Beim kronenlosen König von Italien

Textdaten
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Autor: F. B.; Robert McTear
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Titel: Beim kronenlosen König von Italien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch von McTear bei Giuseppe Garibaldi
Blätter und Blüthen
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[32] Beim kronenlosen König von Italien. Die Leser der Gartenlaube haben zwar schon zu verschiedenen Malen (zuletzt 1864 Nr. 15 und 16) Gelegenheit gehabt, einen Blick in die spartanisch-einfache Häuslichkeit der Cincinnatus von Caprera zu thun, der Befreier der beiden Sicilien bleibt aber, wenn auch die Ereignisse unserer raschfluthenden Zeit momentan seine Persönlichkeit etwas weiter in den Hintergrund gerückt haben, für immer eine so außerordentliche, gewaltige und interessante Erscheinung, daß man gern von Neuem sich bei ihm auf seinem öden Steineiland einführen läßt. Die nachstehenden Mittheilungen sind, im Auszuge den noch nicht allgemein veröffentlichten Aufzeichnungen eines Schotten Namens Mac Tear, eines persönlichen Freundes Garibaldi’s, entnommen, der Gartenlaube von einem Sohne Carl Blind’s zugegangen und werden nicht verfehlen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

– – – Als wir uns dem Ufer von Caprera näherten – heißt es in dem Berichte, von dem wir die Schilderung von Mac Tear’s Reise nach Italien und seiner Ueberfahrt nach Garibaldi’s Insel übergehen zu können glauben – sahen wir eine Gestalt in der Nähe des Hauses sich bewegen. Bald entdeckten wir, daß es der General sei, der den Pfad herabkam, um uns entgegen zu gehen. Er stützte sich auf den Eichenstock, der, mit der Distel, der Wappenpflanze Schottlands, verziert, ihm von einem schottischen Arbeiter gesandt worden war und der, wie er sagt, jetzt sein beständiger Begleiter ist. Garibaldi empfing uns auf’s Herzlichste und sprach beim Willkommen uns seinen Dank aus, daß wir von so weit her gekommen seien, um ihn zu besuchen. Er nahm mit der freudigsten Genugthuung die warmen Freundschaftsgrüße entgegen, die ich beauftragt war, ihm von unseren gemeinschaftlichen Freunden zu überbringen, nämlich von Frau Roberts, die seinen Sohn Ricciotti in England erzogen und gerade eben den Ankauf und die Uebertragung der anderen Hälfte von Caprera bewerkstelligt hatte; von Mazzini, Louis Blanc und Carl Blind, den exilirten Repräsentanten der italienischen, französischen und deutschen Demokratie, und von Anderen. Garibaldi’s Manieren sind so offen freundlich und liebenswürdig, daß man sich bei ihm sofort heimisch fühlt und es einem zu Muthe ist, als sei man bei einem alten intimen Freunde. Dabei hat er, bei aller Einfachheit und Natürlichkeit, eine Würde und Grazie, die ihm einen wahren Adel der Natur verleiht. Er spricht, wie der ungarische General Türr, Englisch; Ricciotti, in England erzogen, spricht es wie ein Eingeborner.

Garibaldi hatte sein weltberühmtes rothes Hemd an, graue Beinkleider, keine Hosenträger, sondern um die Hüften einen mit Silber ausgelegten Ledergürtel, an welchem an silberner Kette ein Taschenmesser hing; er trug ein schwarzseidenes Halstuch, ein anderes grün-rothes, lose um die Schultern geschlagenes Tuch, dessen Zipfel auf den Rücken herabhingen und nach vorn geschlungen waren, und eine gestickte Hausmütze. Morgens und Abends hängt er einen grünen gestreiften Poncho-Mantel um. Er ist von mittlerer Höhe, breitschulterig, zart und doch kräftig gebaut, hat kleine Hände, kleine Füße, nobel geschnittene Züge, scharfe und doch milde, ehrliche Augen. Seine Stimme ist klangvoll und wohl modulirt; der Ausdruck seines Gesichtes durchgeistigt. Wenn ruhig, ein Lamm, ist er in der Action löwenkühn. Die Priester haben in Sicilien und Neapel eine Legende aufgebracht: „Der Teufel habe sich einmal an einem Engel verguckt, und Garibaldi sei die Folge des Manövers gewesen.“

Menotti, der älteste Sohn, ist ein aufgeschossener, starker junger Mann von vierundzwanzig Jahren. Er spricht etwas Französisch, aber kein Englisch. Von ruhigen, bescheidenen Manieren, drückte er sein Bedauern aus, daß unsere Unkenntniß des Italienischen und seine Unkenntniß des Englischen ihm nicht erlaube, uns die Aufmerksamkeiten zu erzeigen, die er gern zu erzeigen wünschte. Ricciotti, siebenzehn Jahre alt, ist ebenfalls ein großer junger Mann, leider etwas hinkend, da sich in seiner Jugend die Achillessehne zusammenzog, weshalb er zum Zwecke ärztlicher Behandlung in England gewesen ist. Ricciotti hat eine große, gutgewählte Bibliothek der besten englischen Autoren. Teresa, Garibaldi’s einzige Tochter, neunzehn Jahre alt, ist Signor Canzio’s Frau, der unter Garibaldi Oberst war. Es ist eine angenehme, gute und hübsche junge Frau. Sie hat zwei Kinder, wahre „Preis-Babies“.

Die ganze Haushaltung ist einzig in ihrer Art – wirklich bizarr. Mit Ausnahme von Frau Deideri, einer ältlichen genuesischen Dame, die als Haushälterin fungirt, und der Amme Teresa’s, sind keine weiblichen Dienstboten da; die Geschäfte der Köchin, der Magd, des Hausmädchens etc. werden alle von rothhemdigen Garibaldianern besorgt. Außerdem befinden sich einige Secretäre, mehrere alte Soldaten und sonstiger Anhang um Garibaldi, von denen jeder eine romantische Feld- und Gefängnißgeschichte hinter sich hat. Einer derselben war bei der Demolirung eines der Gefängnisse in Rom im Jahr 1848 anwesend, wo man in Nischen aufrechtstehende, eingemauerte Skelete gefunden hatte. Mit den Besuchern zusammen waren im Hause etwa dreißig Personen während unseres Aufenthaltes bei Garibaldi anwesend.

Es herrscht in der Haushaltung Einfachheit, doch Fülle; eine generöse Gastfreundschaft, aber ohne alle Zier. Man nimmt kein regelmäßiges Frühstück. Der General genießt gewöhnlich eine Tasse Milch oder Kaffee mit eingerührtem Ei und Hausmannsbrod; dies nimmt er um vier oder fünf Uhr Morgens. Manchmal bringt er dann einige Stunden mit Dictiren zu; meist geht er jedoch auf’s Feld oder in den Garten hinaus, um nach der Arbeit zu sehen. Beim Herunterkommen wird Jedem Morgens mit Kaffee, mit Eiern und Brod von einem rothhemdigen Ganymed aufgewartet. Dann beschäftigt man sich nach Belieben bis zum Mittagstisch um ein Uhr, wo die ganze Familie, die Gäste und die Hauptmitglieder der Haushaltung, etwa zwölf bis sechzehn, bei Tisch zusammenkommen und der General auf’s Vollkommenste den Wirth macht. Das Essen besteht gewöhnlich aus Nudelsuppe, Fleisch, Fisch, Früchten und Wein. Garibaldi selbst trinkt meist keinen Wein; er fühle sich, sagt er, stets besser ohne denselben. Die Conversation bei Tisch war lebendig, und während Garibaldi sie in Wirklichkeit leitete, schien er ihr eher zu folgen, so zuvorkommend nahm er Jedermanns Bemerkungen auf. Wir bemerkten, wie sanft und liebevoll er mit seinen Kindern sprach, wie zärtlich und ehrerbietig sie ihm zuhörten und erwiderten. Nach Tisch gingen wir Alle in’s Freie hinaus, discutirten Politik, spielten mit Mamäli, dem Kinde, streichelten Garibaldi’s schönes Araberroß, sammelten Korallen und Muscheln am Ufer und kamen um sechs Uhr wieder zum Souper zusammen, wo dieselben Speisen wie am Mittag aufgetragen wurden, nur kalt. Um sieben Uhr zog sich der General in sein Zimmer zurück. Eines Nachmittags hatten wir mit Mamäli ein Spielchen, und es war amüsant, den Krieger, der in der Geschichte unserer Zeit eine so große Rolle gespielt hat, um die Orangen- und Feigenbäume herumspringen zu sehen mit dem lieben kleinen Kinde von Caprera.

Den Abend verbrachten die Gäste mit Conversation, Alle aber gingen frühe zu Bett. An einem herrlichen, stillen Abend schlug der General vor, uns aufzumachen, um bei Feuerschein Fische mit dem Speer zu fangen. Teresa, im Bloomer-Costüm, und ihr Gemahl, Signor Canzio, Ricciotti, wir und ein Bootsknabe bildeten die Gesellschaft. Der Kahn trug einen von der Schiffsspitze abstehenden Gitterkäfig, in welchem beständig Holz brennend erhalten wurde. Das Wasser war klar; man sah beim Glitzern des Feuers bis auf den Grund. Die Fische, von dem ungewohnten Anblick erschreckt, kommen nach allen Richtungen herauf, während die Fischjäger mit fünfzinkigen, etwa zehn Fuß langen Speeren auf die Beute lauern und zustoßen. Es war ein neues, höchst aufregendes Vergnügen, und obwohl wir wenig Erfolg hatten, ergötzten wir uns sehr dabei. Ricciotti fischte einen schönen Schwamm herauf, der aber, noch ungereinigt von seiner animalischen Materie, einen gräulichen Geruch hatte.

Des Abends sang Teresa, die eine schöne Stimme hat, mit großem Effect die Garibaldi-Hymne, sodann ein Lieblingsstück des Generals aus dem Trovatore, „Il Bacio“, u. s. w., was sich auf dem Wasser in der stillen Dunkelheit bezaubernd ausnahm. Fischen ist für die Familie. Garibaldi’s eine Hauptbeschäftigung. Er besitzt im Ganzen sechs oder sieben Boote, darunter ein großes gedecktes Schiff, wie eine Yacht, und zwei offene Doppelmaster. Einst fuhr Menotti nach der anderen Seite der Insel zum Fischfang aus; es erhob sich Sturm mit Donner und Blitz; er konnte weder landen, noch zurückkehren und mußte die ganze Schreckensnacht auf offenem Boote draußen auf dem Meere zubringen. Einmal sahen wir die Korallenfischer-Flotte mit weißen ausgebreiteten Segeln nach Maddalena hinsteuern. Zwei dieser Schiffe fuhren bei Caprera an; die Mannschaft bestand aus wild und corsisch aussehenden Männern, in schmutzig-weißen Flanell gekleidet, mit nackten Armen und Beinen. Ihr Schreien und Gesticuliren war wie das von Tollhäuslern. Sie verlangten für ein schlechtes, unpolirtes Korallenstück fünfzig Francs, doch wir gingen auf einen solchen Handel mit den Piraten nicht ein.

„Der Palast des kronenlosen Königs der Italiener“ ist durchaus kein imposantes Gebäude, und wäre der Mann, der es bewohnt, nicht so anspruchslos, so könnte man diese Wohnung für ihn, der Königreiche eroberte und weggab, eine unpassende nennen. Aber Garibaldi fühlt sich hier vollkommen glücklich, was seine Person betrifft. Einen Baustyl hat das Haus nicht; Es ist ein längliches Viereck, etwa einhundert und fünfzig Fuß lang; an die eine Seite stößt der Garten. Zwei andere Häuser stehen noch dabei, ganz unsymmetrisch; eines ist zwei Stockwerke hoch, das andere nur eines, beide aber sind miteinander verbunden. Auch ein eisernes Haus ist noch da, in welchem die Secretaire und einige Andere wohnen. Dann hat es Ställe und Scheuern. Rechts ist ein geräumiges Kutschenhaus und Magazin; dort liegt auch der auf Caprera gewonnene Wein. Eine Hütte findet sich nebenan, einem schottischen Hochlandscottage ähnlich, worin Garibaldi vor sieben Jahren wohnte, als er zuerst auf die Insel kam. Wollte Jemand bei uns vorschlagen, einen Armen oder Verbrecher darin zu logiren, er müßte den „infamen“ Vorschlag sofort mit Schmach zurückziehen. Und doch verbrachte Garibaldi einige seiner glücklichsten Tage darin! In der Nähe des Hauses stehen ein paar Orangen- und Feigenbäume, auch Reben. Hinten ist eine Windmühle, um das Korn zu mahlen. Auch ist noch ein Backhaus vorhanden und ein paar kleinere Gebäulichkeiten, einige davon zum Theil aus dem Felsen gehauen. Hinter dem Garten beginnt ein enge Thälchen, etwa eine englische Viertelmeile lang; auf diesem etwas fruchtbarerern Boden hat Garibaldi fast tausend Acker Landes urbar gemacht, mehrere Meilen Granitmauer gebaut, einige Meilen Weges angelegt, was mit großen Schwierigkeiten verbunden war, da man viele Felsen sprengen mußte. Er hat mehrere Quellen gegraben, große Cisternen angelegt, hat reichlich Wasser – was aber die Moskito-Plage, die hier vorher unbekannt war, in’s Land hereingebracht hat – und ist beständig mit Verbesserungen beschäftigt. Einen eigenthümlichen Eindruck machte es mir, in einer Vorrathskammer längs der Mauer Säcke stehen zu sehen, auf denen aufgezeichnet war: „G. Garibaldi Nr. 3“, „G. Garibaldi Nr. 7“. Er sah mich lachen und schien recht ergötzt darüber, daß ich’s mir nicht zusammenreimen konnte, auf Mehl- und Macaronisäcken seinen Namen zu sehen. „Ich bin eben, sagte er, „ein Farmer, und das gehört zu meinem Geschäft.“ –

So weit der schottische Gast mit seiner echt britischen Miniaturabconterfeiung der Garibaldi’schen Häuslichkeit. In einer spätern Skizze mag aus derselben Quelle „Garibaldi im freien politischen Privatgespräch“ geschildert werden.

F. B.