Bilder aus Spanien/Südspanisches Straßenleben

Textdaten
Autor: Fritz Wernick
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Titel: Südspanisches Straßenleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 784-789
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus Spanien.

2.0 Südspanisches Straßenleben.
Von Fritz Wernick.

Straßenscene.
Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Die Spanier sind, seit Ferdinand und Isabella alle kleinen Königreiche unter ihrem Scepter vereint, als sie die Letzten Mauren über’s Meer getrieben hatten, zu einem gemeinsamen Staate zusammengewachsen; ein einheitliches Volk sind sie indessen noch bis heute kaum geworden. In der Volksart, in Sitten, Trachten, Lebensweise unterscheidet sich das rauhe Castilien, das bergige Aragonien von Valencia, Murcia, ganz Andalusien, die unter einander wieder grundverschieden sind. Das spricht sich aus in dem Aeußern der Menschen, im Straßenleben, in der Beschäftigung, in der Denkart, in allen Lebenserscheinungen, die auch der fremde Besucher wahrnimmt. Jeder Gau, jedes ehemalige kleine Königreich hat sich seine Sonderart bis heute bewahrt.

Allgemeine Züge fehlen natürlich nicht. Das gesammte spanische Volk ist gutmüthig aber beschränkt, gefällig und dienstfertig aber bettelhaft, es ist bedürfnißlos aber lässig und träge, eigentlich ist es auch kaum talentvoll zu nennen. Der Gesang des Volkes ist entweder lärmendes Geräusch oder ein langgezogenes, wie Klageton klingendes Winseln. Musik hört man selten auf der Straße. Man muß dem Volke bald gut werden, um seiner Naivetät und seiner Liebenswürdigkeit willen.

In dieser Buntheit kann man aber zwei große Gruppen unterscheiden, die der Gesammtbevölkerung des ganzen Landes ihre Charakterzüge verliehen haben: die Castilianer und die Andalusier. Jene sind häßlich und plump in der äußeren Erscheinung, starkknochig, derb, ernst. Sie stammen von den Hirtenvölkern der

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Gärten des Alcazar.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[786] nordöstlichen Berge ab, die in tiefe Barbarei verfallen waren, als die Araber das von ihnen eroberte Land unter hohe Cultur brachten. Die Andalusier, in deren Adern noch heut arabisches Blut fließt, sind die bevorzugtesten Lieblingskinder des spanischen Bodens. Schlanke und geschmeidige Gestalt, feine Köpfe, leuchtende Augen, dunkle Hautfarbe, anmuthiges Wesen verbinden sich mit einem oft in Leidenschaftlichkeit ausartenden Feuer, mit lebhaftem Geiste, um uns diese Südspanier besonders liebgewinnen zu lassen. Volks- und Straßenleben gestalten sich denn auch schon in Valencia, Murcia, überall wo die Mauren lange Jahrhunderte das Land besessen haben, vor allem aber in Andalusien selbst, fast malerisch, heiter, ansprechend. Von der Volkstracht ist wenig übrig geblieben, das meiste daran nur künstlich erhalten. Die Blumenverkäuferin, die auf der Rambla von Barcelona, auf dem Markte von Valencia hinter den duftenden und farbeglänzenden Blüthenpyramiden sitzt, trägt manchmal noch das knappe Sammetjäckchen, den kurzen mit Spitzen besetzten Rock, immer den Schleier im Haar, mit Blumen oder blanken Nadeln befestigt. Der Stierkämpfer kleidet sich ähnlich wie Leporello oder Figaro in der Oper mit grellen Seidenstrümpfen, die Hosen und die seidengepuffte Jacke voll kleiner Knöpfe, trägt farbige Schärpe und sammetnes Barett.

Gärten des Alcazar: Gallerie Don Pedro I.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Das gehört zum Geschäft. Die Frauen sind vollständig dem Kattun verfallen, nur die Männer würde man auch äußerlich als Spanier erkennen, wo immer man ihnen begegnete. Die streifige Wollendecke schlagen sie geschickt um Arm oder Schulter, mit dem kurzen schwarzen, farbig gefütterten Mantel verstehen sie sich prächtig zu drapiren, und Mantel oder Decke trägt jeder Mann, jeder Knabe im südlichen Spanien. Das macht die Straßen bunt, malerisch. Das steigert sich noch auf den Märkten.

Am reizendsten ist der Markt von Valencia, am lebhaftesten in Murcia, weit weniger interessant in den eigentlich andalusischen Städten Granada und Sevilla. Die Märkte von Valencia haben die Gestalt von Gartenhöfen. Häuserfronten bilden ein Rund oder ein geschlossenes Quadrat, zu dem nur wenige Ausgänge führen. In der Mitte sprudelt ein Brunnen. Der Wasserstrahl senkt sich in Schalen, deren unterste dem augenblicklichen Bedarfe dient. Palmen, Ulmen, Akazien beschatten rings den Platz. Dorthin kommen die Landleute aus der Huerta, führen auf ihren beladenen Maulthieren, auf zweiräderigen Karren, die ein alter Eselschimmel schleppt, köstliches Gemüse, süße Früchte, Eier, Blumen und häufen das leckere Erzeugniß des Landbaues unter den Bäumen zu Bergen auf. Die Männer auf Sandalen, die streifige Decke um den Leib geschlungen, den Kopf mit rothem Madras umwunden, die Hüften mit breiter rother Wollenbinde gegürtet, versehen den Dienst. Ein Junge folgt ihnen, der Unrath, Kraut, Orangenschalen sorgsam zusammenkehrt und in den von Spartogras geflochtenen Korb dem Grauthier aufladet. Die Orangenschalen werden an Händler verkauft, zum Trocknen und Versenden, das Uebrige kommt auf’s Feld. Die Marktstätte sieht aus, als ob dort die Araber feilhielten, – völlig orientalisch noch heute.

Weit reicher erscheint das Marktleben in Murcia. Dort trägt der Landmann weite weiße Hosen, enge feine Strümpfe, ein weißes Wams; nur die rothe Leibbinde hebt sich aus dem farblosen Kleide grell hervor. Da steigert sich das Gewühl zum Gedränge. Alles, selbst Fleisch und Fisch, sogar Hausrath bietet man dort feil. Züge, die an das vergangene Maurenthum erinnern, lassen sich hier noch viel deutlicher erkennen. Vor allem die Vorliebe für frisches, klares Wasser zu einem kühlen Trunk. Aus arabischer Zeit haben sich entschieden die Formen jener Thonkrüge erhalten, die wir in Murcia, Alicante, Cartagena und weiter im Süden in jedem Hause antreffen. Mit diesen „Tinajas“ beladet der Töpfer seinen Eselkarren, fährt umher und findet überall Absatz, denn gar leicht zerbricht solch ein bauchiges Gefäß. Sie finden wir ebenfalls auf dem Markte in Murcia. Ihre Form ist gefällig, ähnlich denen, die man noch heute überall im Orient findet. Die Gefäße bleiben unglasirt, sodaß das durchschwitzende Wasser verdampft, wodurch es sich kühl erhält. Selbst auf den Landstraßen begegnet man den Tinajakarren des hausirenden Töpfers. Draußen füllt man diese Krüge am Brunnen selbst. In den Städten aber bildet diese Arbeit eine eigene, von Jungen [787] betriebene Industrie. Lässig schleicht der Esel mit den gefüllten Schwitzkrügen durch die Stadt, an der Hausthür schellt der braune Bursch, dessen getreuen Typus wir auf Seite 789 finden, setzt den Behälter ab und der Troß zieht weiter. „Durch Wasser lebt alles Ding“, lautet ein Koranspruch, und „vom Wasser leben Viele“, könnte man in Südspanien hinzusetzen. Der Durst quält in heißer Zeit den Menschen weit furchtbarer, als der Hunger, den dieses genügsame Volk kaum zu kennen scheint. Dann umsteht eine stetig wechselnde Kundschaft den Aguador, den Händler mit Trinkwasser, der im Süden auf allen Straßen, meist an den Ecken anzutreffen ist. Er ruft nicht, er lockt nicht; gleichmüthig sitzt er da und wartet, das rothe Baumwollentuch um den Kopf geschlungen, die Beine mit Bockfellen bekleidet, Sandalen an den Füßen, eine mit Knöpfen reichbesetzte Jacke an und natürlich, wie jeder Spanier, die breite rothe Binde um den Leib. Er thut, was jeder männliche Spanier thut, vom kleinsten Knaben bis zum Greise: er raucht, dampft eine Cigarette, ohne Cigarette sieht man Niemand hier. Die Cigarette ist Gemeingut. Man giebt sie jedem Unbekannten, bittet sie sich aus, legt sie niemals ab. Der Kellner kleinerer Gasthäuser raucht, bis die Mahlzeit angerichtet ist, und nimmt das glimmende Papier sofort wieder in den Mund, wenn er eine Schüssel gereicht hat.

Der copirende Maler im Museum raucht, der Beamte im Bureau, der Schaffner der Bahn, der Bettler in der Kirchenthür, alle rauchen, rauchen immer fort. Dem spanischen Straßenbilde würde ein wesentlicher Zug fehlen, wenn man die Cigarette daraus hinwegließe – und den Papierfächer. Valencia fertigt diese Fächer, es trägt sie Mann und Frau, Jüngling und Matrone, sobald es wärmer wird. Der Aguador hat keinen Fächer; er darf doch seinem eigenen Geschäfte nicht selbst Concurrenz machen. Dieses beschränkt sich nicht nur auf Verkauf des Wassers, das seine Tinajas kühl erhalten. Er tropft Süßigkeiten, etwas Schnaps oder Lakritzensaft hinein, füllt sein Schälchen auch wohl mit süßen Erfrischungen, kühler, wohlschmeckender Labe. Der eigentliche Nebenbuhler des Aguador ist jedoch der Horchatero, der Eisverkäufer. Aber der Horchatero gilt als der vornehmere von Beiden, das verräth schon sein halbstädtischer Anzug, noch mehr aber seine Waare. Mit Rufen und Preisen lockt auch er nicht Käufer an. Ist es Phlegma, ist es angeborner spanischer Stolz: lästig werden diese Straßenhändler niemals dem Publicum. Vielleicht sind sie Fatalisten wie ihre arabischen Vorfahren. Das Geschäft des Horchatero wird stets von zweien betrieben. Langsam schiebt der eine der jungen Burschen den Karren mit Eimern vor sich her, in denen sich Zinkbüchsen mit süßem Eise befinden, während der andere aus einer dieser Büchsen Portionen mit dem Leckerbissen in Gläser vertheilt.

So finden wir die Eisverkäufer überall, auf dem Markte, in den Straßen. Die Landleute sind ihre besten Kunden. Unsere geistigen Getränke, Wein, Bier, Schnaps, kennen sie kaum. Etwas Gutes muß der Bergbewohner, der Bauer der Huerta sich aber anthun, wenn er zur Stadt kommt, etwas, was er draußen nicht haben kann. Da wird dann eine Kupfermünze dem Horchatero geopfert und das gefrorene Gemisch von Milch und Zucker geschlürft. Große Auswahl führt der Horchatero nicht.

Nicht nur das kleine, umherwandelnde Geschäft bewegt sich ziemlich geräuschlos, mit einer gewissen beschaulichen Ruhe durch die Straßen; Lärm hört man überhaupt selten in den südspanischen Städten. Wer je das gellende Geschrei und Getobe der italienischen Gassenbevölkerung kennen gelernt hat, den befremdet anfangs diese Stille. Das Auge allein wird beschäftigt. Die Schaar der Betteljungen ist unendlich. Prächtige Burschen finden sich darunter ohne die hohe Rasseschönheit der italienischen Gassenbuben, aber auch lange nicht so gewitzt, so raffinirt und durchtrieben. Sie lungern, sie sonnen sich am Boden, rauchen ihre Cigarette und warten, bis der Zufall ihnen etwas in den Schooß wirft. Sie alle könnten dem Murillo als Modelle gedient haben, so prachtvoll schmutzig und zerlumpt, so herrlich braun und gedrungen, so naiv und zufrieden sehen sie aus. Der Mensch braucht ja fast gar nichts unter diesem Himmel, um zu leben. Wozu soll man denn arbeiten, sich mühen? Verhungern wird niemand, das höchste Elend kennt man nicht. Wohnung, Schlafstätte ist überflüssig, eine Hand voll Kichererbsen, eine Traube, ein Apfel sind leicht zu haben. Das genügt. Dieser Zug naiven Selbstgenügens geht durch die ganze Bevölkerung. Selbst die Blinden sehen kaum unglücklich aus. Die Straßen wimmeln von solchen Unglücklichen. Die Blattern, verschleppte Krankheiten, Sorglosigkeit, richten gräuliche Verstümmelungen der Sehorgane an. Meist bedarf der Blinde keines Führers. Den Stock in der Hand, tastet er sich längs der Häuserreihen weiter. Das Volk ist gutmüthig; jeder nimmt sich seiner an, Mitleidige drücken ihm eine Kupfermünze in die Hand.

Aber nicht nur was auf der Straße sich bewegt, fesselt unsere Aufmerksamkeit. In den engen Gassen von Granada, auf dem Markte von Murcia, in der aus arabischer Zeit stammenden Altstadt zu Malaga dringen Handwerk und kleine Hantirungen aus den Häusern auf die Straße hinaus. Man lebt, man arbeitet völlig im Freien. Kälte kennt man nicht und vor der Sonne schützen die Zelttücher, die an losen Schnüren von einem Hause zum andern über die ganze Breite der Gasse gespannt sind. Nur ein plötzlicher Regen jagt alles hinein in den hintern dunklen Schlafraum, den einzigen, den man gemeinhin besitzt.

Diese Straßen sind für alles Fuhrwerk gesperrt, mit Quadersteinen gepflastert; man kann sich also ausbreiten. Selbst der Holzkohlenhändler, der mit seinem Eselfuhrwerk von den Bergen herab zur Stadt kommt, um den kleinen Leuten das zugewogne Feuerungsmaterial zu verkaufen, muß sein an der oberen Körperhälfte geschorenes Grauthier in der breiteren Straße halten lassen und trägt seinen Kunden die Waare in dem Flechtkorbe von Sparto oder Palmenbast zu. Da drinnen aber breitet der Flickschneider seine Lappen aus, da sitzt das Weib über ihrem Kohlenbecken und bäckt knusperige Kuchen aus Maismehl in Oel, da läßt der Weinschänk Schläuche von Bockfellen, gefüllt mit dem schweren süßlichen Landwein der Huerta, in seine Keller tragen, da hängen vor den offenen Läden an langen Stangen die buntstreifigen Manteldecken, ohne die kein Südspanier sich behilft. In diesen engen Gassen wimmelt es wie in einem Ameisenhaufen. Aber das rege Leben macht wenig Lärm. Deutlich hört man aus der Ferne das Geklapper von Castagnetten. Es kommt aus einem der niedrigen Kaffeehäuser, die allenthalben anzutreffen sind.

Im Halbdunkel sehen wir dort zwei junge Burschen den Fandango tanzen. Dieser Tanz kann nur in Andalusien entstanden sein. Das feurige Locken und Haschen, das Ausweichen und Vordringen, das gefällige Wiegen der elastischen Körper, das Bewegen der Arme mit den kleinen Klappern in anmuthigen Schwingungen, das könnte ein Castilianer nimmermehr so ausführen, dazu gehört die Geschmeidigkeit, die Grazie des Andalusiers.

Der Tanz ist ihnen hoher Genuß, fast Leidenschaft. Diese schönen jungen Burschen, ein Soldat und ein gebräunter halbnackter Bauer, tanzen nicht vor Zuschauern, nicht aus Eitelkeit oder Gewinnsucht, sie tanzen aus innerer Herzenslust. Mäßig am Weinkruge, mäßig bei der Mahlzeit, ohne Talent und Lust zum Singen, scheinen sie im Tanz die höchste Belustigung zu finden.

Am Sonntag kommen Landleute in Sammetjacken, mit kurzen Kniehosen, mit gestickter Manteldecke über der Schulter zur Stadt, die Begüterten aus der Vega, die der Bettlerschaar vor den Kirchenthüren ein Kupferstück hinwerfen. Da sieht man sie sitzen in ihrer malerischen Tracht, die Maulthiertreiber bei der dickbauchigen Flasche, die unvermeidliche Cigarette in der Hand, politisirend, debattirend, während der Knecht der Herberge die Thiere versorgen muß in dem Raume, der, wie unsere Illustration S. 788 zeigt, nur durch eine niedere Mauer getrennt ist, von dem Platze, an dem die Señores sich niedergelassen zur Rast. Sie haben heute viel zu thun gehabt, diese Herren, denn viel, zu viel für ihre Bequemlichkeit, hat man ihre Dienste in Anspruch genommen. Heute pilgern vornehme Damen in Schleier oder Mantille zum Dome, heute sind zu den Sevillaschen Volksfesten Fremde in Schaaren angelangt, die zuvor die berühmten Altargemälde von Murillo sehen wollten, heute begiebt sich der kirchliche Pomp, Processionen, Aufzüge mit Fahnen, Heiligenbildern, Reliquien, Priester in goldstarrenden Gewändern mit Edelsteinen übersäet, in’s Straßenleben. Der Festtag äußert auf dasselbe überall seinen Einfluß, anders während der heiligen Gebräuchen gewidmeten Osterwoche, anders nach dem Feste, wo die Zeit der „Feria“ Volksbelustigungen gewidmet ist.

Auf den Balconen, selbst auf den Dächern stehen hohe Vasen, die in der nahen Töpfervorstadt Troma gefertigt werden, voll Blumen, duftenden Jasmin, Purpurrosen, blauer Iris, Orangenblüthen, Fliederdolden. Jedes Mädchen steckt täglich eine Rose, [788] einen blühenden Akazienzweig, ein Bündel bunter Blüthen in’s Haar, auf den öffentlichen Plätzen verbreiten die blühenden Orangenbäume betäubenden Duft, festlich, blüthenreich, üppig erscheint ganz Sevilla an solchen Feiertagen. Der Alguazil hat seine beste Uniform hervorgesucht. Eine Art Schutzmann oder Gensd’arm nach unseren Begriffen, gehört er zu den stehenden Straßengestalten, die indessen niemals als Einzelwesen, sondern immer paarweise erscheinen. Zwei solcher uniformirter Hüter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit stehen auf jedem Bahnhofe, man begegnet ihnen auf allen Landstraßen, sie halten uns an, fragen uns aus, wenn wir einen Spaziergang in die Umgebung der Stadt machen, sie geleiten die Karren mit gefesselten Verbrechern, die wir allenthalben, von Maulthieren gezogen, treffen. Hoch zu Roß hält ein Paar Alguazils die Wagenreihen vor dem Theater, vor dem Stierplatz, auf den öffentlichen Promenaden in Ordnung, es giebt kein Straßenbild in ganz Spanien, das ohne Alguazils denkbar wäre. Die öffentliche Unsicherheit, die Besorgniß vor plötzlichen Aufständen, aus denen in diesem Lande leicht Revolutionen werden können, mag diese ungeheure Zahl von Polizeisoldaten nothwendig gemacht haben. Sie sehen ungemein stattlich aus, ganz geeignet, diesem Volke Respect einzuflößen, sie schlendern durch die Straßen, bewachen die öffentlichen Plätze, auf denen die bunte Menge durcheinander wogt, sich zu den Limonadenweibern, den Eisverkäufern drängt, auf den Bänken sitzend, den Beginn des Volksconcerts, der Feuerwerke, der Wettkämpfe erwartet.

Rast der Maulthiertreiber.
Nach dem Oelgemälde von J. G. Vibert.

In einer Ecke giebt es Hahnenkampf, wie die Anschlagzettel an dem kleinen Hause verkünden. Dorthin drängt man besonders. Kaum ist es möglich, über die Menschenmasse hinwegzusehen, die sich in dem kühlen Binnenhofe, dem Schauplatz des Kampfes, um die beiden Helden schaart. Die Kampfhähne sind durch Fleischnahrung und sonstige Diät zu ihrem Berufe vorbereitet worden. Nur Thiere mit langen natürlichen, noch künstlich verschärften Sporen werden zugelassen. Man rupft ihnen die Schwänze und einen Theil des farbigen Federkragens ab. Die armen Dinger sehen struppig, halb nackt aus, bieten so verstümmelt den Angriffen sich schutzlos dar, jede Wunde, jeder Blutstropfen ist sofort zu sehen. Wüthend springen die Hähne auf einander los und verbeißen sich. Die Zuschauer ermuntern sie durch Zurufe, erhitzen sich selbst durch lautes Geschrei. Während die Kampfthiere sich blutend in der kleinen Arena umherzerren, beginnen die Wetten. Laut bietet der Eine ein Silberstück auf den Hahn seiner Wahl: ein Anderer hält auf den Gegner. Das Geld fliegt wie bei der Spielbank auf den Plan. Silbermünzen liegen am Boden. Mit der steigenden Aussicht auf Gewinn oder Verlust erhitzt die Leidenschaft der Zuschauer sich immer mehr. Man geberdet sich wie toll. Indessen ringen die blutigen Thiere immer erbitterter mit einander, von Schnäbeln und Sporen grimmig zerfleischt. Endlich liegt einer am Boden.

Der Sieger hackt ihn mit unverminderter Wuth zu Tode. Aber auch er blutet aus unzähligen Wunden und er erholt sich selten. Bleibt er aber am Leben, so steigt sein Werth gleich dem des Rosses, das öfter auf der Rennbahn gesiegt hat. Die Gewinner raffen ihr Geld zusammen, die Anderen versuchen ihr Glück bei einem späteren Kampfe.

Man besucht den Alcazar (vergl. die Illustrationen S. 785 und S. 786) seine Gärten, seine Prachtgemächer im Stil der Alhambra, wenn ihn nicht, wie im Herbst, die Königin-Mutter Isabella bewohnt. Die berückende Schönheit dieser [789] Räume, die den Fremden in einen Märchentraum versetzt, übt, auf die Sevillanerinnen zumal, einend unwiderstehlichen Reiz.

Corso de las Delicias mit dem Palaste Montpensier in Sevilla.
Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Und ist es denn dort nicht auch wie im Paradiese? Der Blick schwelgt in Entzücken über die Herrlichkeit, die sich da vor ihm aufthut. Liebreizende Bilder des Glücks, irdischer Wonne, der Freuden und der Liebe ruft hier die Phantasie in den lauschigen Myrthenhainen und unter uralten Palmen, in duftenden Rosenboskets und am murmelnden Wasser marmorner Brunnen hervor, und gleiche Bilder umgaukeln uns inmitten der Säle des Schlosses mit schimmernden Mosaiken, mit weißen, schlanken Säulen, mit durchbrochenen Kuppeln aus Gold und marmornen Eiszapfen; sie treten uns entgegen vor diesen Wänden und Bogen, die von zierlichsten Steinarabesken und maurischen Inschriften bedeckt sind, auf denen sie wie Spitzenschleier sich ausbreiten oder an ihnen wie Blumensträuße hängen oder ihnen wie prächtig gestickte Teppiche angeheftet sind. Das Höchste, wovon eine Andalusierin träumt, um das Leben schön zu finden, hier war es ja seit Jahrhunderten verwirklicht, in jenen fernen Zeiten, da die Sultane ihren Hof im Alcazar hielten, und unter den castilischen Königen, die ihn dann bewohnten. Wie prosaisch ist die Welt da draußen gegen diese hier mit ihrem Reichthum, ihrer Schönheit, ihrem sinnlichen Zauber, den die Maurenfürsten geschaffen und die spanischen Könige sorgsam erhielten, mit reicher und kunstsinniger Hand vermehrten und bis heutigen Tages vor den Zerstörungen der Zeit bewahrten!

Am Nachmittage strömt das Volk hinaus, die Uferpromenaden längs des Stromes beleben sich. Die daran liegenden Delicias de Christina mit dem stolzen Palast Montpensier sind ein Lustgarten, dem die alte, nicht die jetzige, Königin Christine den Namen gegeben. Hier rollen die Carossen hin und her, in denen die schönen dunkeläugigen Mädchen und Frauen Sevillas, den feingeschnittenen Kopf mit den blauschwarzen Haaren halb unter der Schleiermantille verdeckt, die Huldigungen der Cavaliere entgegennehmen. Dort sieht man flinke, langohrige Maulthiere, dicht mit rothen Wollentroddeln und blanken Schellen behängt, vor ländlichen Wagen. Sie bringen die Bewohner der grünen Vega an die Ufer des Guadalquivir zur Feria von Sevilla. Denn heute soll noch ein Stierkampf stattfinden, ein Corrida, wie an jedem Sonntag der Festzeit. Das erkennen wir an dem Drängen der bunten Menschenmenge, der Städter und Landleute, der hölzernen Eselkarren, den eleganten, mit der spanischen Aristokratie gefüllten Wagen, die alle sich nach der Brücke hinbewegen, in deren Nähe die Arena errichtet ist. Alle Volksgestalten, denen wir anderswo einzeln begegnet sind, vereinigen sich hier zu einer bunten Gruppe. Das spanische Volksleben treibt seine kräftigsten Blüthen vor den Pforten der Arena.

Wasserjunge. Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.