Besuch eines Kohlenbergwerks in Süd-Wales

Textdaten
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Titel: Besuch eines Kohlenbergwerks in Süd-Wales
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 23–24
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Besuch eines Kohlenbergwerks in Süd-Wales.

In England sind die Leute, welche Geld und Geschäfte haben, fast immer auf Reisen. Die Kaufleute der City, selbst Arbeiter, fahren jeden Morgen in’s Geschäft und um fünf Uhr zurück. Jeder, der Zeit und Geld sparen will, fährt in London mit Eisenbahn, Dampfschiff, Omnibus, auch wenn er keinen ganzen Fetzen am Leibe hat. Die Aristokratie reiset immer zwischen ihren verschiedenen Wohnungen umher. Nach dem Parlamente im August fliegt Alles, was respectabel sein will, aus nach Schottland, Wales, Spanien, an den Rhein, am Nil hinauf, nach Amerika, in eine der vielen Inseln und Colonien u. s. w., und darf sich respektabler Weise nicht eher wieder in London sehen lassen, als um die Zeit, wann das Parlament wieder eröffnet wird. Wer eher zurückkommt, gehört nicht zu den „obersten Zehntausend“ und ist kein „Gentleman“ ersten Ranges. Das Reisen ist nach englischen Begriffen im Durchschnitt sehr billig, und wird durch keine Spur von Paß und Polizei belästigt. Dies kommt Jedem und dem ganzen Lande zu Gute, da Bewegung Leben und Gesundheit ist, und alle Locomotivinstrumente und Wagen in dichten Reihenfolgen und Begegnungen Menschen und Waaren lustig durcheinander mischen, und Geld und Gut in stets frischem Flusse von Hand zu Hand strömen. In England bleiben die Leute ruhig, weil sie sich ohne Paß und Polizei frei bewegen können. Anderswo sucht man durch Erschwerung und Controle der ruhigen Bewegung böses Blut und unzufriedene Köpfe in einer Art von Gefangenschaft zu halten, und gibt dadurch Veranlassung zu allgemeiner Unzufriedenheit auch der gutgesinnten Bürger, hindert und hemmt dadurch die leichte Circulation der Säfte, welche auch böses Blut absorbirt und so just die öffentliche Ruhe und Zufriedenheit fördern würde. Daß die englische Politik in dieser Beziehung die praktischere ist, begreift sich leicht und wird durch Thatsachen, durch die ganze Geschichte bestätigt.

Ohne irgend Jemanden zu fragen, als meine Casse, fuhr ich eines Morgens auch davon nach Wales hinüber, wo ich schon einmal gewesen, wie eine frühere Nummer der Gartenlaube beweist, um zwischen den Gebirgen und Tiefen dieser romantischen Gegenden auf bessere Gedanken, in bessere Luft, zu stärkeren Nerven zu kommen, und zugleich eine Höllenfahrt 10 bis 15 Millionen Jahre tief in die Geschichte der Erde zu machen. Zu letzterer führte mich freilich blos ein Zufall; doch halte ich diese Fahrt so sehr für das Haupterlebniß meines Ausflugs, daß ich sie ausschließlich zu schildern versuchen will. Nicht Jeder kann sich so tief in die geologischen Geschichtsschichten der Erde versenken, so daß eine imaginäre Fahrt mit Hülfe meiner Schilderung einen Ersatz für die wirkliche bieten mag.

Die Kohlenminen von Süd-Wales sind weltberühmt, sowohl wegen ihrer Tiefe, als ihres reichen Ertrags und der meisterhaften Technik ihrer Bearbeitung, so daß Explosionen und sonstige Unglücksfälle, in andern Kohlendistricten noch so häufig, hier seit Jahren nicht mehr vorkommen. Mit einem hohen Grade von Zuversicht zogen wir uns deshalb die Uniform der Unterwelt an, die man uns bot: starkes blauwollenes Zeug vom Kopfe bis zum Fuße. Auf die Frage, warum wir diese wollene Uniform anziehen müßten, hieß es: sie brennt nicht so leicht im Falle eines Feuers, einer explodirenden Gasmasse. – Wir sahen uns gegenseitig etwas bedenklich an, doch wollte Niemand Mangel an Muth verrathen, so daß wir kühn vor die Haupthöhle schritten und unsere Davy-Lampen in Empfang nahmen. Ich fragte unsern Führer, ob Explosionen noch sehr häufig vorkämen.

„Kein Gedanke,“ antwortet er, und bleibt vorwurfsvoll stehen. „Jede Minute ziehen 90,000 Cubikfuß frische Luft durch die ganze Mine in zehn besonderen Zügen ein und aus. Jedes Winkelchen und Ritzchen wird fortwährend rein ausgefegt, so daß keine Spur bösen Wetters sich irgendwo festsetzen kann.“

Dadurch etwas getröstet, bleiben wir am Haupteingange stehen, in welchem dicke Lederriemen sich mit furchtbarer Schnelligkeit bewegen, und große Käfige oder Tramen im Nu hier herauf-, dort hinunterrollen. Dies wechselt fortwährend alle Minuten, hier Leute und Kohlen herauf an’s Tageslicht reißend, dort erstere eben so schnell versenkend. Wir sind reisefertig und treten in den stillhaltenden Käfig. Unser Führer schreit etwas Unverständliches, und wir stürzen in den Abgrund mit Eisenbahngeschwindigkeit. Es donnert und wirbelt und saust um unsere Ohren, wir fühlen einen stark zunehmenden Druck gegen Augen, Nase, Kopf, den ganzen Körper, so schnell nimmt die Dichtigkeit der Lust zu. An uns vorbei sausen Leute in die Höhe (über 300 täglich auf und ab), schwere Kohlenlasten und fürchterliche Schreckbilder, die uns grimmig von allen Seiten anzustarren scheinen. Nach etwa einer Minute, eine furchtbar lange Zeit für uns – geht unser Korb oder Käfig plötzlich langsamer und hält mit leisem Stoße auf dem Boden unten, der vor so und so viel Millionen Jahren einst üppig waldige Erdoberfläche war. Feuer- und Wassereruptionen und in’s „Meer der Ewigkeit“ fluthende Zeitströme liefen und lagerten sich darüber hin und drückten die colossalen Farrenwälder zu Steinkohlenschichten zusammen, aus denen die gegenwärtige Menschheit Leucht-, Heiz- und Maschinentriebkraft bezieht.

Wir sind auf dem Abgrunde angekommen, einem großen, hallenartigen Raume mit unheimlich aus der Dunkelheit flickernden Wänden und verschiedenen Thüren und Oeffnungen. In eine derselben weiter geführt, passiren wir Züge von Kohlen auf Schienen und leere Wagen in entgegengesetzter Richtung, die sich in der Mitte unter dem schnurgerade heruntersteigenden Hauptschacht in aufsteigende Luftwaggons entluden. Letztere rollen ununterbrochen nach der Oberfläche, während dieselbe Dampfmaschinenkraft stets ebenso viele leere herunterwirbelt. Das unheimliche, dunkele, von einzelnen Lampen strichweise beleuchtete Donnern und Hämmern, Rollen und Rutschen, wovon man die Triebkräfte nicht sieht, und das sich doch so sicher und ordentlich abwickelt, veranlaßt uns zu der Frage:

„Wie viel Kohlen schafft Ihr täglich hinauf?“

„Durchschnittlich 12,000 Centner täglich,“ antwortete der Führer.

„Und wie groß ist das offene Aderwerk hier unten?“ „Voriges Jahr waren’s 200 Morgen, jetzt aber bedeutend mehr.“

Dabei werden wir in eine Art von Kajüte mit Stühlen ringsum geführt und gebeten, uns niederzulassen, bis wir „unsre Augen [24] wieder bekommen“, wie sich der Mann ausdrückt. Um dabei auch etwas wissenschaftliche Einsicht zu bekommen, fragen wir den Mann bald nach Diesem, bald nach Jenem.

„Wie macht ihr’s eigentlich, um aus diesen engen Gängen und Schluchten jährlich beinahe 2000 Tonnen Kohlen zu ernten?“

Er zeigt mit dem Daumen rückwärts auf einen eckig hervorragenden Felsen und erwidert:

„Wir treiben durch die verschiedenen Strata (geologischen Schichten) und durchschneiden dabei die einzelnen Kohlenbetten. In der jetzigen Tiefe haben wir 21 solcher Betten innerhalb einer Dicke von 600 Yards durchschnitten. Dies sind die weit berühmten unteren Lager von Süd-Wales, mit welchen alle die großen Kohlen- und Eisenbetten von Wales parallel liegen. Hier haben wir bis jetzt Kohlenschichten von 72 Fuß Durchmesser zusammen; 61 Fuß davon vertheilen sich in Betten von je 3 Fuß und mehr. Jeder Fuß Kohle, über einen Morgen ausgedehnt, enthält ungefähr 1500 Tonnen. Zwar sind sie nicht alle verwerthbar, wenigstens bis jetzt nicht, doch sind’s immer Kohlen, die mit wohlfeileren Erhebungsmitteln noch verkäuflich sein werden. Wenn die Lager oder Betten sich gut flach und eben ausbreiten, so daß wir gleich nach allen Richtungen hineinarbeiten können, bekommen wir auch manchmal 1000 Tonnen los und in die Höhe.“

Auf die Frage, wie es mit der Unverwerthbarkeit mancher Kohlenbetten stehe, gibt er mir folgende Auskunft:

„Für unsereinen hier unten sind sie alle so ziemlich gleich, aber oben beim Verbrennen nicht. Da hab’ ich ein Bischen weiter oben ein Bett, das hat eine zu feste Decke, die nicht losläßt von den Kohlen. Wenn die Leute oben nun Kohlen aus diesem Stratum bekommen, so schreiben sie: I, da habt ihr mir ja nichts geschickt, als Steine! Andere Kohlenschichten enthalten zu viel Schwefel, die, in Haufen gelassen, sich leicht von selbst entzünden. So müssen wir sie liegen lassen. Wenn nicht, schreibt uns der Händler oder Consument: Na, da habt ihr mir ja Kohlen geschickt, die rosten wie ein altes Hufeisen und fortwährend begossen werden müssen, um sie schwarz zu halten. Ein Anderer drückt sich manierlicher aus und schreibt: Sie haben mir keine Kohlen geschickt, sondern Schlacken! – Kohlen aus wieder andern Betten geben zu viel Asche, noch andere sind zu „frei“ und wollen nicht zusammenhalten, wieder andere haben Scheiden in sich. Kurz, Gentlemen, Sie können’s mir glauben, die rechte Sorte von Ding ist nicht so leicht zu haben.“

„Was sind das für Scheiden, die manche Lager in sich haben?“

„Scheiden, Sir? Ja, daran erkenne ich die Ansicht der Oberwelt. Sie denkt, die Kohlen liegen so nur eben da, solid und einig. Weit davon wird’s erst richtig. Es gibt sehr selten Schichten ohne dazwischen sich hinziehende andere, fremde Substanzen, größtentheils parallel mit deren Ebene und durchweg, manchmal blos ’n Messerrücken dick, manchmal ’n Fuß oder ’n Zoll, wie’s sich eben findet. Dann kommen auch mitten in der Schicht Eisensteine und „shale“[1] vor und dann verkaufen sie sich besonders schlecht. Manche Scheidungen sind klafterndick und machen aus einem Bett zwei. So hat unsere Arbeit manche Schwierigkeit.“

„Und wie arbeitet man denn nur eigentlich?“

„Das ist verschieden, Gentlemen! Hauptsächlich doppelt, nämlich: „stall and pillar“ das ist eine Art, und dann „long wall“. Die Abstallungs- und Säulenmethode (stall and pillar) besteht darin, daß man blos einen Theil der Kohlen aushackt und die übrigen in Säulen und Abtheilungen zur Tragung der Erdrinde darüber stehen läßt, bis rückwärts gearbeitet wird. Dann schlägt man nämlich das Säulen- und Tragewerk los und läßt, retirirend, die ausgebeuteten Höhlungen zusammenfallen. Solche Districte heißen dann goafs. Die Lange-Wand-Methode (long wall) schafft die benutzbaren Kohlen alle auf einmal weg, so daß auf beiden Seiten lange Wände entstehen, welche die Höhlung in natürlichen Bogen tragen. Für beide Arten der Bearbeitung ist es nothwendig, den Boden in ebenen Driften zu halten, mit Eisenschienen zu belegen und die Kohlen so zu entfernen. Diese ebenen Driften sind zugleich Luftwege der ganzen Mine, neben welchen die Wasserwege besonders angelegt werden.“

Unser Mentor und Führer, der während der Zeit fast stets an dem Dochte seiner Davy-Lampe herumdoctert, fordert uns nun auf, ihm weiter zu folgen, da er voraussetzt, daß wir nun unsere Augen für die Unterwelt bekommen haben. Ganz gewiß. Wir hätten eine Nadel auf dem Boden gesehen. Wir folgen ihm gebückt.

„Keine Furcht für den Kopf,“ ruft er. „Wir haben hier 10 Fuß Höhe und 7 Breite. Das ist unsere Hauptluftstraße, durch welche jede Minute so etwa 70,000 Cubikfuß Luft passiren, auch unsere Hauptstraße durch die Strata und an ihnen entlang. Die Luft wird von hier aus in verschiedene Districte abgeleitet, hindurchgetrieben und durch den Luftschornstein wieder nach oben geführt. Jeder District hat am Ende einen Regulator oder eine Fallthür, durch deren Oeffnung oder Schließung mehr oder weniger Luft von der Hauptstraße weg eingesogen wird.“

„Nun beachten Sie die verschiedenen Strata. Auf dem Wege durch diese Drift können Sie nicht weniger als 133 verschiedene Blattungen derselben bemerken, außerdem 21 Kohlenadern innerhalb 320 Vertical-Yards des Bodens. Die Hauptbestandtheile zwischen diesen Adern nennen wir Clift, der, pulverisirt und dem Wetter ausgesetzt, zu thonigem Schmutz wird. Dazwischen kommt Gestein vor, das, seiner Bindemittel beraubt, zu Sand zerfällt. Auch ziehen sich Betten von Eisengestein hindurch und jedes Kohlenbett steht überall auf einer Schicht von Feuerthon, worin man überall Fossilien findet, die unter dem Namen stigmaria bekannt sind. Das ganze Kohlengebiet hier ist nach Ermittelung der Geologen 2000 Klaftern dick; doch enthält es in den oberen Lagen zu viel Clift, in den mittleren zu viel Sandstein.“

Während dieses Vortrages sind wir mitten in das eigentliche, bearbeitete Kohlenlager gekommen und bemerken mit Staunen dessen ungeheuere Dicke, die sich durch ein glitzerndes Meer von schwarzem Glanze abzeichnet. Zwölf Fuß dick solide Steinkohle. Die Pickäxte der Arbeiter ertönen daran wie lustige Hochzeitsglocken, so metallisch dicht ist die ehemalige grüne Vegetation krystallisirt und zusammengedrückt worden. Man mißt uns die volle Dicke des Lagers, zeigt uns die Scheiden, Geklüfte und Geschiebe dazwischen, das Dach oben und das Thonbett unten. Die „Verdienste“ des Lagers werden geschildert, wie Tugenden eines lieben Freundes, doch wird das benachbarte Lager, obwohl nur 8 Fuß dick, nicht vergessen. Man räumt ihm sogar einige Vorzüge vor seinem dickeren Nachbar ein. In den verschiedenen Driften umherwandelnd lernten wir auch manche Abstallungen und Brattices kennen. Letztere bestehen aus Röhren von zusammengenagelten Bretern, durch welche die Luft gezogen und gedrückt wird, um sie in die fernsten Winkel zu leiten und jedes böse Wetter im Entstehen zu verjagen. Endlich stehen wir vor einem ungeheuern Feuer.

„Wie,“ rief Einer von uns, „fürchtet man sich nicht, mit dieser mächtigen Flamme die Kohlen zu entzünden?“

„Hat nichts zu sagen, unsere Luftwege und Gegenbogen sind Schutzes genug.“

Wir können’s kaum vor dem Feuer aushalten: ein Stück Dante’sche Hölle, ein Meer von Flammen und dicken Rauchwallungen in unbekannte Finsternisse verzinkend und grimmig hineinleuchtend in dicke Nacht der tiefen Unterwelt, aus einem gemauerten Ofen mit einem Schaft von 500 Fuß Höhe. Das so im schärfsten Zuge weißglühende Feuer ist der eigentliche Ventilator und zieht stets fabelhafte Massen Luft aus der Oberwelt hinunter durch alle Adern und Driften und mit allen Spuren gefährlichen Gases wieder herauf. Mit Stolz und Freude zeigt man uns an der Hoflosigkeit um enthüllte Davy-Lampen, daß die Luft nicht „geladen“ ist und also auch nicht losgehen kann. In einem entlegenen Winkel wird uns der „Hof“ um die geschirmten Flammen gezeigt und unser Freund ruft in die unheimlich umdunkelte Flamme hinein:

„Nun, Gentlemen, sehen Sie, was eine Davy ist. Ohne diese Umschirmung der Lampe wären wir jetzt schon versengte und verstümmelte Leichen.“

Das klingt sehr ungemüthlich, so daß wir eilen, wieder in einen der fortwährend auf- und abschnurrenden Tramen zu kommen und mit sausender Geschwindigkeit emporzufliegen auf die Erde und ihr herrliches Tageslicht, an welches wir uns freilich auch erst wieder gewöhnen mußten, so sehr drückte dessen helle Fluth auf unsere Augen und alle Nerven.


  1. Ich habe vergessen, was er damit meinte, und fand auch unter Engländern der Oberwelt keine klare Auskunft darüber.