« Kapitel B 6 Beschreibung des Oberamts Böblingen Kapitel B 8 »
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7. Dätzingen,
ein 3 Stunden nordwestlich von Böblingen gelegenes Pfarrdorf, der einzige katholische Ort des Bezirks mit 640 Einwohnern, worunter 5 evangelische. Der nicht große, reinliche Ort, durch den die Poststraße von Böblingen nach Calw führt, liegt in dem engen, wiesenreichen Thale des Altbachs, dessen meist kultivirten Gehänge ziemlich hoch, aber nicht besonders steil sind. Die schöne, freundliche Kirche, das ansehnliche, dem Grafen von Dillen gehörige Schloß mit seinen Gartenanlagen und einige hübsche Häuser an der Landstraße verleihen demselben ein freundliches Aussehen und zeichnen ihn vor andern Orten des Bezirks vortheilhaft aus. Vortreffliches Trinkwasser spenden fünf Rohrbrunnen und überdieß fließt der nie vertrocknende Altbach, welcher in den gräflich Dillenschen Anlagen zu einem Weiher geschwellt wird, mitten durch das Dorf. Unfern dieses Weihers befindet sich noch ein kleiner See in den Anlagen, so daß demnach für alle eintretenden Fälle hinreichend Wasser vorhanden ist. Der Altbach, welcher im Ort eine Sägemühle und 1/8 Stunde unterhalb desselben eine Mahlmühle treibt, mündet 1/4 Stunde östlich von Dätzingen in die Würm. Die Luft ist etwas rauh und trocken; die Sommernächte sind mehr kühl als warm und Frühlingsfröste nicht selten. Die Ernte tritt um 8 Tage später als in dem nur eine Stunde entfernten Weil der Stadt ein und beinahe 14 Tage später als im Unterland. Schädliche Gewitter sind selten, da die meisten entweder dem Nagoldthale oder dem Gäu zuziehen; eine Ausnahme hievon machte der Jahrgang 1834, in welchem beinahe die ganze Markung vom Hagel getroffen wurde. An der nördlichen Seite des Orts liegt auf einer etwas erhabenen Stelle die im modernen Rundbogenstyl gehaltene Pfarrkirche zum heiligen Leonhard, welche König Friedrich im Jahr 1812/13 auf Staatskosten erbauen ließ. Sie ist in ihrem Innern hell und sehr geräumig, mehrere Ölgemälde, unter denen eines, Christus am Kreuze vorstellend, das beste ist, zieren die freundliche, durchaus weiß getünchte Kirche. Eine vortreffliche, aus dem Kloster Löwenthal hieher gebrachte Orgel in Rococcofassung, steht an der westlichen Giebelseite der Kirche. Der viereckige Thurm, ein sogenannter Dachreiter, mit flach gedrücktem vierseitigem Zeltdache, sitzt auf dem östlichen Giebel. Auf ihm hängen 2 Glocken, von denen die größte folgende wegen ihres Alters sehr interessante Inschrift hat: »fundata est kampana a magistro heimo de tuwingen ab incarnacione domini anno 1306.« Die kleinere, nach ihrer Form noch ältere, hat weder Inschrift noch Zeichen. Beide Glocken waren früher in der alten Schloßkirche,| die in den gegenwärtigen Anlagen vor dem gräflichen Schloß stand. Die Baulast, wie die Kultkosten, trägt der Staat.

Den früher im Schloßgarten gelegenen Begräbnißplatz ließ der verstorbene Deutschordenscommenthur von Flaxlanden auf seine Kosten an das südliche Ende des Orts verlegen. Derselbe ist mit einer Mauer umfriedigt, die der Staat zu unterhalten hat. Das 1814 auf Staatskosten erbaute Pfarrhaus liegt von allen Seiten frei, unweit der Kirche und befindet sich in gutem baulichen Zustande. Die Unterhaltung steht gleichfalls dem Staate zu. Das an der Hauptstraße mitten im Ort gelegene Schulhaus mit Rathsstube und Lehrerwohnung wurde 1819 auf Kosten der Gemeinde beinahe ganz neu erbaut. An der Schule unterrichtet ein Lehrer und ein Lehrgehilfe. Den Winter über besteht eine Industrieschule für die weibliche Schuljugend. Beinahe in der Mitte des Dorfs liegt das sehr ansehnliche gräflich von Dillen’sche Schloß; es ist in einfachem modernen Style erbaut und hat an der Vorderseite einen auf Säulen, welche Rundbögen verbinden, ruhenden Vorbau (bedeckten Balkon) in dessen Frontispice das Familienwappen der Grafen von Dillen in Stuckarbeit angebracht ist. Schöne, geschmackvolle Gartenanlagen umgeben das Schloß auf drei Seiten, während an der Rückseite ein großer Hofraum, in welchem die Öconomiegebäude und Wohnungen der Dienerschaft stehen, sich anlehnt. Vor dem Schloß ist ein kreisrundes Bassin mit Springbrunnen angebracht. Das Ganze ist mit einer hohen Mauer umfriedigt. An der westlichen Seite dieses Complexes führt eine schattige Lindenallee und scheidet denselben von dem eigentlichen Lustgarten. Dieser, auf der Ostseite zu Blumen- und Küchengarten benutzte ausgedehnte Raum, in welchem sich auch ein Treibhaus befindet, geht gegen Westen in einen kleinen Park über. Einige Pavillons, die durch vielfach gekrümmte Wege verbunden sind und zwei Seen, von denen der größere eine Insel umschließt, zieren diese einsame, stille Partie. An den westlichen Saum des aus den verschiedensten Holzarten bestehenden Lustwäldchens grenzt ein Baumgut und üppiger Wiesengrund.

Die Ortseinwohner sind im Durchschnitt hager, schlank, meist blaß und erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit. Epidemien kommen selten vor und gehen schnell vorüber; unter die häufigsten Krankheiten gehören: Entzündungen, Zehrfieber, Lungenschwindsucht, in höherem Alter aber Schlagflüsse und Wassersuchten. Leute von hohem Alter gibt es ziemlich viele. Die Tracht der Dätzinger ist mehr eine städtische, welche bei den Männern die dreieckigen Hüte, Lederhosen etc. und bei den Frauen die sogenannten Weil der Städter Häubchen beinahe ganz verdrängt hat.| Letztere kleiden sich nach französischer Mode, meist etwas buntfarbig. Seit etwa 10 Jahren haben die Volksbelustigungen so abgenommen, daß sie gegenwärtig beinahe ganz verschwunden sind. Im Allgemeinen findet man bei den Ortsangehörigen Heiterkeit im Umgang, Dienstfertigkeit und ein städtisches Benehmen, überhaupt theilen sie die Sitte aller jener Orte, in welchen adelige Herrschaften sich befinden. Sie sind mit wenigen Ausnahmen unbemittelt und ernähren sich meist vom Feldbau; einige handeln mit Holz, das sie in dem 5 bis 6 Stunden entlegenen Schwarzwalde aufkaufen und in Stuttgart wieder absetzen. Die Landwirtschaft ist gerade nicht im besten Zustande, was mitunter von der meist unebenen Lage der sehr klein vertheilten Felder, von dem steinigen, zum Theil schlechten Muschelkalkboden und von dem Mangel an Dünger herrührt. In nassen Jahrgängen gedeihen die Feldfrüchte am besten. Als Besserungsmittel des Bodens werden neben dem gewöhnlichen Dünger die Jauche, Gyps, Asche und Salzasche angewandt. Seit etlichen Jahren findet auch der Suppinger Pflug einigen Eingang. Ein großes Gut besitzt die Grundherrschaft, das jedoch nicht in einem Stück zusammenhängt, sondern auf der Markung vertheilt ist. Im System der Dreifelderwirthschaft baut man hauptsächlich rothen Dinkel, welcher zur Aussaat auswärts sehr gesucht ist, dann Hafer, Gerste, weniger Roggen, etwas Weizen und Einkorn. Das Getreide wird auf den Schrannen in Weil der Stadt und Calw abgesetzt. Auf den Morgen rechnet man Aussaat an Dinkel 8 Simri, an Hafer 4 Simri, an Gerste 21/2 Simri, an Roggen 2 Simri, an Weizen 3 Simri und an Einkorn 4 Simri. Der durchschnittliche Ertrag wird per Morgen zu 8 Scheffel Dinkel, 4 Scheffel Hafer, 3–4 Scheffel Gerste, 11/2–2 Scheffel Roggen, 11/2 Scheffel Weizen und 6–7 Scheffel Einkorn angegeben. Mehr als die Hälfte der Brache wird mit Kartoffeln, Reps, Runkelrüben, weißen Rüben, Erbsen, Linsen und Futterkräutern eingebaut. Hopfen zieht man mit ziemlich gutem Erfolg. Aus den Ackerpreisen, die sich für einen Morgen von der geringsten Beschaffenheit auf 20 fl., von mittlerer auf 200 fl. und von der besten auf 500 fl. stellen, läßt sich die große Verschiedenheit der Felder ermessen. Die ergiebigen Wiesen, welche größtentheils bewässert werden können, sind zweimähdig; zuweilen dreimähdig und liefern vorzügliches Futter, von dem viel auswärts verkauft wird. Der geringste Preis einer Wiese ist per Morgen 400 fl., der mittlere 700 fl. und der höchste 1000 fl. Wegen des rauhen Klimas geräth das Obst nicht gerne, die Bäume leiden häufig durch Frühlingsfröste und erfrieren zuweilen in kalten Wintern. Die Obstzucht ist daher unbedeutend und beschränkt sich meist auf | späte Sorten. Feines Tafelobst wird nur in dem gräflichen Schloßgarten gezogen. Eine Baumschule, in welcher der Schuljugend die Behandlung der Obstbäume gezeigt wird, ist vorhanden. Die Gemeinde besitzt 319 Morgen mittelmäßig bestockte Laub- und Nadelholz-Bestände, aus denen jährlich 80–100 Klafter und 3200 Stück Wellen geschlagen werden. Es werden Bürgergaben gereicht und zwar beziehen diejenigen, die eine sogenannte ganze Gerechtigkeit besitzen, 1 Klafter und 50–60 Stück Wellen, andere dagegen nur die Hälfte oder 1/4 dieses Quantums. Die sehr gesunde Weide wird mit fremden Schafen beschlagen und trägt gegenwärtig einen jährlichen Pacht von 400 fl. Die Pferdezucht ist unbedeutend, dagegen die Rindviehzucht gut, letztere beschäftigt sich mit gewöhnlicher Landrace, die durch gute, auf Kosten des Staatskammerguts gehaltene Farren sich immer noch bessert. Das Vieh bildet einen besondern Erwerbszweig, indem viel auf benachbarten Märkten abgesetzt wird. Seit die Schafweide in fremden Händen ist, hat die Schafzucht abgenommen. Ziegen werden nur von Unbemittelten gehalten. Die Bienenzucht ist im Abnehmen. Von den Professionisten arbeiten nur die Zimmerleute, welche namentlich für den Mühlenbau gesucht sind, nach Außen. Es befinden sich 3 Schildwirthschaften, 1 Kaufmann und 1 Krämer im Ort. Außer der Staatsstraße, die durch den Ort und in demselben über eine steinerne Brücke führt, gehen noch Vicinalstraßen nach Weil der Stadt und nach Aidlingen. Die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde haben sich in letzterer Zeit, namentlich durch die Bemühungen des vormaligen Schultheißen Rühle, vortheilhaft geändert. Die Gemeinde hatte noch im Jahr 1817 3600 fl. Schulden, gegenwärtig aber ein Activcapital von 2700 fl. Diese günstige Veränderung wurde theils durch die Verleihung der Schafweide, welche früher an die Ortsbürger vertheilt war, theils durch den Erlös aus Holz erzielt. Das Vermögen der Stiftungspflege beträgt 400–500 fl.

Der große Zehenten auf der Markung Dätzingen ging zugleich mit der Commenthurei an die Staatsfinanzverwaltung über, wurde aber von dieser im Jahr 1812 nebst dem kleinen-, Heu-, Wein- und lebendigen Zehenten an den Grafen von Dillen verkauft. Neben diesem bezieht der Staat grundherrliche Gefälle aus der Markung.

Die älteste Schreibung des Ortsnamens ist Tatichingen (1075). Datichingen (zwischen 1143 – 1167, Trad. Reichenb. bei Kuen Coll. 2, 65), Tethechingen (1281, Urk. im Stuttgarter Staatsarchiv).

In sehr früher Zeit gehörte die Lehnensoberherrlichkeit in diesem| Orte wenigstens theilweise dem gräflichen Hause Achalm-Urach-Fürstenberg, wobei das gräfliche Haus Calw concurrirte. Von hiesigem Ortsadel kommt vor im Jahr 1075 Okt. 9. in der Urkunde K. Heinrichs IV. für das Kloster Hirschau Managolt de Tatichingen, welcher zugleich mit Graf Liutold von Achalm, ohne Zweifel seinem Lehensherrn, als Zeuge genannt wird. (Mon. Boic. 29. nr. 423.) Ums Jahr 1140 treten auf Marquardus de Dettichingen (so ist wohl statt Detthingen zu lesen) und seine Söhne Hug und Wecil, welche das Kloster Hirschau mit all ihrem Besitz in Dätzingen (Dettichingen) beschenkten. (Cod. Hirs. S. 65 ed. Stuttg.) Ganz ausdrücklich als gräflich fürstenbergischer Ministerial erscheint der Ritter Ulrich von Dätzingen, welchem die Verschenkung all seines Besitzes an den Johanniterorden von seinem Dienstherrn Graf Heinrich von Fürstenberg den 19. Mai 1263 bezeugt wird. Im Jahr 1281 wird genannt Friedrich von „Detchingen“ und seine Gemahlin Adelheid, dessen Familie ihren hiesigen Besitz von den Grafen von Vaihingen, einem Zweige der Calwer Grafen, zu Lehen trug; wenigstens waren Balsan et Fridericus frater suus filii quondam Friderici milites de Tethechingen mit hiesiger Vogtei und Gütern belehnt, als am 6.. Dec. 1282 Graf Konrad von Vaihingen die Oberherrlichkeit über beide an die hiesige Johannitercommende veräußerte.

Diese Erwerbungen von 1263 und 1282 sind die Grundlagen, auf welche hin der Johanniterorden nach und nach zum Besitz des ganzen Orts gelangte; noch in der Zeit zwischen den genannten Jahren den 10. Oct. 1277 erwarb er von Konrad von Waldeck genannt Truchseß, einen Theil des Zehenten; im Jahr 1281 erkaufte er Güter von Friedrich von Dätzingen und in demselben Jahr von Kloster Hirschau, im Jahr 1332 Dec. 23. ertauschte er einen hiesigen Frohnhof nebst dem Kirchensatz gegen die Burg Rorau (Oberamts Herrenberg) von Graf Rudolph von Hohenberg, Landvogt im Elsaß. Gleich im 13. Jahrhundert ist Dätzingen ein Johannitercomthursitz geworden; im Jahr 1283 erscheint „Heinrich der Commendur“ von Dätzingen als Zeuge Schwiggers von Ehningen (Original im Stuttgarter Staatsarchiv); im Jahr 1332 Dec. 5. und 1333 April 10. Heinrich von Sulz Hauscomthur zu Dätzingen (ebendaselbst). Später wurde die Commende Rohrdorf und Dätzingen combinirt. Der letzte Comthur war Joh. Baptist Freiherr von Flaxlanden.

Von Klöstern erscheint außer Hirschau, wovon bereits die Rede war, das Priorat Reichenbach schon im 12. Jahrhundert allhier begütert. (Kuen a. a. O.)

Die hohe Gerichtsbarkeit war indeß, trotz diesen geistlichen| Herren, noch lange Zeit in den Händen von Württemberg und gehörte zu dessen Vogtei Böblingen, bis sie den 14. Juni 1738 an den Johanniterorden abgetreten wurde.

Durch den Preßburger Frieden von 1805 erwarb Württemberg unter anderen Johanniterbesitzungen auch diesen Ort, worauf im März 1810 König Friedrich das hiesige Schloß dem Generallieutenant Carl Ludwig Freiherr (nachherigen Grafen) von Dillen schenkte und für ein adeliges Gut, welche Qualität auch auf alle zu erkaufenden Liegenschaften übergehen sollte, erklärte. Den Zehenten, welcher in der Schenkung nicht begriffen war, brachte Graf Dillen erst 1812 käuflich an sich.

Die hiesige Kirche gehörte, wie bereits erwähnt, vor 1332 den Grafen von Hohenberg, später dem Johanniterorden, von dem sie mit Dätzingen selbst an Württemberg gelangte.

Zeitweise war diese Kirche dem Orden incorporirt, namentlich im 15. Jahrhundert (Würdtwein Subsid. 10, 340); im Anfang des 17. Jahrhunderts bestand eine eigene Pfarrstelle, dagegen wurde schon wieder im Jahr 1652 die Pfarrei durch die Capuciner von Weil der Stadt versehen und zwar von 1652–1671 per non ordinarios, von 1671–1784 per ordinarios. Im Jahr 1784 März 20. ernannte der Comthur wieder einen eigenen Ortsgeistlichen, jedoch nur unter dem Namen Pfarrvicar, indem sich jeder Comthur vermöge der päpstlichen Privilegien als eigentlichen Pfarrer betrachtete. Eine neue Festsetzung des pfarramtlichen Einkommens fand im Jahr 1804 statt, aus Veranlassung der Bestellung eines neuen Pfarrvicars.

Im Jahr 1812 wurde die Pfarrei mit der Pfarrstelle in Weil der Stadt vereinigt und von da aus vicario modo versehen; doch schon in demselben Jahre verordnete König Friedrich I. wieder die Trennung und Einsetzung eines eigenen Pfarrers in Dätzingen. Ein Pfarrhaus für diesen wurde im Jahr 1814 erbaut.

Die Unterordnung unter das ehemalige Hochstift Speier, an welches ratione fori conscientiae et approbationis gehalten wurde, war sehr lose gewesen, da der Comthur sich als Bischof und den Ort als exemt betrachtete. Im Jahr 1817 fiel Dätzingen an das inländische Generalvicariat und so fort an das Bisthum Rottenburg; in demselben Jahre kam es auch an das Dekanat Stuttgart, da es vorher mit dem Dekanat Weil der Stadt in freilich lockerem Verbande stand.