« Kapitel B 3 Beschreibung des Oberamts Nürtingen Kapitel B 5 »
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4. Altenrieth,
Dorf, Gemeinde III. Cl. mit 499 evangelischen Einwohnern, Filial von Schlaitdorf OA. Tübingen, 23/4 Stunden westsüdwestlich von Nürtingen (Forstamt und Dekanat Tübingen). Die Markung Altenrieth gehört dem Bergrücken an, durch welchen das Neckarthal von dem der Schaiach und Aich geschieden ist. Sie wird östlich von dem | Thalrand des Neckars, nördlich von der Schlucht des Höllbachs begrenzt, hat reine trockene Luft und einen für Getreidebau gut geeigneten, doch nicht sehr tiefgründigen Lehmboden. Dinkel wird in besonderer Güte gewonnen und vortheilhaft verwerthet, auch ziemlich viel Flachs gebaut. Im Ganzen könnte übrigens für Verbesserung des Feldbaus mehr gethan und die Düngungsmittel besser zu Rath gehalten werden. Die Wiesen sind zum Theil sehr gut, die gegen den Höllbach gelegenen aber von geringer Beschaffenheit. Die Preise der Äcker und Wiesen sind sehr verschieden; die besten werden bis zu 600 fl. der Morgen bezahlt. Beträchtlich ist die Obstzucht, besonders der Mostsorten; es wird in guten Jahren eine bedeutende Quantität Most nach Außen verkauft. Der Weinbau dagegen ist nach Güte und Menge des Ertrags gering; der Morgen Weinberg kostet 250–300 fl. Der Rindviehstand kommt allmählig durch bessere Nachzucht empor; es wird ziemlich viel Vieh gemästet und auswärts verkauft, ebenso Schweine. Ein wichtiger Erwerbszweig für den Ort, der besonders den ärmeren Bewohnern theilweise ihr Auskommen erleichtert, sind die schönen Steinbrüche auf hiesiger Markung, aus welchen vorzügliche Bau- und Mühl-Steine gewonnen und auswärts abgesetzt werden. Die Gewerbe sind ganz unbedeutend. Die Gemeinde besitzt ein Backhaus. Schildwirthschaft ist eine vorhanden. – Unter den Einwohnern gibt es einzelne Wohlhabende; die Mehrzahl aber ist mehr oder weniger unbemittelt. Die Gemeinde besitzt einen von der Markung getrennten Waldantheil von 100 Morgen 21 Ruthen am Schönbuch, welchen die Gemeinde durch einen Vertrag mit der Staatsfinanzverwaltung im Jahr 1834 erworben hat, und dessen gesammter Ertrag als bürgerliche Holzgabe vertheilt wird. Der Pacht der geringen Schafweide erträgt nur 139 fl. Den großen und Wein-Zehnten bezieht der Staat, den Obst- und kleinen Zehnten die Pfarrei Schlaitdorf, und seit deren Besoldungsverwandlung ebenfalls der Staat. Der Heu-Zehnten ist abgelöst.
Das hochgelegene Dörfchen ist mit seiner kleinen freundlichen Kirche weit umher sichtbar. Besonders genießt man von dem sogenannten Krähschnabel bei dem Fußweg nach Neckar-Tenzlingen eine ausgezeichnet schöne Aussicht in das Neckar- und Erms-Thal und nach der Alpkette, vom Lochen und Hohenzollern bis zum Hohenstaufen. Die Kirche (zu St. Ulrich und Katharina) am östlichen Ende, vom Begräbnißplatz umgeben, ist 1738 zum größeren Theil neu erbaut; der Chor aber scheint um 1500 erbaut worden zu seyn. Die Baulast hat die Stiftungspflege und subsidiär die Gemeinde. Der Pfarrer von Schlaitdorf hat hier regelmäßig an | Sonntagen und Feiertagen Vormittagsgottesdienst zu halten. Mit Schlaitdorf steht Altenrieth erst seit 1684 im Filialverband, nachdem sich der frühere mit Neckar-Tenzlingen in Folge langwieriger Streitigkeiten aufgelöst hatte. Für die Schule ist ein neues Gebäude im Werke. Das Rathhaus ist ziemlich alt und unansehnlich. Wasser hat der Ort ungeachtet seiner hohen Lage hinreichend.

Die jetzt mit zertrümmertem Mauergestein bedeckte Stelle der Burg Neurieth, des ehemaligen Sitzes der Dürner von Dürnau, von welcher vor ungefähr 20 Jahren noch ein bis auf 15′ abgetragener Thurm gestanden hatte, ist kenntlich an drei hohen malerischen Eichen auf einem steilen Hügelvorsprung über dem Eintritt des Höllenbachs in’s Neckarthal. Noch hat das ehemalige Neuriether Schloßgut (60 Morgen Äcker und 161/2 Morgen Wiesen) neusteuerbare Eigenschaft. – In der Nähe dieser Trümmerstätte wird am Palmsonntag der sogenannte Bretzelmarkt (s. o. S. 49) gehalten, woran das Volk die Sage knüpft, daß dieß eine Erinnerung an ein jährliches Fest sey, welches der Burgherr auf Neurieth der Jugend zu geben pflegte.[1]

Durch das Gesetz vom 6. Juli 1842 wurde Altenrieth, früher immer ein Amtsort von Tübingen, mit dem diesseitigen Bezirk vereinigt.

Im Jahr 1446 ertauschte Graf Ulrich von Württemberg von Wilhelm Dürner von Dürnau so viel ihm an Altenrieth gebührte gegen Eignung eines Hofs in Wolfschlugen und andere Lehengüter (Sattler Topogr. 308), deßgleichen im Jahr 1473 Juli 15. Graf Eberhard von Württemberg von Graf Jost Nicolaus von Zollern hiesige Güter (Scheffer S. 65). Zwei Lehenhöfe allhier besaß Kloster Denkendorf (Schmidlin Beitr. 2, 70). Altenrieth, früher Rieth, und nachdem Neuenrieth aufgekommen, zum Unterschiede von diesem Altenrieth, hatte auch eine Burg und eigenen Adel. Jene stand bei der Kirche; noch sind Wall und Graben sichtbar. Diether von Rieth, ein Edelknecht, wird 1340 genannt. Lutz von Riete (einen Hund im Wappen) und Agnes von Nellingen seine Hausfrau, verkaufen 1344 dem ehrsamen Mann Friedrich dem Herter von Schiltecke ihren Theil des Burgstalls und alle ihre Güter zu Rieth | um 180 Pfd. Heller für frei und eigen. Unter den Bürgen sind Trutwein von Riete und Peter von Riete, Edelknechte. Graf Eberhard von Württemberg bekennt sofort, da die Güter in seiner Grafschaft gelegen seyen, daß Frau Agnes dieselben, die sie von ihrem Mann als Morgengabe empfangen, „an des Riches offener Straße mit rechter Vrtail, als sie’s sieben Ritter wiseten und lerten,“ dem Herter aufgegeben habe. Hans Herter, ein Edelknecht, übergibt 1404 seinen „Burgstall zu Riet im Dorf heruff ob der Kaibenmühlin gelegen“ und alle seine Güter im Dorf dem Kloster Denkendorf, das ihm dieß auf seine Lebenszeit zur Nutznießung überläßt und ihm Verpflegung am Tische der Capitelsherrn verspricht. Seine Schwester Agnes verzichtet sofort gegen 32 Pfd. Heller auf ihre Rechte an diese Güter. Eilf andere Güter im Dorfe treffen wir in den Händen des Edelknechtes Benz Kayb zur Mühle, welcher 1365 verspricht, von denselben jährlich 11 Pfd. Heller den im Kloster Sirnau befindlichen Töchtern seines Bruders Hermann, Agnes und Beth, zu reichen. Außer Denkendorf besaßen 1523 in Altenrieth die Barfüßer in Reutlingen, das Kloster Pfullingen, die Marienpfründe zu Tenzlingen, der Heilige zu Aich, die Pfründe zu Altenrieth, ein in Nürtingen und das Kloster zu Sirnau je ein Lehengut (s. auch Neckar-Tenzlingen). – Die Kirche in Altenrieth wird schon 1365 genannt. Der große Zehnte mit einem Widumhof stand wegen Tenzlingen dem Stifte Oberhofen zu. Das Dorf gehörte zur Vogtei Tübingen.

Wann und von wem die Burg Neuenrieth erbaut wurde, ist unbekannt. Württemberg belehnt 1378 mit Burg und Dorf Rieth (d. h. einem Theile des letztern) und mit Gütern zu Tenzlingen und Wolfschlugen Berthold von Stein, Burkhards von Stein von Arnecke Sohn; 1398 empfängt dieses Lehen Reinhard von Münchingen, 1404 Ritter Burkhard Schilling, 1423 ein zweiter Burkhard Schilling, 1429 Berthold Kayb, 1436 Georg Dürner von Dürnau. Gräfin Beatrix von Helfenstein geb. Gräfin von Montfort, wird zwar 1448 als Käuferin belehnt; sie scheint aber den Kaufschilling nicht aufgebracht zu haben, worauf der Barbara von Ow das Gut, das sie von Lorenz und Sigmund Kraft erworben, 1466 geeignet wurde. 1484 war Ludwig Haffenberg im Besitz. Aus einem Berichte von 1535 erhellt, daß das Schloß im Bauernkrieg verbrannt worden und daß der letzte Besitzer Junker Hans Spengler von Tübingen gewesen sey. Den darunter gelegenen Hof Neuenrieth hatte ein Maier im Besitz.

Fußnote:

  1. Nach der Volkssage haust auf dieser Stätte ein Kobold, der seit Wegräumung des Gemäuers bei strenger Kälte etc. sehr mißmuthig seyn soll. In einem der anmuthigen Wäldchen auf der Markung von Neckar-Thailfingen befinden sich gespenstige Fräulein, die mit dem Kobold in Verhältnissen stehen.
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