Bilder aus den deutschen Alpen/1. Das Fingerhackeln

Textdaten
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Autor: Karl Stieler
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Titel: Das Fingerhackeln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 84–86
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bilder aus den deutschen Alpen.[1]

Nr. 1. Das Fingerhackeln.

Es ist später Herbst, um die Nachmittagszeit. Draußen im Isarthal, in den oberbairischen Bergen, steht die riesige Benedictenwand und schaut herein durch die angelaufenen Scheiben – drinnen, in der Wirthsstube, ist tiefe behagliche Ruhe. Jetzt kann man’s schon leiden, wenn tüchtig eingeheizt wird. Lustig knistert das Feuer im dicken Ofen und daneben sitzt der dicke Wirth und denkt an die – Weltgeschichte. Wenigstens liegt der „Volksbot“ da drüben, die Nummer von vorvorgestern, und er nickt so ernsthaft mit dem Haupte! Es ist eine Ruhe voll Anstand und Würde.

Nicht viele Gäste stören seine Muße. Nur ein paar Flößer, die heut Blaumontag machen, sitzen am „grünen Tisch“ und spielen. Doch es ist nicht Roulette; der Tisch ist nur grün angestrichen, und daneben steht ein Croupier mit der Heugabel.

„Jesses – der Hansei!“ rufen die Spieler, als auf einmal die Thür knarrt. Nachlässig und stolz schlendert eine hohe Gestalt herein, und nachdem sie ringsum genickt, kauert sie schweigend am kleinen Tische nieder. Der Hansei mag nicht lange warten, „das ist ein scharfer Regent“, und deshalb hat er noch kaum mit den Augen geblinzt, so stellt schon die Kellnerin den schäumenden Krug vor ihn. Der rothe Jörgl von der Jachenau, der gegenüber sitzt, läßt sich auch nochmals einschenken, der hat gern „an Haingart“ (ein trauliches Beisammensitzen), und der Hansei war schon lang nicht mehr sichtbar, ’s ist nicht deswegen, weil ihm der Wirthshausbesuch von Oben verboten ist; darum schmeckt’s ihm nur um so besser, aber vielleicht „leidet’s sein Madl nicht“. So denkt sich wenigstens der schlaue Jörgl, und in neckendem Ton beginnt er:

„No, Hansei, mich freut’s nur, daß Dich Dein Dirndl doch alle Monat einmal auslaßt, denn so lang ist’s bald, daß wir Dich nimmer gesehen haben. Aber die hat Dich am Bandl!“

Hansei rückte den Hut aus die Seite, und das war ein schlimmes Zeichen. Die Stellung des Huts ist beim Bauern ein Barometer der Stimmung, und man kann nach den Winkelgraden berechnen – wann’s losgeht.

„Ich hab’ mir mein Dirndl schon besser dressirt,“ erwiderte er trotzig, „die geht auf’n Pfiff, da g’schieht, was ich will!“

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Das Fingerhackeln.
Nach der Natur gezeichnet von Ph. Sporrer.

[86] Dem Jörgl aber war’s nicht genug. Er sah, daß der Hansei sich ärgerte, und langsam eröffnete er jenen kurzen ominösen Dialog, in welchem die Helden der Bierbank streiten und der so deutlich und handgreiflich wird.

„Aber neulich haben’s was Schönes erzählt,“ begann der Jörgl wieder. „Da sollst Du g’sagt haben, sie soll Dir a Bussel geben, und dann hätt’ sie Dir – a Watschen geben!“

Hansei rückte zum zweiten Mal den Hut. „Dich gift’s halt, Jörgl,“ sprach er, „daß das Dirndl Dir auskommen is, bei Dir is nix als der schielige Neid.“

Doch der Jörgl war schnell mit der Antwort fertig. „Um so Eine,“ erwiderte er höhnisch, „braucht man Niemanden neidig sein, die Einen doch nur zum Narren hat. O mein Hansei, Dich zieht ja dös Dirndl beim Finger fort.“

„Ich will Dir’s gleich sagen, wer mich beim Finger fortzieht,“ fuhr Hansei grimmig auf, „Du einmal nicht. Geh’ her, wenn Du Schneid’ hast, ob Du Dich hackeln traust – und wenn Du mich hinziehst, dann darf mich der Teufel holen auf freier Weid’, noch heut auf’m Heimweg.“

Hansei streckte den Arm über den Tisch und Jörgel hackte sich blitzschnell in den gekrümmten Zeigefinger ein.

„Aufgeschaut!“ –

„Himmelherrgottsacrament!“ –

Diese Parole dröhnte durch die stille Stube, wo nun das sogenannte „Fingerhackeln“ erprobt wird. Die Sitte ist alt und allgemein in Ober- und Niederbaiern. Wenn die Gegner sich mit den Zeige- oder Mittelfingern eingehackt haben, dann beginnen sie zu ziehen und versuchen einander zum Wanken zu bringen oder zur Erde zu reißen. Wer ein besonderer Virtuose ist, packt mit dem einen Finger bisweilen zwei Gegner – und zieht sie über Tische und Bänke weg. Der Charakter dieses Brauchs ist indessen niemals ein ernsthafter und der Zweck bleibt immer der des Spieles. Das versteht sich bei der ungefährlichen Natur dieses Angriffs eigentlich von selbst, wenn man an die engere Heimath desselben denkt und dann erwägt, wie leichtfertig dort die schrecklichsten Waffen gehandhabt werden. Denn am stärksten ist das Hackeln doch auf jenem urwilden Fleck zwischen Isarthal und Innthal zu Hause, wo’s schon die Schulkinder miteinander probiren und wo der kleine Hüterbub den Geisbock zu Boden hackelt. In diesem Revier baierischer Heldenkraft passirt es nicht selten, daß Einer dem Andern ein Auge ausschlägt und sich dann damit entschuldigt: „Ich hab’ ja nur Spaß gemacht!“ Da ist natürlich das Hackeln zu harmlos, wenn man Einem ernstlich beikommen will. Ein Holzknecht, der „warm wird“, beschränkt sich nicht auf einen so partiellen Angriff, wie auf den Finger des Gegners, und auf eine so partielle Waffe, wie auf seinen eigenen. Im wirklichen Treffen da kommt die Faust, und auch die ist häufig noch zu wenig. Für was sind denn die eisengespitzten Bergstöcke, die Holzhacken und Messer auf Erden? Die kommen zum Zuge, wenn sich’s um die Theorien von „Blut und Eisen“ handelt. Diese harmlosere Art des Kampfes setzt stets einen gewissen Grad von Verständigung voraus. Ein blutiger Kampf wird häufig unaufgefordert begonnen, das „Hackeln“ aber kann nicht ohne Herausforderung unternommen werden. So hat es denn auch am meisten in den Fällen statt, wo einer so gereizt ist, daß er sich Luft machen möchte, und doch noch so vernünftig, daß er das Todtschlagen meidet. Da ist dann jene Rivalität gerade recht, denn im Hackeln steckt ein großer Ehrgeiz, und die Niederlage des Gegners schmerzt diesen oft mehr, als die bittersten Prügel. Nicht selten wird auch auf den Erfolg gewettet; das Bezirksgericht in Straubing hat vor Jahren einen Fall entschieden, in welchem es eine Summe von nicht weniger als tausend Gulden galt.

Auch in den Strafverhandlungen, wo die rauflustiqen Missethäter oft in langen Processionen aufmarschiren, kommt „das Hackeln“ vor. Wenn Seiner Gestrengen finster die Brauen rollen, wenn der Gensd’arm von Ruhestörung und der Staatsanwalt von Körperverletzung donnert, dann erwidert der Bauer lachend: „Wir haben ja nicht gerauft, wir haben ja blos gehackelt.“ Der Mangel jeder gefährlichen Absicht spricht sich vielleicht in nichts so deutlich aus, wie in diesem herkömmlichen Einwand. Auch der Holzknecht hat seinen „Sport“, und als solcher muß eigentlich das Hackeln definirt werden.

Ein lautes Stampfen dröhnt durch die Stube, und wir finden das ritterliche Paar, das erst am Fenster saß, bereits in Mitte des Schauplatzes. Der Tisch, der Maßkrug, die Karten – Alles ist mitspaziert.

Auch der Wirth hat sich jetzt erhoben. Er ist aus seiner Ofenecke hervorgetreten – aber nicht aus seiner Neutralität – denn auch in der Bauernstube gilt das Princip der Nichtintervention. Wir leben in politischen Zeiten, und wenn sich zwei Bursche heut zu Tage balgen, so wollen sie nach völkerrechtlichen Grundsätzen behandelt werden.

Mit verschränkten Armen, so etwa in der Stellung des alten Napoleon, überschaut der Wirth den Kampfplatz. Wer von den Beiden wird zu Boden kommen? Jedenfalls am nächsten der Maßkrug, denkt er sich, aber ihm ist’s gleich, denn einer von Beiden muß ihn doch bezahlen. Der eichene Tisch hat wohl seine sechszig Pfund und geht so schnell nicht „aus dem Leime“. Wenn sie sich in die Uhr verwickeln – ist’s auch nicht schad, die geht ohnedem seit Jahresfrist gar nicht oder falsch – und im Uebrigen werden die Beiden weiter keinen Durst kriegen, wenn sie noch eine Weile so fort machen. Also denkt sich der Wirth.

Die Spieler indeß lassen sich bei ihren Karten nicht stören. Gesehen haben sie’s jeden Tag, und das bischen Lärm, das hört Einer gar nicht, der gute Nerven hat. „Hin“ wird nicht gleich Einer werden, calculiren die Zwei, und wenn’s dem Einen passirt, wird’s der Andere schon sagen.

Drei Mal rasten die Kämpfenden noch durch die Stube, dann hat halt doch der Hansei „hingezogen“ und den Jörgl mit sammt dem Tisch zu Boden gerissen. Er hat um’s Auslassen bitten müssen, und wie er gebeten hat – war’s wieder gut.

„Ja, umsonst macht Keiner dem Hansei sein Dirndl schlecht,“ und der Wirth packte ihn drum auch bei dem Halstuch und sprach: „Du bist ein Kerl, wie dem Teufel sein Leibroß.“

Solche Sprüch’ thun dem Hansei wohl, und lachend sang er das Schnaderhüpfel:

Und der Teufel hat Hörndl
Und ich hab’ mein Dirndl
Und dös Dirndl, mag mi’,
Weil i a Hauptspitzbua bi’.

Auch der Jörgl lachte, aber seine Gurgel war gar so trocken, und weil ihn der Hansei so gnädig anblickte, so schlug er ihn auf die Achsel und erwiderte:

Gegrüßt seist Du, Bruder,
Der Herr ist mit Dir,
Du bist voll der Gnaden,
Geh – zahl a Maß Bier!

Und so geschah es.

Carl Stieler.



  1. Unter dieser Gesammtüberschrift werden wir eine Reihe von Skizzen über die eigenthümlichsten Sitten und Gebräuche, Spiele und Kämpfe der baierischen und österreichischen Alpenvölker bringen und denselben durch Illustrationen von der Hand tüchtiger Künstler ein erhöhtes Interesse verleihen.
    D. Red.