« Kapitel B 15 Beschreibung des Oberamts Vaihingen Kapitel B 17 »
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Rieth,
Gemeinde III. Kl. mit 386 Einw., wor. 4 Kath. – Evang. Pfarrei; die Kath. sind nach Hohen-Asberg eingepfarrt.
In dem engen, tiefeingeschnittenen Strudelbachthale liegt zwischen steilen, mit Reben bepflanzten Gehängen, die ganze Breite der Thalebene ausfüllend, das nicht große, etwas weitläufig gebaute Pfarrdorf, dessen meist kleine Wohnungen freundliche, durch Obstgärten unterbrochene Gruppen bilden; einige innerhalb und ganz in der Nähe des Orts stehende, schönwüchsige Linden gereichen dem still gelegenen Dorf zur besonderen Zierde und tragen zu der ächten Ländlichkeit desselben Vieles bei. Am südwestlichen Ende des Orts steht das den Grafen v. Reischach-Rieth gehörige ansehnliche Schloß mit je einem runden Thürmchen an den vier Ecken und noch namhaften Überresten des ehemaligen Burggrabens. Das Gebäude hat überhaupt, namentlich im Innern, noch manches Alterthümliche, und erinnert durch seine Bauart lebhaft an die ehemalige Ritterburg. Im Hofraum steht ein ansehnliches Öconomiegebäude, und außer dem ummauerten Schloßgarten ist ein weiterer, ebenfalls zum Schloß gehöriger Garten nur durch eine Straße von denselben getrennt[1]. In der Nähe dieses Schlosses finden sich noch Grundmauern| von dem abgegangenen Schlosse der Herren v. Helmstädt, welches 1627 durch Kauf an den württ. Leib- und Hofmedicus Dr. Oßwald gekommen war (s. unten).

Das am nördlichen Ende des Dorfs stehende, ehemals gleichfalls den Herren v. Reischach gehörige Schlößchen, dient gegenwärtig als Bauernwohnung.

Der am nordwestlichen Ende des Dorfs gelegenen Kirche, welche im Jahr 1722 styllos erweitert wurde, ist von ihrer ursprünglichen germanischen Bauweise nur der spitzbogige Eingang geblieben; der untere Theil des viereckigen Thurms, welcher die Stelle des Chors vertritt, ist massiv erbaut und sehr alt, der obere erst später aus Holz aufgebaut. Von den beiden Glocken ist die größere 1774, die kleinere 1698 gegossen worden; eine dritte Glocke wurde im Jahr 1790 von der Kirche auf das Rathhaus versetzt. Ein steinernes Grabdenkmal im Innern der Kirche stellt eine Frau in mittelalterlicher Tracht vor, und neben ihr ein Kind, dem sie die Rechte auf den Kopf legt. Von der Umschrift des angebrachten Wappens der Herren v. Reischach ist Anno dom. 1562 noch leserlich. Aus dem schmucklosen Langhause führt ein spitzer Triumphbogen in den Chor, dessen einfaches Kreuzgewölbe früher bemalt war, aber in neuerer Zeit, mit Ausnahme der Gewölbegurten eine weiße Tünchung erhielt. Die Unterhaltung der Kirche hat zu 1/3 die Stiftungspflege, und zu 2/3 die Gemeinden zu besorgen. Der Begräbnißplatz liegt am nördlichen Ende des Orts.

Das auf einem freien Platz in der Nähe des Rathhauses angenehm gelegene Pfarrhaus, dessen Unterhaltung dem Staat zusteht, befindet sich in gutem Zustande. Im Jahr 1833 ließ die Gemeinde ein Schulhaus, in welchem sich auch die Wohnung des Lehrers befindet, mit einem Aufwand von 2400 fl. neu erbauen; früher befand sich die Volksschule, neben welcher auch eine Industrieschule besteht, in dem Rathhause, einem alten, mit Thürmchen und Glocke versehenen Gebäude. Außer diesem ist eine Kelter mit drei Bäumen, ein in den 1830ger Jahren erbautes Gemeindebackhaus, und ein öffentliches Waschhaus, vorhanden.

Sein Trinkwasser erhält der Ort von dem 1/2 Stunde entfernten Eberdingen mittelst einer Leitung, durch welche ein laufender Brunnen im Ort gespeist wird, der das ganze Jahr hindurch gutes Wasser in hinreichender Menge spendet. Überdieß fließt der Strudelbach, dessen rascher Lauf Veranlassung zu seiner Benennung gegeben haben mag, mitten durch den Ort und treibt daselbst eine Mühle mit vier Mahlgängen und einem Gerbgang. Der Bach gefriert nie, und tritt selten aus.

| Die Einwohner sind regsame, muntere Leute, körperlich wohlgestaltet und gesund. Mit Arbeitsamkeit verbinden sie Ordnungsliebe und kirchlichen Sinn. Ihre Erwerbsquellen bestehen in Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Weinbau, mehrere suchen ihr Auskommen durch Taglohnarbeiten zu sichern. Indessen gehören ihre ökonomischen Verhältnisse zu den geringeren; Wohlhabende sind Wenige vorhanden. Die Zahl der Minderbemittelten ist vorherrschend, und das Grundeigenthum noch ziemlich gleich vertheilt. Der größte Güterbesitz beträgt 50 Morgen, der gewöhnliche 9–10 Morgen, während die Stücke meist 1/41/2 Morgen groß sind. Die Gutsherrschaft besitzt etwa 180 Morgen zerstreut liegende Güter, welche an Ortsbürger verpachtet sind.

Die nicht ausgedehnte Markung gehört wegen des sie der Länge nach durchziehenden Strudelbach-Thales zu den ziemlich unebenen, und hat im Allgemeinen einen mittelfruchtbaren Boden, der wegen anstehender Lettenkohlenmergeln häufig naßkalt, und an mehreren Stellen in Folge des Lettenkohlensandsteins mager und hitzig erscheint; an den Gehängen kommen kalkhaltige und in der Thalebene fruchtbare Alluvialböden vor. Das Klima ist mild und gesund, nur zuweilen schaden Frühlingsfröste und kalte Nebel dem Obst, das übrigens im Allgemeinen gerne gedeiht; Hagelschlag kommt selten vor.

Die Landwirthschaft wird mit Anwendung verbesserter Ackergeräthschaften, so gut als es die Verhältnisse erlauben, betrieben; der Bodenverbesserung steht hauptsächlich der Mangel an Dünger entgegen, welchem durch Zugabe von Waldstreu nicht abgeholfen werden kann, da die Gemeinde nur 36 Morgen Buschwaldungen besitzt. Aus diesen Waldungen bezieht als Gabe jeder Bürger alle sechs Jahre nicht weiter als 6–10 Stück Wellen, daher die Einwohner ihren Holzbedarf auswärts beziehen müssen, was sehr empfindlich auf ihre ohnehin geschwächten ökonomischen Verhältnisse einwirkt. Der Erlös aus dem Eichenoberholz, welches auf dem Stock verkauft wird, fließt in die Gemeindekasse. Von Getreide baut man hauptsächlich Dinkel, Hafer, Gerste, etwas Einkorn und nur wenig Roggen; hiebei wird der durchschnittliche Ertrag eines Morgens zu 6 Scheffel Dinkel, 4 Scheffel Hafer, 3 Scheffel Gerste, 4 Scheffel Einkorn und 2 Scheffel Roggen angegeben. In der zur Hälfte angeblümten Brache zieht man Kartoffeln, Futterkräuter, Ackerbohnen, Angersen und etwas Hanf. Die höchsten Preise eines Morgens Acker betragen 300 fl., die mittleren 150 fl., und die geringsten 40–50 fl. Von den Erzeugnissen des Feldes kann über den eigenen Bedarf nur wenig Dinkel und Hafer nach Außen | verkauft werden. Neben dem Wiesenbau wird auf den Anbau von Futterkräutern gedrungen; die Wiesen, denen durchgängig Wässerung zukommt, sind zweimähdig und ertragen durchschnittlich 24 Centner Heu und 10–12 Centner Öhmd, obgleich sie beinahe alle mit Obstbäumen besetzt sind und daher auch mit 5–600 fl., die geringsten mit 250 fl. per Morgen bezahlt werden. Da außerdem auch die Straßen mit Obstbäumen bepflanzt sind, so darf die Obstzucht verhältnißmäßig bedeutend genannt werden. Neben den gewöhnlichen Mostsorten zieht man ziemlich viel Zwetschgen und Tafelobst, wie Reinetten, Lederäpfel, Rosenäpfel, Borsdorfer etc.; das Mostobst wird meist im Ort selbst verbraucht, während das Tafelobst zum Verkauf kommt. Eine Baumschule ist im Besitz der Gemeinde. Weinberge sind etwa 130 Morgen vorhanden, von denen übrigens in neuerer Zeit gegen die Hälfte mit Futterkräutern, besonders mit Luzerne angebaut wird. Die gemischten Traubensorten sind Trollinger, Affenthaler, Elblinge, Silvaner, Veltliner und etwas Klevner; das Erzeugniß ist ein rother, sehr lagerhafter Wein, den man zu den sog. Ausstichen des Bezirks rechnet. Der durchschnittliche Ertrag eines Morgens beträgt 3 Eimer, und der Eimer kostete im Jahr 1846 56–60 fl., 1847 30–38 fl., 1848 16–18 fl., 1849 20–28 fl., 1850 10 fl., 1851 16 fl., und 1852 24–36 fl. Die Preise eines Morgens Weinberg bewegen sich von 150–200 fl. Der Wein wird meist in die nächste Umgegend abgesetzt.

Eigentliche Weiden sind nicht vorhanden, dagegen wird die Brach- und Herbstweide zur Schäferei verliehen, aus welcher die Gemeinde 150 fl. jährlichen Pacht und für die Pferchnutzung 180 bis 200 fl. jährlich bezieht.

Die verhältnißmäßig stark betriebene Rindviehzucht ist in gutem Stande und bildet eine namhafte Erwerbsquelle, indem viel Vieh in die Umgegend abgesetzt wird; man sieht hauptsächlich auf eine tüchtige rothe Landrace, und hält zur Nachzucht zwei Farren, von denen der eine von dem Widdumshofbesitzer anzuschaffen und zu verpflegen ist, während den anderen ein Bürger gegen eine Entschädigung aus der Gemeindekasse von 26 fl. unterhält. Die Schweinezucht ist unbedeutend, Bienen werden ziemlich, Geflügel nur für den eigenen Bedarf gehalten.

Der eine Stunde von der Oberamtsstadt entfernte Ort hat Vicinalstraßen nach Nußdorf, Hochdorf, Eberdingen, und Enzweihingen; die Entfernung zur nächstgelegenen Eisenbahnstation Sersheim beträgt 11/2 Stunde. Im Ort führt außer einer hölzernen Brücke noch ein Steg über den Strudelbach.

| Über das Vermögen der Gemeinde- und der Stiftungspflege s. Tabelle III; an Armenstiftungen sind 1700 fl. vorhanden, deren Zinse zu Brod, Büchern etc. verwendet werden.

Auf Winter-Geislingen, etwa 1/4 Stunde nordwestlich vom Ort, findet man unter der Oberfläche ausgedehnte Grundreste von Gebäuden, einen rund ausgemauerten Brunnen, römische Ziegel, Broncegegenstände etc. (s. den allg. Theil).

In dem 1/4 Stunde südöstlich gelegenen Riether Hölzle befinden sich zwei Grabhügel.

Rieth erscheint, als villa Reoth, erstmals im Jahr 812, in welchem das Kloster Lorsch zwei Jaucherte und ein Baumgut allhier erhielt (Cod. Laur. Nr. 2397). Im 11. Jahrhundert machte das Kloster Hirschau ein Paar Erwerbungen (Cod. Hirsaug. 55b. 68b). Als castrum Rieth ist der Ort im Jahr 1188 unter den Hohenstaufischen Hausgütern verzeichnet (Wirt. Urkundenbuch 2, 256).

Träger des hiesigen Lehens waren am Schluß des 12. Jahrhunderts die von Mönsheim (H. miles dictus de Meinshein sive de Riet. 1277, Mone Zeitschr. 1, 494), späterhin die Röfflin. Den 12. Nov. 1385 verkauften Heinrich und Berthold die Röfflin Gebrüder und Edelknechte an den Grafen Eberhard von Württemberg alle ihre Rechte und Güter an Vogtei, Gericht, Zwängen und Bännen. Ein bedeutender Antheil an Rieth war bereits im Anfang des 15. Jahrhunderts in Händen der Truchsessen von Höfingen; im Jahr 1432 trug Hans Truchseß von Höfingen für Eignung von Zehnten in Illingen seine Besitzungen in Rieth an Württemberg zu Lehen auf, 1452 aber verkaufte sie Burkhard Truchseß von Höfingen als Vormund Ludwigs, Enkels des obigen Truchsessen Hans, an Hans v. Reischach, welcher von Württemberg den 9. März 1453 damit belehnt wurde.

Helena und Anna Maria v. Reischach, welche ihren Vater Hans Michael beerbt hatten, verkauften im Jahr 1620 mit ihren Gemahlen Balthasar v. Frankenberg und Joh. Jak. Reinhard, württ. Canzler, den unteren Theil des Schlosses, und im Jahr 1624 die andere obere Hälfte desselben, beides je um 11.000 fl. an den Herzog Johann Friedrich von Württemberg (Sattler Herzoge 6, 211, Topogr. 252, Scheffer 143. 146). Am 1. Juli 1674 verordnete Herzog Eberhard III. in seinem Codicill, daß sein Schloß Rieth seinem sechsten Prinzen Johann Friedrich (im Zweikampf geblieben 1693) zum Wohnsitz eingerichtet werden solle. Ein Theil dieses an Württemberg gekommenen Antheils an Rieth mit dem Schloß und der niederen Gerichtsbarkeit (die hohe verblieb bei Württemberg), ging an die v. Reischach über, welche denselben noch inne haben. | Herzog Eberhard Ludwig verlieh solchen als Mannlehen den 5. August 1709 an den Freiherrn Georg Wilhelm v. Reischach, herzoglich württ. Geheimenrath und Oberrathspräsidenten. Ein weiterer Theil, ursprünglich den von Helmstadt gehörig, kam 1627 käuflich an Dr. Oßwald, württ. Leib- und Hofmedicus zu Stuttgart, welcher später zur katholischen Religion überging und Leibmedicus des Erzherzogs Ferdinand Karl von Österreich wurde. Im Jahr 1658 kam dieses Gut an die Herren v. Reischach, von denen die hiesige Bürgerschaft bedeutende Stücke desselben an sich gebracht hat. Endlich gehörte noch ein Theil den von Leutrum; solchen erkaufte im Jahr 1768 der württembergische Kirchenrath von Philipp Ludwig von Leutrum.

So ist die Reischach’sche Familie, von welcher die Riether Linie wegen der Verdienste des Staatsministers Karl Friedrich Philipp v. Reischach im Jahr 1810 in den Grafenstand erhoben wurde, im Besitz zweier Lehengüter, des von den Truchsessen von Höfingen herrührenden, welches zwischen der Riether und Nußdorfer Linie getheilt ist, und des neueren am 5. August 1709 verliehenen.

Wirkliche Patrimonialgerichtsbarkeit hatten die Herren v. Reischach im Orte selbst nicht, wohl aber das niedere Strafrecht innerhalb des inneren und äußeren Schloßhofes und in den dazu gehörigen, ummauerten Gärten.

Leibeigene verkaufte 1423 Heinrich von Gärtringen an Württemberg, und 1484 Helena Kayb, Hans von Sachsenheim Wittwe, an Hermann von Sachsenheim.

Im 15. Jahrhundert bestund hier blos eine Capelle mit einer Kaplanei (Würdtwein Subs. 10, 345), an welcher eine St. Stephanspfründe gestiftet war. Solche war ursprünglich Filial von der Vaihinger Kirche, und kam mit der letzteren an den Deutschorden. Den 30. Mai 1492 gab der Deutschmeister Andreas von Grumbach seine Zustimmung, daß die von Rieth aus ihrer Kapelle eine Pfarrkirche machen und sich von der Mutterkirche zu Vaihingen separiren dürfen, wie solches schon 1487 von dem Deutschmeister v. Neipperg erlaubt worden war. Mit dieser ehemaligen Mutterkirche ging die hiesige Kirche im Jahr 1553 an Württemberg über, von dem Herzog Christoph von Württemberg dem Deutschorden abgetauscht (Sattler Herzoge 4, 49), und so stehen die Patronats- und Nominationsrechte auch jetzt der Krone zu.

Von 1624–1635 war Rieth nach Enzweihingen eingepfarrt.

Gefällberechtigt waren zur Zeit der Ablösungsgesetze von 1848/49 und erhielten in Folge der Vollziehung derselben an Ablösungs-Capitalien | für Zehnten die Finanz-Verwaltung 300 fl. 31 kr., die Grundherrschaft 680 fl. 29 kr.
  1. Das von der Gutsherrschaft nicht bewohnte Schloßgebäude hatte einige Jahre eine Pfleganstalt schwachsinniger Kinder beherbergt, welche 1851 nach Winterbach (O. A. Schorndorf) übersiedelte.
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