« Kapitel B 28 Beschreibung des Oberamts Nürtingen Kapitel B 30 »
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29. Wolfschlugen,
evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde II. Cl. mit 1318 Einwohnern 11/2 Stunden nordwestlich von Nürtingen an der Straße nach Stuttgart. – Eine auf drei Seiten mit Wald bekränzte Fläche auf der Höhe der Filder senkt sich von allen Seiten sanft gegen ihren| Mittelpunkt, in welchem das Dorf Wolfschlugen liegt, und nur auf der Südseite ist das flache Becken für ein Bächlein geöffnet, das unter dem Namen Bruckenbach oder Föllbach der Aich zufällt.[1] Diese Markung, die ebenste in der ganzen Umgegend, ist quellenreich, hat einen mehr schweren als leichten Boden mit Lehm und Letten zum Untergrund und ist daher in nassen Jahrgängen im Nachtheil. Die Luft ist etwas rauher als in den übrigen Filderorten, und nebelfreier als im Neckarthal. Der Feldertrag steht im Ganzen den Nachbarorten etwas nach; doch steigert sich dieser Ertrag gegenwärtig merklich in Folge der Fortschritte, welche die wohlhabenderen unter den Bauern im Anbau des Bodens, namentlich in besserer Benützung der Düngungsmittel machen. Es wird Dinkel, Haber und Gerste auch zum auswärtigen Verkauf gewonnen. Ein Hauptprodukt aber, welches dem Ort seit langer Zeit schon einen Namen gemacht hat, ist der Flachs, der hier viel und von vorzüglicher Güte erzeugt wird, und es ist an dem, daß nun auch die verbesserte Methode der Bereitung hier allgemeineren Eingang findet, und diesem Produkt erst die Wichtigkeit gibt, welche es für das Emporkommen der hiesigen Einwohner zu haben geeignet ist. Öffentliche Nachrichten sagen hierüber Folgendes: „Es haben hier mehrere der begütertsten Landwirthe im Verlauf dieses Jahres (1844) die verbesserte Art der Flachsbereitung in Anwendung gebracht und für ihre, durch Zähheit, Farbe und Glanz sich vortheilhaft auszeichnenden Erzeugnisse bedeutend höhere Preise in der Umgegend und in Stuttgart erzielt; der Gemeinderath Trautwein aber hat 44 Pfund ungehechelten Flachs an die mechanische Spinnerei in Urach zu einem ihn befriedigenden Preise verkauft und das schriftliche Zeugniß erhalten, daß der Flachs vollkommen gut geröstet und für den Bedarf der Spinnerei ganz entsprechend sey. Die genannte Spinnerei hat nach einem an den Ortsvorsteher gerichteten Schreiben vom 21. Okt. 1844 die von Wolfschlugen erhaltenen Muster besser bereiteten ungehechelten Flachses als die ersten bezeichnet, welche von württembergischen Landleuten ihr zukamen und welche auch sämmtlich als brauchbar erkannt wurden. Nach diesen Ergebnissen ist in Wolfschlugen die Bahn gebrochen, welcher eine größere Zahl dortiger Flachserzeuger nun zu folgen entschlossen ist, und im zeitgemäßen Fortschritt wird der Ort seinen früheren Ruf in Flachserzeugnissen wieder behaupten.“ (Schwäb. Merkur 1844. Nr. 354.) – Der Ertrag der Wiesen ist gut und | reichlich; sie haben mit den Äckern die gleichen Preise zu 200, 350 und 500 fl. Die Obstzucht gehört zu den geringsten im Oberamt. Die Gemeindewaldung (2771/2 Morgen) ist in mittelmäßigem Zustand und deckt das Bedürfniß nicht; übrigens besitzen die Wolfschluger auch 80 Morgen Laubwald auf Hardter Markung.

In früherer Zeit hatte Wolfschlugen auch einen Namen unter den durch Pferdezucht ausgezeichneten Orten; jeder Bauer hatte 1 bis 2 Zuchtpferde, und in der ganzen Gegend waren die hiesigen Thiere als gesund und schön beliebt. Dieß hat nun sehr abgenommen und ist immer mehr in Abnahme. Dagegen ist die Pferdehaltung noch immer beträchtlich, und der Pferdehandel (namentlich von Arnold und Söhnen) lebhaft und im Zunehmen begriffen. Von jeher waren die Wolfschluger gute Reiter und der Hahnenritt (s. oben allg. Theil S. 49) bei feierlichen Hochzeiten ist ein noch immer fortlebender Brauch. Seit einer Reihe von Jahren ist man gewöhnt, die Namen Pfäfflin, Arnold, Speidel als die der siegreichen Wettrenner bei dem Canstatter Volksfest wiederkehren zu sehen, und diese Erfolge bestimmen fast jeden Pferdebesitzer, ein junges Thier zum Rennen zu dressiren, für welchen Zweck die Ebene gegen Köngen als Hippodrom dient, wo man schon kleine Knaben mit vieler Keckheit die Fohlen tummeln sieht. (Vgl. Beobachter 1844. Nr. 203.) - Die Rindviehzucht kommt besonders durch die Einführung guter Zuchtstiere und Kühe aus der Schweiz immer mehr in Aufnahme; dagegen ist die Schafzucht unerheblich. Geflügel wird viel gehalten und von den Neuhauser Händlern aufgekauft.

Die Bewohner sind kräftige, in ihrem Benehmen mitunter etwas derbe Menschen, sehr anhänglich an das Alte in Tracht und Sitte, aber auch, wie man behaupten will, in manchen abergläubischen krassen Vorstellungen mehr als Andere befangen. Wenn es gleich nicht an bemittelten Bauern fehlt, so können die ökonomischen Umstände der Einwohnerschaft im Ganzen doch kaum mittelmäßig genannt werden. Das Grundeigenthum geht in zu kleine Theile und ein Hauptnahrungszweig, das Spinnen mit dem Garnhandel und der Weberei ist von seiner Höhe sehr herabgekommen. Ehemals gewährte Wolfschlugen, namentlich zur Winterszeit, das Bild einer einzigen großen Fabrik, indem jeder Stand, jedes Alter und beide Geschlechter vom frühen Morgen bis in die späte Nacht mit Spinnen sich beschäftigten. Nach einer gemeinderäthlichen Schätzung wurden noch ums Jahr 1826 jährlich über 150.000 Schneller meistens Flachsgarn gesponnen. Der Absatz der Schneller, gewöhnlich à 6 kr. war leicht und lebhaft und ging meistens nach Urach, Münsingen, Laichingen und andern | bedeutenden Weberorten auf der Alp. Sehr vieles wurde auch im Ort selbst verwoben, wie denn noch jetzt manche Haushaltung durch einen auf dem Lande ungewöhnlichen Luxus in vielem und schönem Weißzeug sich auszeichnet. Wiederholte Flachs-Mißjahre, das Sinken des Preises und die überhandnehmende Verbreitung des Maschinengespinnstes haben diese Industrie sehr herabgedrückt, wiewohl es der bedächtigen Hausfrauen aller Orten noch viele gibt, welche einem sorgfältigen Handgespinnst den Vorzug vor dem Maschinengarn geben zu sollen glauben. Die Weberei beschäftigt jetzt nur noch etwa 40 Stühle. Doch zeichnen sich auch jetzt noch einzelne Weber aus; so Maier, der ein Patent auf ein verbessertes Weberschiff erhalten hat. – Erwähnung verdient, daß hier – wiewohl früher mehr als jetzt – gute Orgeln gebaut, auch musikalische Instrumente verfertigt werden. – Schildwirthschaften bestehen 3.

Die Gemeinde hat zum Zweck der Armen-Unterstützung als Antheil an der Hospital-Armenstiftung in Nürtingen ein Capital von 3500 fl. erhalten. Von der Schafweide erhebt sie nur 100 bis 150 fl. Pachtgeld. Des Waldes ist oben gedacht worden. – Den Großzehnten bezieht der Staat (für das aufgehobene Diaconat Löchgau) zu 1/4, der Hospital Nürtingen (erkauft von den Herrn v. Neuhausen 1566) zu 1/2, die kath. Pfarrei Neuhausen zu 1/4; den kleinen und Heu-Zehnten der Staat (wie vorhin) zu 1/2, der Hospital Nürtingen zu 1/2. Einen Zehntbezug (aus den Nürtinger Kellerei-Lehenhofsäckern) haben auch einzelne Bürger. Zehntfrei sind 64 Morgen Wiesen, und kleinzehntfrei ein großer Theil der Äcker. Die Pfarrei hat zu keiner Zeit irgend einen Zehnten bezogen.

Der Ort liegt an der Straße nach Stuttgart und gewinnt auf dieser Seite durch bessere Häuser und zunehmende Reinlichkeit. Sonst finden sich viele kleine und unansehnliche Wohnungen. Noch vor wenigen Jahrzehnden sah man hier Strohdächer, die nun alle verschwunden sind. Die etwas zu kleine Kirche ist alt, hat aber im Anfang des 17ten Jahrhunderts eine Erneuerung erfahren und ein gutes Aussehen; die Stiftungspflege trägt die Baulast. In frühen Zeiten ist der Ort ein Filial von der Pfarrei Neuhausen gewesen. Der Begräbnißplatz liegt am westlichen Ende des Orts und ist 1837 bedeutend erweitert worden. Das Pfarrhaus wird auf Kosten des Staates erhalten, der 1834 eine ansehnliche Verbesserung und Erweiterung damit vorgenommen hat. Das Schulhaus dagegen ist alt und ungeeignet; es unterrichten ein Lehrer und ein Unterlehrer. Das Rathhaus, ein geräumiges Gebäude, ist 1609 erbaut worden. Trinkwasser (aus 1 Rohr- und vielen Schöpf-Brunnen) ist im Überfluß vorhanden und vortrefflich.

| Im Jahr 1365 verkaufen Heinrich Züttelmann von Zitzishausen, Kirchherr von Nürtingen, und sein Bruder Konrad Äcker und Wiesen in Wolfschlugen an die Wittwe eines Eßlinger Bürgers (Gabelk). In den Jahren 1368 und 1398 hatten die Herren von Oßweil allhier Güter als Lehen von Württemberg. 1446 tauscht Graf Ulrich von Württemberg an die Familie Dürner von Dürnau einen Hof gegen andere Güter aus (Sattler Topogr. 308). Auf dem Wege nach katholisch Neuhausen, jedoch auf hiesiger Markung, befindet sich ein Wiesenplätzchen, 1/2 Ruthen im Umfang, welches früher ein Asyl für Verbrecher gewesen seyn soll; es ist noch mit einer lebendigen Hecke umgeben.

Wolfschlugen ist mit Nürtingen württembergisch geworden. Die Pfarrei, welche schon 1526 die Herrschaft zu verleihen hatte, wurde nach vorangegangener Aufhebung des Filialverbandes mit Neuhausen, 1437 errichtet. Mit einem Laienzehnten wurde von der Herrschaft Hohenberg 1363 Ulrich von Grafeneck und 1504 Marx von Neuhausen belehnt. Benz der Suser von Kirchheim verkauft 1318 der Kirchenpflege zu Aich eine Gülte aus seinem Hof in Wolueslugen und 1337 erhält das Frauenkloster Kirchheim von Frau Demuth, Herrn Friedrich Schwelhers Wirthin, ein Gut zu Wolfeslugen. Herzog Leopold von Österreich eignet dem Wernher von Neidlingen einen Hof. Andere Güter und Rechte bildeten einen Bestandtheil des Lehens Neuenrieth (s. S. 143).

Opfenweiler und Waldhausen scheinen die Namen abgegangener Orte, nördlich und nordöstlich vom Dorf, zu seyn, wonach sich noch jetzt zwei Zelgen benennen. Eine Burg Waldhausen, von welcher aber die Geschichte keine Kunde gibt, stand im Staatswald Kernenbuckel an der äußersten Ostspitze der Markung. Man fand vor längerer Zeit hier Mauerstücke, runde Saulen, bleierne Teuchel, Ziegelsteine etc. In der Nähe liegt das sogenannte Grafenholz.

Fußnote:

  1. Die ältere Schreibart („Wolfeslugen“ s. hienach) scheint auf eine ehemalige Wolfs-Spähe, wozu sich die Mulde, in welcher der Ort liegt, geeignet haben mochte, hinzudeuten.
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