Berliner Bilder/Die Schule des Abgeordneten

Textdaten
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Autor: Ernst Kossak
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Titel: Die Schule des Abgeordneten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 73–75
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Berliner Bilder.

Von E. Kossak.
Nr. 12. Die Schule der Abgeordneten.

Ein großer Kenner unserer sterblichen Natur hat behauptet, daß der Mensch zur Erhaltung seines Wohlbefindens von Zeit zu Zeit kleiner Anregungen bedürfe, die er am besten durch Einverleibung bescheidener Mengen weingeisthaltiger Flüssigkeiten erziele. Bekanntlich war dieser Satz schon lange vorher, ehe der große Kenner ihn theoretisch ausgesprochen hatte, in das Bewußtsein der Menschheit übergegangen und ein wichtiger Bestandtheil ihrer bürgerlichen Praxis geworden. Aber es ist deutlich, daß der ausgezeichnete Physiologe und Diätetiker dennoch der Menge einen sehr wichtigen Dienst geleistet hat, da sein weiser Ausspruch dem bisherigen Uebermaß im Streben nach Anregung ein Ende zu machen und das Volk für Einschränkung seiner Genüsse zu stimmen sucht. Die volksthümliche Presse und die Zunahme einer soliden Bierbrauerei fördern den schätzenswerthen theoretischen Satz, und nachgerade beginnen jene schon um zehn Uhr Vormittags angeregten Staatsbürger zu verschwinden und [74] den durch sie gestörten Verkehr in den Gassen frei zu machen.

Ja, der Mensch braucht einige Anregung. Wenn die Behauptung Mesmer’s: wir leben, um – zu schlafen! auch eine grobe Unwahrheit sein mag, stecken in dem irdischen Futterale unseren Leibes doch so viele träge und zur Gedankenlosigkeit geneigte Elemente, daß eine energische Aufrischung häufig genug nothwendig erscheint. Diese angestammte Schwäche des alten Adams fühle ich so gut, wie jeder Andere, und pflege mich deshalb, sobald ich eine Abnahme meiner Lebenskräfte bemerke, von der Arbeit zu erheben, einen alten Hut aufzusetzen, den Omnibus zu besteigen und aus der heitern Gegend, in welcher ich meinen Wohnsitz aufgeschlagen habe, mich in die Tiefen der Stadt, an einen stillgelegenen Ort zu begeben, wo ein zuverlässiger Wirth außer einigen stets trefflich bereiteten Speisen ein kräftiges Anregungsmittel kredenzt, dessen sorgfältige Behandlung ihm seit langen Jahren unter allen Unterthanen des Gambrinus den besten Ruf gesichert hat.

Mancher zartfühlende Herr wird vielleicht bei meiner ausführlichen Angabe, daß ich bei jedem Besuche einen alten Hut aufsetze, vornehm und verächtlich die Achseln zucken; dagegen bemerke ich indessen, daß die einzige üble Eigenschaft dieses Ortes das zeitweilige Vorhandensein von Freihändlern ist, welche ihre Außenseite gern durch einen Tauschhandel zwischen ihren alten und anderer Leute neuen Hüten verbessern. Daher stelle ich mich als verständiger Geschäftsmann von vornherein auf den Standpunkt dieser Herren und lasse meine Gemüthsruhe nicht durch unangenehme Zwischenfälle verstören.

An diesem Orte der Gastfreundschaft verkehren aber die ausgezeichnetsten Leute unseres verlästerten Jahrhunderts, denn die ausgezeichneten Leute sind nicht immer diejenigen, mit welchen die Zeitungen sich am meisten beschäftigen, sondern sehr oft jene ernsten stillen Männer, die den Tag über gedankenvoll bei ihrer Handarbeit sitzen, einen unermeßlichen Gedankenvorrath aufspeichern und ihn Abends, wenn der Geist über sie kommt, beim Glase und der Pfeife aufthun, um ihre gespannten Zeitgenossen damit zu beglücken. Hier habe ich in Politicis mehr, als aus Leitartikeln, Broschüren und Vierteljahrsschriften gelernt, hier sind meine Gedanken oft über die dunkelsten Probleme des Staatslebens aufgeklärt worden, und hieher begebe ich mich, wenn Spannungen und Uebelstände in der Öffentlichkeit meine arme Seele ängstigen. Immer finde ich irgend einen hochbegabten Mann, der, aufgeregt von dem gediegenen Gebräu des Wirths, in die Tiefen der Geschichte und Gesellschaft greift, einen seltenen Ideenschatz heraufholt und mir die wunderbarste Belehrung zu Theil werden läßt. Die Alten gingen in ihren Geistesnöthen nach Dodona oder Delphi; ich, als Sohn eines modernen Staats, fahre zu den Philistern, denn so werden, offen gestanden, meine ehrwürdigen Freunde von der maulfertigen oberflächlichen Jugend unserer Tage genannt.

So begab ich mich denn neulich in tiefer Verstimmung über eine Debatte in den Parlamentshäusern der preußischen Hauptstadt in meinen durstigen Rath der Alten. Das Gerassel der Omnibusräder, nicht geistreicher als die Beredsamkeit der meisten Abgeordneten, betäubte meinen Kopf, die Gaslaternen vermochten kaum den dichten abendlichen Nebel zu durchgingen, ich war niedergedrückt und starrte durch das Glasfenster des Wagens auf das Trottoir, wo zahlreiche dicht vermummte Gestalten schweigend aneinander vorüberschossen. Da klopfte der Conducteur auf meine Achsel, der Omnibus hielt; wir waren am Ziele. Ich stolperte über den Tritt auf das Straßenpflaster und taumelte, vom Sitzen steif geworden, in das hell erleuchtete Local. Es war wie immer ganz gefüllt, und nur in einer etwas ungemüthlichen Fensterecke stand noch ein Stuhl leer, den ich rasch einnahm, um nicht ganz heimathlos zu sein. Ein dichtes Gewölk von Tabaksqualm füllte die wenigen kleinen Zimmer, und es gehörte schon eine ungemein feine Nase dazu, um die Gaben des Abendtisches aus diesem transatlantischen nicotinreichen Aroma herauszuriechen, eine schwere Anstrengung, zu der man aber genöthigt war, da der Wirth, ein Mann der alten Schule, keine Speisekarte niederschrieb, und die beiden Bierzapfer, welche sich in die Kellnerrolle theilten, so beschäftigt waren, daß man zuweilen Stunden lang von ihnen keine genaue Auskunft erhalten konnte.

Nachdem ich also mein Anregungsmittel vor mir stehen, und die erwünschte Abendkost aus der trüben Atmosphäre herausgerochen hatte, suchte ich in der Gesellschaft nach einem meiner Bekannten. Leider war in dem Gemach, wo ich ein Unterkommen gefunden, keiner anwesend, und mir blieb nichts Anderes übrig, als mit meinem unbekannten Tischnachbarn eine Unterhaltung anzuknüpfen. Mir gegenüber saß nämlich ein Herr, der nicht zu den Stammgästen des Hauses gehörte und deshalb von diesen so feindselig angesehen wurde, wie etwa ein Sperling, den muthwillige Schneidergesellen gefangen und mit einer rothtuchenen Freiheitsmütze geschmückt haben, von seinen Commilitonen. Diesem Umstande nur hatte ich den leeren Platz und Stuhl an dem Tische zu verdanken. Der Herr durfte eigentlich auch nicht zu der eben bezeichneten Menschengattung gezählt werten, welche sonst das Bierlocal bevölkerten. Obgleich er im reiferen Lebensalter stand und in seinem Antlitz Spuren von geistigem Ausdruck trug, war das Vorherrschende in demselben doch ein starker Zug von tiefer Unzufriedenheit. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung gehörte er zu jener Classe von Staatsangehörigen, welche Schiller in seinem Fiesko „Mißvergnügte“ nennt. Das Antlitz zeigte eine düstere leberkranke Farbe; die Lippen hatte der Mann fest zusammengekniffen. Man durfte ihn vielleicht für einen Professor halten, der wegen mißliebiger politischer Ansichten vom früheren Cultusministerium hart getreten und in seinem Gehalte verkürzt, von der neuen Firma aber noch nicht wieder in Gnaden angenommen worden war. Nebenbei zeigte sich etwas von einem provinzialen Anstrich im Schnitt des Rockes, dem plumpen Knoten des Halstuches und der steilen Höhe der Vatermörder; der Mann konnte auch der Gymnasialdirector einer kleinen Stadt sein, der sich seit zehn Jahren abgemüht hatte, Schulrath zu werden, und nun mit dem letzten abschlägigen Bescheid in der Tasche seine Henkersmahlzeit in Berlin genoß. Ich sollte nicht länger müßige Hypothesen aufstellen. Der Herr warf mir einen durchbohrenden Blick zu und sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr, man hat mir gesagt, daß dieses Local eines der besuchtesten in Berlin sei.“

„Da hat man Ihnen nur die lautere Wahrheit gesagt!“ antwortete ich dem unbekannten Mißvergnügten bescheidentlich.

„Und in einem solchen Local findet man keine Abgeordneten!“ fragte der Herr mit ingrimmigem Tone und Stirnrunzeln.

„Nein, mein Herr“, bemerkte ich lächelnd, „hier versammeln sich nur Bürger und sogenannte kleinere Leute, für den Stand der Abgeordneten ist dieser Ort zu gewöhnlich; die Herren Landboten müssen Sie in den Fractionsweinhäusern suchen.“

„Aber grade hieher, wo sie von der Stimmung und den Ansichten des Volkes sich unterrichten können, sollen sie gehen, grade hier erwarte ich den lernbegierigen Abgeordneten,“ rief der Mann mit einer Heftigkeit, die mich an seinem Verstande etwas irre machte. Ich schwieg weislich und sah ihn nur fragend an, denn jetzt mußte es zu einer Erklärung kommen.

„Ich bin ein alter Pädagog und Inhaber einer Erziehunganstalt,“ sagte der Herr und nahm einen reichlichen Schluck Bier zu sich, „aber ich beschränke meine Erziehung nicht nur auf die Kleinen, ich suche überall einzugreifen, wo ich bemerke, daß die Menschheit einen Anlauf nimmt, neue Bildungsstoffe zu verarbeiten, neue Fächer der Wissenschaft, neue Stände der Gesellschaft zu bilden. Sie werden nicht leugnen, denn Sie sehen wie ein gebildeter Mann aus, daß sich augenblicklich in Berlin zwei Corporationen befinden, die beiden Häuser der Herren und Abgeordneten, mit denen sich ein Pädagog sehr stark zu beschäftigen hätte. Die „Herren“ haben freilich in meinen Augen keine sonderliche Zukunft; ich will also nur von den Abgeordneten reden, aus denen etwas werden kann, etwas werden muß.“

„Sie scheinen Ihrer Rede nach mit unseren Landboten nicht sonderlich zufrieden zu sein?“ fragte ich mit einiger Vorsicht.

„Um des Himmels willen, kann ein Pädagog, ein Philolog, der in jüngeren Jahren Professor der Beredsamkeit gewesen ist, mit ihnen zufrieden sein?“ rief der Herr und schlug heftig auf den Tisch; „ich bin bis jetzt in jeder parlamentarischen Session einige Wochen hindurch in der Residenz gewesen und habe täglich das Parlament besucht, aber mit jedem Jahre bin ich unzufriedener geworden.“

„Nun, ich sollte meinen, grade in der Hauptsache, in der politischen Gesinnung, zeigte sich in der letzten Session ein wesentlicher Fortschritt? “

„Ich rede nicht von der politischen Gesinnung, ich bin Pädagog und nicht Staatsmann, aber ich sage Ihnen, mein Herr, es fehlt noch sehr viel, ehe ich mit diesen alten Knaben, den Abgeordneten, so zufrieden sein kann, wie mit meinen Jungen.“

[75] „Sie stellen einen ganz neuen Gesichtspunkt auf!“ bemerkte ich, angeregt durch den parlamentarischen Pädagogen, „bitte, erklären Sie sich etwas näher, in welchen Punkten sind Sie besonders mit den Landboten unzufrieden?“

„In welchen Punkten? in allen, sage ich Ihnen; nehmen Sie ja nicht diese Herren in Schutz! Aber ich will Ihnen die Sache ausführlicher erörtern. Zuerst bin ich als Schulmann im Punkte ihres principiellen Schwänzens sehr unzufrieden. Wann ist diese Versammlung von einigen hundert Männern jemals vollzählig? Es findet keine Sitzung statt, daß nicht dieser oder jener, wie hinter die Schule, hinter das Parlament ginge. Sobald ein Abgeordneter sich durch seine Abstimmung mißliebig bei seinen Wählern zu machen fürchtet, überfällt ihn eine Sitzungskrankheit, er legt sich zu Bette, schreibt einen Entschuldigungszettel an den Präsidenten und bleibt, wenn der Fall bedenklich ist und die Wähler zu Hause ihn schon im Verdachte haben, acht bis vierzehn Tage auf dem Sopha liegen.“

„Was ist aber dagegen zu thun?“

„Nichts leichter als das, mein Lieber. Man braucht nur, gleich dem ersten besten vereidigten Theaterarzte, einen Parlamentsarzt, einen alten Praktikus zu halten, der über alle kleinlichen Finten und Bestechungen durch Schmeichelei erhaben ist. Meldet sich ein Abgeordneter krank, so stattet er ihm einen Besuch und dem Präsidenten ein Gutachten ab. Verstellt sich aber der Landbote, so werden ihm für jeden Tag der fingirten Krankheit die Diäten von drei Thalern abgezogen. Das hilft; ich kenne meine Landsleute. Als das Parlament unter Brandenburg und Manteuffel außerhalb Berlin, nach dem märkischen Kremsier, verlegt wurde, fuhren ihm selbst die Männer vom linken Centrum, nur der Diäten wegen, auf der Eisenbahn nach.“

„Das hieße ja aber unsere Abgeordneten wie Schulknaben behandeln!“ sagte ich, einigermaßen entrüstet über den strengen Schulmann.

„Sind sie denn den Jahren nach etwa nicht Schulknaben? Wie alt ist die ganze Parlamentswirthschaft? Zwölf Jahre, nicht mehr, nicht minder. Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß ein ordentlicher Parlamentscursus etwas mehr bedeuten will, als der Gymnasialcursus, zu welchem ein Junge von mäßigen Fähigkeiten seine zwölf Jahre braucht. Lassen Sie sich von unserem parlamentarischen Kanzleirath ein Billet geben, gehen Sie in die Kammer und hören Sie einmal aufmerksam und streng kritisch zu, dann wollen wir uns wieder sprechen.“

„Es sind doch einige tüchtige rednerische Talente vorhanden, einige schlagfertige Meister in Angriffen und Entgegnungen, einige witzige Köpfe … “

„Einige – einige –“ rief mein Mann, „sie sollen sich aber Alle auszeichnen, jeder nach seinen Fähigkeiten, überhaupt werden unter den vielen Millionen Preußen sich doch noch ein paar hundert talentvolle und redefertige, mit Sitzfleisch versehene, kenntnißreiche und gesinnungsvolle Männer für ein Parlament auftreiben lassen. Das Zeug zu solchen Leuten ist im Volke in hinreichendenn Maße vorhanden, aber die Pädagogik muß es erst gehörig krumpfen und decartiren. Ich gehe in allem Ernste damit um, eine Schule des Abgeordneten zu stiften.“

„Eine Schule des Abgeordneten?“ fragte ich verwundert.

„Ja, mein Herr, die Stummen im Parlamente haben mich schon vor Jahren auf diesen Gedanken gebracht. Diese armen abgeordneten Menschen, die vor lauter Vertrauen ihrer Wähler mit dem schweren und verantwortlichen Amte der Volksvertretung belastet worden sind, sitzen in den Verhandlungen fast so kläglich da, wie gewisse Zuschauer im französischen Theater; auch sie verstehen die parlamentarische Sprache nicht. Sie sind eigentlich nur in der Liste, an der Casse und im Namensverzeichniß der Abgeordneten vorhanden; sonst reden sie weder, noch arbeiten sie für das Volk. Die Zeitungen nennen sie niemals; selbst über die traurige Nothdurft irgend einer persönlichen Bemerkung sind sie erhaben. Von den parlamentarischen Spottvögeln werden sie unverbrüchlich in Ruhe gelassen, höchstens nimmt sie ein Minister auf seiner Soirée hinter einen dichten Fenstervorhang und versichert sich mit einigen Schmeichelworten und Händedrücken ihrer Stimme für eine seiner Vorlagen.“

„Allerdings sind diese Herren nicht die erfreulichsten Exemplare der Volksvertretung,“ sagte ich mit lachendem Munde.

„Die Stummen werden meine Schüler, wenn ich mich auf den in jedem Menschen schlafenden heimlichen Ehrgeiz verstehe. Haben sie erst einmal den Honig des Beifalls ihrer Collegen gekostet, so steht mein Institut auf festen Füßen, denn ich trete in der nächsten Session mit einem Institut für parlamentarische Redeübungen zum Besten schüchterner Abgeordneten auf!“ Der Mann sprach mit einer solchen Zuversicht, daß er mir wirklich imponirte. Ich gab daher dem Aeltesten der Bierzapfer loci einen sachten Wink, zwei frische Gläser zu bringen, und bat den Pädagogen, mir den Plan seines Unternehmens ein wenig genauer mitzutheilen, da ich erbötig sei, ihm im Wege der Journalistik beizustehen.

Der Pädagog leerte mit einer Gewandtheit, die ihm noch aus seinen Studentenjahren geblieben sein mochte, das frische Seidel bis auf einen kaum nennenswerthen Rest, räusperte sich und sagte: „Die Sache ist sehr einfach; ich bilde aus Abgeordneten, die sich in meine Zucht und Lehre begeben haben, solchen, die ihr Volk dereinst vertreten und sich zu Landboten heranbilden wollen, jungen, politisch begabten Leuten und staatsmännisch hoffnungsvollen Knaben ein kleines Afterparlament. Vor jeder Sitzung arbeiten wir in bester Form die nächste Tagesordnung in den späteren Abendstunden durch. Mein Parlamentchen wird in dieselben Fractionen getheilt, wie das große, und es soll mir selbst nicht darauf ankommen, einen scharfen Reactionär, einen garstigen Geheimrath, einen Menschen der Regulative, für ein hohes Honorar zu einer parlamentarischen Gastrolle zum Besten meiner Zöglinge zu gewinnen, nur damit sie ihn rednerisch gründlich abmucken.“

„Ganz vortrefflich!“ rief ich und drückte dem seltenen Manne die Hand, „die Idee eines solchen Afterparlamentes zur Uebung für die Anfänger und Stümper unter den Landboten ist unvergleichlich. Schon der Titel, der einen so geistreichen Gegensatz zu der leidigen Bezeichnung „Rumpfparlament“ bildet, versetzt mich in Entzücken. Laden Sie mich doch ja ein, wenn der Reactionär bei Ihnen auf Gastrollen ist, denn obgleich ich Ihre Ansichten über unsere Landboten nicht ganz theile, glaube ich doch, daß in Folge fortgesetzter rednerischer Uebungen die parlamentarisch feinere Redekunst sehr zunehmen und namentlich den Gegnern der Aufklärung die Wahrheit weit schärfer und geistreicher gesagt werden könnte. Wie aber gedenken Sie es mit den Parteien zu halten?“

„Mit den Parteien?“ flüsterte der Pädagog, „ich bin kein gesinnungsloser Bösewicht, aber ich habe lange genug die modernen Staats- und Verfassungsmiasmen eingeathmet, um nicht zu wissen, daß ein Landbote unseres Jahrhunderts sich so gut auf die äußerste Rechte, wie auf die Linke verstehen muß. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Leuten nennen, die sich in beiden Fächern versucht haben. Nach meinem Princip fangen die Schüler des Afterparlaments mit Redeübungen für die äußerste Linke an und hören mit Reden für die äußerste Rechte auf. Wenn Sie auf eine Menge Männer blicken, die sämmtlich eine schöne Carriere gemacht haben, so werden Sie mir einräumen, daß ich als Pädagog der Kunst, ein Abgeordneter zu sein, denselben Weg einschlagen muß.“

„Die Schule der Jugend,“ sagte ich ziemlich unwillig, „wird, Gott sei Dank, nach reineren Grundsätzen geleitet; in ihr wirkt der Lehrer nicht weniger auf die Ausbildung der Fähigkeiten, als auf die Erhaltung einer moralischen Gesinnung ein.“

Mein Mann lächelte boshaft. „Vergessen Sie nicht, mein Lieber, daß wir in der Politik unter Wölfen mitheulen müssen,“ sagte der Pädagog.

Die widerspruchsvollen Redensarten des Mannes wurden mir nun etwas unheimlich, ich stand auf und wollte mich empfehlen; er hielt mich am Rockschoß fest.

„Erlauben Sie,“ murmelte der Mann und zog ein Blatt Papier aus seiner etwas unreinlichen Brieftasche, „daß ich Ihnen wenigstens einen Prospectus meiner Anstalt mitgebe. Im nächsten Jahre eröffne ich das Afterparlament; das monatliche Honorar beträgt zehn Thaler, Abgeordnete über fünfzig zahlen fünf Thaler mehr.“ So trennten wir uns, und ich begab mich, lebhaft angeregt von den neuen Ideen des zweideutigen Mannes nach Hause, um unsere Unterhaltung so getreu als möglich niederzuschreiben. Im Ganzen war mir doch ein Stein vom Herzen gefallen; ich wußte jetzt, wo Hülfe für das Parlament zu finden war, wenn auf der Tribüne ein Greis, der seine Rede ablesen wollte, oder ein hülflofer Stammler vom Präsidenten getadelt wurde.