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XIV. Bingen.




In des Rheingau’s herrlichem Schmuck ist das Städtchen Bingen eine der köstlichsten Perlen. Es liegt (6 Stunden von Mainz entfernt), am linken Stromufer, dem Rhein und der Nahe, die hier zusammenfließen, malerisch schön in den Armen. Der Berg von Rüdesheim, dieses erstaunenswürdige Kunstwerk des ausdauernden, belohnten Menschenfleißes, steht wie ein gewaffneter Riese mit seinem breiten Gürtel der köstlichsten Weinreben und seinem stolzen Eichenkranze auf dem Haupte dem freundlichen Städtchen gegenüber.

Gleich hinter demselben schauen die Ruinen der Burg Klopp von einer Bergwand, die steil emporsteigt, seitwärts in das Nahethal herein, und von den Höhen rechts und links ragen die Trümmer mehrerer alten Vesten, Kapellen und Klöster.

Schön ist die Aussicht von der uralten Brücke, über Nahe und Rhein, gerade gegen die Felsmauer zugekehrt, welche die Burg Ehrenfels trägt. Sie ist in unserem Bilde auf das treueste versinnlicht. Aber schönere noch öffnen sich Dem, der die umliegenden Hügel besteigt; die herrlichste unter Allen aber hat man von der ebengenannten Ruine des Schlosses Klopp, dieselbe, die auf unserem Bilde von der Höhe rechts auf Bingen herunter schaut.

Fast bis zum Gipfel ist der Berg, auf dem sie liegt, mit Weingeländen umzogen. Der jetzige Besitzer hat überall zwischen den Reben anmuthige, mit Blumen und Sträuchern geschmückte Spaziergänge angelegt. Fast bei jedem Schritte kommt man in Versuchung stille zu stehen, gleichsam gefesselt von der immer neue Reize entfaltenden, herrlichen Landschaft. Die schönsten Aussichts-Punkte haben alle bequeme Ruheplätzchen, bald Rasensitze von dicklaubigen Bäumen überschattet, bald Kiosks und Veranda’s in abwechselnder Mannichfaltigkeit. Ein kleiner Salon mit einem lieblichen Zimmer nimmt diejenige Stelle ein, von der aus die Aussicht am köstlichsten erscheint. Eine in der Nähe angebrachte Aeolsharfe tönt gleichsam dem Ewigen, der so Herrliches geschaffen, Halleluja. –

Von diesem anmuthigen Plätzchen erkennt man erst recht Bingen’s wunderschöne Lage. Rechts überblickt man die lachendste vom Rhein durchströmte Landschaft, grünende Inseln, die zahlreichen Ortschaften und Burg- und Klostertrümmer des Rheingaues, zunächst das stattliche Geisenheim mit den pallastähnlichen, blendenden Häusern und den endlosen, breiten Rebengeländen; weiter im Hintergrunde prangt das Schloß Johannisberg, und von da reicht das Auge bis zu den blau dämmernden Felsen bei Heidelberg und dem fernen Melibocus. Zur linken