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Textdaten
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Autor: Friedrich Deichmüller
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Titel: Im Reiche der Mitte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 67–71
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[67]
Im Reiche der Mitte.


Von F. Deichmüller.


Es war am Morgen des 10. October; blutroth entstieg eben die Sonne dem Meere, und ihre ersten Strahlen beleuchteten die nordöstlich am Horizonte auftauchenden Rocks, die, in immer größeren Gruppen sichtbar werdend, uns die Nähe des Festlandes verkündeten. Freudiger denn je begrüßten wir heute die ersten Spitzen des Landes, denn hinter uns lagen die weiten tropischen Länder, durcheilt waren die endlosen Meere; der letzte Hafenplatz vor Erreichung chinesischer Gewässer, das auf der Südspitze von Malakka gelegene, von herrlicher tropischer Vegetation rings umgebene Singapore, war längst verlassen, und vor uns lag das Ziel unserer Reise, der deutschen Reichsexpedition[1] nach China.

War auch unser Stationsort in einem nördlicheren Theile Chinas gelegen, so sollte uns doch heute der erste Blick gestattet sein in das der Welt so lange verschlossen gebliebene, erst unserer Generation zugänglich gemachte Land des Orients, mit seinen conservativen, sich den Einflüssen moderner Cultur scheu entziehenden Bewohnern. – Die noch vor wenigen Tagen von der Gewalt eines mit seltener Heftigkeit tobenden Typhoon (Wirbelsturmes) wild durcheinander gepeitschten Wassermassen boten jetzt das Urbild majestätischer Ruhe, und mit normaler Geschwindigkeit eilte unser Dampfer durch die von der höher steigenden Sonne glänzend beleuchtete, spiegelglatte Ebene dem nahen Hafen entgegen.

„Hongkong!“ ertönte da von mehreren Seiten gleichzeitig der freudige Ruf, und umschauend gewahrten wir uns bereits inmitten eines Felsenarchipels, dessen größte östliche Insel, Hongkong mit der englischen Colonie „Queentown“, einen herrlichen Anblick bot. Die immer intensiver wirkenden Strahlen der tropischen Sonne verliehen den hohen kahlen Felsenbergen hellen Glanz und ruhten brennend auf den blendend weißen Häusern der Colonie, die, neben den Wohnungen der Eingeborenen terrassenförmig an dem steil abfallenden Bergeshang hingestreut, sich bis dicht an den Strand des Meeres erstrecken. Durch einen schmalen Meeresarm vom asiatischen Continent getrennt, birgt die kleine Insel einen der bedeutendsten Handelsplätze des Orients, und der von der Natur herrlich angelegte Hafen, in den wir eben einfuhren, zählt zu den ersten der Welt.

Plötzlich verstummte das einförmige Getöse der Schraube, und bald darauf rauschte der Anker hinab in die Tiefe des Meeres, vom Gerassel der nachfolgenden Ketten begleitet. – Jetzt tönte das Geräusch einer Unzahl beschleunigter Ruderschläge zu uns herüber, und bald darauf war unser Schiff auch schon rings von Dschonken (chinesischen Booten) umlagert, deren Insassen eifrig bemüht waren, Passagiere für ihre Fahrzeuge zu werben. Die längere, durch Sturm und andauernde ungünstige Witterung etwas aufreibende Seereise machte uns einen kurzen Aufenthalt an Land doppelt wünschenswerth, und versehen mit [68] den nöthigsten Utensilien stiegen wir in eines der nach chinesischem Geschmacke bunt bemalten Fahrzeuge, das uns an Land bringen sollte. Das Innere der Dschonke nahm sogleich unser Interesse in Anspruch, und zwar schien es ein charakteristisches Bild chinesischen Volkslebens zu repräsentiren. Während der vordere Raum des Fahrzeuges, mit bequemen Bänken versehen, zur Aufnahme der Passagiere bestimmt schien, bot die andere Hälfte den Anblick einer originellen chinesischen Behausung dar. Nothdürftig geschützt gegen die Einflüsse der tropischen Witterung durch ein aus Bambusrohr und Schilf geflochtenes Dach, befanden sich in dem engen Raume die jüngeren Glieder der Familie, ein bereits bezopfter Knabe und ein Mädchen im Alter von drei bis sieben Jahren, die, mit Muscheln und bunten Steinen spielend, hin und wider von dem über flackerndem Feuer kochenden Reis oder von den in großer Quantität vorhandenen Seefischen naschten, unbekümmert um das anhaltende Geschrei eines Säuglings, der, dürftig in ein Tuch gehüllt, hülflos in einer Ecke lag. Einige Kochgeschirre der primitivsten Art und mehrere Tabakspfeifchen bildeten das gesammte Inventar dieser seltsamen Behausung, deren Vorsteherin und Familienmutter, unbesorgt um die kleine Familie, am Ruder saß und gemächlich unser Fahrzeug dem nahen Hafen entgegen führte.

Endlich ertönte ein lautes „Stop“. Die einförmigen Ruderschläge verstummten; wir hatten das Land erreicht. Nachdem wir die dem Hafen zunächst gelegenen Stadttheile, die hauptsächlich größere europäische Handlungshäuser enthalten und leider noch manches Schreckensbild von den Verheerungen des letzten Typhoon aufzuweisen hatten, durchwandert, gelangten wir zu den Wohnungen der Eingeborenen. Der plötzliche Eintritt aus dem fast ausschließlich europäischen Stadttheile in das bunte Gewühl eines mit eisernem Conservatismus die eigenen Sitten und Gebräuche hegenden chinesischen Platzes mochte den gewaltigen Effect, den der erste Anblick einer Stadt dieses eigenthümlichsten aller Länder des weiten Orients auf den Fremdling nie verfehlt, noch bedeutend erhöhen. Unschlüssig zuerst, welchem der unzähligen wunderbaren Dinge wohl die größte Aufmerksamkeit zu schenken sei, waren es bald die bunt bemalten Häuschen in ihrer originellen Einrichtung, bald deren Bewohner selbst, die unser Interesse in Anspruch nahmen.

Die schmalen einstöckigen Wohnhäuser, welche dichtgedrängt die engen Straßen begrenzen, gewähren durch die meist fehlenden Thüren und Wände nach der Straßenfront dem Vorübergehenden einen freien Blick in das Innere der Behausung, eine Einrichtung, die wohl auf das tropische Klima zurückzuführen ist. Vollständig gleich gekleidet, alle bis auf den Schopf, wo der Zopf entspringt, das Haupt kahl geschoren, alle den gleichlangen schwarzen Zopf tragend, jeder eine kurze Tabakspfeife im Mund, gewähren die unzähligen Individuen kaum ein unterscheidendes Merkmal. Auch überall zeigt uns der Blick in das Innere der Behausung ein Bild emsiger Gewerbsthätigkeit; überall liest man Zufriedenheit auf den sonst kein bestimmtes Gepräge tragenden Gesichtern, aber auch überall macht man die Bemerkung, daß große Reinlichkeit nicht zu den Eigenschaften der Bürger des „himmlischen Reiches“ zählt. – So klein und eng aber auch die Wohnungen und Straßen in einer chinesischen Stadt sind, so überfüllt sind sie beide, und bald genug erfährt der Fremde, mit wie viel Schwierigkeiten er beim Durchwandern der letzteren zu kämpfen hat. Ist es schon ohnehin schwierig, sich durch die dichtgedrängte Menge, die in den engen Räumen wogt, hindurchzuarbeiten, so gehört noch eine besondere Umsicht dazu, nicht mit den fortwährend passirenden lasttragenden Kulis zu caramboliren, die, ihre Lasten an beiden Enden einer über die Schulter gelegten langen Bambusstange aufgehängt, mit dem ununterbrochenem Rufe: „ho ho!“ um Platz anrufen.

Eine nicht geringe Zahl der Passanten besteht ferner aus solchen Gewerbetreibenden, die ihre Thätigkeit an den öffentlichen Plätzen und Straßen entfalten und dadurch nicht wenig zur Hemmung des Verkehrs beitragen. Es sind dies die wandernden Friseure. Aehnlich den Kulis, tragen sie an einem Bambusrohr ein Kohlenbecken mit warmem Wasser und einen Geräthschaftskasten, womit sie durch die belebtesten Plätze ziehen indem sie sich durch das unangenehme Geräusch der „Gongs“ (das lebhaft an den Lärm vor den Schaubuden auf unseren heimathlichen Messen und Jahrmärkten erinnert) dem Publicum bemerklich machen. Der Chinese muß wohl großen Werth auf ein glattrasirtes Haupt legen, denn nur selten brauchen diese Friseure lange auf Kundschaft zu warten. Der Kunde setzt sich dann einfach auf den Geräthschaftskasten, und nun kann man die Thätigkeit des Haarkünstlers unter freiem Himmel und gerade an den belebtesten Plätzen bewundern. Nach Beendigung derselben packt er seine Geräthschaften zusammen und zieht mit dem betäubenden „Gongs“geräusch weiter.

Einen weniger primitiven Anblick gewähren die nett eingerichteten Verkaufslocale, die fast den ganzen Raum der Häuschen zu beiden Seiten der engen Straßen einnehmen. Ueber den Eingängen der Läden finden sich Bretter angebracht, auf denen in meist vergoldeten Schriftzeichen der Name des Ladenbesitzers nebst seinem Wahlspruche verzeichnet ist. Auch hier übersehen wir von der Straße aus das ganze Innere des Ladens, der, häufig der einzige größere Raum des Wohnhauses, zugleich als Wohnung der Familie dient. Sehen wir uns die ausgelegten Waaren an, so haben wir Gelegenheit, hier die kunstvollsten Elfenbeinschnitzereien, dort Geräthschaften aus reinstem Porcellan mit prächtigen Malereien, dann wieder die schwersten Seidenstoffe zu bewundern, kurz, wir finden hier Alles, was uns in Europa als chinesische Industrieproducte angepriesen wird.

Tritt man in eines dieser besseren Verkaufslocale ein, so wird man von allen Bewohnern desselben auf’s Freundlichste begrüßt, und während uns von verschiedenen Seiten ein zutrauliches „Tschin-tschin“ zugerufen wird, kommt ein intelligenter Chinese, der in verständlichem Englisch nach unseren Wünschen fragt. Er legt uns dann eine große Auswahl seiner besten Waaren vor und preist sie unermüdlich an, aber auch die übrigen Hausbewohner suchen uns durch Gesten von der Vorzüglichkeit der Waaren zu überzeugen. Ein Diener des Hauses bringt ein Theegefäß nebst einigen Täßchen vom reinsten chinesischen Porcellan, und gleich ist die kindliche Zutraulichkeit der Bewohner verschwunden, wenn man das angebotene Schälchen Thee ablehnt. Originell ist eine von uns wiederholt beobachtete Gewohnheit der Chinesen. Während wir mit der Besichtigung der Waaren beschäftigt sind, machen sich die Bewohner des Ladens daran, die Qualität unserer Kleiderstoffe zu prüfen und geben uns, wenn wir sie darum verwundert anschauen, naiv das Resultat ihrer Untersuchung zu verstehen. Soll man dies als kindliche Neugierde oder allzu eifrigen Gewerbesinn bezeichnen?

Ist der Laden zugleich der bessere oder einzige Wohnungsraum des Besitzers, so haben wir bei unserem Besuche Gelegenheit den Stolz seines Hauses kennen zu lernen. In einem besonders gepflegten Theile des Gemaches befindet sich ein Porcellanpostament, worauf, von einer immer brennend erhaltenen Lampe matt erleuchtet, der Hausgötze thront, eine aus Speckstein, Porcellan oder künstlichem Material gefertigte wunderliche Figur, zu welcher der Bewohner nur mit heiliger Scheu aufschaut. Mitten unter all’ den chinesischen Kunstartikeln passirt es wohl hier und da dem Fremden, daß er ahnungslos auch nach dem Preise dieser wunderlichen Figur fragt; wir überlassen es unseren Lesern, sich die Entrüstung des dadurch in seinen heiligsten Gefühlen gekränkten Chinesen vorzustellen.

So geräuschvoll und betäubend für den Fremdling das Leben und Treiben auf den Straßen und öffentlichen Plätzen einer chinesischen Stadt bei Tage ist, so still und ausgestorben finden wir diese Orte nach Sonnenuntergang. Streng verlangen die chinesischen Gesetze, daß der Bürger seine Wohnung bei Nacht nicht verläßt, es sei denn, daß es die Nothwendigkeit gebietet. Ist er zu einem nächtlichen Ausgange genöthigt, so trägt er vor sich her eine Laterne, auf deren papiernen Wänden sein Name in großen Schriftzeichen zu lesen ist. – –

Nur eine Nacht war uns vergönnt auf festem Grund und Boden zu verbringen. Der nächste Abend fand uns schon wieder an Bord des Dampfers. Mit Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet, und bald war die reizende Landschaft, die im Glanze der aufgehenden Sonne einen malerischen Anblick bot, am Horizont verschwunden.

So selten man in anderen Gewässern ein chinesisches Fahrzeug findet, so überfüllt sind die nächst der Küste gelegenen Theile der ostchinesischen See von Handelsdschonken aller Gattungen, hier und da mit einem Geschwader chinesischer

[69]

Kriegs- und Civil-Mandarin nebst einer Mandarinen-Frau.
Photographisch nach der Natur aufgenommen bei Gelegenheit der Venus Expedition, im December 1874.

[70] Kriegsschiffe abwechselnd. Die Chinesen beschränken sich auf den nächsten Küstenhandel, während der Waarentransport vom nördlichen China nach den südlichen Provinzen und umgekehrt fast ausschließlich von englischen und deutschen Schiffen besorgt wird. Selten nur wagen sich größere chinesische Fahrzeuge etwas weiter in die offene See, und wenn man schon im Lande die Erfahrung macht, daß Muth und Kühnheit nicht zu den hervorragenden Eigenschaften der Unterthanen der „himmlischen Majestät“ zählen, so spricht sich dieser Mangel zur See noch entschiedener aus. Unsere Route nach Shanghai durchkreuzte fast genau den größten Tummelplatz der chinesischen Fahrzeuge, und beinahe ununterbrochen bot sich Gelegenheit, die unzähligen Variationen eigenthümlicher Bauart dieser schwimmenden Wohnungen (denn auch hier bilden die Dschonken das Asyl einer oder mehrerer Familien) zu bewundern. Eine sehr verbreitete Gestalt größerer Schiffe ist die fabelhafter Seeungeheuer, die, in den grellsten Farben schimmernd, einen komischen Anblick gewähren.

Da wir nun auch an den Kriegsschiffen eine ähnliche eigenthümliche Bauart zu bemerken gewohnt waren, war es um so überraschender, als wir in der Nähe von Shanghai (an der Mündung des Yantse-Kiang, die wir am 16. October erreichten) einer größeren Zahl chinesischer Kriegsschiffe nach europäischer Bauart begegneten.

Ein etwas längerer Aufenthalt in Shanghai ließ uns überhaupt die Bemerkung machen, daß eine Classe dieser Herren des „himmlischen Reiches“ nicht ausschließlich den durch Jahrtausende sanctionirten Culturzuständen huldigt und sich so der übrigen Welt ganz entzieht, vielmehr alle Fortschritte der Europäer, speciell in der Kriegskunst, beobachtet. Wir meinen die Staatsbeamten, die Mandarinen. Nicht ohne Grund sahen diese Herren ängstlich die rasche Entwickelung der Staatsformen im Westen von einem unwürdigen Despotismus zum Ideal einer constitutionellen Monarchie vorschreiten, eine Wandelung, die auch ihrem Reiche, dessen Regierungsform noch das Urbild despotischer Unterjochung bietet, bevorstehen dürfte. Daß aber in einem übervölkerten Lande wie China eine Gleichstellung der Bewohner das materielle Wohl dieser herrschenden Classe stark beschränken muß, weiß vielleicht Niemand besser als diese Herren selbst. Es liegt daher wohl in ihrem Interesse, alle Factoren, die eine solche Umwälzung bedingen, energisch zu unterdrücken, und man muß Achtung gewinnen vor dem Scharfsinne, mit dem sie ihre Aufgabe erfüllen, wenn man bedenkt, daß es der dritte Theil der gesammten Bevölkerung der Erde ist, den sie beherrschen. Gar stolz und imponirend für ihre Untergebenen schauen diese Machthaber aus, wenn sie im reichen Amtsschmucke erscheinen, wie unser Bild (Seite 69) uns dies in gelungener Weise vergegenwärtigt.

Endlich, am 27. October, hatten wir unseren Stationsort, das südlich von Peking auf Cap Shantung gelegene Tschi-fu, erreicht. Einerseits von kahlen Bergen umgeben, im Osten von den Wellen des gelben Meeres bespült, ist es, scheinbar abgeschlossen vom Verkehr, doch ein nicht unbedeutender Hafen für den chinesischen Küstenhandel. Nur wenige Europäer (Engländer und Norddeutsche) haben hier eine Colonie gebildet, die sich jedoch während der Sommermonate – Tschi-fu ist beliebter Seebadeort – eines regen Besuches europäischer Kaufleute aus Shanghai und Hong-kong erfreut. Bedeutender und ungleich bevölkerter ist hingegen die chinesische Stadt Yen-Tai, die, sich an die Colonie anschließend, sich weiter in’s Land hinein erstreckt. Die Anwesenheit der Expedition und speciell ihre astronomische Thätigkeit hatte für beide Theile nicht geringes Interesse, das noch durch die dauernde Anwesenheit unseres deutschen Kriegsschiffes, der kaiserlichen Corvette „Arcona“, die der Expedition zum Beistand zugetheilt war, erhöht wurde. Ein im Norden der Stadt auf einer Anhöhe gelegenes Plateau war als Observationsplatz ausersehen, woselbst auch sogleich der Aufbau der von Deutschland mitgebrachten eisernen Beobachtungshäuser begonnen wurde. Der Bau, sowie die Aufstellung der Instrumente war bald beendet, und die astronomischen Beobachtungen nahmen ihren Anfang. Jetzt erreichte aber auch die Neugierde der über astronomische Thätigkeit gänzlich begriffslosen Chinesen ihren Gipfel. Sobald am Vormittag die Sonnenbeobachtungen begonnen hatten, war unser Observationsplatz schon rings von bezopften Neugierigen umstellt; das unvermeidliche Tabakspfeifchen im Mund, die auf ihren Lorbeeren ausruhenden Hände in den Falten der weiten, lang herabhängenden Aermel des Gewandes verborgen, schauten sie unverwandt bald nach der Sonne, bald auf die nach dieser gerichteten Instrumente herüber. Das Interesse, das uns die Herren Chinesen so in stummer Weise zollten, schien ein immer allgemeineres zu werden, denn von Tag zu Tag mehrte sich die Zahl dieser überzähligen Beobachter, ja es fanden sich auch bald hie und da Beobachterinnen ein. Und welch’ unsägliche Mühe und Anstrengung mußte es den Töchtern des „himmlischen Reiches“, die ihre Füße nach dortiger Sitte gänzlich verkrüppelt und so zum Gebrauche fast untauglich gemacht hatten, kosten, die Anhöhe, wenn auch mit Hülfe ihrer Eheherren, zu ersteigen! Gänzlich unmöglich gemacht war es den unverheiratheten jungen Chinesinnen, ihre etwaige Neugierde zu befriedigen, da die Töchter dieses Landes bis zu ihrer Vermählung zu Hause eingesperrt bleiben und sich nie öffentlich zeigen. – Doch nicht allein das Volk bekundete eine unbegrenzte Neugierde, auch der bereits erwähnten Classe der Mandarinen mußte die astronomische Thätigkeit von Interesse sein, denn bald ließ sich der Towtei, der höchstgestellte Mandarine der Provinz, zu einem Besuch auf dem Observatorium anmelden.

Es war ein warmer Novembernachmittag. Wir hatten einige Vorbereitungen zum Empfange des hohen Besuchs getroffen, den wir nun erwarteten. Die immer intensiver werdenden Töne kräftig geschlagener „Gongs“ erregten unsere Aufmerksamkeit, und umschauend gewahrten wir am Fuße des Berges, die Straße heraufziehend, einen langen Mandarinenzug. Voraus ein Trupp niederer Beamten im Festgewande, die, vermittelst ihrer Bambusstäbe das Volk auseinandertreibend, Platz für den festlichen Zug machten, Andere von Zeit zu Zeit die Gongs schlagend, und Solche, die, als Symbol der Macht des hohen Herrn, Ehrenzeichen vor ihm hertrugen. Hierauf folgten einige Mandarinen von niederem Range auf Ponies und nach diesen unmittelbar die von vier buntbekleideten Dienern getragene, mit seidenen Vorhängen umgebene Sänfte des Towtei, über die noch ein Ehrensonnenschirm von scharlachrothem Atlas ausgespannt war. Zu beiden Seiten ritten wieder je vier Mandarinen im Amtsschmucke, und den Zug beschloß eine gleiche Anzahl dieser seltsamen Reiter. Eine unzählige Volksmenge folgte in stummer Ehrfurcht dem Zuge ihres Gebieters, der, eben am Observatorium angelangt, Halt machte. Die Mandarinen sprangen von ihren Pferdchen und beeilten sich, ihrem Vorgesetzten beim Aussteigen behülflich zu sein, während einige Andere zu uns hereinliefen und jedem Einzelnen einen langen rothen Zettel überreichten, auf dem in Hieroglyphen für uns der Name des hohen Herrn verzeichnet stand. Bald darauf trat der Träger des Namens selbst ein, gefolgt von der Schaar Mandarinen, die sich bemühten, die Bewegungen ihres Gebieter genau nachzuahmen. Der Herr Towtei ging nämlich zu jedem Einzelnen von uns und brachte ihm nach chinesischem Gebrauch eine Unzahl stummer Höflichkeitsbezeigungen dar, eine Situation, die einen noch viel komischeren Anblick dadurch gewähren mußte, daß wir uns bemühten, die Gesten in gleicher Weise zu erwidern. Der hohe Besuch geruhte, nur chinesisch zu sprechen und hatte daher einen Dolmetscher bei sich, der die englische und chinesische Conversation vermittelte.

Die Besichtigung des Observatoriums, das Beobachten einiger himmlischen Objecte, das nun erfolgte, hatte für unsern hohen Gast sowie für die übrigen Mandarinen ein steigendes Interesse und nahm geraume Zeit in Anspruch, aber auch uns war es nicht minder interessant, die Herren Chinesen zu beobachten, wie sie mit schlauen Mienen die Instrumente von allen Seiten betrachteten und sich dann verständnißinnige Blicke zuwarfen. Nach Schluß der Besichtigung nöthigten wir den hohen Besuch an einer im Freien aufgeschlagenen Tafel sich niederzulassen und bewirtheten ihn mit einem Glase Wein. Seine Untergebenen stellten sich hinter ihm auf, und viele davon waren beschäftigt, ihrem Gebieter die kunstvolle Tabakspfeife anzubrennen und, da der Herr geruhte, etwas nachlässig zu rauchen, dieses Manöver immer von Neuem zu wiederholen, wobei Jeder sein eigenes Amt zu erfüllen hatte. Nachdem uns so der hohe Gast eine halbe Stunde stumm gegenüber gesessen hatte, stand er auf und empfahl sich durch dieselben komischen Gesten, wie zu Anfang, [71] die aber jetzt unsererseits schon bedeutend exacter erwidert wurden. Der Zug entfernte sich nun wieder unter gleichem Ceremoniell, und die Volksmasse verlief sich allmählich. Am Tage des Phänomens aber, am 9. December Morgens, als wir erwartungsvoll dem Ereignisse entgegensahen, hatte sich unser Towtei nach dem höchsten Gipfel des Berges tragen lassen und dort, auf die Kniee sinkend, die strahlende Sonne um Gelingen unserer Beobachtungen angebetet, die ja auch vollständig glückten.




  1. Zur Beobachtung des Venusdurchganges am 9. December 1874.