Beim schwarzen Jack im Zoologischen Garten in Berlin

Textdaten
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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Beim schwarzen Jack im Zoologischen Garten in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 56–59
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Beim schwarzen Jack im Zoologischen Garten in Berlin.


Wohl jedem Besucher zoologischer Gärten wird sehr bald ein Unterschied zwischen diesen und den wandernden Menagerien aufgefallen sein, und zwar derjenige, daß, während in den Menagerien aus zwingenden Gründen immer und immer wieder vorzugsweise die größeren Raubthierarten nebst den unvermeidlichen Affen gezeigt werden, die zoologischen Gärten sich mit besonderer Liebe der Pflege der pflanzenfressenden Säugethiere widmen und mit ihnen gewöhnlich beginnen. Die Gründe dafür

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Der schwarze Jack im Zorn.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.



[58] sind so selbstverständlich, daß sie hier gar nicht wohl brauchen angeführt zu werden. Freilich die seltensten Hirsche und Antilopen, die unbekanntesten Ochsenarten etc. verhindern doch niemals die Frage, wo die Löwen und die Affen sind; aber ein gut organisirtes und auf gesunder Basis ruhendes Institut dieser Art soll eben das Eine thun, ohne das Andere zu lassen, und kann es also doch hier vielleicht Allen recht machen.

In dieser und anderer Beziehung über den Berliner zoologischen Garten etwas zu schreiben und denselben zu preisen, ist jetzt ein so billiges Verdienst, wie wenn man Rafael’s Tüchtigkeit als Maler hervorheben wollte; immerhin aber waltet die Thatsache ob, daß der Berliner zoologische Garten, weil jetzt so gut wie neu und immer noch im Werden begriffen, stets neue Bewunderung hervorruft, gleichviel ob man ihn schon kennt oder nicht. Es war daher etwas sehr Naheliegendes, daß bei der großen Dreikaiserzusammenkunft in Berlin der Besuch dieses Instituts mit in das Programm der Festlichkeiten aufgenommen wurde, und unser Kaiser kann gewiß sein, seinen Gästen etwas gezeigt zu haben, was dieselben in ihren eigenen Reichen vorläufig wenigstens noch nicht aufzuweisen haben, und zwar nicht blos in Bezug auf die Großartigkeit der Anlagen, sondern auch hinsichtlich des Thierlebens selbst. Müssen die hohen Gäste z. B. nicht gestaunt haben, daß in dem nordischen Klima Berlins die Straußin sich entschlossen hat, Eier zu legen, und zwar, naturgeschichtlich ganz richtig, in einem das Nest vorstellenden ausgescharrten Loche, wo die über zwanzig zählenden, zusammengeschichteten gewaltigen Eier sich in der That ganz stattlich ausnahmen. Nur die in einiger Entfernung herumgelegten Eier fehlten, und allerdings zuletzt das – Ausbrüten, aber dafür war dies auch der erste Versuch.

Wäre die Zeit und die Oertlichkeit gerade günstig gewesen, so hätten die Kaiser auch das Nest der Talegallahühner besuchen können, wo wirklich gebrütet worden ist, wenn man so sagen darf. Der Hahn hatte hier, ganz wie in der Freiheit, durch ebenso energisches als unermüdliches Zusammenscharren von Erde und besonders von abgefallenem Laub einen im Umfange ziemlich großen, wenigstens halbmannshohen Hügel geschaffen und die Henne darein ihre Eier versenkt, das Ausbrüten aber der sich in der Feuchtigkeit entwickelnden Hitze überlassen. Diese that auch ihre Pflicht, und zur rechten Zeit arbeiteten sich einige junge Talegallas aus dem gewaltigen Neste und – flogen auch gleich, beinahe auf Nimmerwiedersehen, davon.

Weiterhin haben vielleicht, wahrscheinlich aber nicht, die Kaiser die beiden numidischen Kraniche gesehen, wie sie ihr Junges, den einzigen Sprößling, am Ufer des Teiches entlang führten, die Fliegen von den Uferpflanzen fingen und dem Erben mit reizend-graziöser Halswendung hinreichten, ein prächtiges, gewiß von den Meisten übersehenes Familienbild.

Diese und ähnliche Beobachtungen kann man in der Regel nur machen, wenn man solche Orte öfter besucht und sie nicht als Schnellreisender unserer Tage im Fluge durcheilen muß, nur um sagen zu können, daß man dagewesen ist. Daher gleich hier der gutgemeinte Rath an alle nach Berlin kommenden Besucher des dortigen zoologischen Gartens, demselben einen ganzen Tag zu widmen. Wer noch kein Interesse für die Thierwelt und ihre Schönheit hat – er bekommt es dort! Und wenn der Leib ermüdet ist, so sorgt Herr Schneider, der mit seinen Zwecken großartig gewachsene Pächter der prächtigen Restauration, für dessen Erquickung in ausgiebiger Weise.

Es ist bereits gesagt, daß Zeit dazu gehört, um die einzelnen Scenen, wie sie der Garten bietet, schauen zu können, und die Kaiser haben offenbar diese nicht gehabt; so viel Zeit hatte aber der russische Kaiser doch, um, wie mir berichtet wurde, anhören zu können, daß sich im Garten noch kein männlicher Auerochs befindet, und daß dies sehr traurig ist. Daß diese Mittheilung gerade an seine Adresse kam, ist sehr natürlich, denn er ist bekanntlich nicht blos der Selbstherrscher aller Reußen, sondern er verfügt auch allein über das nur noch in Litthauen und dem Kaukasus lebende Auerwild. Selbstverständlich verstand er den Wink, und ein männlicher Auerochs ist dem Garten zugesagt worden. Ein erwachsener, weil man ihn erst fangen müßte, wird es wohl kaum sein, aber auch ein junger ist sehr willkommen und wird eine längst gefühlte Lücke ausfüllen.

Früher waren die ochsenartigen Wiederkäuer im Berliner Garten lange Jahre hindurch nur durch den gewöhnlichen Büffel und eine sehr gewöhnliche Buckelochsenart vertreten. Beide bildeten kleine Herden, vermehrten sich regelmäßig, und verschiedene andere neu entstehende zoologische Gärten in Deutschland wurden von hier mit diesen Thieren versorgt. Ungefähr 1862 kam mit der Japanesischen Expedition eine andere Büffelart, vertreten durch eine Kuh mit Kalb, hin; die Thiere lebten aber, wie es scheint, nicht lange. Endlich, nachdem alle deutschen Thiergärten schon längst den schönen langhaarigen Jack angeschafft hatten, kamen 1864 oder 1865 diese Thiere auch nach Berlin, und zwar sogar ein sehr seltenes schwarzes Exemplar, während man sonst überall nur weiße oder graue oder dergleichen gefleckte sieht. „Den verdienen sie in Berlin gar nicht!“ so hörte ich in Bezug auf dieses schöne Thier einst eine auswärtige Autorität sagen. Wie fast alle Thiere in der damaligen Zeit des Gartenelends, so standen auch die Jacks weit von ihren Verwandten, und es fehlte ganz an Gelegenheit, diese zusammengehörigen Thierarten mit einander bequem zu vergleichen. Jetzt ist diesem Mangel in prachtvoller Weise abgeholfen. In der Art einer langen Galerie dehnen sich die Gehege der verschiedensten Ochsenarten, eines neben dem anderen, aus, und natürlich jedes mit einem originell gebauten Stall.

Diese Ställe, aus unbehauenen Baumstämmen verschiedener Arten und jeder anders gebaut, sind allein des Anschauens werth; sie gehören eben auch zu der zoologischen Architectur, welche sich durch das Aufblühen dieser Institute entwickelt hat und gerade im Berliner Garten sich jetzt so schön entfaltet.

Als Einleitung gleichsam eröffnen die ochsige Galerie die schon erwähnten Zebus oder Buckelochsen; hat man sie schon seit zwanzig Jahren dort gesehen, so sehnt man sich allerdings krampfhaft danach, nun auch einmal eine andere stattlichere Art dieser bei größerer Figur ganz prächtigen Thiere hier zu sehen, ein Wunsch, dem, wenn es nicht bereits geschehen, auch bald entsprochen werden wird. Sodann kommen als nächste Art die Sundaochsen, junge Thiere und, irre ich nicht, von den alten dieser Art, welche in Amsterdam gehegt werden, abstammend. Sie sollen die wilde Form des Thieres sein, und auch der Director Westermann in Amsterdam ist dieser Meinung. Indeß versicherte mir in Amsterdam kürzlich ein eben zu Besuch in seiner Heimath anwesender Holländer, welcher in Java ansässig ist und von dort für den Amsterdamer Garten Thiere besorgt, daß diese Gattung die gezähmte Form jener Ochsenart sei, ein neuer Beweis dafür, wie viele Ungewißheiten selbst da, wo die Europäer schon seit Jahrhunderten herrschen, in naturwissenschaftlicher Beziehung noch bestehen.

Es ist mir nicht mehr genau erinnerlich und es kommt für den gegenwärtigen Zweck auch gar Nichts darauf an, in welcher weiteren Reihenfolge die anderen Ochsenarten nun folgen. Darum möge nur noch angeführt sein, daß außer den beiden eben Genannten sich noch hier befinden: der schwarze Jack mit zwei Kühen und deren Kälbern, die europäischen Büffel, die indischen Büffel, die Capbüffel und die beiden berühmtesten ihrer Gattung, der Auerochs und der amerikanische Bison, letzterer mit zwei Kühen und deren Kälbern. Wie man sieht, bilden Einige kleine Herden und bieten dadurch einen noch viel anziehenderen Anblick.

In einem früheren Jahrgang brachte die Gartenlaube einmal das Bild des im Dresdener zoologischen Garten damals befindlichen weißen Jacks, wie er erzürnt einhergaloppirt und einen alten ihm widerwärtigen Futterkorb in die Höhe schleudert. Es war bei diesem Thiere nicht immer der Futterkorb, an dem es sein Müthchen kühlte, denn auch seinen Wärter ließ es einst eine solche Luftreise machen, so daß derselbe nur mit Mühe mittelst langer Stangen gerettet werden konnte. Dieses Thier war überhaupt leicht reizbar und der Wärter mußte stets auf seiner Hut sein. Ganz im Gegensatz damit habe ich den Wärter, welcher die Ochsen des Berliner Gartens zu pflegen hat, mit allen diesen, auch mit dem Jack, in sehr gutem Einvernehmen gesehen. Durch alle Gehege schreitet er oder fährt er mit dem Futter sorglos dahin, und um so erstaunter mußte ich daher sein, als ich einst Zeuge der Scene war, die das Bild darstellt, und die ich hier kurz erzählen will.

Ich war wieder ganz früh am Morgen nach dem Garten herausgepilgert (denn da ist man von dem lieben Publicum am ungestörtesten) und bog rechts vom Eingang ein, um zu sehen, [59] ob bei den Ochsen noch Alles in Ordnung sei, als gerade der Wärter Brauer mit seinem Maulthierfuhrwerk von Weitem sichtbar wurde, um seinen Pflegebefohlenen das Frühfutter zu bringen. Von Gehege zu Gehege hielt der Wagen, und mittelst eines Schubkarrens ward den Insassen ihr Futter je nach Befinden in den Stall oder sonst wohin geschüttet. Die Thiere merken das natürlich längst vorher an den nahenden Tönen, und wie die Kraniche im Amsterdamer Thiergarten den Ton der Holzschuhe ihres Wärters ganz genau kennen und beachten, alle übrigen Holzschuhe aber verächtlich ignoriren, so lernen auch andere Thiere solche Töne sehr bald unterscheiden.

So stand denn auch unser schwarzer Jack schon bereit zum Frühstück, und harrte mit seinem Harem seines Pflegers, bis dieser erschien. Ich weiß nicht, wie es kam, mochte er dabei zu zudringlich gewesen sein und das Bischen Bildung, das einem Ochsen zuzutrauen ist, vollends bei Seite gesetzt haben, genug, plötzlich hörte ich Brauer’s kurzstielige, aber im Uebrigen um so gediegenere Peitsche sausen und des Jacks Fell bearbeiten. Dieser wandte sich sofort zur Flucht und hier sah ich ihn, der sonst immer nur im langsamen Schritt wandelte, nun einmal im schnellen Lauf, aber doch nur im Trab. Der Wärter war offenbar bestrebt, dem Thier seinen Standpunkt ein für allemal klar zu machen, und folgte dem Jack mit geschwungener Peitsche. Wie prächtig schallte da dieses zoologische Knallen durch die morgendliche Stille des Gartens! Es war ein Ton, so voll und kräftig, und nur der Ochse schien keinen Sinn dafür zu haben, denn plötzlich, als er eben wieder einen Hieb erhalten, drehte er sich um, senkte den Kopf mit den gewaltigen Hörnern und ging ohne alle Kriegserklärung auf den Wärter los. Mit großer Geistesgegenwart wandte dieser dem erzürnten Jack sofort seinen Rücken zu und retirirte mit großen Sprüngen nach dem Stall und hinter das an den Seiten desselben angebrachte Geländer, über dessen Zweck ich jetzt sofort klar war. Der Ochs folgte zwar und rannte mit Wucht gegen die Balken des Geländers, aber diese widerstanden, und damit war auch das Thier befriedigt, kehrte ruhig um, und als der Wärter nach einigen Minuten seinen Schutzort verließ, ließ er denselben ruhig seinen Geschäften weiter nachgehen. Also von Nachtragen keine Spur, was gewiß sehr für den Charakter dieses Ochsen spricht und ihn nicht blos seiner Schönheit wegen achtungswerth macht.

Ueber die eigenthümlich schöne Erscheinung, die dieser Jack bietet, braucht kaum Etwas gesagt zu werden, da sie in dem Bilde wohl genügend dargestellt ist. Früher waren die langen, lockigen, glänzenden Haare noch nicht ganz so entwickelt, so daß man damals noch die Hufe erblicken konnte, jetzt aber ist dies bei dem ruhig stehenden Thiere nicht mehr möglich, und die Vergleichung desselben mit dem Berliner Armenleichenwagen muß man als ganz zutreffend finden, wenn man dieses Gefährt mit seinem über die Räder herabhängenden schwarzen Tuch nur einmal gesehen hat.

Einer eigenthümlichen Angewohnheit hatte sich das Thier im vergangenen Sommer hingegeben: fast jeden Tag um die Mittagszeit konnte man dasselbe in seinem Gehege ganz vorn am Wege, gleich einem Hunde, auf dem Hintertheil sitzen sehen. Stundenlang saß der Jack so da, mit großer Seelenruhe das Necken des Publicums ertragend, und nur, wenn es manchmal zu arg wurde, stand er auf, um sich aber nach Entfernung des Störenfrieds gleich wieder hinzusetzen. Er saß dabei nicht ganz gleichmäßig, wie die katzenartigen Thiere, sondern etwas auf der Seite des Hintertheiles, wie man diese Stellung oft bei Hunden sieht.

Wer sich naturwissenschaftlich über den Jack unterrichten will, muß bescheiden sein; denn wie bei den meisten innerasiatischen Thieren ist die Kenntniß auch des Jacks, das heißt seines Freilebens, eine noch sehr geringe. Seine Aufenthaltsorte, die höchsten Gegenden des Himalayagebirges, sind so unzugänglich, daß er bis jetzt nur sehr wenig beobachtet worden ist, so wünschenswerth dies auch in Bezug auf ihn und andere größere Thiere seiner Verwandtschaft ist. Denn die Wildnisse Indiens bergen noch andere gewaltige Ochsenarten, die kaum durch ausgestopfte Bälge bekannt sind. Als ich einst den Thierhändler Jamrach, denselben, dessen anziehende Schilderung des Tigerfanges den Lesern der „Gartenlaube“ noch in der Erinnerung sein wird, anzuregen suchte, doch womöglich auch solche seltene Ochsen nach Europa zu bringen, erwiderte er mir: „Ich bringe Alles herüber, was bestellt wird, aber bei solchen Kosten, wie sie mit dem Fang und Transport so großer Thiere verknüpft sind, muß ich vorher wissen, daß ich Abnehmer dafür habe; ich habe schon ganz seltene Thiere, sogar neue Arten, herüber gebracht, bin sie aber Monate lang nicht los geworden und war zuletzt froh, als sie todt waren!“ Herr Jamrach scheint damals seine Thiere dem Berliner Garten nicht angeboten zu haben, oder es ist noch die Zeit des dortigen Gartenelends gewesen.      L.