« Kapitel B 20 Beschreibung des Oberamts Horb Kapitel B 22 »
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Nordstetten,
Gemeinde II. Klasse mit 1356 Einw., worunter 1 Evang. und 304 Israel. a. Nordstetten, Pfarrdorf, 1337 Einw., b. Buchhof, Hof, 7 Einw., c. Tabervasen, Hof, 12 Einw. – Kath. Pfarrei; die Evang. sind nach Mühlen eingepfarrt und die Israeliten stehen unter dem Rabbinat Mühringen.


Der sehr ansehnliche Ort, welcher zu den schönsten des Oberamtsbezirks gehört, liegt frei auf der Hochebene, unfern des rechten Neckarthalabhanges, an dem sich eine gut angelegte Steige von der nur 1/2 Stunde nordwestlich gelegenen Oberamtsstadt zu dem Orte hinzieht. Überdieß führen noch die Poststraßen von Horb nach Haigerloch und nach Mühringen durch Nordstetten; Vicinalstraßen sind nach Ahldorf, Dettensee, Isenburg und Mühlen angelegt, die dem Ort seinen Verkehr nach allen Richtungen vermitteln. Eine Postablage ist eingerichtet. Die Ortsstraßen sind im allgemeinen gut unterhalten und an ihnen lagern sich meist freundliche, nicht selten im städtischen Style erbaute Häuser. Am nördlichen Ende steht das weithin sichtbare Schloß, von dem man, wie überhaupt von Nordstetten, eine schöne Aussicht in das Gäu genießt. Das Schloß ist ein großes, dreistockiges Gebäude, das 1739–40 von den Keller von Schlaitheim im Rococostyl erbaut wurde. Die Ringmauern der alten Burg umgaben dasselbe noch vor wenigen Jahren mit mehreren Eckthürmen, von welchen jetzt nur noch einer vorhanden ist. Von dem Revierförster von Fischer-Weickersthal (s. unten) erkaufte die Gemeinde im Jahr 1858 Schloß und Gut (etwa 80 Morgen Felder und 80 Morgen Waldungen). Das Schloßgebäude, welches jetzt als Rathhaus dient, blieb im Eigenthum der Gemeinde, die Güter aber sind an die Ortsbürger verkauft worden.

Die im östlichen Theil des Dorfs etwas erhöht gelegene Pfarrkirche zum h. Mauritius ist im modernen Rundbogenstyl mit halbrundem Chorschluß neu erbaut, während der Thurm in seinen unteren Geschoßen aus alter Zeit stammt und nur das ihm aufgesetzte Achteck einer neueren Zeit angehört; den Thurm trägt ein mit Blech beschlagenes Zwiebeldach (Bohlendach). Die drei Glocken sind im gegenwärtigen Jahrhundert und zwar zwei von denselben von B. Kaltenmoser in Horb gegossen worden. Das freundliche Innere der Kirche ist weiß getüncht und an der Decke mit Stuckarbeiten verziert. Kanzel, Altäre, Orgel etc. sind im Rococogeschmack gehalten. An der nördlichen Kirchenwand hängt ein neues gut gemaltes Bild des heil. Mauritius, Schutzpatron der Kirche, welches von Lorenz Lenz, Bierbrauer | in Kempten, gebürtig in dem zur Gemeinde gehörigen Buchhof, gestiftet wurde.

Der Begräbnißplatz lag früher um die Kirche und wurde in neuerer Zeit außerhalb (östlich) des Orts angelegt. Der israelitische Begräbnißplatz liegt 1/8 Stunde südlich vom Dorf.

Das Pfarrhaus ist in gutem Zustande und das Schulhaus wurde erst 1843 mit einem Gemeindeaufwand von 9000 fl. neu erbaut; es enthält drei Lehrzimmer, worunter eines für die Israeliten und die Wohnungen des Schulmeisters und des Lehrgehilfen. Der israelitische Lehrer wohnt in seinem eigenen Hause. Industrieschulen sind zwei (eine christliche und eine israelitische) vorhanden.

Eine Synagoge ist in neuerer Zeit im modernen Rundbogenstyl erbaut worden; die ursprüngliche wurde 1721 errichtet.

Der Ort bezieht sein Trinkwasser aus Pumpbrunnen, die indessen in ganz trockenen Jahrgängen so sehr nachlassen, daß Wassermangel entsteht und der Wasserbedarf größtentheils auswärts bezogen werden muß. Auf den Fall der Feuersgefahr und zum Pferdeschwemmen sind zwei Wetten angelegt.

Die Einwohner, meist gut gebaute, fleißige, sparsame und gelehrige Leute, nähren sich von gut bestelltem Feldbau, Viehzucht und Gewerben. Wegen Übervölkerung gehen den Sommer über viele (80–100) als Zimmerleute, Maurer, Schreiner, Handlanger etc. in die Schweiz und in das Elsaß, wo sie meist Arbeit und reichlichen Verdienst finden, was in der Gemeinde einen ordentlichen Mittelstand erhält. Bettler gibt es keine. Die Israeliten beschäftigen sich vorzugsweise mit Handel, einige wenige mit Gewerben und Feldbau. Handlungen sind zwei, Kramläden drei, Schildwirthschaften sechs, worunter vier mit Bierbrauerei und eine weitere Brauerei vorhanden; das Nordstetter Bier hat einen guten Ruf und wird theilweise nach Außen abgesetzt.

Die ziemlich große, beinahe durchgängig für den Feldbau benützte Markung, hat mit Ausnahme des Steilabhanges gegen den Neckar eine flachwellige Lage und einen fruchtbaren Boden, der größtentheils aus Lehm, gegen die Abhänge hin aus sogen. Malmboden (Verwitterung des Muschelkalkdolomits) und bei Buchhof aus sandigem Lehm, bei dem sich der Lettenkohlensandstein geltend macht, besteht. Vermöge der hohen Lage des Orts ist die Luft rein und gesund, jedoch meist etwas bewegt. Hagelschlag kommt selten vor, dagegen schaden Frühlingsfröste häufig der Obstblüthe.

In dreizelgiger Flureintheilung wird unter Anwendung verbesserter | Ackergeräthe (amerikanische Pflüge, Walzen etc.) die Landwirthschaft gut betrieben; man baut die gewöhnlichen Getreidearten und von diesen vorzugsweise Weizen und Gerste; in der beinahe ganz angeblümten Brache kommen Kartoffeln, Erbsen, Futterkräuter (meist dreiblättriger Klee und etwas Esparsette) zum Anbau. Von Handelsgewächsen zieht man Reps und ziemlich viel Hopfen zum Verkauf, dagegen Hanf nur für den eigenen Bedarf. Zur Verbesserung des Bodens werden, außer den gewöhnlichen Düngungsmitteln, auch Gülle, Compost, Gips, Hallerde etc. fleißig angewendet. Der durchschnittliche Ertrag eines Morgens liefert an Dinkel 8–9 Scheffel, an Haber 5 Scheffel (wird wenig eingebaut), an Gerste 5–6 Schff. und an Weizen 4–5 Scheffel. Die Preise eines Morgens Acker bewegen sich von 250–600 fl. Die Getreideerzeugnisse befriedigen nicht nur das örtliche Bedürfniß, sondern erlauben noch einen ziemlich namhaften Absatz an fremde Schäufler.

Der nicht unbeträchtliche Wiesenbau, dem keine Wässerung zukommt, liefert gutes Futter und zwar im Durchschnitt 20–25 Centner Heu und 10–12 Centner Öhmd per Morgen.

Von geringer Bedeutung ist die Obstzucht, die sich hauptsächlich auf Zwetschgen, Most- und Dörrsorten beschränkt und deren Ertrag im Ort selbst verbraucht wird.

Die Zucht der Pferde ist ganz unbedeutend, dagegen die des Rindviehs namhaft und beschäftigt sich mit einer Kreuzung von Simmenthaler und Landrace; zur Nachzucht sind vier Farren (ein Simmenthaler und drei Landfarren) aufgestellt, die ein Bürger gegen jährlich 120 fl. und der Nutzniesung von vier Morgen Wiesen hält. Auf benachbarten Märkten wird ein nicht unbedeutender Theil des Viehs abgesetzt.

Die Schweine werden mit wenig Ausnahme als Ferkel von Außen bezogen und größtentheils für den eigenen Bedarf gemästet.

Auf der Schafweide, mit Einschluß der Brach- und Stoppelweide, läßt ein fremder Schäfer im Vorsommer 150, nach der Ernte 250 Stücke laufen, und entrichtet hiefür ein Pachtgeld von etwa 300 fl.; überdieß trägt der Pferch der Gemeindekasse gegen 400 fl. jährlich ein.

Der Ertrag aus den etwa 115 Morgen großen Gemeindewaldungen besteht in etwa 70 Klaftern, die zum Verkauf kommen und der Erlös zu Gemeindezwecken verwendet wird.

In Nordstetten ist den 28. Februar 1812 geboren Berthold | Auerbach, jüdischer Herkunft, der Verfasser der viel gelesenen Dorfgeschichten.

Etwa 1/8 Stunde südlich vom Ort kommt der Flurnamen „Bürgle“ vor, was auf eine abgegangene Burg oder Befestigung hindeutet.

Zu der Gemeinde gehören:

b. Buchhof, eine K. Domäne, welche zuletzt dem Dominikanerinnenkloster in Horb gehörte, liegt 1/2 Stunde südlich vom Mutterort auf der Landesgrenze zwischen Württemberg und Hohenzollern. Er war 1644 durch den Schwedenkrieg und noch 1664 gänzlich abgegangen; 1706 wieder hergestellt und mit einer Mauer umfangen. Landeshoheit, Blutbann und Geleit stand vor 1806 Österreich zu.

c. Taberwasen, 1/4 Stunde südöstlich vom Mutterort gelegen; die Wallfahrtskapelle daselbst soll nach der Sage von einem Fuhrmann gestiftet worden sein, der nicht von der Stelle fahren konnte, bis er die Erbauung der Kapelle zur Ehre der heil. Maria gelobt habe.

Nordstetten[1] hatte einen eigenen Adel, die Pfuser von Nordstetten, welche die Burg und das Gut allda besaßen, und im 14. Jahrhundert bis nach der Mitte des 15. vorkommen. Daneben hatten den Buchhof 1314 Reuhard und Peter von Buch; 1342 bis 1365 Albrecht von Ow von Wachendorf „zu Buch gesessen“, der 1348 den Zehnten allda an die Kommende Rexingen verkaufte (v. Ow’sches Archiv).

Das Dorf Nordstetten aber, woraus noch 1323 Conrad Strube von Isenburg mit seinem Bruder Pfaff Hug, Pfarrer zu Nordstetten, Gefälle an die hohenbergische Familiengruft zu Kloster Kirchberg stiftete (Schmid Mon. Hohenb. 241), kam von diesen freien Herren mit ihrer Stammburg, wohl erbsweise, an die Grafen von Hohenberg und 1381 das Auslösungsrecht an Österreich, während deren ganze Herrschaft (siehe bei Isenburg das Genauere) als Pfandschaft an die Pfuser von Nordstetten, dann an die Herren von Ow, 1416 an die von Neuneck und vor 1461 an Konrad von Weitingen. Aber noch 1469 hatten den Zehnten zu Nordstetten: die von Neuneck zu Glatt 1/3, die von Hornberg 1/3, Wilhelm Böklin von Eutingerthal und Hans von Ow 1/3, das Letztere mit ihrem | Hofzehnten und Holzlehen an die Kommende Rexingen verkauften. In diesem Jahre mußte Konrad von Weitingen die Pfandschaft: Isenburg, Dorf Nordstetten, Hof zu Buch und den Speicher in Horb von Österreich zu Lehen nehmen; ebenso 1494 Diepold von Habsperg (bei Riedlingen), welcher den Besitz denen von Weitingen abkaufte und bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf seine Familie vererbte. Im Jahr 1598 erkaufte das Rittergut Christoph Wendler von Pregenroth und vererbte es als österreichisches, zu Hohenberg gehöriges Lehen auf seine Familie; mit der Reichsritterschaft kam er wegen der Kollectation in Streit (Ritterschaftliche Gegendeduktion. Eßlingen 1698. Fol. Beil. S. 51. Lünig R.A. 12, 596).

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Als die Familie der Wendler im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts ausstarb, fiel das Lehen als eröffnet dem österreichischen Hause zurück. Die Erzherzogin Claudia († 1648) verkaufte unter Vorbehalt aller Hoheitsrechte 1644 an Adam Heinrich Keller von Schleitheim, dessen Vorfahren um 1525 von Schleitheim (schweiz. Kantons Schaffhausen) nach Schwaben eingewandert waren, Nordstetten mit Isenburg und Taberwasen gegen 9218 fl. 54 kr. Als eigen erhielt es v. Keller 1648 unter Erzherzog Ferdinand Karl. Dazu kaufte er 1687 das Schloß und Zugehör zu Nordstetten um 3000 fl. von Kloster St. Blasien und Kloster Berau, denen es seit 1668 gehört hatte. Der neue Erwerber war im dreißigjährigen Kriege kaiserlicher und bayerischer Oberst; später wurde er in den Freiherrnstand erhoben als österreichischer Landhauptmann der Grafschaft Hohenberg. Die reichsritterschaftliche Kantonskanzlei zu Tübingen machte zwar verschiedene Einwendungen gegen diesen Kauf, weil das Dorf zum Kanton gehörte und noch unter denen von Habsberg dahin gesteuert hatte; allein nach langem Prozesse wurde von Insbruck aus entschieden, daß Nordstetten in Zukunft nicht mehr zur Reichsritterschaft, sondern zu Österreich zu steuern habe. Ein Abkömmling obigen Obersts, mit welch ersterem die, sich nunmehr in Bayern befindende Familie nach anderthalbhundert Jahren vom Schauplatz dieser Gegend abtrat, Karl Joseph Freiherr von Keller von Schleitheim, verkaufte die Besitzungen zu Nordstetten und Isenburg, weil der Schloßneubau zu große Summen verschlungen hatte, an seine Gläubiger, welche sofort die 1805 unter die württembergische Staatshoheit gekommenen Orte 1819–20 dem Freiherrn Christian von Münch käuflich überließen. Von diesem erkaufte es 1831 der Legationsrath Freiherr von Linden, von letzterem 1854 der Revierförster von Fischer-Weikersthal, dessen Familie nach seinem im Jahr | 1858 erfolgten Tode das Schloß und das vorhandene Gut um 45.000 fl. an die Gemeinde verkaufte (s. o.).

Die Pfarrstelle war dem vormaligen Chorstifte Horb einverleibt. Im Jahr 1484 hatte Erzherzog Sigmund das Patronat demselben verliehen, sich jedoch das Präsentationsrecht vorbehalten. Seit 1805 steht das Patronatsrecht der Krone zu. – Vor Zeiten war hier eine Silvesterkaplanei und ein Beguinenhaus.

Vor 1790 war die Hälfte des neupreußischen Weilers Dettensee hieher pfärrig. Im Jahr 1810 wurden die früher zur Burg Hornau, später zur Stadt Horb gehörigen, am rechten Neckarufer liegenden Öl- und Walkmühlen und die Ziegelhütte, bisher zur Pfarrei Nordstetten gehörig, der Pfarrei Horb zugetheilt. Die Frühmesse ist 1621 hiesiger Pfarrei inkorporirt worden.

Nordstetten mit Isenburg, Buchhof und Taberwasen kam 1805 unter die Staatshoheit der Krone Württemberg.


  1. Ob unter Nortstati 760 (Wirt. Urk.-Buch 1, 6) dieser oder ein anderer gleichnamiger Ort gemeint ist, steht dahin.


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