der Wein nicht von Dem, der ihn gepflanzt hat, getrunken! –