« Kapitel A 6 Beschreibung des Oberamts Eßlingen Kapitel B 1 »
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VII. Geschichtlicher Überblick und Alterthümer.


Was die politische und kirchliche Geschichte dieses Oberamtes anbelangt, so verweisen wir hiebei auf den topographischen Theil und namentlich die Stadt Eßlingen und das Kloster Denkendorf. Zur Zeit der Gaueintheilung wurde unser Bezirk zu dem weitgedehnten Neckargau gerechnet; wenigstens werden Eßlingen (J. 866) und Köngen (12. Jahrh.) als Neckargauorte aufgeführt; andere Orte des Oberamtes kommen mit keiner Gaubezeichnung vor.

Der erste Ort, welcher in der Geschichte auftaucht, ist Eßlingen (777); die am frühesten bekannte christliche Pflanzung ist die dortige Vitalis-Zelle (777). Zur Zeit der geistlichen Eintheilung in Ruralcapitel, wie wir solche aus freilich sehr späten Aufzeichnungen kennen, gehörten die Pfarreien unseres Oberamtes zu dem Capitel Eßlingen (auch Nellingen genannt) und Kirchheim. Ersteres begriff die Orte Aichschieß, Berkheim, Denkendorf, Eßlingen, Köngen, Nellingen, Neuhausen, Ober-Eßlingen, Zell, wahrscheinlich auch Deizisau, und erstreckte sich noch weiter westwärts über die Grenzen des Oberamtes hinaus; zu letzterem gehörte Plochingen, Steinbach, Wendlingen und ohne Zweifel auch Pfauhausen. Beide Capitel waren Theile des Archidiaconates Alp, welches unter dem Constanzer Stuhle stand.

Nach der Reformation wurde für Eßlingen und die Kirchen seines Gebietes ein Consistorium, bestehend aus den beiden Bürgermeistern, zwei Geheimen, dem Oberpfarrer, dem Kastenpfleger und den beiden Consulenten errichtet. Die Aufsicht über die württembergischen Pfarreien führten, und zwar über Denkendorf, Nellingen, Ober-Eßlingen und Plochingen der Decan zu Stuttgart unter dem General-Superintendenten von Maulbronn; über Aichschieß der Decan zu Schorndorf unter dem General-Superintendenten von Adelberg; über Köngen und Wendlingen der Decan in Kirchheim, über Zell der in Göppingen, beide| unter dem General-Superintendenten von Denkendorf. Die im Jahr 1810 gebildete Diöcese Eßlingen, welche nach und nach sämmtliche evangelische Orte des Bezirks in sich begriff (zuletzt Köngen, Wendlingen und Aichschieß, s. Ortsbeschr.), wurde 1810 dem Generalat Urach, 1823 aber dem Generalat Ludwigsburg zugetheilt.

Der katholische Landcapitels-Sitz war seit der Reformation bis in die neuesten Zeiten in Neuhausen; gegenwärtig stehen die vier katholischen Gemeinden, Eßlingen, Neuhausen, Pfauhausen und Steinbach unter dem Decanat Stuttgart.

Die mehrfachen Veränderungen der politischen Eintheilung s. im Einzelnen in der Ortsbeschr. Nachdem die ehemalige Reichsstadt in den Jahren 1802–1806 der neuwürttemb. Regierung in Ellwangen untergeben gewesen, wurde der in letzterem Jahr gebildete Oberamtsbezirk dem Kreise Stuttgart, 1810 der Landvogtei am Rothenberg, und 1817 dem Neckarkreise zugetheilt.


Alterthümer.
A. Römische.
Von den verschiedenen Straßen, welche nach allen Richtungen aus der Römerstadt bei Canstatt, die wir als den Hauptort der römischen Besitzungen am mittleren Neckar zu betrachten haben, ausliefen, nahmen zwei ihre Richtung in längeren Strecken durch unsern Bezirk (von den übrigen s. hienach). Die Spuren der einen erscheinen oberhalb Serach bei der Catharinenlinde, am deutlichsten aber im Eßlinger Stadtwald, wo sie in schnurgerader Richtung ostwärts zieht und die Nordgrenzen der Gemeindemarkungen Ober-Eßlingen, Zell und Altbach bildet, auch theilweise noch befahren wird. Ihre Fortsetzung im Oberamt Schorndorf soll unter dem Namen Kaiserstraße ihre Richtung gegen Hohenstaufen nehmen. Wie wohl alle Römerstraßen, so wurde auch diese noch lange im Mittelalter gebraucht,| und die Stadt Eßlingen setzte sich mittelst gepflasterter Steigen mit derselben in Verbindung. Sie wird noch 1603 als der „alte Postweg über Uhlbach, Rüdern und Hainbach“ genannt, war aber damals schon gänzlich unbrauchbar geworden, Pfaff, Gesch. S. 217 und 726. Der Verbindungsweg mit der Stadt über Serach heißt 1441 der Hertweg, 1467 die Landstraße. Übrigens haben sich an dieser Straße bis jetzt keine römischen Alterthümer gefunden, wie auch die Stadt selbst keine solche aufweist; nur werden, übrigens ohne nähere Nachricht, von Keller, Beschr. S. 33, römische Urnen erwähnt, welche in der Ebershalde ausgegraben worden seyn sollen. Eine andere Römerstraße kam von Canstatt durch das Neckarthal und zwar am linken Flußufer herauf, und wurde aus Veranlassung der Bauten in Weil 1819 als eine regelmäßige via strata aufgedeckt. Sie zog von Weil auf die Nellinger Höhe, wo sie in den Lagerbüchern „die Hauchstraß am Weilerpfad“ heißt, und von da gegen Berkheim, an dessen westlichem Ende sie unter dem Namen der „Howweg“ (hohe Weg) noch 1493 vorkommt. Von hier führt sie in gerader südöstlicher Richtung über das Ackerfeld, sodann durch einen flachen Einschnitt ins Kerschthal hinab und durch einen gleichen auf der andern Seite wieder hinauf, um immerfort in gerader Richtung unter dem Namen „der steinige Weg“ einen der merkwürdigsten Römerpunkte des Landes, das Burgfeld bei Köngen, zu erreichen. Wir haben an einem andern Ort (Württ. Jahrb. 1832. S. 39 ff.) eine nähere Beschreibung dieses Ortes, als eines wichtigen Gliedes in der Kette der römischen festen Plätze am linken Neckarufer gegeben, und beschränken uns daher hier auf eine kurze Zusammenfassung des Wesentlichen. Das Burgfeld ist eine, 1/8 Stunde südlich von Köngen über dem Neckarthal und gegenüber der Einmündung des Lauterthales gelegene freie Ackerfläche, welche durch die um dieselbe sich herumziehende natürliche Vertiefung, den sogenannten Bubenbach, und eine noch| jetzt unverkennbare künstliche Umwallung hinreichend befestigt und nur von der Nordseite auf ebenem Wege zugänglich war. Diese Stelle ist wegen ihrer ausgebreiteten Aussicht in das Neckarthal auf und abwärts, in das Lauterthal und gegen die ganze Alpkette, eine der schönsten im Neckarlande. Daß dieser Boden römische Überreste berge, hat sich durch verschiedene Alterthümer, namentlich aber durch Münzen verrathen, die von Zeit zu Zeit hier aufgefunden wurden, wie denn auch der Name Goldäcker, den ein Gewand des Burgfeldes führt, schwerlich anderswoher als von einem glücklichen Fund goldener Münzen rührt. Denn die vielen, die ganze Fläche durchziehenden Grundmauern, auf welche der Pflug und die Hacke des Landmanns stieß, lassen nicht erwarten, daß diese Felder um ihrer Güte willen jenen Namen erhalten haben. Gerade die Absicht, den Untergrund ihrer Felder zu verbessern, bestimmte die Einwohner zu Aufgrabungen, welche 1783 von Herzog Carl in ausgedehnter und planmäßiger Weise angeordnet und auf einer bedeutenden Strecke des Burgfeldes ausgeführt wurden. Sattler, topogr. Gesch. S. 507b. Das Ergebniß war sehr lohnend, man fand Straßen, Wasserleitungen und die Fundamente, Souterrains und Hypocausten regelmäßiger, augenscheinlich durch Feuer zerstörter Gebäudeanlagen, welche auf die Ausdehnung einer Stadt schließen ließen, und in denselben eine grosse Anzahl merkwürdiger, zum Theil werthvoller Anticaglien, z. B. zwei schöne Bronce-Statuetten des Jupiter und der Minerva, mehrere Schreibgriffeln, große Amphoren, samische Gefässe, Köpfe und andere Bruchstücke von Statuen aus Sandstein, Münzen bis auf Kaiser Gallus 251–3. (Siehe das amtliche Verzeichniß in den württ. Jahrb. 1837. S. 405 ff.) Diese Gegenstände wurden anfänglich im Schlosse in Köngen aufbewahrt, kamen aber im Jahr 1814, freilich nur dem kleinsten Theile nach, in das Antiquarium nach Stuttgart; der größte und beste Theil wurde verschleppt. Da jene Ausgrabungen sich nicht über die ganze Fläche der| alten Römerstadt erstreckten, so kamen auch später, und kommen noch heute bald mehr bald minder erhebliche Überreste zum Vorschein, die es sehr wünschenswerth machen, daß die früheren Untersuchungen mit einigem Nachdruck wieder aufgenommen werden. Die wichtigste Entdeckung war die eines 1832 aufgegrabenen Gelübdesteins mit abgeschlagenen Bildwerken und einer Inschrift ( Jahrb. 1832. S. 42). Diese lautet nach einer inzwischen (Jahrb. 1837. S. 162) berichtigten Lesart:
DEO· MERCURIO. VI
SVCIO. ET. SACTE. VISU
CIE. P. QVARTIONIVS
SECVNDINVS. DECV
cIVI. SVMA...IV. V. S. L. M.
Daraus ergiebt sich Folgendes: Der Decurio (Stadtrat!)) einer Stadt Suma.., mit Namen Publius Quartionius, stiftet vermöge Gelübdes dem Mercurius Visucius und der heiligen Visucia eine Capelle. (Der Stein nämlich, der sich jetzt in dem k. Antiquarium befindet, ist kein Altar, sondern nach allen Umständen der Dedikationsstein eines Sacellum gewesen.) Die genannten Götter sind offenbar gallische Local-Gottheiten, vielleicht von der Stadt Visontio oder Besançon. Daß solche, ursprüngliche locale Culte, sich weit verbreiteten, ist namentlich durch Beispiele aus unserer Gegend bekannt. Ob die Buchstaben SVMA, dem Namen dieser Römerstadt angehören, oder auf Sumlocenne (Rottenburg) zu beziehen sind, oder ob das Clarenna der Peutingerschen Tafel hier zu suchen ist, kann bei dem Mangel anderweitiger Nachrichten und Bestimmungsgründe kein Mensch wissen. – Von andern antiken Gegenständen, welche die Aufmerksamkeit des Topographen Paulus in neuester Zeit hier gefunden und gesammelt hat, erwähnen wir: einen zierlich gearbeiteten Stimmhammer einer Lyra aus Bronce; Bruchstück eines Reliefs aus Sandstein, wahrscheinlich die Diana vorstellend; einen trefflich gearbeiteten, leider beschädigten Kopf des Kaisers Antoninus Pius mit| einem dichten Lorbeerkranz, über Lebensgröße.[1] – Die von Köngen 1) östlich über Pfauhausen, wo 1811 Reste eines römischen Gebäudes aufgedeckt wurden, gegen den Limes oder die Reichsgrenze, 2) über Wendlingen und Kirchheim nach der Alp gegen Faimingen und Augsburg, und 3) und 4) südlich und südwestlich gegen Nürtingen und Rottenburg ausgelaufenen alten Straßen bedürfen noch| näherer Untersuchung und fallen ohnedieß außer den diesseitigen Bezirk. Von den beiden letzteren wird in der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen die Rede werden. 5) Auf einen Zusammenhang mit Vaihingen auf den Fildern und der von dort gegen Pforzheim ziehenden Straße scheinen die bei Denkendorf, Ruith und Heumaden vorkommenden Benennungen „Heerweg,“ „Heerstraße,“ mehr aber noch wirkliche Straßenspuren etwas südlich von Denkendorf und bei Echterdingen zu deuten. Nach allen Umständen hat man bei Köngen einen der wichtigsten Neckar-Übergänge anzunehmen.


B. Deutsche.

Von Todtenhügeln, die man den Deutschen zuzuschreiben pflegt, die aber eben so gut von Römern und Galliern herrühren können, hat man einzelne Spuren an der nach dem Schurwald ziehenden Römerstraße. Namentlich scheint der Hügel, auf welchem die Catharinenlinde sich erhebt, ein solcher zu seyn. Ausgrabungen sind unsers Wissens noch nicht veranstaltet worden.

Eine im Mittelalter frequente Straße war (außer der noch jetzt bestehenden Hauptstraße von Plochingen nach Eßlingen) die 1300 erwähnte „Hochstraße,“ welche über Sirnau und die Kersch, unter der Kerschburg (s. Denkendorf) vorbei nach Köngen und Kirchheim führte. Von ihrer Unterhaltung handelt eine Vertragsurkunde zwischen Denkendorf und Eßlingen vom Jahr 1353 (Schmidlin S. 255).

An Ritterburgen war auch in diesem Bezirk kein Mangel, worüber das Nähere in der Ortsbeschreibung zu ersehen ist. Ganz verschwunden sind: die Kürnenburg (s. Kennenburg); ein Burgstall in der Nähe von Kimmichsweiler, von Keller (Beschr. S. 139) fälschlich für Kürnenburg angesehen, Plochingen, Wendlingen, Bodelshofen, Kerschburg (s. Denkendorf), Wernitzhausen. In verändertem Zustande oder nur theilweise sind noch vorhanden die| Schlösser von Köngen, Neuhausen, Pfauhausen und Steinbach. Das Schlößchen Hohenkreuz ist neuerer Entstehung.

Abgegangene Weiler sind: Heusteig und Harschwärz (Ober-Eßlingen), Ober-Sirnau (Deizisau), Weiler Kerse (Denkendorf), Steinigenhard bei Serach, und wahrscheinlich auch Bornhausen (Plochingen), und Eglisweiler (Aichschieß).




  1. Weitere Untersuchungen, welche Topogr. Paulus im April 1844 anstellte, brachten mehrere schöne Estrichboden und Grundmauern ansehnlicher Gebäude mit Resten zierlicher Bronce- und Thongeräthe, unter andern auch einen Raum zu Tage, welchen man nach seiner Einrichtung und den darin gefundenen Fleischhaken etc. für ein Schlachthaus erkannte. Viele Menschenknochen, die man unter den Trümmern fand, zeugen von einer furchtbaren Zerstörung, welche hier nicht nur gegen die Gebäude, sondern auch gegen die unglücklichen Bewohner wüthete. Übrigens ergab sich, daß die Ausdehnung dieser Niederlassung sehr bedeutend war, und sich über den Raum des Burgfeldes hinaus gegen die Burgwiesen und gegen Köngen hin erstreckte, wo man sogar im Ort selbst Spuren von römischen Gebäuden fand. Die Vorstellung, welche sich Hr. Paulus von der Häuseranlage gebildet hat, geben wir mit dessen eigenen Worten aus seinem Bericht vom 19. Juli d. J.: „Die Hauptstraße dieser Niederlassung führte von Ost nach West quer über das Burgfeld. Zunächst dieser Straße zeigt sich eine Regelmäßigkeit in der Anlage der Gebäude, indem diese in zwei Reihen zu beiden Seiten der Straßen in Zwischenräumen gebaut waren, und zwar, wie es scheint, immer so, daß je ein Gebäude auf der einen Seite der Straße vor dem Zwischenraum von zweien auf der andern Seite stand, damit nie die Aussicht von einem Hause durch ein gegenüberstehendes verbaut wäre. Je weiter übrigens die Gelände von dieser Hauptstraße entfernt waren, desto weniger wurde eine solche Reihenanlage eingehalten, sondern die Häuser standen mehr vereinzelt, jedoch immer noch so, daß man von ihnen eine freie Aussicht gegen das Neckarthal hatte. Sämmtliche Gelände scheinen gegen Südost orientirt gewesen zu sehn, so daß sich mit ziemlicher Gewißheit vermuthen läßt, die Römer haben hier in Anlage ihrer Niederlassung den sog. Sonnenbau beobachtet.“ – Fernere Spuren römischer Wohnplätze finden sich 1/4 Stunde nördlich von Köngen auf der sog. Hattenmauer (Heidenmauer?), östlich von Wendlingen auf den Maueräckern, und dem Burgfeld gegenüber auf Unter-Boihinger Markung. Von letzterer Stelle wird in der OA.-Beschr. von Nürtingen die Rede seyn. – Noch verdient hier angemerkt zu werden, daß, nach einer gef. Mittheilung des Herrn Hofdomänenrath v. Gok, in den Köngener Lagerbüchern von 1524 und 1534 mehrere Güter als „beim Löwenbild“ am steinigen Weg gelegen, angeführt werden. – Der Name Schelmenacker, welchen ein etwas vertiefter und feuchter Platz führt, deutet auf das Leichenfeld der alten Niederlassung, wo häufige Irrlichter dem Aberglauben Stoff zu schauerlichen Sagen bieten.


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