Bilder aus dem Leben deutscher Dichter/Im Landhause von Derendorf

Textdaten
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Autor: L. P.
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Titel: Im Landhause von Derendorf
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 213–216
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Bilder aus dem Leben deutscher Dichter
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Aus Immermann’s Kreis.
Originalzeichnung von L. Pietsch.
Grabbe. Uechtritz. Immermann. Lessing. Gräfin Lützow.

[214]
Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.
Im Landhause von Derendorf.
Mit Abbildung.

Jeder Dichter, seit den ältesten Tagen der Menschheit, hat das allgemeine Gesetz der Dinge, die uralte und ewig neue Erfahrung, daß der Höhepunkt jeder Laufbahn zugleich der Beginn ihrer absteigenden Neigung ist, besungen und beklagt – und sicher auch an seinem eigenen Leben erprobt. Auch in dem eines neueren, dem deutschen Volk besonders werthen und theuern Poeten, in dem Leben des Schöpfers des Münchhausen, des mannhaften Vaters der deutschen Dorfgeschichte, der nach langer Zeit der Dürre zum ersten Male wieder an den festen, harten, rauhen Fels des echten germanischen Volksthums mit dem Zauberstabe der Dichtung zu klopfen wagte und ihm den lautern Quell der Erquickung und Gesundheit entlockte, welcher noch manche kommende Generation erfrischen und kräftigen wird, wie er es uns gethan, – auch in Karl Immermann’s Leben wiederholt sich die gleiche Erscheinung, und zwar bei ihm in besonders hervortretender, bestimmt gezeichneter, rund abgeschlossener Gestalt. Und diese Glanzzeit seines Daseins gewinnt dadurch noch eine ganz eigenthümliche, erhöhtere Färbung und ein besonderes Interesse, daß ihr Aufsteigen wie ihr Versinken und Erblassen zusammenfällt und eng und innig verbunden ist mit dem der schönen Jugendblüthe einer größern geistigen Genossenschaft, welche in der modernen Culturgeschichte unseres Vaterlandes eine wichtige und ehrenvolle Stelle einnimmt: der Düsseldorfer Malerschule. Genau sogar bis auf die begrenzenden Jahreszahlen, innerhalb welcher diese Periode begriffen ist, trifft die seine mit der ihren zusammen: 1827 und 1839 können hier wie dort den Beginn und den Abschluß markiren, zwischen welchen sich eine schöne, reiche Entwicklung abspinnt, die des Rückblicks „mit einem heitern, einem nassen Aug’“ wohl werth ist.

Dergleichen Glanzzeiten in des einzelnen Mannes Geschichte sind kaum denkbar, ohne daß irgend eine weibliche Gestalt auf deren erfreulichem Bilde mit erschiene, bei ihrem Heraufführen oder an ihrem Ende wirksam betheiligt wäre. Das trifft für Immermann in ebenso eminentem Grade zu, wie nur für Goethe. Es war zu Münster in Westphalen, wo der 1810 von Magdeburg dorthin versetzte dreiundzwanzigjährige Auditeur, den die Pflichten der Militärgerichtsbarkeit und die juristischen Studien nicht an der Cultur seiner schönen poetischen Begabung verhindern konnten, zum ersten Male der Frau gegenübertrat, welche auf die Gestaltung seines ganzen Daseins einen so entscheidenden Einfluß üben sollte, wie er nur je von einer jener berühmten Dichterfreundinnen auf die Poeten ausging, welche in ihnen ihre Musen verehrten und verherrlichten. Die liebenswürdige, mit jedem Reiz, den schöne Anlage, vollendete Geistes- und Lebensbildung, Vornehmheit und natürliche Anmuth einem Weibe verleihen können, geschmückte Gattin von Lützow’s, des kühnen Führers der schwarzen Schaar, Elise geborene Gräfin von Ahlefeldt, bedurfte in verwickelten Vermögens- und Geschäftsangelegenheiten des rechtskundigen Rathes und Beistandes, den sie bei Immermann suchte. Er seinerseits fand in der schönen Dame, welche noch dazu in dem für einen Zwanzigjährigen so gefährlichen Altersverhältniß zu ihm stand (sie zählte sechs Jahre mehr als er), den Gegenstand schnell erregter schwärmerischer Bewunderung, der all’ seine poetische Gluth zu hellen Flammen entfachte. Während der vier Jahre, die dieser Aufenthalt in Münster währte, floß unter dem beglückenden Einfluß der Freundin, welche sich darin gefiel, die Leonore dieses modernen Tasso zu sein, der Strom seiner dichterischen Production so reich und voll dahin, daß man schwer versteht, wie seine juristische Amtsthätigkeit dabei zu ihrem Recht kommen mochte. Die Pflichten derselben setzten übrigens diesem ersten Beieinanderleben ein Ende. Immermann wurde nach Magdeburg, seiner Vaterstadt, als Criminalrichter berufen. Als ihn zwei Jahre später Frau von Lützow dort wiederfand, war auch in ihrem Leben eine tiefgreifende Wandlung vorgegangen: sie war aus Gründen, die unserer Darstellung fern liegen, von ihrem Gatten geschieden.

Jedenfalls konnte sie für ihre Seelenwunden keinen heilsameren Aufenthalt wählen, als Magdeburg und die Nähe Immermann’s. Seine leidenschaftliche Freundschaft für die so Geprüfte war nur gewachsen. Aber vergebens drang er in sie, den Trost durch einen zweiten Gatten für die Fehler des ersten anzunehmen. Sie erwog den Unterschied des Alters und verweigerte des Dichters Hand. Wohl aber willigte sie darein, als er 1827 als Landgerichtsrath nach Düsseldorf berufen wurde, ihm dorthin zu folgen. Es dünkte ihrer hochgestimmten Seele so schön und so – möglich, den Traum einer idealen Gemeinschaft in die Wirklichkeit führen zu können, dem edlen Freunde alles Störende, Gemeine, Widrige, alle Noth und Unruhe des Lebens fern zu halten; über seinem Schaffen zu wachen, als „holde Treiberin, Trösterin“, und stolz und kühn des Geredes der Menge über die Seltsamkeit eines solchen Ausnahmeverhältnisses nicht zu achten. Als Sitz dieses Poetenglücks wurde ein Landhaus in Derendorf in der Nähe Düsseldorfs erwählt, von einem prächtigen großen Garten umgeben, wo Blumenduft, Blätterwehen und von breitem Rebenlaub gedämpfter Sonnenglanz in das stille Arbeitszimmer des Dichters und in die stattlichen, elegant und behaglich eingerichteten Räume drang, in welchen die Freunde und die auserwählten Geister, die sich ihnen anschlossen in herzlicher Neigung, sich gemeinsam des von jenem Geschaffenen, von jedem aus eigenem und fremdem Schatz Hinzugebrachten erfreuten.

Für Düsseldorf war gerade in jenen Jahren ein neues, frisches [215] Kunst- und Geistesleben aufgegangen, so daß Immermann bei seinem Eintritt eine Welt fand, wie sie, um seinem Dichtergenius die rechte und gedeihliche Atmosphäre, seinem Dasein den günstigsten Boden zu geben, nicht entsprechender hätte gedacht werden können. 1826 war Wilhelm Schadow von Berlin dem Ruf als Director der Düsseldorfer Akademie dorthin gefolgt und hatte einen Kreis von jungen Schülern mit hinübergebracht: Lessing, Bendemann, Hübner, Sohn, Hildebrand, Schirmer, Jünglinge von ungewöhnlicher Begabung, von ehrlicher Begeisterung für romantische Kunstideale erfüllt. Mit überraschend schnell entwickeltem künstlerischem Können legten sie bald genug glänzendes, thatsächliches Zeugniß für dieselben ab in jenen Bildern, welche zwei Jahrzehnte hindurch die Gegenstände des Entzückens und der Bewunderung des vaterländischen Publicums, und nicht blos dieses allein, waren, Bilder aus romantisch angeschauter Geschichte, aus der Sage und Poesie, aus der Landschaft und einem freilich nicht mit unbefangenem Auge betrachteten Volksleben.

Die moderne Kunstentwickelung hat diesen Standpunkt überwunden. In Düsseldorf selbst sind grundverschiedene Richtungen der Malerei zur höchsten Geltung gekommen; man hat anders sehen, anders empfinden, anders zeichnen und malen gelernt. Aber jene Zeit mit ihrer hoffnungs- und glaubensvollen Freudigkeit, ihrem hochfliegenden Streben wird unvergeßlich bleiben, wie die weltbekannten Schöpfungen, die ihr erwachsen. Ein enger Verkehr des Immermann’schen Hauses mit diesen Künstlern konnte nicht ausbleiben. Die „Düsseldorfer Schule“ blieb nie unvertreten im Gartensalon zu Derendorf. Und auch für andere Interessen noch, als die ihr eigenen, fand sich dort der gastliche Vereinigungspunkt. Der dramatische Dichter mochte der lebendigen Wechselwirkung mit der Bühne nicht entbehren; sein großes Vorlesertalent führte ihn mit den Schauspielern und den Bühnenfreunden in nahe Berührung, und seinem Verständniß, seiner durchdringenden und überlegenen Geisteskraft fügte man sich willig. Der Lieblingsplan des Bühnendichters kam zur Verwirklichung. Vom Beirath wurde Immermann zum Leiter der Düsseldorfer Bühne. Ein einjähriger Urlaub gab ihm die Zeit und die Freiheit dazu, Actienzeichnungen in dem anfangs lebhaft dafür interessirten Publicum schafften die Geldmittel herbei.

Er konnte eine Zeit lang hoffen, daß es so ehrlichem Bestreben, so wirksamer Unterstützung durch tüchtige, kundige Männer, unter denen Felix Mendelssohn und Friedrich v. Uechtritz, der Landgerichtsrath, Dichter und liebenswürdige Enthusiast, besonders zu nennen sind, gelingen müßte, „den Widerstand der stumpfen Welt“, die Gleichgültigkeit, die Gewöhnung der Masse an triviale, fade oder rohe Kost zu überwinden, und von dieser Düsseldorfer Bühne aus, wenn er sie erst zur deutschen Musterbühne erhoben haben würde, die Regeneration des vaterländischen Theaters ausgehen zu sehen. Man weiß, welche schmerzlichen Enttäuschungen diesen Hoffnungen schon nach drei Jahren folgten, wie sich jene bekämpfte Stumpfheit und Gleichgültigkeit gegen die Arbeit: die Bühne aus der theatralischen Versumpfung zu erheben zum würdigen Schauplatz der edeln Gebilde echter Dichtung, als unüberwindliche Mächte erwiesen, welchen auch ein so energischer Wille unterliegen mußte, da die ihm zu Gebote gestellten materiellen Mittel nur zu bald versiechten. 1837 nahm Immermann vom Düsseldorfer Theater wie vom Grabe seiner liebsten Träume Abschied, und lange noch wirkte der bittere Schmerz in seiner Seele nach.

Während der Zeit seiner Bühnenleitung, zum Theil durch diese mit veranlaßt, war zu den Anderen auch eine der originellsten Gestalten der deutschen Poetengilde, Dietrich Grabbe, in Immermann’s Kreis getreten. 1801 war er zu Detmold geboren, der Sohn des dortigen Zuchthausinspectors.

Trotz der vergiftenden Einflüsse, welche eine rohe, halb verrückte, dem Trunk ergebene Mutter auf des Kindes geistige und körperliche Entwickelung geübt hatte, war er zu einem vielseitigen Wissen in fleißiger Arbeit und zur Ausbildung eines dichterischen Genies gelangt, in welchem Größe und Gemeinheit, gründliche Ungeheuerlichkeit und Schwächlichkeit seltsam mit einander gemischt erscheinen. Wie ehemals Immermann hatte auch er das Amt eines Auditeurs bekleidet, dasselbe in krankhaften Launen, die sein Wollen, ihm zum Unheil, bestimmten, ausgegeben, und war nach Frankfurt übersiedelt. Unfähig, mit jenem gewaltigen Talent der dramatischen Dichtung, das sich verachtend über alle Schranken der wirklichen Bühne hinwegsetzte (einem Talent, von dem seine damals bereits erschienenen Dramen „Gothland“, „Don Juan und Faust“, „Hannibal“, Zeugniß ablegen konnten), die Mittel der Existenz zu erwerben; ebenso unfähig, der verderblichsten Leidenschaft zu entsagen, die ihn im Trunk die Quelle der Kräftigung seiner kranken Natur und auch wohl – der Begeisterung suchen ließ, lebte er hier in tiefem Elend, als Immermann’s Einladung nach Düsseldorf seinem an diesen gerichteten verzweifelten Hilferufs antwortete. Immermann that hier, was er vermochte, das Dasein des Gastes freundlicher zu gestalten, zog ihn in die engste Intimität seines Hauses, ohne sich durch die Formlosigkeit seiner Sitten, durch die Unfähigkeit oder den verächtlichen Widerwillen, sich den gültigen geselligen Bräuchen und Regeln zu fügen, weder in seinen Bemühungen noch in der Schätzung der wilden Größe dieses Genius beirren zu lassen. Deutlicher hat sich selten wohl das geistige Wesen eines Mannes in seiner körperlichen Erscheinung ausgeprägt, als dieses über Gebühr verlästerten und andererseits maßlos glorificirten Poeten.

Sein wohlgetroffenes Portrait zeigt eine prachtvoll gewölbte riesenhafte Stirn, ein tiefes seelenvolles Auge, eine feine Nase bei einer wahrhaften Verkümmerung der untern Gesichtspartieen, die bis zur verschwindenden Unbedeutendheit des Kinns, also gerade jenes Theils des Antlitzes geht, in welchem noch jeder Physiognom mit vollem Recht den Maß-und Werthanzeiger menschlicher Charakterkraft und Tüchtigkeit erkannt hat. Dazu eine Gestalt, in welcher kein Stück zu dem andern zu passen, wo Körper und Extremitäten in stetem Widerstreit zu stehen schienen, jede Bewegung eckig, roh und ungeschlacht herauskam.

Eine solche Figur muß eine seltsame Zuthat gewesen sein zu dem Kreise, der sich um Immermann’s imponirende Persönlichkeit und seiner Freundin vornehme und herzgewinnende Gestalt in jenem Gartenhause zusammenschloß. Mit Begeisterung erzählen die Zeugen jener glücklichen Tage heut’ noch von den darin verlebten Stunden reinen, erhebenden Geistesgenusses und der edelsten Geselligkeit.

Dem Bericht eines Mitlebenden über einen solchen Abend in Derendorf ist auch das Bild erwachsen, das hier eine Scene, wie sie sich dort oft wiederholt haben mag, in einer Gruppe der hervortretendsten Charaktere jenes Kreises zu veranschaulichen sucht. Das Licht eines schönen Sommerabends fällt durch das Weinlaub, das die Fenster und die Saalthür umgiebt und überschattet, und durch die schweren Seidenvorhänge in den nach den bescheidnern Ansprüchen jener Tage elegant und behaglich eingerichteten Gartensalon, den neben zahlreichen Bildern, an welchen die jungen künstlerischen Freunde manchen Antheil haben mögen, ein großes Bild König Friedrich Wilhelm des Dritten schmückt. Der Abendschein trifft die breite mächtige Stirn des „Mannes im braunen Ueberrock“ (wie er sich selbst in der Geschichte seines Münchhausen’s einführt), der eben die letzte Seite eines Manuscripts umschlägt, aus dem er seinen Gästen vielleicht sein neuestes Product, oder eine Scene aus den Epigonen, dem Trauerspiel in Tirol, dem Tulifäntchen oder dem Merlin vorgelesen hat.

Auf jener Stirn, wie Stahr sagt, „von dem dunkeln, schon hie und da in’s Graue spielenden Haar mäßig beschattet, spiegelte sich eine gehaltene Hoheit und Ruhe, welche durch die kräftig geschlossenen Lippen und das scharf und tief blickende Auge zu dem Charakter strengen Ernstes und fester Entschlossenheit gesteigert wurde.“

Neben ihm im niedrigen Fauteuil, mit inniger Antheilnahme zu ihm hingeneigt, mit den schönen sanften und tiefen Augen an den beredten Lippen des Freundes hängend, lehnte dann wohl Frau von Lützow, Gräfin Ahlefeldt, das immer noch jugendliche Antlitz von den braunen Locken umflossen, die feine jugendschlanke Gestalt in ein einfaches, mit schwarzen Spitzen besetztes Seidenkleid gehüllt.

Drei Gäste sehen wir an diesem Abend vor dem runden Tisch des Salons versammelt: in sich zusammengedrückt, den Kopf in dem hohen Rockkragen der dreißiger Jahre tief versunken, die geballte Faust am Kinn, die andere auf dem Schenkel, Grabbe. Neben seinem Sessel stehend, Herrn v. Uechtritz (geboren zu Görlitz 1800), der hier dem Beschauer jenes edel und delicat geschnittene Profil weist, welches die Düsseldorfer Maler damals oft genug in ihren romantischen Geschichtsbildern zu verwerthen verstanden. Mehr aber noch, als mit seinem Gesichtsschnitt diente er [216] der dortigen Malerschule durch die „Blicke“, die er in die Düsseldorfer Kunst- und Künstlerwelt that, – schrieb und veröffentlichte. Dieses für die betreffenden Verhältnisse wichtige und interessante Buch enthält namentlich die dankenswerthesten Mittheilungen über die künstlerische und menschliche Persönlichkeit des jungen Mannes, der hier, an der andern Seite des Tisches sitzend, zu ihm, dem Freunde hinüber blickt, C. F. Lessing’s.

Der große Künstler gehört bekanntlich derselben Familie an, die uns den unsterblichen Gotthold Ephraim Lessing gab. Durch eine außerordentlich späte geistige Entwickelung als Kind fast zu ernster Besorgniß Anlaß gebend, hatte er diese als Jüngling glänzend beschämt und stand mit zwanzig Jahren als ein Meister der Malerei da, dessen Ruhm sein „trauerndes Königspaar“, sein „Klosterhof im Schnee“ und manches andere aus dem tiefen Grund einer mit aller Poesie deutscher Romantik gesäugten, schwermuthvollen, lauteren Jünglingsseele erblühte Werk geschichtlicher und besonders landschaftlicher Kunst weit über des Vaterlandes Grenzen hinausgetragen hatte. Neben der Kunst galt seine Hauptneigung, so schien es, der Jagd, die ihn träumerisch, die Büchse im Arm im Felde und im geliebten grünen Forst „still und wild“ mit kaum geringerer Lust umherschweifen ließ, als die, welche ihm die Befriedigung eines stets regen und mächtigen künstlerischen Schaffensdrangs reichlich gewähren mochte. Die Jagdlust aber prägt entschiedener, als jede andere, ihrer Jünger äußere Erscheinung zu einer bestimmten charakteristischen Form aus, und nicht nur der kurze grüne Jagdrock des Malers, sondern die kühn gebogene echte Jägernase mit dem mächtigen blonden Schnauzbart darunter hätten den Fremden in dieser noch vom Militärdienst her straff gehaltenen soldatischen Gestalt weit eher das „Schooßkind Dianens“ als den Maler der zarten, träumerischen Schwermuth vermuthen lassen, aus welchem sich freilich noch der unvergleichliche Darsteller der großen vaterländischen Helden des freien Geistes und der erhabenen Tragödien der Erlösungskämpfe dieses letzteren entwickeln sollte.

Der Flügel an der Wand steht geöffnet. Vielleicht klingt eben jetzt schon des Capellmeisters Felix Mendelssohn leichter Schritt draußen auf den Kieswegen des Gartens, vielleicht bringt er den Director Wilhelm Schadow, Sohn und Hildebrandt mit von der Stadt heraus, und wenn draußen das Mondlicht auf den schweigenden Büschen liegt, die Blumen stärker duften und die Kerzen den traulichen Raum durchschimmern, tönen noch als Schlußaccord des schönsten Abends unter den beseelten Fingern des hochbegnadigten Tonmeisters jene Tasten im reizenden phantastischen Elfenreigen des Sommernachtstraums, der eben damals in seiner Seele reifte.

Fünf Jahre später (wenn ich diesen Abend in das Jahr 1834 verlege) stand dieser Salon von diesen Bewohnern und diesen Gästen verlassen. Die Freundschaft des Dichters mit der geistvollen Gräfin hatte das gewohnte Ziel jedes derartigen Verhältnisses, das künstlerische Männer für eine Zeitlang an bejahrtere Frauen fesselt, gefunden; die edle Dame hat vielleicht alle Qualen Charlottens von Stein in der eigenen Brust durchzumachen gehabt, sie aber jedenfalls mit besserer Fassung und ruhigerer Würde zu tragen verstanden als die tiefgekränkte Freundin Goethe’s. Immermann hatte sich dem ihr gegebenen Versprechen zum Trotz ohne ihr Wissen verlobt und einem jungen lieben Wesen und, nachdem 1839 die Gräfin ihn und Düsseldorf verlassen, sich in dem Herbst desselben Jahres vermählt: die Natur behauptete ihr unverlierbares Recht, der lange durchgefuhrten Verleugnung derselben und einer raffinirten Vergeistigung gegenüber. Er sollte sein junges Glück nicht lange genießen. Zehn Monate später am Geburtstag Goethe’s trug man den Dichter des Münchhausen zu Grabe! – Gräfin Ahlefeldt lebte inmitten eines geistreichen Kreises von hervorragenden Männern und empfindsamen hochgebildeten Damen bis zu ihrem 1855 erfolgten Tode in Berlin.

Grabbe hatte, von Krankheit und Unruhe verbittert und umhergetrieben, Düsseldorf 1836 wieder verlassen, um in demselben Jahr in seiner Vaterstadt Detmold das Ziel seines verwüsteten Lebens zu finden. In dem Gedicht, das der tieferschütterte Freiligrath diesem „Titanen der Schwäche“ wie ihn ein bekannter Literarhistoriker scharf, aber richtig würdigend bezeichnet, auf das Grab legte, hat er angesichts dieses Schicksals das berühmt gewordene Wort gefunden: „Das Mal der Dichtung ist ein Kainsstempel“ – eine Ansicht, von der ihn die Erfahrung des eigenen spätern Dichterlebens, dem sich gerade der Dichtung Gabe als das hohe Glück, als die Segen-, Trost- und Freudenquelle so reichlich erwiesen, sicher bekehrt hat. Herr von Uechtritz und Lessing sind allein übrig. Jener dichtete und dieser lebte und malte rüstig weiter bis auf diesen Tag. Unsern Lesern von dem, was er seit jenen Abenden in „Immermann’s Kreis“ geschaffen, erst noch erzählen zu wollen, wäre ein überflüssiges Unternehmen: sein Name und seine Werke leben im Herzen seines Volkes.

L. P.