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Unter-Reichenbach,
Gemeinde III. Kl., Pfarrdorf, mit der Öl- und der Mißsägmühle, mit 480 Einw., wor. 5 Kath. – Evang. Pfarrei; die Kath. sind nach Weil d. Stadt, O.A. Leonberg, eingepfarrt.


An dem Vereinigungspunkt des Reichenbachs mit der Nagold hat der nicht große Ort theils in der Thalebene, theils auf einem mäßig erhöhten Terrainausläufer, um den die Nagold einen schönen Bogen beschreibt, eine angenehme, übrigens ziemlich unebene, Lage. Durch den Ort führt die Vicinalstraße von Calw nach Pforzheim und eine weitere ist nach Grunbach angelegt. Die Entfernung von der südlich gelegenen Oberamtsstadt beträgt 31/4 Stunden und die von Pforzheim 2 Stunden.

Die auf dem höchsten Punkte des Orts gelegene Pfarrkirche, welche, sowie das in deren Nähe gelegene Pfarrhaus, der Staat zu unterhalten hat, ist unansehnlich; das Langhaus derselben wurde im Jahr 1803 neu erbaut, während der mit einem halben Achteck schließende Chor mit seinen gedoppelten, spitzbogigen Fensterchen noch aus der Übergangsperiode von der romanischen in die germanische Bauweise stammt. Auf der vorderen Giebelseite sitzt ein kleines, verschindeltes Thürmchen (Dachreiter), das 2 Glocken enthält, von denen die größere 1784 von C. F. Blüher in Stuttgart, die kleinere 1825 von Heinrich Kurz in Stuttgart gegossen wurde. Das Innere der Kirche hat außer einem alten Taufstein nichts Bemerkenswerthes. Der um die Kirche gelegene, noch ummauerte Begräbnißplatz wurde im Jahr 1837 aufgegeben und ein neuer außerhalb, westlich, des Orts angelegt.

Das der Kirche gegenüber stehende Schulhaus wurde im | Jahr 1838 ansehnlich erbaut; es enthält ein geräumiges Lehrzimmer, die Wohnung des Schulmeisters und die Gelasse für den Gemeinderath.

Auch ein Gemeindewaschhaus und ein Armenhaus sind vorhanden.

Gutes Trinkwasser liefern 2 laufende Brunnen; überdieß entspringen auf der Markung mehrere nie versiegende Quellen, von denen der 1/2 Stunde vom Ort im Kapfenhardter Thal entspringende sogen. gute Brunnen, ein vortreffliches Wasser, das eine etwas höhere Temperatur hat, liefert und früher in großem Rufe stand [1]; noch jetzt besuchen Kranke die Quelle oder lassen sich Wasser aus ihr bringen. Außerhalb des Orts besteht ein kleiner Weiher, der durch eine auf seinem Grund entspringende Quelle gespeist wird.

Die zunächst am Ort vorbeifließende Nagold führt Weißfische, Barben, Nasen, Aschen, Forellen und Aale und der durch den Ort fließende Reichenbach beherbergt Forellen und Krebse. Das Fischrecht in der ersteren haben mehrere Privaten, das im Reichenbach der Staat, welcher es verpachtet. Am Ort ist eine hölzerne Brücke über die Nagold angelegt und oberhalb des Orts besteht ein hölzerner Steg; beide hat die Gemeinde zu unterhalten. Überdieß führen im Ort 2 steinerne Brücken über den Reichenbach.

Die Haupterwerbsquellen der Einwohner bestehen in Flößerei und Handel mit Langholz und Schnittwaaren; während der landwirthschaftliche Betrieb bei der ganz unbedeutenden Feldmarkung eine kleine Rolle spielt. Das Getreideerzeugniß ist so unbedeutend, daß nicht eine Familie im Ort ist, die ihren Bedarf selbst bauen würde, daher viel Getreide von Außen bezogen werden muß. Dagegen ist der Wiesenbau etwas namhafter und die mit Mostsorten und etwas Zwetschgen sich beschäftigende Obstzucht erlaubt in günstigen Jahren noch einen Verkauf nach Außen.

In Folge ihrer Beschäftigungsweise sind die Einwohner etwas derb in Sitten, übrigens im Allgemeinen fleißig und rührig; indessen suchen sich viele auch durch Taglohnen und durch Arbeiten in den Fabriken zu Pforzheim ihr Auskommen zu sichern. Mit Ausnahme einiger vermöglicher Holzhändler ist das Vermögen der übrigen Einwohner ziemlich mittelmäßig, bei Vielen sogar gering. Etwa 4 Familien erhalten Unterstützung von Seiten der Gemeinde.

Die kleine Markung, die sich nur auf der linken Seite der Nagold in einem schmalen Streifen ausdehnt, während jenseits der | Nagold das Großherzogthum Baden angrenzt, hat einen fruchtbaren rothsandigen Boden, der meist mit der Hacke gebaut und vorzugsweise für den Kartoffelbau benützt wird. Die Preise des Ackerlandes bewegen sich von 200–800 fl. und die der Wiesen von 150–600 fl. per Morgen.

Der aus verschiedenen Racen bestehende Rindviehstand beschränkt sich hauptsächlich auf den eigenen Bedarf und wird durch 2 Landfarren, die ein Bürger Namens der Gemeinde anschafft und gegen Nutznießung von 4 Morgen Wiesen unterhält, nachgezüchtet. Die Stallfütterung ist eingeführt.

Die Zucht der Schweine, wie die der Bienen und des Geflügels ist nicht von Belang.

Von Gewerben sind 4 Sägmühlen zu nennen, von denen die sogen. Mißsägmühle 1/8 Stunde unterhalb des Orts an der Nagold, und eine weitere in Verbindung mit einer Ölmühle westlich vom Ort an dem Reichenbach liegt. Schildwirthschaften sind 3 und Krämer 2 im Ort. Bau- und Mühlsteine werden aus den überall verbreiteten Trümmergesteinen gewonnen.

Die Gemeinde besitzt 219 Morgen Waldungen, deren jährlicher Ertrag verkauft und der Erlös zu Gemeindezwecken verwendet wird. Eine Holzgerechtigkeit, nach der jeder Bürger jährlich 3/4 Klafter und 37 St. Wellen Nadelholz erhielt, wurde nebst einer Weidgerechtigkeit im Jahr 1851 abgelöst; für die erhaltene Summe kaufte die Gemeinde etwa 16 Morgen Güter, die sie an die Bürgerschaft in der Art vertheilte, daß jedem Bürger 1/4 Morgen zur unentgeldlichen Benützung überlassen wurde. Über das Vermögen der Gemeinde- und Stiftungspflege s. Tabelle III.

Der Ort theilte die Schicksale Liebenzells, mit welchem er 1603 an Württemberg kam.

Die Nomination und Confirmation des Pfarrers steht der Krone Württemberg zu.


  1. Joh. Val. Andreä schreibt davon im Jahre 1646, in Seleniana Augustalia epist. 146.
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