Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Bilder aus Kansas
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 404–407
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[404]
Bilder aus Kansas.
(Nach dem Briefe eines deutschen Pioniers aus Cincinnati.)
Kansas und seine Einverleibung. – Größe und Ausbreitung. – Eine Stadt ohne Häuser und Straßen. – Ein Schlafzimmer ohne Wände. – Landschaftliche Bilder. – Civilisations-Grausamkeit. – Geschichte des „jungen Adlers“ und des „Wolfes.“ – Das Haus eines Literaten. – Die große Lebensfrage Amerika’s.

Der Krieg Englands mit Amerika hat, wie es scheint, ein Ende, ohne angefangen zu haben; aber der Bruderkrieg in Amerika beruht auf keiner Diplomatenmogelei und entwickelt sich substantiell aus feindlichen moralischen und socialen Interessen. Es ist der Krieg zwischen dem Norden und Süden, zwischen den Abolitionisten und Sklavenhaltern, der Baumwollen- und Zuckeraristokratie des Südens mit der stand- und klassenlos gemischten, handelnden und speculirenden Bevölkerung der ungeheuern Küste, die ihre mit Städten und Schiffsmastwäldern bedeckten Gestade der alten Welt zukehrt. Der Widerspruch und die Krisis zwischen dem Norden und Süden ist so groß, daß man längst behauptet, der Kampf könne blos in einer politischen Trennung der beiden Staatengruppen, in einer Auflösung der Union sein Ende finden. Begonnen hat der Kampf thatsächlich, begonnen hat die Auflösung wirklich. Die Gewißheit, mit der man auf die Wahl des ehemaligen amerikanischen Gesandten in England, Buchanan’s, eines Sklavereiprotectors und Demokraten, zum Präsidenten der vereinigten Staaten blickt, bringt die Krisis wahrscheinlich zum Kriege. Der eigentliche Kriegsschauplatz dieser beiden feindlichen Elemente streckt und breitet sich jetzt in gelinder Unendlichkeit im fernen Westen, dem neuen Einzelstaate der amerikanischen Republiken, Kansas.

Die Art und Weise, wie die Einverleibung dieser ungeheuren Ländermasse in die amerikanische Union bestimmt ward, brachte die lange vorbereitete Krisis zwischen dem Norden und Süden zum Ausbruch und ist schon in sich selbst ein Anfang der Auflösung. Die südlichen Sklavenstaaten sahen in Kansas ein unendlich weites, neues Feld zur Ausbreitung ihrer Sklavenställe. Der Norden marschirte zu Tausenden in diese große, blühende Wildniß, um sie den Sklavenhaltern streitig zu machen und für die gleiche Berechtigung aller Menschen und Farben zu gewinnen. Beide Parteien entwickelten gleich vom ersten Anfange den größten Eifer, da das Aktenstück, welches Kansas zu einem Staate der Union machte, die Bestimmung enthielt, daß er ein Sklaven- oder freier Staat, je nach der Majorität der Bewohner werden sollte. Diese Bestimmung lief gegen das Staatsgrundgesetz der Union. Wenigstens ist die sogenannte „Missuri-Vereinbarung“ (Missouri compromise) als ein Theil desselben zu betrachten. Diese Vereinbarung bestimmt nämlich, daß die Sklaverei nie über 36° 30’ nördlicher Breite und westlich über den Missuri ausgedehnt werden dürfe. Das Kansas-Territorium liegt aber weit über diese Grenzen hinaus. Wenn nun, wie es bis jetzt scheint, die Sklaveninteressenten in Kansas als Majorität den Ausschlag geben, ist der erste Schritt zur Auflösung der Union geschehen, gesetzlich-ungesetzlich gethan; denn sowohl das Missuri-Compromiß als die Bestimmung, daß Sklaverei oder Freiheit in Kansas von der Abstimmung der Bewohner abhängen solle, sind Akte des Congresses.

So wird das ungeheure Kansas-Territoriun, jetzt schon der eigentliche Kriegsschauplatz des Fundamentalzwiespalts der vereinigten Staaten, ein immer größeres historisches Interesse gewinnen. Auch abgesehen davon ist es als ein neues Stück Erde der neuen Welt, als blühende Wildniß eine erfrischende Neuigkeit, die ihre endlosen hügeligen Prairien- und Wälderdüfte erquickend herübersendet bis zwischen unsere polizeilichen Warnungstafeln, die jeden Graben und Feldweg, jedes Gräschen und Hälmchen unter Aufsicht und „in Ordnung“ halten.

Kansas dehnt sich von den Ufern des Missuri westlich bis Neu-Mexiko und Utah, den Schluchten und Abgründen der großen Felsenberge und von Texas und den indianischen Ländereien nördlich bis Nebraska, einer Art von zweitem Kansas, aus. Der östliche oder Missuri-Theil von Kansas umfaßt etwa 50,000 englische Quadratmeilen welligen, wohligen, üppigen Landes. In der Mitte dehnen sich endlose Weiden und Wiesen und im Westen schlummern unter Waldbergen unschätzbare Kohlen- und Mineralschätze. Das ganze Kansas-Territorium bedeckt einen Flächenraum von 120,000 englischen Geviertmeilen, die beinahe zu 130,000 werden, wenn man die wirkliche Oberfläche mißt. Diese besteht oft Hunderte von Meilen weit und breit in einem festgewordenen Gewoge von blühenden Thälern und Bergen, die also auf derselben geographischen Oberfläche viel mehr Terrain geben, als wenn berechnet nach der bloßen ebenen Ausdehnung. Ein Weg, der durch das Thor führt, ist allemal kürzer, als der, welcher uns nöthigt, über dasselbe hinwegzuklettern. Das Kansas-Territorium besteht aber zum größeren Theile aus solchen geschlossenen Thoren und Hügelwellen.

Bei der Unkenntniß, welche bis jetzt noch diese ungemessene künftige Welt verschließt, wäre damit vorläufig für eine Schilderung noch nicht viel anzufangen. Glücklicher Weise aber kam uns der Brief eines Deutschen in die Hand, der die Missionäre des Kansas-Vereins von Cincinnati, die Herren Boynton und Mason, auf ihrer Expedition zur Untersuchung des Landes und zur Organisirung des Widerstandes gegen die Sklavenhalterinteressen, 1854 und 1855 begleitete und einige interessante Detailschilderungen bietet.

Zuerst kamen die Missionäre der Freiheit von Missuri aus [405] durch ein Labyrinth der blühendsten Wildniß, die noch von keiner Civilisation berührt war, und dann in eine der originellen Uranfänge von Städten, die in Amerika unter dem Namen Squatter-Cities, Ansiedler-Städte, eine so merkwürdige Rolle spielen. Eine Squatter-City hat durchaus keine Aehnlichkeit mit andern Städten, sie ist nur der Embryo, die Chrysolide derselben: eine Stadt ohne Häuser, eine Stadt ohne Straßen, eine Stadt, wo noch nichts steht, eine Stelle, wo Wanderer und Pioniere Rasttag hielten und sagten: hier laßt uns Hütten bauen, hier laßt uns den Grundstein zu einer Stadt legen, die in 50 Jahren eine halbe Million Einwohner haben mag. Die Squatter-City, in welche unser Freund mit den Kansas-Verein-Bevollmächtigten kam, war schon getauft worden. Sie heißt Leavenworth und soll die künftige Hauptstadt von Kansas werden. Das erste Gebäude der Stadt war eine nackte Dampfmaschine, auf dem Grase unter freiem Himmel sich zunächst ihre eigenen Kleider aus dem Urwalde heraussägend. „Eine neugeborne, nackte Dampfmaschine“, sagt unser Freund, „aber schon in Arbeit, um sich Kleider zu sägen und sich unter Dach und Fach zu bringen.“ Die nächsten andern Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt bestanden aus vier Zelten, einem Fasse Branntwein oder Wasser unter einem Baume, einem Feuer mit einem Kessel an einer Stange darüber, und einer Druckerei im Freien mit einem Setzer, der eben damit beschäftigt war, die erste Nummer einer Zeitung zu vollenden. Sein Setzkasten ruhte auf vier Pfählen in die Erde getrieben, seine Druckerei stand in freier Luft ohne irgend eine Spur von vier Pfählen mit Wand, aber das Dach war desto prächtiger. Es bestand aus einer dichten, weiten, schattigen Baumkrone. – Als wir zurückkehrten, sah ich mich zuerst nach der Druckerei und dem Redaktionslokal der neuen Kansas-Hauptstadt-Zeitung um, fand aber blos einen Zettel am Baume, welcher meldete, daß Druckerei und Redaktion der Zeitung von „unter dem großen Ulmenbaume“ nach der Ecke von Broadway (des breiten Weges) verlegt worden sei. Broadway, Name der stolzesten, breitesten Straße von New-York, war in Leavenworth viel breiter, als irgend eine Straße der Welt, breiter und länger, als irgend eine Straße oder ein Stadttheil von London. Sie hatte keinen Anfang und kein Ende, die ganze Straße zeichnete sich dadurch aus, daß nirgend eine Spur von einem Hause zu entdecken war. Man dachte nur, daß „breiter Weg“ der beste Name für die Stelle sei, wo die wenigsten Bäume und Unebenheiten den Verkehr der Squatters störten und wo später vielleicht sich Hunderte stolzer Paläste in granitnen und marmornen Kolossen und in flimmernden Doppelreihen ansehen. Auch in seiner neuen Wohnung lebte der Redakteur, Eigenthümer, Setzer, Drucker und einzige „Mitarbeiter“ der Kansas-Staatszeitung noch sehr simpel und gemüthlich. Die ganzen Lokalitäten bestanden aus einem Hause ohne alle Wände, aber wieder einem desto majestätischeren Dache, einer Urwaldsbaumkrone. Sprechzimmer, Schlafstelle u. s. w. des Redakteurs war unter dem Setzkasten mit vier Pfählen, aber ohne vier Wände.

Merkwürdig, diese modernen Uranfänge der Civilisation! Früher bedurfte es Jahrtausende langer Entwickelungen, ehe man zur Presse kam. Jetzt fängt sie gleich mit dem Falle des ersten Baumes, mit der steigenden Rauchsäule des ersten Kochfeuers zu arbeiten an, wie der Dampf, dieser Dämon der riesigsten, modernsten Kultur-Revolution. So steigen in Amerika in wenigen Wochen, als früher Jahrzehende dazu gehörten, Städte aus dem Urwalde empor mit Dampfmaschinen, Pressen, Freiheiten, von denen die Bewohner alter deutscher Städte heimlich als von einer fernen Zukunft träumen, als den ersten Begründern dieser neuen Siedelungen.

Gleich auf den ersten Wanderungen durch Kansas kamen unsere Reisenden in Gemälde und Landschaftsbilder hinein, neu und abwechselnd in jedem Momente und schon in jeder Wendung, wie wir’s früher nicht für möglich gehalten. Niemand kann sich eine Vorstellung von den Kansas-Prairieen machen, der etwa die von Indiana oder Illinois gesehen, wie auch Leute aus Iowa behaupten, daß keine Art von Prairieen in der Welt zu einer Vorstellung der ihres Landes führen könne. Es fehlt die Majestät der Gebirge und großer Flüsse und Seen. Es fehlt an Farbeneffecten.

Keine Spur von menschlicher Thätigkeit und Ansiedelung, als ein nur schwer zu entdeckendes Indianerdorf, aber Alles trug das Gepräge der höchsten Landschaftskultur oder sah aus, als wäre die ausgesuchteste Landschaft eines Malers in Fleisch und Blut umgewandelt worden. Die grünen Wiesen und Weideplätze dehnten sich über die äußersten Grenzen der schärfsten Sehweite aus. Aus dieser saftigen, neue Lebenskraft athmenden Unendlichkeit erhoben sich in malerischer Unordnung und Gruppirung Gartenanlagen und Haine und Parks, deren unendlicher Reiz uns unbewußt, wohl darin bestand, daß sie dem Charakter der unberührten Schöpfung der Natur das Gepräge der höchsten Kultur von Lust-, Küchen- und Obstgärten, von aristokratischen Parks und Lusthainen aufdrückten und so zwei entgegengesetzte landschaftliche Stimmungen vereinigten, nicht minder in den graziösen Linien und Schönheitswellen der Hügel und Höhen, die sich zu beiden Seiten in’s Unendliche hin schlängeln, hier kühn und muthwillig, dort sanft und fließend, aber stets in wunderbarer Harmonie zu der üppigen Ruhe und Heiterkeit des Thales.

Der allgemeine Charakter der Oberfläche von Kansas ist Hochprairie, welliges, endloses Tafelland mit Hauptneigungen in südlicher und südöstlicher Richtung, im Einzelnen aus einer Fülle von Gestaltungen und Formen, die vereinigt und in Harmonie gebracht durch rundliche, fließende Grenzlinien, ihren ewigen, frischen Reiz in diesem Geheimniß der größten Einfachheit der Grundformen bei unendlichem Reichthume der Variationen dieses einfachen Thema’s zugleich verhüllen und entfalten. Kegelförmige Höhen steigen manchmal bis etwa hundert Fuß, wie vom Mathematiker gezeichnet, über das untere blühende Wellensystem empor. Einige davon sieht man am klaren Horizonte über 100 englische Meilen weit. Sie bilden ruhige Anhaltpunkte für das sich weidende Auge. Daneben bieten hohe Flußufer mit oft seltsam steil emporsteigenden Wänden unermeßlichen Spielraum für die Phantasie, der diese Wände und Wälle bald wie riesige Festungswerke und Thürme mit Parapeten und Armeen, bald wie das Aufschimmern ferner, volkreicher Städte erscheinen läßt. Zuweilen senkt sich die Prairie sanft aus dem Flusse hinunter in Abhängen von mehrmeiliger Breite, auf denen sich der zukunftoffene Blick unwillkürlich Reihen der schönsten, blühendsten Meiereien, Dörfer und Städte ausmalt. Sie sind dazu wie geschaffen. Wie oft habe ich gedacht, sie seien schon da. Sah ich doch die Gärten, Wiesen und Weiden derselben. O es ist eine seltsame, träumerische, mystische Erinnerung! Wie heimlich und heimathlich lächelten uns oft endlose Ausdehnungen an. Und wie wehmüthig und unheimlich überrieselte es mich, wenn wir Tage lang, Wochen lang in allen diesen üppigen, gemüthlichen Thälern und hinter diesen schönen Hügelwellen niemals einem lebenden Wesen begegneten und ich mich unwillkürlich in das künftige Jahrhundert versetzte, in welchem hier vielleicht Millionen freudiger, rühriger, wohlhabender Menschen aufwimmeln; wie ich mich niemals des Gedankens erwehren konnte, daß hier einst ein zahlreiches, gebildetes Menschengeschlecht gelebt und diese schöne Natur cultivirt und genossen haben müsse.

Am „großen Blauen“, wie die Indianer einen Hauptnebenfluß des Kansasstromes nennen, zwischen Lusthainen und Grotten auf beiden Seiten, unter dem süßen Gezwitscher der Vögel, zwischen denen Eichhörnchen lustig umherspringen und Nüsse fallen lassen, dicht neben Wachteln und Prairiehühnern, die aus Buschwerk hervorlaufend neugierig und furchtlos die niegesehene Menschengestalt anstaunen, war es mir oft trotz unzähliger Täuschungen, als müßt’ ich plötzlich zwischen Gärten und Kornfelder treten und freundliche Villen und Dörfer finden mit spielenden Kindern vor den Thüren und Rauchwolken aus den Schornsteinen und einem Zifferblatte am Kirchthurme und Glockengeläute zu abendlicher Ruhe. Aber Leute und Häuser und Tempel und Kornfelder sind verschwunden. Durch die üppige, vereinsamte Natur schweifen nur noch einzelne dünne Stämme eines untergegangenen hochkultivirten Geschlechts, das einst diese Bergkegel und Festungswälle baute, furchtbar den Feinden und streng in häuslichen Sitten und Gewohnheiten, wie man aus denen der noch lebenden Indianer schließen muß. Ah, was für Reiter und Ritter sind sie jetzt noch.

Der Kansas-Indianer reitet in einem Zirkel um seinen Feind, nach Außen auf seinem Pferde liegend, mit dem linken Fuße sich am Rücken desselben festhaltend, mit dem linken Arme des Pferdes Hals umspannend und den Bogen haltend. So im Zirkel reitend und geschützt vor dem Feinde [406] durch das Pferd, schießt er Dutzende von Pfeilen unter dem Halse des Pferdes hervor auf die Feinde, die außerdem durch furchtbares Gellen und Schreien verwirrt diesem Pfeilregen wehrlos unterliegen. Am unerbittlichsten und wüthendsten sind sie gegen die Weißen, in denen sie ihren Untergang ahnen und welche in großen Wanderschaaren nach Californien ziehend den Besteuerungstrieb dieser Eingebornen in der Regel im kürzesten Prozeß kühlen. Der in civilisirten Ländern organisirte Eingangs- und Durchgangszoll wird blos entrichtet, weil die einzelnen Kauf- und Handelsleute zu schwach sind, sich gegen diese organisirten Angriffe auf ihr Eigenthum zu wehren. Den Indianern gestehen die starkbewaffneten Californien-Wanderer dieses Durchgangszollrecht nicht zu und schlagen es deshalb zurück, wie sie können, z. B. auf folgende Weise.

„Ein langer Californien-Zug von Wagen, Reitern, Ochsen, Mauleseln und Menschen kam eines Morgens in der Gegend der Pawnee’s (wie die Kansas-Indianer heißen) vorn in’s Stocken, so daß die Nachzügler bald näher kamen. Bald verbreitete sich die Nachricht durch die ganze Länge des Zugs, daß eine Heerde Pawnee’s die Weiterreise nur unter der Bedingung eines Tributs an Vieh gestatten wollten. Alle Bewaffneten eilten mit ihren Büchsen herbei und bildeten so in kurzer Zeit den Indianern gegenüber eine respectable, geschlossene Macht. Die Pawnee’s, um ihren Häuptling versammelt, forderten eine Abgabe. Sie ward barsch verweigert und ihnen befohlen, sich zu entfernen. Dies thaten sie auch, mit Ausnahme des Häuptlings, der sich stolz näherte und die Fliehenden zurückzurufen versuchte. Er fiel sofort von 15 Kugeln durchbohrt. Von den Fliehenden fielen über funfzig und selbst die, welche durch den benachbarten Platte-Fluß zu entkommen suchten, wurden noch zum Theil im Wasser erschossen.“

Eine muthwillige, ekelhafte Grausamkeit der Civilisation gegen die Barbarei, die wenigstens in diesem Falle nicht viel besser, als in der Form eines Bettlers auftrat. Außerdem glaubten sie wohl ein Recht auf Durchgangsabgabe zu besitzen, aber da sie dieses Recht nicht weiter geltend machten, warum Fliehende erschießen?

Das Leben und die sittliche Anschauungsweise der Pawnee’s tritt in ganzer Eigenthümlichkeit drastisch und dramatisch aus folgendem Erlebniß unseres Freundes hervor. Er erzählt es in seinem Briefe ausführlich. Wir geben es in den wesentlichsten Zügen.

„Am Fuße eines jener Kegel-Berge, welche das Land charakterisiren, lebte ein Häuptling mit seiner jungen, schönen, edelherzigen Tochter, um deren Gunst die tapfersten und kühnsten Jünglinge eiferten. Sie ward bald von dem „jungen Adler“ gewonnen, dem sie auch in treuherziger Offenheit das Geheimniß ihres Herzens offenbarte, wie sie gegen die andern Bewerber kein Hehl davon machte. Unter Letzteren fühlte der „raubende Wolf“ den Stachel der Eifersucht und Rache am tiefsten, und schärfsten; aber er ging schweigend und finster um den „jungen Adler“, mit welchem er oft auf der Buffalo-Jagd freundschaftlich gewetteifert, und gab seinem Groll unter finsterer Braue keine Worte. Der junge Adler und seine Braut trafen sich oft an hellen Mondabenden auf dem Berge, um sich ihres Herzensglückes ungestört zu freuen. Eine Seite des Berges ist 30 – 40 Fuß hoch beinahe perpendiculär aufsteigende Felswand. An deren Rande oben zieht sich ein Fußweg mit einigen Sandsteinblöcken hin. Auf einem derselben saß der junge Adler mit einem Revolver, dem theuer erkauften Artikel von einem Weißen, denn er war vor dem „raubenden Wolfe“ öfter gewarnt worden. Er wartete auf seine Taube. Plötzlich raschelte es in den Büschen hinter ihm. Er sprang freudig auf. Statt der strahlenden Augen seiner Taube aber blitzte ein Tomahawk im Mondschein vor seinen Augen. Die Blicke der Feinde verdunkelten den sanften Strahl des Mondes.

Sie rangen auf Leben und Tod am Abgrunde, wobei sich der Griff des Tomahawk im Gürtel des „Wolfes“ umdrehte, so daß er ihn mit dem gewohnten Griff nicht zog, und der junge Adler sofort mit der freigewordenen Hand seinen Revolver in das Herz des Feindes abdrückte. Mit einem Augenblitze des brennendsten Hasses sank er zusammen und ward von dem Sieger den steilen Abhang hinuntergestürzt, wobei er alle Schüsse des Revolvers ihm nachfeuerte. Noch nicht gesättigt in seiner Rache stieg er hinunter und zog dem Gefallenen die Kopfhaut ab.

„Jetzt erhob sich die Rachepflicht der Familie des Gefallenen vor ihm. Der Sitte seines Stammes gemäß mußten die Angehörigen des Gemordeten dessen Blut am Mörder rächen. Gelang es dem Letzteren, den Rächern beim ersten Angriffe lebendig zu entkommen, stand es diesen frei, eine Buße, ein Lösegeld von ihm anzunehmen. Der Adler nahm also seine Stellung auf der Spitze des Berges zwischen Gebüsch, wo er, verborgen, jeden Nahenden sehen konnte. Seine Waffen, sein Muth, ein scharfer, kluger Hund und die Liebe seiner Braut waren seine Verbündeten. Der Bruder des „Wolfes“ schlich sich Tag und Nacht um die Festung des Adlers, aber er konnte sich nicht nähern, ohne von dem Hunde schon in der Ferne angemeldet zu werden. So verfiel er endlich auf eine List. Er studirte Gang, Mienen und Kleidung des jungen Weibes seines Feindes, das ihm alle Tage Nahrung und Trost hinaufbrachte, und in Nachahmung und Kleidung dieses Weibes gelang es ihm eines Nachts, sich dem Adler bis auf wenige Schritte zu nähern, ehe der Hund sein freudiges Wedeln plötzlich in das fürchterlichste Gebell der Wuth verwandelte, ihn bei dem Halse packte und niederwarf. Der junge Adler entwaffnete seinen Feind und band ihn. Aber von einem Gefühle der Großmuth ergriffen, gab er ihm Waffen und Freiheit wieder und stellte sich den folgenden Tag dem Gerichte seines Stammes. Dieses versammelte sich auf einer großen Ebene in der Mitte unzähliger Zeugen. Der „Adler“ ward unbewaffnet hereingeführt. Neben ihn legte der Richter ein Messer, mit welchem er von Rechtswegen erstochen werden sollte, wenn das von ihm gebotene Lösegeld nicht angenommen ward. Neben ihm saß sein schönes Weib, Hand in Hand mit ihm. Ihnen gegenüber dicht vor dem Messer nahm die Familie des erschlagenen Wolfes ihre Sitze, mit dem alten Vater an der Spitze. Es ward eine rothe Decke über den Boden ausgebreitet, Zeichen, daß noch ungesöhntes Blut vergossen, darüber eine reine blaue, Zeichen der Hoffnung, daß das Blut möge ausgewaschen werden im Himmel und vergeben, darüber eine reine weiße, Zeichen des Wunsches, daß weder im Himmel noch auf Erden ein Flecken Blut unausgetilgt bleiben und solch’ ein Flecken überall vergeben und vergessen werden möge. Der Aelteste des Stammes sprach diese Worte, während die rothe, die blaue und die weiße Decke über einander auf dem grünen Rasen ausgebreitet wurden.

„Die vielen Freunde des jungen Adlers häuften Sühnegaben auf diesen Decken vor den Augen des Vaters des Ermordeten. Er betrachtete sie schweigend und ruhte dann mit stechenden Augen auf dem blitzenden Messer. Das schöne Weib des Adlers schlang ihre Arme um den Gatten und sah fest und mit stummer, vorwurfsvoller Bitte in das Gesicht des Alten, der seine nach dem Messer ausgestreckte Hand zurückzog, als er diesem schönen Frauenblick begegnete. Wie viele Männer würden in ihrem Rathe die Hand vom zweischneidigen „Gesetze“ zurückziehen, wenn edler, weicher, strafender Frauenblick ihr kaltes Auge träfe! Die Lippen des Alten zitterten, eine Thräne trat in sein Auge. „Vater“, rief jetzt der Sohn, „er schenkte mir das Leben, das in seiner Gewalt war!“ Der Alte verhüllte sein Gesicht. „Ich nehme die Sühnegaben an“, rief er; „das Blut meines Sohnes ist weggewaschen. Ich sehe keine Blutflecken mehr auf der Hand des Adlers und er soll an der Stelle meines Sohnes sein.“

Das junge schöne Weib umfaßte dankend die Knie des Häuptlings. –

Das Innere von Kansas gehört zur großen amerikanischen Wüste, die sich 250 Meilen breit zwischen den westlichen und östlichen Staaten dehnt, aber der zu Kansas gehörige Theil ist reich an herrlichen Oasen, wie unser Freund aus eigener Anschauung versichert, und dadurch den Angaben aller frühern Autoritäten entgegentritt. Diese Oasen sind aber noch ganz unbewohnt, und selbst die entzückendsten, üppigsten Theile hatten zu Ende des Jahres 1854 nur erst eine sehr dünne Bevölkerung und 50 bis 103 Meilen auseinander liegende kleine Ansiedelungen und Squatter-Cities. Wie sich einzelne Familien dort einrichteten, davon gab ein gebildeter Literat mit seiner aus den feinsten Cirkeln Ohio’s entführten Frau ein hübsches Musterbild.

„Einige Meilen hinter Tecumseh, einer indianisch-anglosächsischen Misch-Ansiedelung, erreichten wir das Haus eines Literaten, dessen „Briefe aus Kansas“ in amerikanischen Zeitungen viel Aufsehen erregen. Wir fanden blos seine Frau zu Hause, d. h. [407] in einem Hause ohne Fußboden, ohne Thür, ohne Fenster und ohne Dach. Bloße Wände von Brettern mit einigen Oeffnungen und Stangen darüber, welche Prairiegras als Dach trugen. Unter dieser Decke standen ein Bett, einige Haus- und Küchengeräthe, ein Tisch und eine Kommode. Das war die Heimath eines gebildeten Kansas-Pioniers und seiner feinen Dame. Beide hatten die Freuden und Leiden der Civilisation freudig aufgegeben, um freudig an dem großen Kampfe für die Freiheit gegen die Sklavenhalter-Aristokratie Theil zu nehmen.“

Nach den letzten Nachrichten war das ganze Kansas-Territorium in einem Zustande, nach welchem der Ausbruch eines Bürger- und Prinzipienkrieges unvermeidlich erschien. Wir werden also wohl mehr davon hören, und haben deshalb die Aufmerksamkeit zu guter Zeit auf jene neue Welt des innern Westens gezogen. Die beiden Parteien waren schon zu einigen Collisionen mit Waffen gekommen. Die große, bewaffnete Lebensfrage Amerika’s hat sich inzwischen auch über andere Länder der vereinigten Staaten ausgebreitet. Wer kann sagen, wie der Bürger- und Prinzipienkrieg auslaufen wird? Wenn die Wahl Buchanan’s zum Präsidenten durchgesetzt wird, mögen die Knownothings und die Aristokraten, Offiziere und Vornehmen, welche alle aus den Familien der Sklavenbesitzer stammen, sich des Sieges rühmen, aber eines Sieges, für welchen Amerika vielleicht mit dem Verluste seiner ganzen politischen Formation wird büßen müssen.