Bilder aus Spanien/Die Zigeuner von Granada und ihre Höhlenwohnungen

Textdaten
Autor: Fritz Wernick
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Titel: Die Zigeuner von Granada und ihre Höhlenwohnungen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 823-825
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bilder aus Spanien.

3. Die Zigeuner von Granada und ihre Höhlenwohnungen.
Von Fritz Wernick.

Es war an einem prächtigen Apriltage. Die Sonne neigte sich bereits dem westlichen Horizonte zu, ihr glühendes Licht durchfluthete die langgestreckte Thalflur von Granada, die von dem Genil durchströmte Vega. Es spielte auf den Schneewänden der Sierra Nevada, vergoldete die Zinnenmauern der Alhambra, warf starke Helle und tiefe Schatten auf das Häusergewirre des Albaycin. Morgen sollte Granada verlassen werden. Es war die Stunde des Abschiedes von dem phantastischen Maurenschlosse, der großartigen Landschaft, der schönsten Stätte ganz Spaniens. Ich hatte den herrlichen Löwenhof mit seinem charakteristischen auf zwölf Löwen ruhenden prächtigen Springbrunnen noch einmal durchschritten und lehnte jetzt in einer der Finsternischen jener hohen Halle, in welcher die Maurenfürsten einst Gesandtschaften fremder Mächte empfangen haben. Man trennt sich schwer von dem Landschaftsbilde, das dieser maurische Fensterbogen umrahmt.

Tief am Fuße der senkrechten Felswand, auf deren Höhe die Alhambra thront, fließt in enger Schlucht der klare, kühle Darro, halbversteckt unter Ulmen und vollkronigen Pappeln. Jenseits, uns gegenüber, erhebt sich der Albaycin, einst ein belebter Stadttheil des arabischen Granada, jetzt eine ärmliche Vorstadt von Hütten, aus deren niedrigem Gewirre die Kuppeln einzelner Kirchen sich erheben. Die alte arabische Stadtmauer zieht weit um die verlassenen Höhen, zwischen Cactusgewilder, hohen Aloestauden, Trümmergestein, selbst halb in Trümmern. Einst reichten die Bezirke des Albaycin bis zu ihr hinauf, heute füllt die Bettler und Zigeunervorstadt kaum noch die Hälfte des befestigten Umkreises. Und rechts im Osten tritt majestätisch die Masse der Sierra Nevada hervor, links nach Westen hin breitet die fruchtbare, reich besiedelte Gartenflur der Vega blühend und saftig grün sich aus, umrandet von niederen Bergzügen. Aus diesen Fenstern konnten die Maurenfürsten den fremden Botschaftern ein Land zeigen, wie es üppiger, schöner und herrlicher kaum eines geben mochte auf europäischer Erde.

Das waren auch meine Gedanken in dieser köstlichen Abendstunde. Ein Amerikaner trat hinzu. Er hatte den ganzen Winter in Granada zugebracht, kannte Alles genau; es machte ihm sichtlich Vergnügen, anderen Besuchern Rath zu ertheilen. Er wies mir drüben auf der Höhe des Albaycin eine kleine verlassene Kirche, eine andere tiefer gelegen. Von diesen beiden Punkten sollte die Aussicht auf die Umgebung die schönste sein. Gestern hätte er einige Damen dort umhergeführt, heute wolle er mit größerer Gesellschaft den Rückweg in gleicher Richtung nehmen, dabei den Zigeunern einen Besuch abstatten. Er schien dort sehr bekannt zu sein. Ich liebe bei solchen Wanderungen große Gesellschaften nicht, doch war ein gelegentliches Zusammentreffen mir ganz erwünscht, schon um der kundigen Führerschaft willen.

Bom Alhambrafelsen führt ein schmaler, steiler Weg hinab in die Schlucht des Darro und dann jenseits aufwärts zum Albaycin. Vereinzelt liegen die Hütten an den Pfaden, die sich den Berg hinanziehen. Brunnen, wohl noch aus arabischer Zeit stammend, sieht man unter dem Geröll, zwischen Mauerbrocken, umwuchert von den saftigen Blattscheiben riesiger Cacteen. Das zerlumpte Volk holt dort in Krügen das frische, kühle Wasser, das in diesem Berglande überall reichlich hervorquillt. Die nächste Umgebung ist furchtbar traurig. Wüst, elend, schmutzig, verwildert sind Flur, Wohnungen, Menschen. Nur der Umblick auf die Landschaft erfreut. Denn allmählich tritt jetzt zu dem Uebrigen, zu Hochgebirge und Thalgarten noch die malerische alte Stadt in der Tiefe und drüben, auf der Zinne des gegenüberliegenden Bergrückens, das feste Schloß der Alhambra hervor, jene Thürme, Mauern, Steinmassen, welche das zauberhaft schöne Herrscherschloß umschließen – ein Rundblick, von dessen wunderbarem Reize weder Bild noch Wort eine genaue Vorstellung zu geben vermag. Der Amerikaner hat mit seinem sachkundigen, klugen Rathe unsern Dank verdient, wir lernen Granada von einer ganz neuen Seite kennen.

Und doch sind es bald nicht mehr diese Aussichten, die unsere Aufmerksamkeit vorwiegend in Anspruch nehmen. Die allernächste Umgebung fesselt mehr und mehr unsern Blick, unsern Schritt. An diesen Abhängen nisten Zigeuner. Dieses Volk, anderswo nur gelegentlich erscheinend, umherziehend durch ganz Europa, hat sich nur an wenigen Stätten an feste Wohnsize gebunden, in eine gewisse Heimath gefügt, die es allerdings ebenfalls gelegentlich wechselt, wenn der Wandertrieb übermächtig in ihm wird. Dauernd fühlen die Zigeuner sich nur wohl in Gebieten, welche die Cultur noch niemals erreicht, oder wo sie der Verwilderung wieder Platz gemacht hat. Das Innere von Rußland, die weiten Fluren Ungarns und der unteren Donau, dann Spanien, eigentlich nur Andalusien, sind die Länder, in denen Zigeuner sich seßhaft gemacht haben. An dem Burgberge von Malaga, dem Gibralfarro, der sich mit den Ruinenmassen eines maurischen Castells steil aus dem Meere erhebt, sind sie festgenistet. In Gewölbe und unterirdische Gänge, in Trümmer und Höhlen haben sie ihre düsteren Wohnungen hineingeklebt. Die Oede, das zerstörte und verlassene Menschenwerk scheint sie anzuziehen, da fühlen sie sich am wohlsten. Aehnlich wie am Gibralfarro wohnen sie hier an den Abhängen des Albaycin. Wir kommen an den Hütten oder vielmehr Höhlenwohnungen vorüber. Einen einzigen fensterlosen Raum bildet das Innere. Aus allen Poren der elenden Behausung dringen Rauch und Dünste hervor, Fenster und Rauchfänge sieht man nicht.

Diese Löcher mögen wohl nur als Unterschlupf dienen bei Kälte, Regenwetter, während der Nacht. Struppige Kinder wälzen sich herum, die Weiber hocken meist müßig vor den Thüren.

Jedes Loch im Steinboden ist mit einem Vordach und mit niedriger Thür versehen; manches dient zugleich als Stall, denn es fehlt der spanischen Zigeunerwirthschaft selten ein Maulthier, Esel oder Pferd. Wir treten in den dunstigen, verräucherten, unterirdischen Wohnraum. Ein Krug zum Wasserholen, ein Topf oder eine flache Eisenpfanne, selbstgeschnitte Holzlöffel und Messer bilden die einzige Ausstattung. Man schläft auf dem Steinboden in dürrem Kraute und meidet sonst das scheußliche Erdloch soviel als möglich. Nicht Alle aber haben es so gut, nicht für Alle reichen die Höhlen, Grotten, Ruinen des Sacro Monte aus. Die Anderen schlagen ihr Lager im Freien auf; der Esel, der Kessel oder die Pfanne müssen unter freiem Himmel aushalten, wie sie und ihr junger Nachwuchs.

Zwischen Brocken von antikem Marmorgebälk, verfallenen Resten maurischer Bogenbauten, zwischen kümmerlichen Spuren einer großen Vergangenheit hat diese elende Gegenwart sich gleich Schmarotzerthieren eingefilzt. Ob dieses halbwilde Volk arbeitet? Die Umgebung giebt davon keinerlei Kunde. Um das Haus gackern einige Hühner, eine Ziege knabbert das zwischen den Steinen wuchernde Kraut ab, ein Beet mit dicken Bohnen dicht am Hause zeigt einzig den ganzen Arbeitsaufwand von Feldbau inmitten der Wüste. Die stacheligen Cactusmassen, die überall in dem Gestein wurzeln, geben den spanischen Zigennern oder Gitanos süße Früchte; Milch, Eier, Bohnen gewinnen sie mühelos; arbeiten dürften sie kaum.

Wo aber Zigeuner leben, in Rußland, in Spanien, dahin bringen sie Gesang und Tanz. Auch die heimischen Volkstänze in Granada sind größtentheils Zigeunertänze, die Musik ist vorwiegend Zigeunermusik. Lassen die Bewohner des Albaycin aus Arbeitsscheu auch ihre Umgebung in Schmutz verkommen, so verdienen sie doch gern Geld. Verschlagenheit und Geldgier leuchten aus den großen schwarzen Augen hervor, sobald ein fremder Wanderer sich naht. Sie schlüpfen aus ihren dunklen Räumen, die Kinder starren den Gast an, man nähert sich ihm mit allerhand Dienstfertigkeiten. Es ist, als ob durch ein stilles, geheimnißvolles Zeichen die Kunde, daß in dem Bezirke ein Eindringling weilt, dem ganzen Tribus mitgetheilt werde. Bald tauchen von allen Seiten neue Gestalten auf. Hinter den Scheibenblättern der riesigen Cactus blicken bärtige Männer hervor, alte Weiber humpeln herbei, neugierig, erwartungsvoll schaut das Zigeunervolk den Fremden an. Die Kinder betteln, die Mädchen rüsten sich zu einem ihrer Tänze, die anderen wollen Musik machen, die Männer blicken finster drein.


[824] Es beginnt etwas unheimlich zu werden in der Oede des Albaycin. Selbst der Reiz poetischer Romantik, eigenartiger, wilder Schönheit fehlt. Die Weiber tragen nicht einen Zug von der Anmuth, der sinnlichen Feinheit, der bezaubernden Elasticität der Andalusierinnen an sich, nicht eine Spur von dem Geschick, selbst in ihre Lumpen sich noch malerisch und wirksam zu hüllen. Gedrungen von Gestalt, starkknochig, mit wulstigen Gesichtern, struppigen Haaren, verblühen sie schnell in Armuth und Elend. Nur unter den Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen, trifft man gelegentlich natürlichen Liebreiz in arger Verwilderung. Ein Wollenrock, unten meist mit Streifen von anderem Stoffe besetzt, ein Tuch, um die Achseln geschlungen und hinten geknüpft, auch wohl ein Hemde, bilden ihre einzige Kleidung. Die stammt von irgend einer Städterin; geschenkt, gekauft, gestohlen? das läßt sich schwer ergründen. Eine bestimmte Volkstracht giebt es schon längst unter den Gitanos nicht mehr. Selbst der Hang nach Putz, gleißendem Flitter, farbigen Bändern scheint völlig erstorben zu sein. Eine Blume von der nächsten Hecke, eine Rose, Granate, Fliedertraube stecken sie wohl in das wirre Haar, mehr niemals. Lüstern nach Geld und Besitz, verschwenden sie das Erhaltene meist in Leckereien, in billigem Zuckerwerk, kaufen süßes Eis, kleine in Oel gebackene Kuchen von den Straßenhändlern unten in der Stadt, auch wohl einen wohlschmeckenden Schnaps; Wein niemals. Die Männer lungern den Tag über hinter den Cactushecken, sie vertreiben sich höchstens die Zeit mit dem Flechten von Basttaschen oder Körben, warten auch wohl auf Gelegenheit zu mühelosem Erwerb. Wollte man nach ihrem Aeußeren, ihren Geberden, ihren wüsten Blicken urtheilen, so müßte man sie alle für Strolche halten. In der Stadt wird der Fremde gewarnt, allein in der Oede des Albaycin umherzustreifen. Man hält das für eine geschäftliche Finte, um Führerlohn zu gewinnen, ist man aber mitten unter diese Bevölkerung gerathen, so sieht die Sache doch etwas bedenklich aus. Allein man hört nichts von Anfällen oder schweren Verbrechen. Die Zigeuner des Albaycin mögen wohl keine schlimmen Leute, keine Raubgesellen sein, höchstens einmal eine Börse, ein Taschentuch entwenden. Immer aber werden sie aus der Verlegenheit eines irrenden Wanderers Vortheil zu ziehen suchen. Daß sie bei aller Lässigkeit ein verschmitztes und gieriges Volk sind, sagt ihr Antlitz. So war es denn durchaus nicht gemüthlich hier trotz Sierra Nevada und Alhambra, die verlockend im Abendsonnenscheine dalagen. Die Zudringlichkeit der Gitanos wurde immer lästiger. Die Umgebung der Hütte war, wohl kaum absichtlich, aber doch thatsächlich, rings umstellt, umlagert. Man sollte unter das räucherige Dach treten, einen Tanz mit ansehen, Gesang und Spiel hören. Es war schwierig, sich den Liebesmühen des Bettelvolkes zu entziehen.

Die Höhlenwohnungen der Zigeuner in Granada.
Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Da, im richtigen Augenblicke, sah ich die kleine Karawane meines amerikanischen Freundes den Berg hinanziehen. Die Zigeunergesellschaft lugte nach der neuen vielversprechenden Beute aus, zog sich aber zurück, sowie sie den Zigeunerhauptmann eines Tribus als Führer der Truppe erkannte. Mein Amerikaner war praktisch zu Werke gegangen bei dem kleinen von ihm geleiteten Ausfluge. Er hatte den „Capitano“ gedungen, und unter dessen Geleit ging es weiter aufwärts. Natürlich schloß ich mich an, nachdem ich mich bei dem vor der Hütte lungernden Volke mit einigen Kupfermünzen abgefunden hatte. Der ganze Berg scheint durchhöhlt zu sein von dem heimathlosen Stamme. Wie Maden aus einem alten Käse kribbeln die braunen Gestalten zwischen Steingeröll, Cactusgewilder, unterirdischen Löchern und Höhlen hervor. Der Sacro Monte, oberhalb des Albaycin, ist ihnen allein zugehörig. Dort hinauf bewegte sich unser Zug. An den Abhängen des Berges, zwischen Dorngestrüpp, Cactus, Aloëschaften und wilden Granaten ist der Steinboden stark durchlöchert. Ob der Kalkstein natürliche Grotten bildet, ob Keller, Vorrathskammern, Gräber in römischer oder maurischer Zeit hier künstlich angelegt worden sind, das läßt sich heute schwer errathen. Deutlicher erkennt man im Gibralfarro bei Malaga die Spuren alter unterirdischer Anlagen an den Höhlenwohnungen der dortigen Zigeuner. Hier haben sie sich eingenistet, von hier ziehen sie aus auf Erwerb, auf Beute.

Andalusien durchstreifen und bewohnen die Zigeuner seit vielen Jahrhunderten. Schon vor vierhundert Jahren und oftmals später hat man sie vertrieben, ihnen bei Leibes- und Lebensstrafe die Wiederkehr verboten. Sie warteten dann wohl eine Weile ab, bis die Zeiten unruhiger oder milder wurden, schlüpften da unversehens wieder in’s Land, bargen sich in ihren Grotten und Höhlen und scheinen jetzt zum Stamm der Bevölkerung zu gehören. Unter einander verkehren sie in ihrer Sprache, die der hindostanischen verwandt sein soll. Deshalb wohl hält man sie für Inder, für ausgewanderte oder vertriebene Parias aus dem Lande der Tschinganen oder Zinganen. Von den ihnen nachgerühmten körperlichen Reizen entdeckt man wie gesagt wenig. Entweder sind sie durch das lange Zusammenleben, durch die losen Eheverbindungen zwischen nahen Verwandten, sogar unter Geschwistern, entartet, oder durch die körperliche und moralische Verwilderung zurückgegangen. Reiner, unvermischter, als hier dürfte man aber die Zigeuner weder in Rußland, noch in Ungarn oder Italien antreffen. Mit Kindern überreich gesegnet sind ihre Verbindungen überall. In keiner Lagerstadt fehlt es an Nachwuchs, der mit den Schweinen und den Hühnern aufwächst, bis er selbst für sich sorgt. Wo die Greise, die Kranken bleiben, weiß man nicht recht. In die Versorgungsanstalten und Krankenhäuser kommen sie nur in sehr seltenen Fällen.

[825] Wir machten Halt vor dem Höhlenbezirk, den der Tribus unseres Capitano bewohnt. Die Damen unserer Gesellschaft, eine Schwedin und eine Finnländerin, fanden die wirthschaftlichen Zustände dieser unterirdischen Zigeunerstadt wenig appetitlich. Sie waren entschieden enttäuscht. Sie hatten Romantik, Poesie, fremdartigen Reiz erwartet, ein Stückchen Preciosa vielleicht, und fanden nun Schmutz, Elend, widrige Verkommenheit ohne jeden sentimentalen Zug. Diese Menschen mit den funkelnden Augen fühlten sich offenbar nicht einmal unglücklich in ihren Erdlöchern.

Zigeunertanz.
Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Doch wir waren einmal unter den Zigeunern und wollten uns ihre Künste daher nicht erst unten in der Stadt, sondern gleich an Ort und Stelle vormachen lassen. Der Hauptmann wußte für Alles Rath. Ein abgeplatteter Felsvorsprung ward zum Tanzboden. Angesichts der entzückenden Abendlandschaft, des maurischen Königsschlosses, der schon völlig im Schatten liegenden Stadt im Thale, lagerten wir uns auf die Steinblöcke umher. Braune Bursche machten mit einem Becken, einer Mandoline, einem Brummeisen Musik. Die Castagnetten klapperten den Tact dazu. Leider blieb diese Musik nicht ohne Gesangbegleitung. Ein eintöniges Summen, das wie langausgehaltenes Gestöhne, wie Klageton klang, wurde von den zottigen, aus Steinen umhersitzenden Weibern begonnen. Die Tänzerin trat vor. Sie hatte einige Blumen in’s Haar gesteckt, sich mit einem verwaschenen, arg beschmutzten und zerschlissenen Rocke, mit einem kurzen Busentuche geputzt und war nicht ohne jene derbsinnliche Schönheit, die man bei den jugendlichen Geschöpfen ihres Volkes wohl antrifft, die aber weit verschieden ist von andalusischem Liebreiz, von der anmuthigen Geschmeidigkeit südspanischer Frauengestalten in erster Jugendfrische. Das Tanzen selbst ist eine Art Ballet. Mit den klappernden Castagnetten in jeder Hand, schreitet das Weib vorwärts und zurück, wiegt den Körper hin und her, wird feurig, leidenschaftlich , die Arme heben und senken sich in lebhafter Bewegung. Diese Schwingungen der nackten Arme sind eigentlich das Schönste an den Zigeunertänzen, die sich von denen der Südspanier kaum unterscheiden. Der ganze Körper sinkt hinab, schnellt wieder in die Höhe, beugt sich weit über, vorwärts und zurück, und immer sind es die in schönen Bogenlinien erhobenen Arme, die diesen Bewegungen erst Ausdruck und Anmuth verleihen. Ein junger Zigeuner tritt hinzu, aus dem Tanze wird eine Art Kampf, ein Haschen und Entweichen. Dazu beginnen die plärrenden Weiber tactmäßig in die Hände zu klatschen. Das Ganze gab ein fremdartig reizvolles Bild.

Drüben an den Randbergen des Genilthales sank der Sonnenball hinab. Die großen Linien der Landschaft hoben sich in tiefem Violett gegen den rosenrothen Himmel ab. Die Schneefelder der Sierra glühten. Die Steinwüste des Sacro Monte mit dem Getrümmer der alten arabischen Stadtmauer breitete sich in tiefer Oede und völliger Einsamkeit um uns aus. Die Gruppe abenteuerlicher und brauner Geschöpfe mit den wirren schwarzen Haaren, den struppigen Kindern, den offnen Höhlenwohnungen war das einzig Lebendige in der weiten Landschaft. Wir rüsteten uns zum Aufbruche. Zuvor aber klopfte das Mädchen mit ihrer Castagnette den Gästen auf die Schulter, ein anderes hielt die Schürze auf, das war eine Bitte um kleine Münze. Der Zigeunerhauptmann hatte seine Gebühr bereits empfangen, diese Spende ist nur ein Trinkgeld, für das die braunen Weiber sich Schnaps und Zuckerwerk kaufen. Zum letzten Male schnellten noch die gerundeten Arme in die Luft, die Gestalten wirbelten in wilder Erregung um sich selbst, das Klatschen der Hände, das Klappern der Castagnetten steigerte sich zu immer schnelleren Schlägen, die baskische Trommel klirrte unter den Händen der Spielleute, dann schienen Alle in tiefe Erschöpfung zu verfallen, – das Schauspiel war zu Ende.

Wir stiegen von den Abhängen des Sacro Monte hinab, bald deckten Abendschatten die Eingänge der Höhlen, die phantastisch geformten Cactusstauden entzogen das unterirdische Zigeunerdorf den Blicken, wir kamen in die engen Straßen von Granada zurück, zu unserem Gasthofe. Dort stellen sich täglich nach der Abendtafel auf vorherige Verabredung Zigeunergruppen, Tänzer, Spielleute, Sänger ein, um eine Vorstellung zu geben. Wer aber das Leben dieses halbwilden Völkchens in seiner Eigenart kennen lernen will, der muß es aufsuchen in seinen Höhlen am Abhange des Sacro Monte. Dort haust es seit der Zeit der Maurenherrschaft, dorthin kehrt es immer wieder zurück trotz aller Verfolgungen. Wie der Brombeere und den Disteln ist es ihm am wohlsten in culturlosem, mit Trümmern bedecktem Boden. Und den findet es an dem arabischen Albaycin.