Iphigenie in Aulis von Euripides, übersetzt von Friedrich Schiller
Erster Akt.
Zweiter Akt


Erste Scene.

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[3]

Agamemnon. Der alte Sclave.

Agamemnon ruft in das Zelt.
Hervor aus diesem Zelte, Greis.

Sclave
(indem er herauskommt)
 Hier bin ich.
Was sinnst du neues, König Agamemnon?

Agamemnon.
Du wirst es hören. Komm.

Sclave.
 Ich bin bereit.
Mein Alter flieht der Schlummer und noch frisch

5
sind meine Augen.


Agamemnon.
 Das Gestirn dortoben!
wie heißts?

Sclave.
 Du meinst den Sirius, der nächst
dem Siebensterne der Pleiaden rollt?
Noch schwebt er mitten in dem Himmel.

[4]

Agamemnon.
 Auch
läßt noch kein Vogel sich vernehmen, kein

10
Geräusch des Meeres und der Winde. Stumm liegt alles

um den Euripus her.

Sclave.
 Und doch verlässest
du dein Gezelt, da überall noch Ruhe
in Aulis herrscht und auch die Wachen sich
nicht rühren? König Agamemnon, komm.

15
Laß uns hineingehn.


Agamemnon.
 Ich beneide dich,
und jeden Sterblichen beneid’ ich, der
ein unbekanntes unberühmtes Leben
frey von Gefahren lebt. Weit weniger
beneid’ ich den, den hohe Würden krönen.

Sclave.

20
Doch sind es diese, die das Leben zieren.


Agamemnon.
Zweideutge Zier! Verrätherische Hoheit!
dem Wunsche süß, doch schmerzhaft dem Besitzer!
Jezt ist im Dienst der Götter was versehn,
das uns das Leben wüste macht – Jezt ists

[5]
25
der Meinungen verhaßtes Mancherley,

die Menge, die es uns verbittert.

Sclave.
 Herr
von einem Hochgewaltigen, von dir,
hör’ ich das ungern. Hat denn Atreus nur
zu thränenlosen Freuden dich gezeuget?

30
O Agamemnon! Sterblicher, wie wir,

bist du mit Lust und Leiden ausgestattet.
Du magst es anders wollen – also wollen es
die Himmlischen. Schon diese ganze Nacht
seh’ ich der Lampe Licht von dir genährt,

35
den Brief, den du in Händen hast zu schreiben.

Du löschest das Geschriebne wieder aus,
jezt siegelst du den Brief und gleich darauf
eröfnest du ihn wieder, wirfst die Lampe
zu Boden, und aus deinen Augen bricht

40
ein Thränenstrom. Wie wenig fehlt, daß dich

nicht Herzensangst der Sinne gar beraubet!
Was drückt dich Herr? O sage mirs! Was ist
so außerordentliches dir begegnet?
Komm sage mirs. Du sagst es einem guten

45
getreuen Mann, den Tyndar deiner Gattinn

im Heurathsgut mit übermacht, den er
der Braut zum sichern Wächter mitgegeben.

[6]

Agamemnon.
Drei Jungfraun hat die Tochter Thestias
dem Tyndarus gebohren. Phöbe hieß

50
die Aelteste, die zweite Clytemnestra

mein Weib, die jüngste Helena. Es warben
um Helenas Besitz mit reichen Schätzen
die Fürsten Griechenlands und blutger Zwist
war von dem Heere der verschmähten Freier

55
dem Glücklichen gedroht. Lang zauderte,

dieß fürchtend, bang und ungewiß der König,
den Ehgemahl der Tochter zu entscheiden,
dieß Mittel sinnt er endlich aus. Es müssen
die Freier sich mit hohen Schwüren binden,

60
Trankopfer gießen auf den flammenden

Altar, und freundlich sich die Rechte bieten.
Ein fürchterlich Gelübd’ entreißt er ihnen,
das Recht des Glücklichen – sei auch wer wolle
der Glückliche! – einträchtig zu beschützen,

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Krieg und Verheerung in die beste Stadt

des Griechen oder des Barbaren, der
von Haus und Bette die Gemahlinn ihm
gewaltsam rauben würde, zu verbreiten.
Als nun gegeben war der Schwur, durch ihn

70
der Freier Sinn mit schlauer Kunst gebunden,

verstattet Tyndarus der Jungfrau, selbst
den Gatten sich zu wählen, dem der Liebe
gelinder Hauch das Herz entgegen neigte.

[7]

Sie wählt – o hätte nie und nimmermehr

75
so die Verderbliche gewählt! – sie wählt

den blonden Menelaus zum Gemahle.
Nicht lang, so läßt in Lacedämons Mauren,
in reichem Kleiderstaate blühend, blitzend
von Gold, im ganzen Prunke der Barbaren,

80
der junge Phrygier sich sehen, der,

wie das Gerücht verbreitet, zwischen drei
Göttinnen einst der Schöne Preis entschieden,
gibt Liebe und empfängt und flüchtet nach
der Ida fernen Triften die Geraubte.

85
Es ruft der Zorn des Schwerbeleidigten

der Fürsten alte Schwüre jezt heraus.
Zum Streite stürzt ganz Griechenland. In Aulis
versammelt sich mit Schiffen, Rossen, Wagen
und Schilden schnell ein fürchterlicher Mars.

90
Mich, des Erzürnten Bruder, wählen sie

zu ihrem Oberhaupt. Unselges Zepter,
wärst du in andre Hände doch gefallen!
Nun liegt das ganze aufgebotne Heer,
weil ihm die Winde widerstreben, müßig

95
in Aulis Engen. Unter fürchterlichen

Beängstigungen bringt der Seher Kalchas
den Götterspruch hervor, daß, wenn die Winde
sich drehn und Trojas Thürme fallen sollen,
auf Artemis Altar der Schützerinn

100
von Aulis, meine Iphigenia, mein Kind,
[8]

als Opfer bluten müsse; blutete
sie nicht, dann weder Fahrt, noch Sieg. Sogleich
erhält Thalthybius von mir Befehl
mit lautem Heroldsruf das ganze Heer

105
der Griechen abzudanken. Nimmermehr

will ich zur Schlachtbank meine Tochter führen.
Durch seiner Gründe Kraft und Erd’ und Himmel
bewegend reißt der Bruder endlich doch
mich hin, das Gräßliche geschehn zu lassen.

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Nun schreib’ ich an die Königinn, gebiet’

ihr, ungesäumt zur Hochzeit mit Achill
die Tochter mir nach Aulis herzusenden.
Hoch rühm’ ich ihr des Bräutigams Verdienst,
sie rascher anzutreiben, setz’ ich noch

115
hinzu, es weigre sich Achill, mit uns

nach Ilion zu ziehn, bevor er sie
als Gattinn in sein Phthia heimgesendet.
In dieser fälschlich vorgegebnen Hochzeit
hab’ ich des Kindes Opferung der Mutter

120
verhüllet. Außer Menelaus, Kalchas

und mir, weiß nur Ulyß um das Geheimniß.
Doch was ich damals schlimm gemacht, mach’ ich
in diesem Briefe wieder gut, den du
im Dunkel dieser Nacht mich öfnen und

125
versiegeln hast gesehen – Nimm! Und gleich

damit nach Argos! – Halt – Der Königinn
und meinem Hause, weiß ich, warst du stets

[9]

mit Treu und Redlichkeit ergeben. Was
verborgen ist in dieses Briefes Falten,

130
will ich mit Worten dir zu wissen thun.

(er liest)
„Gebohrene der Leda, meinem ersten
„send’ ich dieß zweite Schreiben nach“ –
(er hält inne)

Sclave.
 Lies weiter,
verbirg mir ja nichts Herr, daß meine Worte
mit dem Geschriebenen gleich lauten.

Agamemnon (fährt fort zu lesen)
 „Sende

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„die Tochter nicht zum wogensichern Aulis

„Euböas Busen. Die Vermählung bleibt
„gelegeneren Tagen aufgehoben.“

Sclave.
Und glaubst du daß der heftige Achill,
den du die Gattinn wieder nimmst, nicht gegen

140
die Königinn und dich in wilder Wuth

ergrimmen werde? – Herr, von daher droht
Gefahr – Sag an, was hast du hier beschlossen?

Agamemnon.
Unwissend leiht Achill mir seinen Nahmen,
verborgen wie der Götterspruch ist ihm

[10]
145
die vorgegebne Hochzeit. Ihm also

raubt dieses Opfer keine Braut.

Sclave.
 O König
ein grausenvolles Unternehmen ists,
in das du dich verstricket hast. Du lockest
die Tochter, als des Göttinnsohnes Braut

150
ins Lager her, und deine Absicht war

den Danaern ein Opfer zuzuführen.

Agamemnon.
Ach meine Sinne hatten mich verlassen! – Götter!
Versunken bin ich in des Jammers Tiefen!
Doch eile! Lauf! Nur jezt vergiß den Greis.

Sclave.

155
Herr, fliegen will ich.


Agamemnon.
 Laß nicht Müdigkeit
nicht Schlaf an eines Baches Ufer, nicht
im Schatten der Gehölze dich verweilen.

Sclave.
Denk besser von mir König.

Agamemnon.
 Gib besonders
wohl Acht, wo sich die Straßen scheiden, ob

160
nicht etwa schon voraus ist zu den Schiffen
[11]

der Wagen der sie bringen soll. Es ist
gar etwas schnelles, wie die Räder laufen.

Sclave.
Sei meiner Wachsamkeit gewiß.

Agamemnon.
 Ich halte
dich nun nicht länger. Eil’ aus diesen Grenzen –

165
und – hörst du – trift sichs, daß dir unterwegs

der Wagen aufstößt, o so drehe du,
du selbst die Rosse rückwärts nach Mycene.

Sclave.
Wie aber – sprich – wie find’ ich Glauben bei
der Jungfrau und der Königinn?

Agamemnon.
 Nimm nur

170
das Siegel wohl in Acht auf diesem Briefe.

Hinweg. Schon färbt die lichte Morgenröthe
den Himmel weiß und flammenwerfend steigen
der Sonne Räder schon herauf – Geh, nimm
die Last von meiner Seele!
(Sclave geht ab)
 Ach, daß keiner

175
der Sterblichen sich selig nenne, keiner

sich glücklich bis ans Ende! – Leidenfrey
ward keiner noch gebohren!
(er geht ab.)


Zwischenhandlung.

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[12]

Chor tritt auf.
Aus Chalcis, meiner Heimat, bin ich gezogen,
die mit Meeran treibenden Wogen

180
die ruhmreiche Arethusa benetzt.

Ueber den Euripus hab’ ich gesetzt,
der Griechen herrliche Schaaren zu sehen,
und die Schiffe am lebendigen Strand,
die so rasch und gelehrig sich drehen

185
unter dieser Halbgötter Hand.


In der Trojer fernes Land
folgen sie, wie ich daheim erfahren,
Agamemnons fürstlichem Haupt,
und dem Bruder mit den blonden Haaren,

190
heimzuführen, die der Phrygier geraubt,

Helena vom Ufer der Barbaren.
Von des Eurotas schilfreichem Strand
führte sie Paris in Priamus Land,
Paris, dem am thauenden Bach,

195
ringend mit der göttlichen Athene

und mit Hären um den Preis der Schöne
Cypria das schöne Weib versprach.

[13]

Antistrophe.
Ich bin durch die heiligen Hayne gegangen,
wo sie Dianen mit Opfern erfreun,

200
junge Glut auf den schaamhaften Wangen

mischt’ ich mich in die kriegrischen Reyhn,
an des Lagers eisernen Schätzen
an der Schilde furchtbarer Wehr’
meinen bewundernden Blick zu ergötzen,

205
an der Rosse streitbarem Heer.


Erst sah ich die tapfern Zeitgenossen
der Ajaxe Heldenpaar, vereint
mit Protesilas dem Freund,
auf den Sitzen friedlich hingegossen;

210
des Oileus Sohn, und dich – die Krone

Salamis – furchtbarer Telamone!
An des Würfels wechselndem Glück
labte sich der Helden Blick.

Gleich nach diesen sah ich Diomeden,

215
Ares tapfern Sprößling Merion,

und Poseidons Enkel Palameden
und Laertes listenreichen Sohn,
seiner Felsenithaka entstiegen
Nireus dann, den schönsten aus dem Zug,

220
an des Discus mannichfachem Flug

lustig sich vergnügen.

[14]

Epode.
Auch der Thetis Sohn hab’ ich gesehen
den der weise Chiron auferzog,
raschen Laufes, wie der Winde Wehen,

225
mit Erstaunen hab’ ichs angesehen,

wie er flüchtig längs dem Ufer flog,
schwergeharnischt mit geschwinden Solen
eines Wagens Flug zu überhohlen
den die Schnelle von vier Rossen zog.

230
Uebergoldet waren ihre Zügel,

Bunte Schenkel, gelbes Mähnenhaar
schmückten das Gespann auf jedem Flügel,
weißgeflecket war das Deichselpaar.
Mit dem Stachel und mit lautem Rufen

235
trieb die Renner Pheres König an,

aber immer dicht an ihren Hufen,
gieng des waffenschweren Läufers Bahn.

Zweite Strophe.
Jezt sah ich – ein Schauspiel zum Entzücken!
ihrer Wimpel zahlenloses Wehn,

240
Nein, kein Mund vermag es auszudrücken,

was mein weiblich Auge hier gesehn.

[15]

Funfzig Schiffe tapfrer Myrmidonen –
Zevs glorreicher Enkel führt sie an –
zieren rechts der Flotte schönen Plan.

245
Auf erhabenem Verdecke thronen

Zeichen des unsterblichen Peliden,
goldne Nereiden.

Zweite Antistrophe.
Funfzig Schiffe zählt’ ich, die, regieret
von Capaneus und Mecistens Sohn,

250
der Argiver Mars herangeführet.

Sechzig führt zum Streit nach Ilion
Theseus Sohn von der Athener Küste,
Pallas mit geflügeltem Gespann
ist ihr Zeichen – auf der Wasserwüste

255
eine Helferinn dem Steuermann!


Dritte Strophe.
Der Böoten funfzig Schiffe kamen,
kenntlich an des Stifters Schlangenbild.
König Leitus, aus der Erde Saamen,
bringt sie aus dem phocischen Gefild.

260
Funfzig Schiffe führte der Oilide,

Ajax, aus der Lokrier Gebiete.

[16]

Dritte Antistrophe.
Von Mycene kam mit hundert Masten
Agamemnon, Atreus Sohn,
seinen Scepter theilend mit Adrasten,

265
dem Gewaltigen von Sicyon.

Treu und dienstlich seines Freundes Harme
folgt’ auch er der Griechen Heldenzug,
heimzuhohlen, die in Räubers Arme
des geflohnen Hymens Freuden trug.

270
Nestors Flotte hab ich jezt begrüßet;

Alpheus schönen Stromgott sieht man hier,
der die Heimat nachbarlich umfließet,
Oben Mensch und unten Stier.

Dritte Epode.
Mit zwölf Schiffen schließt an die Achäer

275
Guneus, Fürst der Enier sich an.

Elis Herrscher folgen, die Epeer,
des Eurytus Scepter unterthan.
Von den Echinaden, wo zu wagen
keine Landung, führt der Taphen Macht,

280
die das Meer mit weißen Rudern schlagen,

Meges, Sohn des Phyleus, in die Schlacht.
Beide Flügel bindend, schließt der Telamone,
den die stolze Salamis gebahr,
mit zwölf Schiffen – dieses Zuges Krone.

285
So erfragt’ ichs, und so nahm ichs wahr.
[17]

Dieses Volk, im Ruderschlag erfahren,
mit Verwundrung hab’ ich’s nun erblickt.
Weh’ dem kühnen Fahrzeug der Barbaren,
das die Parze ihm entgegenschickt!

290
In die Bucht der väterlichen Laren

hoffe keines freudig einzufahren!

Auch das Schlachtgeräthe und der Schiffe Menge,
(vieles wußt’ ich schon) hab’ ich gesehn,
die Erinnerung an diese Dinge,

295
nimmer, nimmer wird sie mir vergehn.


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