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30. Türkheim,
mit Wittingen. Gesammt-Einwohner 457.

a) Türkheim, in alten Urkunden Dirkhain, evangel. Pfarrdorf mit 424 Einwohnern (worunter 1 Katholik), 11/2 Stunden südwestlich von Geislingen am Rande der sogenannten Vorblaubeurer Alp gegen das Überkinger Thal hin gelegen; Kameralamt und Dekanat Geislingen, Forstamt Blaubeuren.

Den großen Zehnten beziehen die Kirchenstiftungspflege | zu Ulm und der Spital zu Geislingen; der kleine Zehnten ist durch Regulirung der Pfarrei an die Herrschaft übergegangen. Gülten, Gefälle, Frohndienste werden sämmtlich abgelöst.

Der Ort ist weitläufig gebaut und hat ein freundliches Ansehen; er zählt 134 Gebäude, worunter 66 Wohnungen, welche meist mit Stroh gedeckt sind. Der Ort hat 16 Brunnen mit Quellwasser, welche jedoch in trocknen Sommern versiegen. Desto werthvoller ist die nie versiegende Quelle an der Berghalde gegen das Überkinger Thal. Das Wasser rieselt aus 3 Felsenspalten, und wird in einem geräumigen Behälter aufgefangen; ein bequemer Fahrweg führt zu derselben, und die ganze Partie ist durch hohe Felsen wildromantisch.

Die Einwohner gehören zu den wohlhabenderen der Alp, und die Ortsmarkung beträgt 5264 Morgen, von denen 3548 Morgen kultivirt sind. Der Ort ist durch Pferdezucht ausgezeichnet. Die Schafweide nährt 1500 Stück und ist um 1400 fl. jährlich verpachtet. Vom Jahr 1797–1814 schlug der Hagel 15 Mal eine und dieselbe Strecke der Ortsmarkung, daher die Leute zuletzt nichts mehr allda bauten.

Die Gemeinde hat 8345 fl., der Heilige 11.073 fl. Aktivkapitalien. Es bestehen 52 Realgemeinderechte, welche einige Güterstücke, je 3–6 Pförchnächte und je 3–4 kleine Klafter Holz genießen, je nachdem der Gemeinderechtsbesitzer ein Bauer, Söldner oder Halbsöldner ist.

Die Kollatur der Pfarrei und die Baulast des Pfarrhauses hat der Staat, die Baulast der Kirche der Ortsheilige. Die Kirche, hart am Alprande auf einem Felsen erbaut, ist innen und außen sehr freundlich, und gewährt, vom Thal aus gesehen, einen malerischen Anblick; sie wurde im Jahr 1771 durch den gmündischen Baumeister Johann Michael Keller ganz neu erbaut, und im Jahr 1820 mit einem Blitzableiter versehen.

In diesem althelfensteinischen Orte hatten die Herrn von Nenningen mehrere Besitzungen; im Jahr 1379 verkauften | die Brüder Heinrich und Wolfhard von Nenningen für 170 Pfd. ihre Huben, Lehen, Sölden und einzelne Güter zu Türkheim an den Spital zu Geislingen.

Im 30jährigen Krieg zählte der Ort 89 Bürger, gegenwärtig nur 75; im Jahr 1736 brannte er zu 3/4 ab.

Unter den Pfarrherrn dieses Orts ist zu erwähnen Johann Sträler, auch Juris Consultus und Bundesrichter, ein Freund Reuchlins und Heinrich Bebel’s, von deren mit ihm gepflogenen Briefwechsel einiges gedruckt ist (s. Bebelii Opuscula. Argent. 1508. vergl. Schelhorn Amoenit. lit. 1, 55).

In Beziehung auf seine Herren theilte der Ort die Schicksale der im Jahr 1396 an Ulm verkauften helfensteinischen Herrschaft. Unter Ulm war Türkheim anfänglich selbst ein Amtsitz, nachher wurde es dem Amte Nellingen untergeordnet.

b) Wittingen, evangel. Weiler mit 33 Einwohnern, 3/4 Stunden vom Mutterort, besteht aus 3 Bauernhöfen und einer Söld, aus 14 Gebäuden, worunter 5 Wohnungen. Die Markung besteht aus 9276/8 Morgen, wovon 410 Mrg. kultivirt und 247 Morgen Waldungen sind. Die Schafweide erträgt jährlich 400 fl., welche so wie die Pförchnächte vertheilt werden. Außerdem erhält jeder Bauer jährlich 20 Klafter Holz und 2000 Wellen, der Söldner die Hälfte, so daß sie zu den reichsten Bauern der Gegend gehören. Es sind hier überhaupt größere Gutsbesitzer. Den Zehnten hat die Kirchenstiftungspflege Ulm. Außer 2 Fruchtgülten, welche die Frühmeß zu Drackenstein und die Ortsstiftung zu Türkheim beziehen, sind alle übrigen Gefälle abgelöst.

Bei Wittingen war Kl. Blaubeuren (Tubingius bei Sattler Graven 5. Ausg. v. 1768 S. 370), ferner seit dem 12ten Jahrhundert durch die Gunst Anselms von Justingen Kl. Ursperg (s. bei Drackenstein), seit 1291 Kl. Kaisersheim begütert (1291. Ulrici comitis de Helfenstein consensu Hedwigis de Greysspach, Machtildis relictae Heinrici quondam de Ueberchingen et Sifrido de Nallingen iterum nuptae serva, monasterio de Caesarea vendit hubam quandam in | Wittingen, prius de Domina sua sibi comparatam. Lang Reg. 4, 505), es besaß namentlich seit 1288 den auf dieser Markung gelegenen Wald mit Neugereut genannt Reinhartsberg (s. die Stelle bei Oppingen).
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