Textdaten
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Autor: Therese Messerer
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Titel: Beim Alten am Sulzberg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18–21
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[285]
Beim Alten am Sulzberg.


1.


„Vater, da schau’ auf! Ist das ein Nebelgeier, der da droben kreist, oder gar ein Adler? Er ist aber ganz kleinwinzig.“

Der von seinem Buben also Angeredete ließ seine Arbeit, einen Lederriemen, den er an einem alten Steigeisen befestigte, einen Augenblick ruhen, erhob das Gesicht zum rosig gefärbten Morgenhimmel und schaute aufmerksam nach dem bezeichneten schwarzen Punkte, der hoch über den Bergen im blauen Aether ruhig seine Kreise zog.

„Mei’, Glaasei (Nicolaus),“ war die Antwort, „das ist ein Steinadler und noch dazu ein sakrisch’ großes Thier. Den kannst alle Fruh sehen, der hat sein’ Horst drüben am G’wänd vom Riesenkopf.“

Dann setzte der Alte die unterbrochene Arbeit wieder fort und paßte mit kundiger Hand das Steigeisen an einen schwer benagelten Bergschuh. Große Eile mußte sein Geschäft nicht haben, denn häufig spähte er nach einer bestimmten Richtung hinab in’s Thal, über dem noch die Schatten der Morgendämmerung lagerten, dann wieder lauschte er mit vorgeneigtem Kopfe über den Berggrat hinaus. Dabei zwickte er das eine seiner schlauen Augen zu und ein schalkhaftes Lächeln glitt über das kluge wetterbraune Gesicht. Als er sich jetzt von dem Felsblock erhob, auf dem er gesessen, zeigte er sich trotz der auffälligen Dürftigkeit seines Anzugs als eine imponirende Erscheinung.

Das mit Silberfäden reich durchzogene Haar und der schon völlig weiße Schnurrbart ließen auf ein ziemlich hohes Alter schließen, die aufrechte sehnige Gestalt aber, das helle Lächeln und der joviale Zug um den feingeschnittenen Mund, der beim Lachen noch die weißesten Zähne zeigte, hätten Niemand errathen lassen, daß der Heu-Anderl (Andreas), der mit seinem Buben einsam hier auf dem obern Sulzberg hauste, schon hoch in den Sechzigen stand.

Wie Alles, was lebt und athmet in der frischen grünen Alpenwelt, war auch der Anderl durch und durch frisch und gesund, und wie fest und straff er noch den Körper trug, so sicher und leicht war auch sein Gang. Sein ganzes Costüm – freilich schien es nur seine Morgentoilette – bestand aus einer alten, mit mächtigen Flecken besetzten ledernen Kniehose und einem unendlich groben Linnenhemde.

Stolz aufgerichtet und einem König gleich, der auf hoher Warte sein Reich überblickt, stand der Alte so auf einem Felsvorsprung, begrüßte mit dem frohen hellen Auge seine alten Nachbarn, die gewaltigen Bergriesen rings herum, und schaute dann wieder forschend in’s Thal hinab, das jetzt allmählich aus dem Zwielicht trat. Mit Behagen lüftete er das Hemd am Halse und ließ die kühle Morgenluft über die entblößte gebräunte Brust streichen, indeß das lange graue Haar im Winde flatterte.

Ein Leben voll Gefahr und Wagniß hatte Anderl’s Glieder gestählt und seinen Geist frisch und rege erhalten. Ohne Grundbesitz, ein armer Wildheuer, genoß er von den Besitzern der umliegenden Alpenwirthschaften das Privilegium, an den fast unzugänglichen Stellen das Gras für sich mähen zu dürfen. Zwischen Klammen, an Hängen, Vorköpfen und steilen Begleiten, wo nur die Gemse heimisch war oder der Alpenhase seine Aeßung suchte, schwang er die Sense oder schnitt, festgebunden an einem Seile, mit der Sichel die würzigen Kräuter und saftigen Gräser ab.

Neben den Mühen aber, für den langen Winter seine Ziegen und eine Kuh in solcher Weise mit Futter zu versehen, war das Fallenstellen für den Heu-Anderl die beste Erholung und sein liebstes Vergnügen. Zog er auch anscheinend ganz harmlos beim Tagesgrauen mit Sichel und Sense zu Berge, hoch oben, wo nur kahle Schroffen und zerrissenes Gestein den Beginn der Schneeregion bilden, besaß der schlaue Alte ein gar gutes Versteck für seinen Stutzen. Bei mancher Last im Heutuch, die er, mit den Steigeisen sich einkrallend und mit dem schwerbeschlagenen Bergstock vorstechend, mühsam abwärts schleppte, war oft ein fetter Gemsbock der schwerste Theil.

Lächelnd schaute der Alte auf den kaum zwölfjährigen kräftigen Buben, der auch nur mit einer geflickten zwilchenen Kniehose und einem Hemde aus Sackleinewand bekleidet war und mit vier prächtigen Ziegen lustig aus der Stallthür des kleinen, ärmlichen, an den Berg gelehnten Häuschens sprang. Begierig guckte Glaasei eben wieder nach dem großen Raubvogel aus. Dieser erschien jetzt schon viel größer, er senkte sich ohne Flügelbewegung in weiter Schraubenwendung immer tiefer herab. Plötzlich hing er wie festgebannt in den Wolken. Er mußte eine Beute endeckt haben, und wirklich schoß er nun pfeilschnell in schiefer Richtung aus der Höhe und verschwand vor den Augen des nachstarrenden Knaben hinter einer Bergkuppe.

Von der hochgelegenen Hütte unseres Alten überblickte man gegen Norden eine unabsehbare Ebene, die damals, in den Zwanziger Jahren, noch von keiner Bahnlinie durchschnitten, von keiner Locomotive durchbraust war, jenes wunderschöne Thal, durch das der Inn seine grünen Fluthen in unzähligen Windungen führt. Aus den Mooren und Moosen seiner kleinen Inseln stiegen jetzt leichte Nebelschichten auf, die sich schleierartig an die Berge hingen [286] und, von der langsam aufsteigenden Sonne verdrängt, höher und höher hinaufzogen. Rechts unterschied das Auge schon Neubeuern mit seinem stolzen Schlosse, links zog eine dichte Nebelwand gegen den Schweinsteig-Kogel und den Antrettwart und ließ das schöne Brannenburg erscheinen. Immer heller schattirte sich die umliegende Bergwaldung, je mehr sie zwischen den umherziehenden Nebelstreifen sichtbar wurde, und ein immer frischeres Leben erwachte unter ihren grünen Wipfeln, durch die das Sonnenlicht in goldenen Strahlen brach. Schon zog krächzend die Walddohle in Schaaren zu Felde und der helle Schlag der Waldamsel tönte zu den Bergen herauf.

Hielt man den Blick gegen Süden gewendet, so streckte das Kranzhorn, das hier die Grenze zwischen Baiern und Tirol bildet, seine sattelförmigen Zacken in das Blaue hinein. Ihm gegenüber glänzten im jungen Sonnenlichte schon die schroffen Wände des Riesenkopfes, mit dem die hohe Matron, der Heuberg und der Petersberg sich zu einem Kranze mächtiger Riesen vereinen, die ihre Häupter in dem breiten Innstrome spiegeln, der auf seiner Wanderung aus dem schönen Tirol an ihrem Fuße vorüberrauscht.

„Vater, schau’ doch den Kaiser an!“ sagte der Bube und streckte den Arm in der Richtung nach Kufstein aus. Dort überragte die Berge alle der wilde Kaiser, ein gewaltig zerklüftetes Gestein voll nackter steiler Wände. Seine vielgezackten Schroffen funkelten in der wundervollsten Beleuchtung wie heller Silberschein und gaben ein herrliches Schlußbild zu dem großartigen Innthale.

Der alte Wildheuer verweilte nicht lange bei dem prächtigen Anblick. Er rief dem kleinen Burschen zu: „Schau lieber da ’nunter, Bub’, nach dem Inn, ob Du nicht bei Nußdorf eine Zillen (Boot) landen siehst.“

„Ja, Vater,“ sagte der Bube, als er mit vor die Augen gelegter Hand der Weisung nachgekommen war, „da oberhalb in den Weidenbüschen stoßt ein Schifferl ab, aber weit ’nunter tragt’s der Inn.“

„Sacra,“ rief der Alte eifrig und verfolgte mit den Blicken die gleiche Richtung, „sie ist’s, Bub’! Du hast ein Aug’, grad’ wie ein Falk’. Schau’ nur recht, ob nicht noch eins vom Ufer drüben abstößt, und sag’ mir’s gleich.“

Darauf zog sich der Alte eilig in die Hütte zurück, fröhlich vor sich hin murrend: „Läßt halt nicht aus, das Madel, läßt nicht aus!“

Es war Sonntag heute, und angethan mit den kurzen blauen Wadenstrümpfen und den scharfgenagelten Bergschuhen, ein schwarzes Tuch lose um den Hemdkragen geschlungen, die Lodenjoppe sammt dem Rucksack übergeworfen und den spitzen Hut auf dem grauen Haare, erschien der Alte gerade wieder unter der Thür, als Glaasei ihm zurief: „Vater, jetzt rudert eine Zillen über den Inn. Muß leicht ein Jäger sein, denn er hat ein’ Hund bei sich.“

„Ja, ja,“ nickte der Alte lebhaft und winkte mit pfiffigem Blicke in’s Thal hinab. „Gieb Dir kei’ Müh’, junger Waldschnepf, dem Heu-Anderl kannst das Spiel nicht abgewinnen!“

Glaasei hatte kaum seine Ziegen auf ihren gewohnten Weideplatz getrieben, als er zurückkehrte, um sich auch in Sonntagsstaat zu werfen. Bestand dieser auch nur in einem frischgewaschenen Hemde und dem grauen Berghute, der Glaasei bildete sich doch nicht wenig darauf ein, und wie schmuck er sich in den weiten weißen Hemdärmeln immer erscheinen mochte, er blickte doch noch viel stolzer auf den alten Filz, denn ihn schmückte der prächtigste Adlerflaum sammt zwei hohen Reiherfedern.

Von Brannenburg und Flinsbach hallten gleich Orgeltönen die Kirchenglocken herauf, die die Gläubigen von Berg und Thal zum Gottesdienste riefen. Auf allen Waldpfaden und Straßen konnte man schon festlich geputzte Landleute, dem Rufe des feierlichen Geläutes folgend, zu Thale steigen sehen.

„Glaasei, mach’, daß Du jetzt auch ’nunter kommst in die Kirch’!“ mahnte der Heu-Anderl durch eines der kleinen Hüttenfensterchen.

Der Junge, der die alte Zwilchhose inzwischen noch mit einem hirschledernen Hosenträger geschmückt, kam im Augenblick zum Vorschein und war im Nu ein Stück auf dem Bergwege hinabgeeilt. Da sprang er lustig wieder seitwärts auf einen Felsblock, von wo aus er die ganze wundervolle Ebene frei überschauen konnte, und aus der wie in lebensfrischer Bergeslust bewegten jungen Brust sandte er einen mächtig lauten Juhschrei hinab in’s Thal.

Der Alte schmunzelte beglückt dem schmucken Buben nach und schickte sich an, ihm langsam zu folgen. Es schien aber, als erwarte er noch Jemanden, denn oft blieb er zögernd stehen und horchte aufmerksam in den Wald hinein. Der vermuthete Besuch war auch schon auf dem Wege, sein Glaasei hatte ganz richtig gesehen.

Mit kräftigem Ruck wurde unten am Wasser ein Nachen an das Ufer getrieben, aus dem ein großes stattliches Mädchen an’s Land sprang. Rasch befestigte sie das Seil des Schiffchens an einem alten Erlenstamme und schlug ohne Säumen den Weg gegen Nußdorf ein.

Auch sie war im Sonntagsstaate. Ein lichtes großblumiges Seidentuch umhüllte die kräftigen Schultern und bedeckte über der vollen Brust das schwarze Mieder, das knapp und zierlich die braune Unterjacke und den faltigen Rock von gleichem Stoff umspannte. Unter dem niedrigen Hute, der nur mit einem schweren grünseidenen Bande geziert war, quollen, flach um den Kopf gewunden, die dunkelbraunen wohlgepflegten Flechten hervor, und die breite Krämpe beschattete ein Paar schwarze ausdrucksvolle Augen. Aus dem schöngeformten lebendigen Gesichte des jungen Mädchens sprach etwas wie Angst und Unruhe, das mit der frischen rosigen Färbung desselben nicht stimmte, der feurige Blick aber verrieth Muth und Entschlossenheit und jede ihrer Bewegungen Gewandtheit und rasches Handeln.

Die weite schwarzwollene Schürze des Mädchens war vorn aufgesteckt und schien vollgepackt zu sein. In der Hand trug sie eine steinerne Flasche. Sie schritt in aller Eile vorwärts, und kaum einen flüchtigen Blick warf sie noch zurück auf den Fluß, ehe sie flinken Schrittes im nahen Walde verschwand.

Das am Ausgange des Gehölzes gelegene Dörfchen Endbach hatte das Mädchen schon erreicht, und sie begann eben den untern Sulzberg hinaufzusteigen, als ein zweiter Kahn weiter oben an demselben Ufer landete.

Von fern schon ließ sich in dem neuen Ankömmling, der von einem ihn bellend und in weiten Sätzen umkreisenden Hunde begleitet war, der Jäger erkennen. Trotz der schmucken Gebirgstracht, die den schlanken jungen Waidmann trefflich kleidete, sah man bald, daß er nicht aus diesen Bergen stamme. Seine Züge zeigten nicht den derben, freien und gemüthlichen Ausdruck, seine Gestalt nicht die stramme Haltung, noch sein Gang den festen sichern Tritt des Gebirgssohnes. Das schmale ausdrucksvolle, von einem röthlichen Vollbart eingerahmte Gesicht erschien wie verdüstert von einem innern Druck. Er sah sich überall forschend um, und als er nun den untern, am Erlenstamm angehängten Kahn entdeckte, rief er mit spöttischem Lachen: „Oho, schon wieder angekommen!“ und schlug rasch dieselbe Richtung ein, die das Mädchen genommen.

Jedes der Gelandeten glaubte, von Niemand gesehen zu sein, aber nicht blos der Heu-Anderl sammt seinem Buben hatte sie von seiner hohen Terrasse aus beobachtet. Dicht am Ufer des Inns saß, gedeckt vom Weidengestrüpp, auf dem Stumpfe einer abgehauenen Weide schon lange ein Mädchen in der Tracht der Umgegend. Da sie den Kopf in die Hand gestützt hielt, konnte man vor dem breitrandigen Hute kaum das blasse Gesicht erkennen. So viel aber ließ sich doch errathen, daß die betrübte Eigenthümerin desselben jung und blond und von mittlerem, kräftigem Wuchse war. Lange starrte sie in die vorüberziehenden Fluthen und erst die nahen Ruderschläge des ersten Kahnes rissen sie aus ihrer Versunkenheit.

Mit mattem Blick schaute sie der dem Nachen Entstiegenen nach, bis sie dieselbe zwischen den Waldbäumen aus dem Gesicht verlor, dann verfiel sie wieder in ihr trübes Hinbrüten. Als aber später der Jäger landete, fuhr sie mit einem unterdrückten Schrei in die Höhe und unwillkürlich preßte sie beide Hände auf’s Mieder. Athemlos lauschend, mit weit vorgeneigtem Oberkörper und stürmisch klopfender Brust folgte sie jeder Bewegung des jungen Waidmanns, und als sie auch ihn auf demselben Pfade in den Wald verschwinden sah, sank sie wie geknickt auf den Baumstumpf zurück. Die Hände im Schooße gefaltet, saß sie lange schwer und hastig athmend. Ein Thränenstrom löste endlich die gepreßte Brust.

„O mein’ gute Mutter,“ schluchzte sie und trocknete mit der [287] Schürze die heißen Thränen aus dem sanften, einnehmenden Gesicht, „wie hast Du wahr gesagt, daß die Mannsbilder alle nichts taugen! Aber vom Maxl hab’ ich’s doch nie ’glaubt, daß er so sein G’spiel mit mir hat. Und ’s Wirths-Resei auch noch! Hat oft gesagt, der Maxl, daß ’s nicht halb so sauber (schön) wär’ wie ich und so viel keck, und daß er’s gar nie mögen könnt’. Und wie grundfalsch ist er nun! Gestern thut er mir noch so schön und bringt mir ein Sträußl und gleich d’rauf hinterbringt mir’s die alt’ Waben (Barbara), daß er schon die ganz’ Wochen der Resei nachschleicht, und ich könnt’ mich selber überzeugen. Und jetzt hab’ ich’s geseh’n, jetzt will ich aber auch von keinem Buben mehr was wissen – und bin das verlassenste Diendl auf der Welt!“

Bei den letzten Worten zog sie ein Blumensträußchen aus dem Mieder und betrachtete es voll Wehmuth. Dann nahm sie Blume um Blume und warf sie in die vorüberrauschenden Wellen, und als sie die letzte Blüthe in den Wogen treiben sah, war’s ihr, als versinke auch die letzte Hoffnung, die sie auf ihr Lebensglück gebaut. Wie kummermüde erhob sie sich, bedeckte mit den Händen das Gesicht, und während ihr die heißen Tropfen durch die Finger rieselten, schlich sie auf abgelegenen Fußsteigen zurück nach Brannenburg, von wo sie mit dem Morgengrauen an jene Uferstelle gekommen war.




2.


Das schwarzäugige Mädchen mit der Steinflasche stieg unterdessen schon rüstig den obern Sulzberg hinan. Je höher sie kam, desto tüchtiger schritt sie aus, und durch die lichte Waldung hindurch zeigte sich schon die strohgedeckte Hütte des Heu-Anderl, als sie mit einem Male neben dem Bergweg her auch dessen wohlbekannte Stimme vernahm.

„Was Tausend,“ sagte er und trat hinter einer Föhre hervor, „da ist ja gar die Wirths-Resei! Schon in der Früh’ so hoch heroben?“ Und der alte Schlaukopf stellte sich ganz überrascht.

„Grüß Gott, Anderl!“ rief ihm die Wirths-Resei lebhaft zu und streckte ihm die Hand entgegen, die der Alte herzhaft schüttelte.

„So, jetzt geh’, Alter,“ drängte das Mädchen, „geh’, heut’ mußt mich zum Franzl führen und das gleich! Seit vier Tagen weiß ich schon, daß er ang’schossen ist, und komm’ alle Früh’ ’rauf, länger halt’ ich’s jetzt nimmer aus. Muß seh’n, was mit mein’ Buben ist, wie’s um ihn steht. Und schau her, Anderl“ – hier öffnete sie ihre Schürze –, „das will ich ihm heut’ selber bringen.“

„Diendl, sei g’scheidt und folg’ mir!“ sagte Anderl mit bedächtiger Miene und vorsichtig gedämpfter Stimme. „Ich führ’ Dich schon zu Dein’ Buben, aber heut’ nicht. Meinst denn Du, der Anderl ist gar so dumm? Ich hab’ Dich schon geseh’n, wie Du vorhin über den Inn gefahr’n bist, hab’ aber auch geseh’n, daß der Jäger-Maxl von Nußdorf Dir nachstreicht und auch ’rübergefahr’n ist. Weil ich den Flößer-Franzl so gut versteckt hab’, daß ihn Keiner find’t, nicht einmal mit dem Schweißhund, denn ich hab’ die Fährt’ verwittert, jetzt denkt sich der Jäger, wo d’ Täubin alleweil hinstreicht, wird der Tauberer auch nicht weit sein. D’rum schleicht er Dir überall nach! Willst jetzt den Franzl verrathen, nachher geh’n wir hin, aber der Jäger wird uns gleich nachkommen.“

„Nix, Anderl, nix,“ sagte das Wirths-Resei heftig erregt und die schwarzen Augen blitzten, „eher kratz’ ich allen Jägern im Gebirg die Augen aus, daß s’ mein’ Buben nimmer zu seh’n kriegen!“

„Geh’ ’nüber, Diendl, nach Kirchwald,“ rieth der Alte im treuherzigsten Ton, „bet’ in der Capelle eine halbe Stund’, und unterwegs schau’ Dich fleißig um. Wenn Du nachher wieder ’rüber kommst, erzähl’ ich Dir Alles vom Franzl.“

„Ja, Anderl, ja,“ ließ sich Resei bereitwillig herbei, „ich komm’ in einer halben Stund’ wieder, aber da nimm Das jetzt und bring’s mein’ Buben.“ Damit kramte sie ihre wohlgefüllte Schürze aus und übergab ihm die Flasche.

„Gern, Resei, mach’ nur, daß Du weiter kommst!“ Und der Heu-Anderl schickte sich an, mit pfiffigem Lächeln und außerordentlicher Geschwindigkeit all’ den Proviant, den das Mädchen vor ihm auf dem thaufeuchten Rasen ausgebreitet, in seinen Rucksack zu packen.

Da kam Resei, nachdem sie sich hastig auf den Weg gemacht, noch einmal zurück und der Alte hatte kaum Zeit, eine saftige Schmalznudel sich aus den Zähnen zu reißen, als sie ihm dringlich zurief: „Erzähl’ fein g’wiß dem Franzl alles Lieb’s von mir!“

„Ja, Resei, geh’ nur, will’s schon recht machen!“ Damit wandte er, der sich eiligst Entfernenden kurz zunickend, alle Aufmerksamkeit wieder seinen Vorräthen zu, und während er fest kaute, murmelte er vergnüglich vor sich hin: „Saftig, saftig sind’s, die Nudeln, und einen Wecken Weißbrod hat sie auch mit’bracht, haben schon lang kein’s mehr gehabt. Wird da der Glaasei schau’n! Was ist denn in dem Papier drinn’?“ Dabei wickelte er ein Päckchen auf, vergnügt ausrufend: „Meiner Six, gar ein Fleisch, und noch dazu ein Braten! Freu Dich, Glaasei, heut geht’s hoch her beim Heu-Anderl!“

Dann entkorkte er die steinerne Flasche und hielt prüfend seine Nasenspitze an die Oeffnung. „Hm, hm,“ machte er, „entweder ist’s ein Kirschwasser, oder ein Nußgeist, macht aber nichts, ich nehm’ ein’ jeden. Mach’ dafür dem Franzl ein’ guten Schmarren (Gebäck aus Mehl und Schmalz), für den thut’s der auch, denn mit der Kost ging’ er mir leicht gar nimmer aus dem Nest ’raus.“

Erschrocken schleuderte er seinen vollgepackten Rucksack jetzt weit in das Gebüsch hinein und verbarg die Flasche in seiner Joppe, denn er hatte ziemlich in seiner Nähe auf dem steinigen Waldpfad Fußtritte vernommen. Ganz gemüthlich schlenderte er darauf seinem Häuschen zu und ließ den hinter ihm nachkommenden Jäger dreimal rufen, ehe er sich, eine überraschte Miene annehmend, mit dem Ausrufe umwandte: „Ah, der Jäger-Maxl! Schon so früh heut am Sonntag in die Berg heroben?“

„Du, Alter, da geh einmal her!“ rief ihm der Jäger in scharfem Tone zu. „Sag mir, gestern haben die Holzflößer drunten am Inn, gerade ehe sie abgefahren sind, einen Rehbock aus dem Gebüsch herausgezogen und haben ihn auf den Floß geschafft. Weißt nicht, Anderl, wie der dahin gekommen ist, he?“ Und er schaute dem Alten scharf in’s Gesicht, ob er kein Zeichen der Betroffenheit an ihm gewahre.

Mit dummdreister Miene gab Anderl die Auskunft: „Selber ist der Rehbock kaum hingelaufen, muß ihn schon Einer hin’tragen haben unter die Büsche – ich weiß von nichts.“

„Anderl, Anderl,“ warnte der Jäger mit erhobenem Finger, „gieb Acht, ich komm’ noch auf Deine Schlich’, nachher geht’s Dir aber auch schlecht! Du stellst Dich immer, als wüßtest Du von nichts – weißt gewiß auch nicht, wo die Wirths-Resei von Brannenburg immer hingeht, wenn’s den Sulzberg hinaufsteigt.“

„Ich bin zwar nicht die hohe Gerichtsbarkeit da heroben,“ bemerkte Anderl trocken, „aber das weiß ich schon.“

„Das kannst Du mir also sagen!“ rief der Jäger lebhaft und erfreut aus.

„Ja, nach Kirchwald geht sie ’nüber in die Capellen,“ nickte der Heu-Anderl und schaute gar aufrichtig d’rein.

„Nimm Dich in Acht, alter Lump!“ fuhr der in seiner Erwartung getäuschte Jäger gereizt auf. „Mich führst nimmer lang an der Nase herum! Sie geht wegen was Anderm herauf,“ fuhr er dann gemäßigter fort, „zu der Capelle macht man keinen so großen Umweg.“

„Was weiß ich,“ war Anderl’s gleichmüthige Antwort, „wird sich schon so verlobt (ein Gelübde gethan) haben.“

Der Jäger wandte sich unmuthig ab, pfiff seinem Hunde und schlug kopfschüttelnd den Fußsteig nach Kirchwald ein, während Anderl so laut vor sich hinbrummte, daß er es noch hören konnte:

„Ja, ja, das Madel muß was Sakrisch’ (Arges) am Gewissen haben, weil’s gar so schiech (traurig) thut.“

„Ich find’ den Franzl doch noch und müßt’ ich ihn ausgraben, wie einen Dachs aus seinem Bau,“ gab der Jäger zurück und verschwand mit beschleunigten Schritten in dem Nadelwald.

Anderl wartete noch einige Zeit, dann suchte er, leise kichernd, nach seinem gefüllten Rucksack. Da hörte er von Weitem schon seinen Buben lustig jodeln und als er ihn erblickte, winkte er ihm, eiligst herbeizukommen.

„Glaasei,“ sagte er, „jetzt steigst schnell ’nauf zu den Geißen, bleibst mir droben und schaust fleißig ’nüber nach Kirchwald. [288] Wenn von dort der Jäger-Maxl ’rüberkommt und geht auf die Mailach-Alm zu, gegen den Geißgraben hin, nachher thust ein’ Juchzer ’runter – da kenn’ ich mich schon aus. Geht er aber gegen die Daffner-Alm auf die Tellwand zu, nachher laufst geschwind ’runter zu mir.“

Als Preis für die richtige Lösung seiner Aufgabe zeigte der Alte dem Jungen eine große Schmalznudel, und als wären ihm plötzlich Flügel gewachsen, so flüchtig schoß der Glaasei davon. Er aber begab sich nach seiner Behausung und verbarg die erbeuteten Schätze in einem Wandschrank seines Stübchens, der ihm als Proviantkammer diente und in den Felsen hineinführte. Doch von der Flasche konnte er sich nicht trennen und liebäugelte noch mit ihr, als er schon wieder vor die Thür trat.

Das weite Thal erglänzte bereits im vollen Sonnenschein und glitzernd zogen die Gewässer durch die grünen thaufrischen Sommerfluren, nur die hohen Zinken und Hörner der Berge schwammen noch in einem bläulichen Duft. Auf allen Pfaden sah man die ländlichen Kirchgängerinnen wieder zurückkehren in ihre zerstreut liegenden Gehöfte. Alle männliche Begleitung fehlte, denn der Bauer, ob Gebirgsbewohner oder Flachländer, will, wenn er seinem Seelenheil genügt hat, auch den Körper nicht verkümmern lassen und richtet nach der Kirche seinen Weg gewöhnlich gleich gegen das Wirthshaus. So hatte sich die Wirthsstube in Brannenburg rasch mit Gästen gefüllt und durch das ganze Haus konnte man in allen Tonarten nach der schönen Resei rufen hören. Doch von dem flinken Mädchen, das zur Bewirthung so vieler durstigen Zecher unumgänglich nöthig war, zeigte sich keine Spur.

Die Angst um den geliebten Buben hatte die Wirths-Resei alle häusliche Sorge, alle Dienstpflicht vergessen lassen. Fest entschlossen, heute nicht zu weichen, bis sie über sein Schicksal Gewißheit habe, erschien sie wieder vor der Hütte des Wildheuers. Beinahe hätte sie ihn überrumpelt mit der Flasche in der Hand, deren Inhalt er schon mehrmals einer gründlichen Prüfung unterzogen und als ein seltenes Labsal befunden hatte.

„Ja, Resei, bist schon wieder da von Kirchwald?“ lautete sein Willkomm. „Kommt aber nicht der Maxl nach?“

„Hab’ kei’ Sorg’, Anderl,“ erwiderte das vom raschen Gang erhitzte Mädchen „so lang’ ich gemerkt hab’, daß er mir nachstreicht, bin ich den Heimweg ’gangen. Wie er das gesehen hat, ist er um’kehrt in die Berg’ ’nauf, ich bin aber durch’s Holz hinein und den graden Weg zu Dir ’rauf und geh’ jetzt nimmer fort, bis Du mir nicht Alles vom Franzl genau erzählt hast.“

„Ja, recht gern, Diendl, aber auf Eins muß ich noch warten,“ sagte der Alte und schaute eine Zeit lang nach der sonnigen, grünen Höhe hinauf, wohin Glaasei die Geißen zu treiben pflegte. Da ertönte von glockenheller Stimme ein Juhschrei, der lange in den Bergen fortschallte.

„Jetzt geh’ ’rein in d’Stuben, Madel,“ sagte Anderl vergnügt, „jetzt sind wir sicher.“

Das Mädchen hatte kaum hinter einem rohgezimmerten Tische auf der Ofenbank Platz genommen, als sie mit warmen Worten sich lebhaft an den Alten wandte.

„Anderl, ich sag’ Dir halt viel Dank, daß Du so zu uns haltst. So oft ich die Tag’ heroben war, hab’ ich Dich nie gefunden, Du hast mir aber fleißig Botschaft sagen lassen. Ich hab’ zwar gleich erfahren,“ fuhr sie geläufig fort, „was da heroben geschehen ist, und daß Du’s nur weißt, Anderl, am Mittwoch Abend sitz’ ich im Herrenstübl’ bei uns, hab’ grad’ dem Jäger von unserer Herrschaft sein Bier ’bracht, da kommt der Forstgehilf’ von Nußdorf ’rein.“

‚Heut’ hab’ ich einmal Einem da droben,‘ schreit er wie wild den Andern an, ‚am Heuberg Eins ’naufg’flickt, daß er d’ran denkt. Mich ärgert nur, daß mir der Schuß zu früh ab’gangen ist, waidwund hab’ ich ihn geschossen und tüchtig hat er geschweißt (geblutet), aber doch ist er mir aus’kommen. In’s Dickicht ist er mir ’nein, hab’ gesucht, bis ’s bald Nacht ’worden ist. Da, das hat er zurück’lassen!‘

Und da hat der rothbartete Kerl eine Joppen und ein’ Hut am Tisch ’neingeworfen. Wie ich den Hut und das schöne Sträußl’ d’rauf seh’, das ich vorige Woche erst am Markt zu Rosenheim ’kauft hab’, hab’ ich mich am Stuhl eingehalten, denn ich hab’ ’glaubt, ich muß umsinken. Um’kehrt hab’ ich mich, weil ich gespürt hab’, daß ich kasweiß ’worden bin. … Das ist ein Leid, Anderl,“ sagte sie mit nassem Blick und tiefe Wehmuth zitterte aus ihrem Ton – „und ich darf mir nichts merken lassen, denn wenn’s mei’ Godl (Pathe) erfahren thät’, daß ich einen Schatz hätt’, da wär’s geschehen um mich. Muß dem Kerl noch ein Bier auch bringen, hätt’ ihm lieber ein Rattengift hingestellt. Resei, hab’ ich nur gedacht, geht’s jetzt, wie’s will, heut’ mußt noch in der Nacht ’nauf am Heuberg – da seh’ ich, daß mir schon lang’ vom Stadel hervor Dein Glaasei zuwinkt. Denk’ Dir die Freud’, wie mir der Bub’ sagt, Du hast den Franzl gut aufgehoben, ich soll mich nicht kümmern. Anderl, das vergeß ich Dir nie, unser Herrgott wird Dir’s auch vergelten und ich bleib’ g’wiß nicht hinten. Aber jetzt verzähl’ mir nur, wie ist’s denn zu’gangen?“

„Sag’, mei’ Diendl,“ fragte der alte Schalk in wahrhaft väterlichem Ton, „wie magst denn leiden, daß Dein Bub’ auf’s Wildern geht?“

„Ja, schau, Anderl,“ sagte Resei treuherzig, „ein jeder Mensch muß sei’ Freud’ haben. Wie muß sich der Franzl nicht plagen, wenn er alle vierzehn Tag’ mit dem Holzfloß nach Passau und Linz fährt! Er muß sakrisch arbeiten im Holz droben und wenn er da ’s Wild so um sich ’rumstreichen sieht, juckt’s ihn halt auch manchmal. Ich kann mir auch nicht denken, daß unser Herrgott die Hirsch’ und Gemsen alle blos für die Herrischen erschaffen hat, und nachher thut seiner alten Mutter ein Gulden oder zwei auch manchmal wohl. Hab’ ihm zwar öfters schon ’s Wildern verboten, aber wenn er halt auf d’Nacht kommt und zieht verstohlens ein paar Gemskrickerl ’raus und sagt schön’ staad (still): ‚Resei, das ist ein Capitalbock gewesen!‘ nachher g’freut’s mich dengerscht (doch) auch wieder, und ich muß Dir sagen, Anderl,“ fügte das Mädchen mit lebhaftem Gesichtsausdruck und energischer Handbewegung bei – „ein’ Buben, der kei’ Schneid’ (Muth) hat, möcht’ ich nicht, eine Schneid’ muß er haben! Jetzt erzähl aber Du, Anderl, hast g’wiß auch mein’ Franzl recht gern.“

„Bin ihm g’rad’ nicht feind, aber die Jäger alle, die hab’ ich Dir gar so gern, so gern, daß ich Dir sie gleich fressen könnt’ mit sammt dem Rucksack,“ versicherte der Heu-Anderl mit komischem Ingrimm. „Drum thu’ ich ihnen auch manchen Gefallen. Schleicht Einer ein Wild schon staad an und ich seh’s, schrei’ ich g’wiß gleich recht laut und dumm: ‚Grüß Gott, Jäger, gute Jagd!‘ Hat mir zwar noch Keiner anders ’dankt, als mit: ‚Dich soll der Teufi holen!‘ das thut aber nichts. Pürscht Einer den ganzen Tag auf Gemsen an und ich bin in der Näh’, kommt’s mir nicht d’rauf an, daß ich ein’ Stein aus der Felswand rausschlag’ und die armen Thierl’n verspreng’. Weißt, Resei, die Freundschaft stammt noch aus der Zeit, wo mei’ Alte noch gelebt hat, aber die G’schicht’ ist jetzt zu lang zum Erzählen. Mich haben sie g’rad’ so gern, die Jäger, daß mich Jeder in’s Zuchthaus brächt’, wenn er bei mir ein Körnl’ Pulver riechet, aber der Anderl ist ihnen zu schlau. Wer den d’rankriegen will, muß früh aufsteh’n.“

„Aber, so sag’ doch, Alter, wo haben sie denn den Franzl geschossen?“ fuhr das Mädchen dazwischen, die schon lange ihre Ungeduld kaum mehr bemeistern konnte.

„Nu, das ist ganz einfach. Droben am Heuberg hat er gegen Abend ein’ Gemsbock geschossen, droben muß’s aber nicht recht sauber gewesen sein, denn er hat sich nicht ’traut, ihn aufzubrechen, und hat ihn ’runtergeschleppt bis gegen die Schöngangalm. Dort hat er ein verstecktes Platzl gefunden, sakrisch warm war’s auch, da zieht er die Joppen aus und bricht ganz gemüthlich sein’ Gemsbock auf. Aber, Diendl, weil wir jetzt g’rad’ vom Warmsein reden, mir ist ganz schwül und hab’ ein’ tüchtigen Durst – dürft’ ich nicht ein’ Schluck thun?“ Und der Heu-Anderl griff nach der Steinflasche.

„Nu, meinetwegen,“ willigte Resei ein, „aber daß noch was für’n Franzl d’rin bleibt!“

„O g’wiß!“ betheuerte der Alte und setzte rasch zu einem tiefen Schluck an. Schmunzelnd wischte er dann mit dem Aermel über den weißen Schnurrbart und fuhr neugestärkt in seinem Berichte fort:

„Hitzig, leichtsinnig, wie halt die jungen Leut’ sind, hat er sich weiter nicht umgeschaut, da schreit ihn mit einem Mal der [290] Jäger an und hat schon auf’zogen mit der Büchs’. Der Franzl springt auf d’ Seit’, langt nach sein’ Stutzen, da hat’s aber schon geschnallt. Was will der Bub’ Ander’s thun, als daß er Alles im Stich läßt und sich auf und davon macht. Er ist ein paar Schritt’ gelaufen, hat sich schnell über eine Kampen geschwungen, ist an ’er schiefen Wand ’runtergerutscht und im Wald verschwunden. Da hat man geseh’n, daß der Jäger nicht bei uns herin in den Bergen aufgewachsen ist. Eine Zeit lang hat er gestutzt, nachher ist er wie ein Hund auf Händ’ und Füß’ ’nunterkraxelt. Da hat der Franzl lang Zeit gehabt, sich aus dem Staub zu machen. Wie ich ihn hab’ daherkommen sehen, abgehetzt und hinkend, hab’ ich gleich gemerkt, was ’s da giebt. Aber, Diendl, das viele Reden bin ich nicht gewohnt, ich bin schon wieder ganz trocken.“

Der Heu-Anderl langte mit einem fragenden Blick von Neuem nach der Flasche und während er, ohne auf Antwort zu warten, einen langen Zug daraus that, schielte er zu dem athemlos aufhorchenden Mädchen hinüber. Das Zucken in seinen Mundwinkeln verrieth, daß er sich innerlich an ihrer ängstlichen Spannung ergötzte.

„Ich bin g’rad’ an der Steinbachleiten gewesen,“ fuhr er fort, „und hab’ mein großes Heutuch ein’packt, da haben wir Zwei uns auf einen Blick verstanden, und bevor sich Einer hätt’ umschauen können, war der Flößerfranzl schon unter mein Heu versteckt. Schnell hab’ ich noch tüchtig d’raufpackt und fest zubunden, nachher hab’ ich mich ganz ruhig oben d’raufgesetzt, hab mir ein Stück Brod und Käs’ ’runtergeschnitten und hab’ mir wohl sein lassen. Hab’ kaum ein Bissen ’gessen gehabt, kommt auch schon der Jäger daher. Von Weitem hat er mich schon verdächtig angeschaut, und wie ich das bemerk’, hab’ ich ihm gewinkt, zu mir herzukommen. Ganz still hab’ ich ihm anvertraut, daß ein starker Hirsch muß gegen den Geißgraben zu sein, ob er ihn gejagt hat, denn ich hätt’ im Stangenholz ’was brechen hören und auf jeden Fall war der Hirsch auf der Flucht. Da ist er mir auf die Leimruthen ’gangen, dersel’ g’scheidt’ Maxl, da hat er spöttisch gelacht und hat mir gesagt: ‚Mei’ Anderl, wenn Du wüßtest, was das für ein Hirsch war, thät’st ihn g’wiß nicht verrathen.‘ Ich hab’ ihn d’rauf recht blitzdumm angeschaut und hab’ mich wieder auf mein Heu ’naufgesetzt. Lang bin ich noch sitzen ’blieben, denn weißt, solch ein’ Sakra ist nicht zu trauen, und erst wie ich ihn weit drinn im Wald gehört hab’, hab’ ich den Franzl, der mir bald erstickt wär’, ’raus’zogen, und jetzt ist’s am kürzesten Weg gegen die Tellwand zu’gangen. Halb und halb hab’ ich ihn freilich tragen müssen, den Franzl, so matt war er, in der Näh’ dort kommt aber ein klein’s Bachl’ ’runter vom Berg’, in dem sind wir fort’gangen, und hinter ein’ Felsen hab’ ich ihm sei’ Wunden am Fuß gut ausgewaschen. Darfst kei’ Angst haben, Diendl, ein paar Spann weit ober’m Knie ist’s ihm durch’s Fleisch ’gangen, das Bein hat’s nicht erwischt. Fest hab’ ich ihn verbunden, nachher sind wir wieder fort bis zu dem Platzl, wo zwischen den Felswänden eine enge Wasserrinne ’rauskommt.

Wenn im Frühjahr oben der Schnee geht, fallt dort ’s Wasser schön’ ’runter, und in dem ausgewaschenen Rinnsal sind wir ’naufgestiegen und da droben ist eine ganz versteckte Klamm, in der sind wir ein Stück weit fort’gangen bis zu mein’ Brückl’, wie ich’s heiß’. Eine alte Lärchen hat da ’s Wasser einmal umgerissen, die liegt überquer in der Klamm, und wenn man über die ’naufsteigt, kommt man auf eine frische grüne Platten. Hab’ oft schon den schönsten Almwegerer und Enzian dort ’runtergeholt, und da droben liegt jetzt Dei’ Schatz auf dem bestem Almheu so prächtig wie ein Prinz. Von unten ’rauf find’t ihn Keiner und von oben sieht ihn Keiner, weil ein großer Felsen d’rüber vorspringt. Jetzt mein’ ich aber, wir thaten die Flaschen da ganz weg, Resei. Mit dem Bisserl, was noch d’rin ist, könnt’ man ihn g’rad’ beleidigen, den Franzl, und das wirst auch schon gehört haben, bei einer offenen Wunde thut der Schnaps nicht gut.“

Willig ließ die Wirths-Resei geschehen, daß er die Flasche vorsorglich bis auf den Grund leerte, und sie mußte selbst lachen, als der drollige Alte ein Auge zuzwickte und mit dem andern durch die enge Oeffnung guckte, ob er keinen Tropfen mehr darin entdecken könnte.

„Diendl, Du glaubst nicht,“ sagte er, „wie frisch das inwendig macht und die alten Knochen wieder aufricht’t – ich vergelt’ Dir das Alles an Dein’ Franzl wieder. Gestern hab’ ich ihm erst ein Glasl’ Quirinlöl ’nauf und hab’ die Wunden tüchtig eingerieben. Sollst gar nicht glauben, die heilt so schön, wie bei einem frischen Hirschen. Sollst sehen, wie der Glaasei springt, wenn ich sag: ‚Geh’ ’nauf zu unserm Gefang’nen!‘ Der bringt ihm frisch’ Wasser, die beste Geißmilch, ich koch’ nachher einen fetten’ Schmarren – darfst mir’s glauben, so schön kriegt’s der Flößerfranzl gar nimmer, wie er’s jetzt hat!“

„Nu, das will ich ihm g’rad’ nit wünschen“, meinte Resei. „Glaub’ schon, daß Du für Alles sorgst, aber die Angst, daß sie ihn doch noch kriegen, die Jäger, die kann ich halt gar nicht verwinden.“

„Da laß Dir kein grau’s Haar wachsen, Diendl, dafür ist schon gesorgt. Wir Zwei gehen jedes Mal mitten durch’s Wasser zu ihm, da verliert der beste Hund die Spur, und nachher mußt wissen, hab’ ich die ganz’ Fährt’ verwittert. Dieselbe Nacht bin ich zuhöchst ’naufgestiegen auf’n Heuberg. Wie’s Glück sein will, hab’ ich den besten Wind gehabt und hab’ mich am obersten Grat auf ein Paar Gamsen angepürscht. Es war g’rad’ um Zwielicht in der Früh, da hat’s geschnallt bei mir und im Feuer ist eine schöne Gemskitz zusamm’brochen. Mit der bin ich ’nunter am Geißgraben, da hab’ ich sie erst auf’brochen, nachher hab’ ich sie nachgeschleift bis zu dem Platz, wo das dem Franzl passirt ist. Wenn jetzt der Hund auf die Fährt kommt, so geht er nimmer ab davon, und was hab’ ich schon gelacht, wenn der Jäger-Maxl mit dem berühmten Schweißhund kommt und der führt ihn allemal fleißig in’ Geißgraben ’nunter! Ein paar Tag’, wenn er noch in sein Horst droben zubringt, der Franzl, ist er schon so weit, daß wir ihn auf ein’ Holzfloß bringen, und nachher kann der Herr Maxl suchen bis am jüngsten Tag.“

Hier schwieg der Wildheuer, und das junge Mädchen, das sich jetzt rasch von ihrem Sitze erhoben, schaute mit fast kindlicher Verehrung auf den alten Freund. Alle Kümmerniß war von ihr genommen, ihr schönes lebendiges Auge leuchtete heller auf, und nachdem sie sich mit einem kräftigen Händedrucke verabschiedet, eilte sie leichten Schrittes ihrer Heimath Brannenburg zu.

Bald darauf stieg Anderl, der inzwischen alle seine Kochkunst aufgeboten, um seinen Schützling mit dem herrlichsten „Schmarren“ zu bewirthen, in heiterer Schnapslaune mit der dampfenden Speise hinauf zu den Bergen und auch der muntere Glaasei schickte sich an, mit vollen Backen und vollem Rucksack seine Geißen droben auf der duftigen grünen Matte zu besuchen.

[301]
3.


Die kleine Zechstube des Wirthshauses zu Brannenburg und der anstoßende Garten füllten sich Abends mit Gästen der nächsten Umgegend. Alt und Jung saß nach ländlichem Brauch getrennt von einander an gesonderten Tischen, und während sich die Einen bei gefülltem Bierkrug über die Saat, die Forstwirthschaft oder den Viehstand dieser oder jener Alm unterhielten, vergnügten sich die Andern lustig beim Kegelspiel. Die jungen rothwangigen Dirnen zwischen den Burschen sorgten auch dafür, daß die Unterhaltung nicht in’s Stocken gerieth, denn es gab gar viel zu erzählen von all’ dem, was da und dort zwischen den Bergen vorgegangen, und kamen sie auf liebe Angehörige zu sprechen, so war es oft weniger die Schilderung eines flotten Burschen oder einer bildsaubern Sennerin, was frische Anregung in die Gesellschaft brachte, als die genaue Beschreibung von irgend einem „Scheckei“ mit vier gleichfarbigen Füßen oder von einer rothen Kalbin mit einem weißen „Blaßl“ auf der Stirn.

Die Dirnen waren gerade im Begriff den Heimweg anzutreten, denn die Zeit zum Melken nahte heran, als eine allgemeine Bewegung, begleitet von einem mißfälligen Gemurmel, unter den Gästen im Garten entstand. Es war der eben eintretende Jäger-Maxl, der mit seinem Erscheinen plötzlich alle Gemüthlichkeit störte und nicht mit den freundlichsten Mienen empfangen wurde.

„Nachbarn, ruckt ein Bissel auseinand’, daß er sich nicht zu uns hersetzt!“ Derlei Winke wurden ziemlich hörbar fast auf den meisten Tischen der Alten gegeben. Die jungen Burschen steckten auch Alle die Köpfe zusammen und mit höhnischer Geberde sagte einer ziemlich laut: „Der soll nur so lang prahlen, daß er einen Wilderer erschossen hat, bis ihm Einer Eins ’naufbrennt, daß er’s Schnaufen vergißt.“

Die Wirths-Resei, die im kleidsamen Hausanzug, die beiden Hände voll Krüge, eben aus dem Hause kam, hatte kaum den Jäger bemerkt, als sie ihm einen durchdringenden Blick voll Haß zuwarf.

„Du, bring’ dem da ein Bier!“ rief sie einem Dienstbuben zu und winkte geringschätzig auf den Jäger hin. Dabei bebte ihre Stimme vor verhaltenem Zorn.

Der Jäger war, wie es schien, nur gekommen, um den Förster oder sonst einen Collegen beim Glase Bier zu treffen, und als er nach einem raschen Ueberblick durch den Garten kein freundliches Gesicht entdeckte, setzte er sich abseits und verließ bald darauf die Wirthschaft. Den Schloßhügel hinab schlenderte er gedankenvoll einem kleinen Gehöfte zu, das durch die wogenden Kornfelder und den schattigen Baumgarten davor fast ganz versteckt lag. Ein Paar sorgfältig gepflegte, mit Goldlack und Nelken eingefaßte Gartenbeete neben dem freundlichen Wohnhäuschen waren von einem starken Prügelzaune eingegrenzt, an dem sich eine Reihe dicht umrankter Bohnenstangen hinzog.

Hinter dem hohen grünen Spalier stand das junge blonde Mädchen, das wir diesen Morgen am Ufer des Inns in so tiefem Schmerz verließen. Eine weiße Schürze vorgesteckt, die schönen goldhellen Zöpfe um die Stirn gelegt, löste sie emsig die reifen Bohnen von den Ranken. Die freundlichen blauen Augen zeigten sich noch geröthet von den vergossenen Thränen, doch nach dem Ausdruck der Ergebung in dem stillen anziehenden Gesichte schien ihr bewegtes Gemüth zur Ruhe gekommen zu sein. Plötzlich hielt sie im Pflücken inne – sie hatte den Jäger erblickt, wie er langsam den Hang herabkam. Mit heiß schlagendem Herzen, mit starrem Auge und in zitternder Erwartung folgte sie jeder Bewegung des hübschen jungen Mannes durch ihr dichtbelaubtes Versteck. Noch vor wenigen Minuten glaubte sie sein Bild aus ihrer Seele verdrängt zu haben und kaum hatte sie ihn jetzt erblickt, so erwachten Schmerz und Liebe auf’s Neue und alle Qualen der Eifersucht nagten an dem tief verwundeten Herzen. Sie war gewiß, daß er aus dem Wirthshause herabkam, und als sie jetzt sehen mußte, wie er, statt wie sonst mit raschem Schritt zu ihr zu eilen, dort nebenan unter der großen Buche auf der alten Steinbank sich niederließ, hastig ein in Briefform zusammengefaltetes Papier hervorzog und begierig zu lesen begann – da rang sie die zitternden Hände.

„Jetzt ist’s gewiß, daß ich betrogen bin,“ preßte sie mühsam hervor, „er hat ja schon einen Brief von ihr!“

Sie achtete es nicht, daß die in die Schürze gesammelten Früchte zerstreut im Garten lagen, und wankte der mit wildem Wein bewachsenen Laube zu, um sich dort auszuweinen.

Es war nur das Bruchstück eines Briefes, was der Jäger in den Händen hielt, und es schien, als hätte er diese einsame Stelle aufgesucht, um sich ungestört in den Inhalt des abgerissenen Blattes vertiefen zu können. Mehrmals überflog er die wenigen unversehrt gebliebenen Zeilen und betrachtete dann noch aufmerksam prüfend jedes einzelne Wort. Der obere und untere Theil des ersten beschriebenen Blattes sammt Eingang und Schluß des Briefes fehlten gänzlich, während die auf der leeren Rückseite des zweiten Blattes befindlich gewesene Adresse gleichfalls abgerissen war. Dasselbe zeigte nur noch die Bemerkung „Durch [302] gütige Vermittlung“ und Spuren eines Oblatenverschlusses, woran sich ein Petschaftabdruck nicht mehr erkennen ließ.

„Je länger und je öfter ich diese Schriftzüge betrachte,“ sagte sich der Jäger wie unter dem Eindrucke einer starken innern Bewegung, „desto bekannter kommen sie mir vor. Es ist kein Zweifel, es ist die Hand meines Vaters, aber nicht mehr der feste sichere Zug, der sie früher kennzeichnete. Was muß über den alten Mann hereingebrochen sein, das seine Hand so zum Zittern brachte? Oder wäre der Schreiber mir fremd, ist es Täuschung, ein Spiel des Zufalls, ist’s eine Mahnung des Geschick’s, meine Schritte wieder in die Heimath zu lenken?“ Und er fing wiederholt zu lesen an:

„– – haben sie ihn hinausgetragen auf den Kirchhof zur Mutter. Meine einzige Stütze! – Es war für mich ein neuer schrecklicher Schlag, und doch war ich noch nicht geprüft genug. Es sollte noch schlimmer kommen. Schwächlich, wie sie von Kindheit auf war, warf dieser schwere Verlust auch – –“

„Wenn nur dieses Stück hier nicht fehlte, brächte der Nachsatz doch ewiges Licht in das Dunkel,“ klagte der Jäger verstimmt und starrte wieder auf das Blatt.

„– – So muß ich alter Mann,“ las er auf der Rückseite weiter, „vielleicht meinem letzten Kinde noch in die Grube nachschauen, oder lebt wirklich, wie ich vor Kurzem hörte, dort in den Bergen noch ein Sohn für mich? Wenn es so ist, o kehr’ zurück, mein lieber Sohn, laß alles Vergangene vergessen sein, laß uns – –“ Hier brach der Inhalt ab.

„Wie kann ich da noch zweifeln?“ fuhr der junge Mann lebhaft auf und schlug sich vor die Stirn. „Es ist mein Vater, der das geschrieben hat! So ist das Gerücht von meinem Aufenthalte doch bis zu ihm gedrungen! Er wünscht mich zurück – ich begreife den Zusammenhang, ich verstehe Alles! Mein Bruder Konrad, der mir seine Liebe gestohlen, der mich von meinem Platz im Vaterhaus verdrängt hat – Konrad lebt nicht mehr – vielleicht ist auch die arme Marie nicht mehr am Leben. Ich muß Gewißheit haben, ich muß den Kerl herausbringen, von dem die Joppe ist, in der ich das Blatt gefunden. Er muß mir sagen, woher er den Brief hat, der lange geschrieben und herumgetragen sein muß, ehe er in Stücke ging. Und wenn es, wie ich vermuthe, der Flößer-Franzl ist, der ja so oft nach Passau fährt – – Doch jetzt,“ brach er, wie von einem Gedanken ergriffen, plötzlich ab, und der düstere Zug in seinen Zügen war verschwunden – „jetzt zu meinem Lenerl, ich darf sie unmöglich länger warten lassen.“

Der Jäger steckte rasch das Blatt zu sich, sprang auf und eilte, sich über die Umzäunung schwingend, durch den Baumgarten auf das Hagengütchen zu, aus dem die Lene, sein Mädchen, ihm heute nicht entgegen flog. Da er sie auch nicht in der Stube traf und nur dem finstern Gesicht der ihm sonst so freundlich gesinnten Mutter begegnete, die kaum seinen Gruß erwiderte, trat er peinlich berührt in’s Gärtchen hinaus und blieb, als er die Tochter hier in bittern Thränen gefunden, betroffen vor der Laube stehen.

„Was ist bei Euch geschehen, Lene, ist Euch ein Unglück widerfahren?“ fragte er unruhig, und da das Mädchen, ohne aufzuschauen, immer schmerzlicher schluchzte, trat er erschrocken zu ihr und legte den Arm um sie. Sie aber riß sich ungestüm los und mit ungewohnter Heftigkeit stieß sie ihre Worte hervor.

„Mit uns ist’s aus, wir sind fertig miteinander. Ich hätt’ mein Leben für Dich ’geben, Alles geopfert für Dich, aber jetzt sind mir einmal die Augen auf’gangen und jetzt ist’s vorbei, vorbei für alle Zeit!“ rief sie in höchster Erregung und stürzte an ihm vorüber aus der Laube.

Der Jäger stand wie betäubt, er wollte ihr nacheilen, da vertrat ihm die Hagengütlerin, die aus der Stube herbeigekommen war, mit zorngeröthetem Gesicht den Weg.

„Gebt’s Euch kei’ Müh, Herr Maxl,“ sagte sie in gereiztem Tone, „es bedeutet nichts mehr. Und wenn Ihr nicht draußen bleibt aus meinem Haus, werd’ ich meinem Diendl schon anders ihre Ruh’ verschaffen! Wir sind geschiedene Leut’ – behüt Euch Gott!“ Mit einer unzweideutigen Bewegung wies die erzürnte Frau nach dem Gatterpförtchen.

Der junge Mann war in der äußersten Verwirrung. Er hatte in der ersten Bestürzung das Gütchen schon verlassen, ehe er nur recht zur Besinnung kam. In seinem Kopfe arbeitete es wild durcheinander, in der Brust schlug es wie mit Hammerschlägen und mit ganz verstörten Zügen stürmte er auf der Straße gegen Nußdorf fort. Bald gewann der Schmerz die Oberhand über den in ihm kochenden Zorn und er hatte nur den einen Gedanken an den plötzlichen Schlag, der sein Glück vernichtet. Auch sie, das einzige Wesen, das ihn ausgesöhnt mit seinem verfehlten Leben, sagte sich von ihm los und zerriß das letzte Band, das ihn an ein anderes Herz gefesselt. Ruhig über das Unerwartete nachzudenken und den Ursachen der unerhörten, durch nichts gerechtfertigten Begegnung nachzuforschen, die er in dem Hause erfahren, wo er bis gestern noch als ein liebes Glied der Familie anerkannt worden – dessen war er bei seiner leidenschaftlichen Natur nicht fähig.

„Das fehlte noch,“ murmelte er zwischen den Zähnen, „auch sie falsch und treulos, sie, die ich so hoch gehalten so warm geliebt, für die ich die Heimath, die Meinigen, Alle vergessen und verschmerzen konnte! Wer hätte es diesem Mädchen angesehen, daß auch sie meine Liebe verrathen würde! Wie oft hat sie mir gesagt, es sei ihr Tod, wenn ich sie je verlassen könnte! Ich habe in ihr das reine unschuldige Naturkind geliebt, ich habe um sie alle meine Pläne aufgegeben, und hätte sie mich hier nicht gehalten, wäre ich längst über die Grenze gegangen. O Vater, Vater, Du sollst mich nicht umsonst gerufen haben,“ rief er schmerzlich aus, „sei getrost, alter Mann, Dein Sohn kehrt heim zu Dir. Ich lasse ja nichts zurück – ich bin ja auch hier wieder ausgestoßen –“ Er schlug die Hände vor’s Gesicht und unterdrückte mühsam die aufsteigenden Thränen.

In Nußdorf angekommen, wollte er sich rasch dem Försterhause zuwenden, als er seinen Entschluß wieder änderte und, wie spät es auch schon war, in entgegengesetzter Richtung den Weg in die Berge einschlug. Das Abendroth schwebte feuriger als sonst über den Waldgipfeln und die Bergspitzen waren wie in Gluth getaucht. Ein leichter Dunstschleier überzog den Himmel und an den Felsengraten setzte sich weißgelbes Gewölke an, indeß ein scharfer Windzug durch die Baumwipfel fuhr. Alles verkündete eine stürmische Nacht, der Jäger aber athmete freier auf, je mehr es um ihn rauschte und sauste. Er stieg den Heuberg hinan und sein eifriges Spähen und Suchen deutete darauf hin, daß er seine Forschungen nach dem entkommenen Wilderer fortsetzte, die der Ausbruch des drohenden Wetters jedoch für heute bald unterbrach.

Abgerissene Gewitterwolken lagerten schon zwischen den Bergkesseln, während von Westen der Sturmwind eine schwarze Wand vor sich her trieb. Plötzlich lag über dem weiten Thal tiefe Nacht und erst beim Aufleuchten der rasch aufeinander folgenden Blitze erglänzten durch das Dunkel wieder die weißen Schaumwellen des Gebirgsstromes, in welche die Sträucher und Weiden am Ufer, vom Winde hin und her gepeitscht, ihre schwanken Wipfel tauchten. Das Aechzen und Stöhnen der mächtigen Stämme des Bergwaldes übertäubte der Donner, der, in hundertfältigem Echo gebrochen, ein ununterbrochenes Rollen war. Inzwischen hatten sich auch die Wasserrinnen an den Bergwänden gefüllt und sandten ihre Gewässer als Sturzbäche in die Tiefe. Die Waldbäche schwollen höher und höher und schoben unter Tosen und Schäumen grobes Steingeröll, Baumstümpfe und Aeste vor sich her, bis die aufgestaute Fluth sich brausend freie Bahn brach.

Lange wanderte der Jäger in dem Unwetter noch bergauf. Er kämpfte mehr mit dem Sturme in seinem Innern, als daß er viel auf den Aufruhr der Elemente um sich her geachtet hätte, bis er endlich, schon ganz durchnäßt und erschöpft, unter einem vorspringenden Felsen Schutz suchte. Es war längst Mitternacht vorüber, als er, beim schwachen Schimmer der Sterne, heimkehrte, um vergeblich Ruhe auf seinem Lager zu suchen.

Beim Herannahen des schweren Gewitters, das über das Thal hinzog, hatte auch in Brannenburg mancher Bauer mit prüfendem Blick und besorgt um seine Fluren in später Nacht noch nach den Wolken geschaut und nach der Richtung, die sie nahmen. Das Wirthshaus daselbst hatte auch der letzte Gast schon verlassen und die leere Zechstube war nur noch durch ein einzelnes Talglicht auf dem großen Eichentische bei der Schenke erhellt.

Die Eigenthümerin des Hauses, die alte verwittwete Wirthin, saß dort in ihrem geräumigen, ledergepolsterten Armstuhl und hatte eine große Rechentafel vor sich liegen. Ein Paar dichte [303] Scheitel silbergrauen Haares, die aus einer schwarzen Pelzhaube hervortraten, umrahmten ein rundes blühendes Gesicht. Aus den hundert Falten und Fältchen in dem frischen alten Gesichte sprach unendlich viel Güte und Wohlwollen, das klare braune Auge verrieth hellen Verstand und an der ganzen stattlichen Erscheinung, von der goldgestickten schmucken Pelzmütze, der feingegliederten goldenen Halskette mit der breiten perlenbesetzten Schließe bis zur reichen Silberschnur am Mieder sammt den angehängten blanken Frauenthalern erkannte man die wohlhabende und wackere Hausfrau. Die große runde Hornbrille hatte die Frau Wirthin jetzt von der Nase auf die Stirn gerückt und schaute mit gefalteten Händen unverwandt nach der einen Stubenecke. Dort prangte, in bunten Farben aufgetragen, der Schutzpatron in Feuersgefahr, der heilige Florian, gepanzert mit Helm und Harnisch und eben im Begriff, ein brennendes Haus neben sich mit Wasser zu begießen. Auf ihn war gläubig ihr Sinn gerichtet und nur wenn ein greller Blitz die halbdunkle Stube erleuchtete, zuckte sie zusammen und bekreuzte sich andächtig. Auch die schöne Resei, ihre Pflegetochter, die still neben ihr saß, schlug bei jedem Aufblitzen das Kreuz, doch dachte sie an keinen St. Florian. All’ ihr Denken war heute bei ihrem armen Franzl, und all’ ihr Kummer war, wie wohl er diese stürmische Nacht auf seinem luftigen Lager droben zubringen möchte.

Der letzte Donnerschlag hatte kaum ausgegrollt, da schob die Alte ihre Brille auf die Nase zurück und zog die Rechentafel an sich. Dieselbe war dicht mit Kreide beschrieben und zwar in einer Schrift, die stark vermuthen ließ, es sei die Gedenktafel vom Grabmal eines Pharaonen, denn Niemand konnte ahnen, daß diese Hieroglyphen die mancherlei Maße, Halbe und die unterschiedlichen „Geselchten“ (Würste) mit Bretzeln bedeuten sollten, die von den zahlreichen Gästen heute vertilgt worden waren und für welche Resei nach vollbrachtem Tagewerk das Geld einzuliefern hatte.

Mit lauter Stimme rechnete die alte Frau die Zahlen zusammen, während Resei aus ihrer großen Ledertasche die entsprechende Summe in langen Reihen auf den Tisch zählte. Zweimal schon hatte sie Alles durchgezählt, aber immer fehlte es wieder und wollte mit der Rechnung der Wirthin nicht stimmen. Mit heimlichem Lächeln beobachtete die gute Alte über ihre Brille hinweg lange das sichtlich zerstreute Mädchen, das heute wieder gar nicht bei der Sache war, bis sie endlich sagte: „Laß’s nur gut sein, Resei, hab’s schon geseh’n, das Geld ist schon recht. Du bringst heut’ nicht zwei und drei richtig zusamm’. “ Dann füllte sie das Geld in einen Leinwandsack, den sie in einem altmodischen Wandschrank verwahrte.

„Gut’ Nacht, Frau Godl!“ (Pathin) sagte das Mädchen und streckte mit halb abgekehrtem Gesichte der alten Frau ihre Hand entgegen. Diese faßte sie freundlich beim Arm und zog sie wieder auf den Stuhl zurück.

„Bleib’ noch ein wenig da bei mir, Resei, ich hab’ Dir was zu sagen.“ Dabei schob sie ihre Brille nochmals in die Höhe, setzte sich bequemer in ihrem Lehnstuhl zurecht und begann, während ihre schelmisch lachenden Augen durchdringend auf dem betroffenen Mädchen ruhten, unter bedächtigem Kopfnicken ihre Rede.

„Schon lang’ merk’ ich, daß ’s bei Dir nimmer recht richtig ist, Resei. Das Ausbleiben über Zeit, das Herumstreunen, das im Winkel Hineinsteh’n und Weinen – Diendl, ich hab’ Alles geseh’n! Dein Kopf ist nimmer daheim, Dein Herz auch nicht, überhaupt das ganze Diendl nicht. Hab’ lang’ genug jetzt zugeschaut, ohne was zu sagen, und glaub’ doch, ich hätt’ ein bissel ein Recht dazu. Hab’ Dich als kleinwinzig’s Kindl’ in’s Haus genommen, wie Deine Mutter gestorben ist, um’s Deinem braven Vater leichter zu machen. Ja, da hat mein Seliger noch gelebt, hat der eine Freud’ gehabt mit dem kleinen Bambse! Wie nachher ein Jahr darauf Dein Vater im Steinbruch verunglückt ist, haben wir dies Waisl’ doch nicht können hinausstoßen und so bist bei uns aufgewachsen wie ein leiblich’s Kind. Hast uns oft viel Freud’ gemacht, bist jetzt groß ’worden und auch sauber, ja, ja, Resei, mit einem Wort: bist ein resolut’s sakrisch’ Diendl ’worden.“

Die alte Frau schaute wohlgefällig auf das schöne jugendfrische Mädchen, das mit hochgeröthetem Gesicht, dem Lichte abgewandt, verlegen mit den Enden ihrer Schürze beschäftigt war.

„Früher hast mir freilich Alles aufrichtig erzählt,“ fuhr die Frau Wirthin wohlmeinend fort, „aber jetzt wird halt die alte Godl ein wenig auf die Seite geschoben sein, nimmt mich auch nicht Wunder.“

„Nein, nein, das ist nicht wahr, Godl!“ rief das Mädchen hastig und ergriff der Alten Hand, die sie, stürmisch küßte.

„Nu, nu, ich glaub’ Dir’s schon,“ entgegnete die gute Frau sichtlich erfreut, „ich war ja auch jung und auch ein Bissel sauber und war ein schneidig’s Diendl. Weiß ganz gut, daß ’s in Deinem Alter Einem unter’m Brustfleck zu krabbeln anfangt und man meint, es wird Einem völlig ’s Mieder zu eng. Ja, Resei,“ versicherte die Alte und lächelte dem Mädchen bedeutsam zu, „ich hab’ auch so heimlich gethan mit meinem ersten Schatz, aber mir, Deiner zweiten Mutter, dürftest ihn schon verrathen. Ich will Dir nur sagen, ich bin alt, die Wirthschaft ist mir eine Last und die paar Tag’, die mir unser lieber Hergott noch schenkt, möcht’ ich Dich gern versorgt sehen. Drum – ist’s ein rechtschaffener braver Bursch’, der ehrlich und fleißig ist, darfst mir ihn alle Tag’ bringen, wenn er auch Nichts hat. Ich kann meine Sach’ doch nicht mitnehmen, und schau, Diendl, sonst hab’ ich ja Niemand als wie Dich.“ Hier strich sie mit ihrer runzligen Hand zärtlich über das reiche braune Haar des Mädchens und ihr Auge haftete liebevoll auf ihr. „Nu, Resei,“ fragte sie bewegt, „darf ich’s nicht wissen, wer’s ist?“

Das Mädchen war rasch vom Stuhle aufgesprungen und hing laut weinend am Halse der guten Alten.

„Ja, Godl, meine liebe Mutter,“ schluchzte sie, halb außer sich vor Glück und innerer Beklemmung, „nur heut’ fragt mich nicht – es ist ja der beste Mensch auf der ganzen Welt!“

„Ja, ja,“ lachte die Alte, „glaub’ Dir’s, das sagt eine Jede von ihrem Buben, aber mach’ nur, daß Du jetzt in’s Bett kommst.“ Dabei zog sie das Mädchen mit sanfter Gewalt nach der Thür. „So, bet’ jetzt zu Deinem Schutzengel,“ mahnte sie, indem sie mit den Fingerspitzen in das am Thürpfosten angebrachte Weihbrunnkesselchen langte und mit dem geweihten Wasser zuerst das Mädchen und dann sich selber besprengte.

Befriedigt nickend schaute sie ihrer Resei noch nach, als diese schon auf den Hausgang getreten war. Dann nahm sie das Licht vom Tische und heiter vor sich hin murmelnd: „Bin doch neugierig, was sie mir für einen Buben in’s Haus bringt!“ wandte sie sich nach der Seitenthür und mit dem Worte: „Unser lieber Herrgott wird’s schon recht machen!“ verschwand sie in ihrer Schlafstube.




4.


Tag um Tag verstrich und der Jäger wanderte immer noch ruhelos in den Bergen umher, ohne dem Ziel seiner Nachsuchungen auch nur im Geringsten näher zu rücken. Tief verstimmt und niedergedrückt kehrte er von jedem Gang zurück und doch kam der Kummer über die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen nicht dem Grame gleich, der um den Verlust des immer noch heiß geliebten Mädchens an seinem Herzen zehrte. Wenn er bei seinen Streifereien von ungefähr einmal das sonst so rosige lebensfrohe Wesen abgehärmt und geknickt einherschleichen sah, schnitt es ihm in die Seele und gar manchmal betrachtete er seinen geladenen Stutzen mit einem Blick, wie wenn er die Mündung lieber gegen die eigene Brust kehren wollte, als gegen das freie Wild in den Bergen. Die traurige Veränderung in der äußeren Erscheinung des jungen Mädchens bestärkte ihn mehr und mehr in dem Glauben, daß Lene nicht aus freiem Entschluß, sondern unter dem Einflusse des mütterlichen Befehls gehandelt. Sein tief verletztes, empörtes Gefühl hielt ihn aber von jedem Versuche einer Annäherung zurück.

Die Wirths-Resei drängte es seit der Besprechung mit ihrer Pathe mehr als je, mit ihrem Franzl zusammenzukommen, um ihn von den unerwartet günstigen Gesinnungen der alten Frau zu unterrichten und mit ihm die frohesten Hoffnungen auf die Zukunft zu bauen, aber gar oft stieg sie den Sulzberg wieder umsonst hinan. Sie traf zwar die hochgelegene Hütte des Alten nie verschlossen, doch war weder von ihm, noch von seinem Buben eine Spur zu sehen.

Der Heu-Anderl hatte, die zerstreute Stimmung des Jägers und seinen Mangel an Wachsamkeit benützend, indessen eifrig seine Fallen gestellt und fast jede Nacht stürzte außerdem eine Gemse, tödtlich getroffen von seinem Blei. Um solche Jagdbeute [304] ohne Gefahr zu veräußern, mußte der erfahrene alte Wilderer oft entfernte Thäler besuchen, wobei er die Beihülfe seines Glaasei nicht immer entbehren konnte, und ehe nicht ein Theil des Erlöses als Tirolerwein durch seine durstige Kehle geronnen war, kehrte er selten wieder heim.

Senkrecht sandte heute die Julisonne ihre Strahlen herab und Schutz vor der sengenden Gluth gewährte nur das Dunkel des Bergwaldes oder die erquickende Frische einer Felsschlucht. Kein Lerchensang drang durch die Luft; kein Flügelschlag, kein Laut der gefiederten Sänger belebte die Stille unter den herrlichen Baumkronen; kein frischer Luftzug bewegte ein Blatt in Busch und Wald. Verstummt war das Schellengeläute des weidenden Alpenviehs, Alles lechzte nach Kühlung und die Thiere ruhten unbeweglich im Schatten.

Da trat Anderl, von einer Geschäftsreise kommend, aus dem Gehölze gegen seine Behausung zu. Seiner Gewohnheit gemäß ließ der Wildheuer die schlauen Augen erst überall vorsichtig umherschweifen, ehe er sich an seinen häuslichen Herd begab, und als ihm nichts Verdächtiges aufstieß, hob er die hölzerne Thürklinke. Ueberrascht blieb er aber auf der Schwelle stehen, da er im Innern Stimmen vernahm. Wer mochte nur jetzt beim Glaasei sein, den er selber bei seinem versteckten Schützling droben eher vermuthet hätte als daheim? Eben wollte er durch das kleine, halb blinde Fenster in die Stube schauen, als es ihm in lautem kräftigem Tone entgegenklang: „Grüß’ Gott, Anderl!“

„Ja was, der Flößer-Franzl selber ist’s!“ rief der Alte verwundert, eilte in die Stube und lebhaft schüttelte er die ihm dargereichte Rechte des hochgewachsenen jungen Burschen, den er bei seinem Buben traf.

Daß die aufopfernde Treue und Liebe der Wirths-Resei an keinen unwürdigen Gegenstand verschwendet war, konnte man erst recht verstehen, wenn man die hohe prächtige Erscheinung betrachtete, die nun an der Seite des Heu-Anderl aus der Thür trat und diesen noch überragte.

Ein glückliches Lächeln, das zwei Reihen blendend weißer Zähne zeigte, lag auf dem offenen frischen Gesicht, der blonde Schnurrbart war leicht gekräuselt wie das Haupthaar, und herzgewinnend wirkte der freie treuherzige Blick des großen blauen Auges. Die kurze schwarze Lederhose mit den hellen Wadenstrümpfen bekleidete ein schöngeformtes sehniges Bein, und das am Halse offene Hemd, umspannt von dem schmucken grünen Hosenträger, ließ eine breite männliche Brust erscheinen. Aus jeder Muskel lachte Jugendkraft und Formenschönheit und die ganze athletische Gestalt mit dem hochgehaltenen Nacken und den entblößten straffen Kniekehlen machte den Eindruck eines echten kerngesunden Bergländers. Wie ein aus dem Käfig entsprungener Löwe reckte der Flößer-Franzl seine Glieder, und als er einen Blick in das Thal warf, wo die von leuchtendem Gewässer durchzogenen Wiesen im prächtigsten Grün schimmerten, setzte er unwillkürlich zu einem mächtigen Juhschrei an. Der vorsichtige Anderl kam ihm zuvor und legte ihm rasch die breite Hand auf den Mund.

„Hältst Du’s Maul!“ gebot er. „Willst g’wiß dem Jäger-Maxl schrei’n, daß er Dich geschwinder erwischt! Sag’ mir lieber, wie geht’s Dir mit Deinen Haxen (Beinen)?“

„O mei’, Alter,“ sagte der Flößer-Franzl mit lachender Miene, „ich weiß schon nimmer, was für Einer krank gewesen ist, d’rum hab’ ich’s auch nimmer länger droben ausgehalten. Ich sag’ Dir, mir ist so leicht, ich bin so voll Freud’, daß ich könnt’ die höchste Wand gerad’ hinauflaufen. Aber sag’ mir, mein guter Anderl, könnt’ ich nicht die Resei seh’n? Hab’s gerad’ mit Deinem Glaasei ausgemacht, daß er ihr Botschaft bringen sollt’.“

„Das braucht’s nicht, die kommt schon von selber,“ meinte der Wildheuer, „ich hab’ von der Schneid’ aus am Holzweg ein Madel geseh’n, die wird’s schon sein. Jetzt gehst herein in die Stube, da heraußen ist’s nicht rathsam,“ sagte er und der Flößer folgte ihm in’s Häuschen, wo der Glaasei eben daran war, einen einfachen Imbiß, aus Schwarzbrod und Ziegenkäse bestehend, gastfreundlich aufzutischen.

Der Alte hatte richtig gerathen. Den hellen Schweiß von der Stirn trocknend und heftig athmend von dem raschen Lauf, eilte das junge Mädchen trotz der brennenden Sonnenstrahlen schon den Berg hinan. Die fröhliche Erwartung trieb sie rastlos aufwärts und gönnte ihr keine Minute Ruhe, denn Glaasei, der sich gestern bei ihr eingefunden, hatte ihr versprochen, den Franzl heute auf jeden Fall in seines Vaters Häuschen zu bringen.

Der Flößer-Franzl hatte vom Hüttenfensterchen aus durch die Waldbäume hindurch kaum den Schimmer ihres Gewandes gesehen, als ihm sein ungestüm klopfendes Herz das Nahen seines Mädchens verkündete. Den Alten bei Seite schiebend, schoß er pfeilschnell zur Thür hinaus und breitete seine Arme der auf ihn zustürzenden Resei entgegen.

So groß die Sehnsucht nach ihrem Franzl und der Kummer um ihn gewesen, so stürmisch war die Freude des Wiedersehens. Immer umschlang sie den stattlichen Burschen auf’s Neue und hielt ihn mit beiden Armen fest, als fürchte sie, er werde ihr nochmal entrissen. Ein unbeschreiblich glücklicher Ausdruck leuchtete über ihre Züge, als sie den Kopf an seine Brust legte und zu ihm hinauf sah. Doch plötzlich, als wäre neue Besorgniß um ihn in ihr erwacht, riß sie sich von ihm los und mit der bangen Frage: „Ja, Franzl, hast Dir denn nichts ’brochen, ist Dir nichts ab, thut Dir nichts weh?“ betastete sie ängstlich seine Glieder.

„Ganz bin ich noch und verhungern haben sie mich auch nicht lassen, Madel, gelt, das spürst?“ sagte Franzl, faßte seine Resei plötzlich mit starkem Griff um den Leib und schwang sie hoch in die Luft. Als sie lachend wieder auf ihren Füßen stand, schaute er ihr tief in’s Auge, und sie immer noch festhaltend, sang er im Uebermuth der Freude:

„Ohni Hirsch, ohni Di’,
Ohni Gambs, ohni Bix (Büchse),
Da saget i’ scho’,
Mit der Welt, da is ’s nix,

Und waar na’ (nachher) scho’ (schon) lieber
Glei’ g’storb’n in der Wieg’n
Und that als an Eng’l
In Himmi ’rumflieg’n.“

Sie schüttelte ihn liebreich bei den Schultern und ihre schwarzen Augen blitzten ihn lustig an.

Ein warnender Pfiff tönte aus dem Häuschen. Die Liebenden achteten nicht darauf. Da erschien der Alte, ungeduldig mit den Händen winkend, unter der Thür.

„Franzl, der Jäger!“ rief er mit gedämpfter Stimme und fügte brummend hinzu: „Da steht er, hört nicht und sieht nicht, wie ein Spielhahn auf der Balz!“

Das junge Paar fuhr auseinander. Die Warnung kam aber zu spät, denn in geringer Entfernung von den Beiden tauchte plötzlich der Jäger-Maxl aus dem Gebüsch hervor. Eine dunkle Zornesröthe flog über Franzl’s Gesicht; schnell besonnen sprang er zurück und erfaßte die schwere Holzaxt, die neben der Thür des Häuschens lehnte. Hoch aufgerichtet schwang er sie mit nervigem Arme, und die wilde Drohung, die aus seinen funkelnden Blicken sprach, verhieß nichts Gutes. Das Mädchen aber stürzte, so wie sie den Jäger erblickt, zum Tode erschrocken an den Hals des Burschen und suchte ihn mit ihrem Körper gegen jede Gefahr zu decken.

[317] Doch was war Das? Langsam entsank dem Franzl die Axt – der Jäger hatte rasch seinen Stutzen von der Schulter gerissen und schleuderte ihn weit von sich. Mit vorgestreckter Hand und friedlicher Geberde eilte er auf die Gruppe zu.

„Von mir hast Du nichts zu fürchten, Franzl,“ rief er hastig, „ich komme nicht in böser Absicht und habe dringend mit Dir zu reden.“

Staunen drückte sich in allen Mienen aus, und als traue er der Versicherung nicht recht, trat der Flößer-Franzl einen Schritt zurück.

„Ich glaub’ es wohl,“ erklärte der Jäger, „daß Euch Allen mein Auftreten hier unbegreiflich ist; aber kommt in’s Haus, dort soll sich Alles aufklären.“ Und er ergriff den widerstrebenden Burschen bei der Hand und trat mit ihm in’s Häuschen.

Den Jäger mit mißtrauischen Blicken bewachend, ging die Wirths-Resei den jungen Männern nach. Der alte Wildheuer aber schüttelte fortwährend den grauen Kopf und wisperte dem Mädchen zu: „Jetzt bin ich froh, daß ich nicht viel Verstand’ hab’, denn da d’rüber könnt’ Einem sein bissel Spiritus noch gar ausrauchen. Hält’ eher geglaubt, daß ein Hase in einen Fuchsbau schlüpft, wie die Zwei in mein Häusl.“

So große Gesellschaft war auch dort gewiß selten versammelt und sie füllte den beschränkten Raum darin ganz aus. Der große Ofen, nur aus Ziegelsteinen und Lehm aufgeführt, ragte weit in das rauchgeschwärzte Stübchen hinein. Auf der rohgezimmerten breiten Bank vor demselben nahm der Jäger mit dem Flößer-Franzl Platz. Die Wirths-Resei rückte sich einen dreibeinigen Schemel an den alten Tisch, und Anderl faßte Posto auf dem großen Holzblocke, auf welchem er seine Sensen dengelte. Glaasei aber kletterte an einem Leiterchen durch die Oeffnung in der Decke flugs hinauf zum Heu, das in einem engen Raume über der Thür lag, die nebenan in den Stall zu den Geißen führte, und zugleich den Futtervorrath und für Vater und Sohn die Schlafstelle bildete.

Alle waren auf’s Aeußerste gespannt auf die in Aussicht stehende Eröffnung, und die Neugierde wuchs noch mehr, als der Jäger-Maxl die Ueberreste jenes Briefes hervorzog.

„Kennst Du Das, Franzl?“ war seine Frage, und er breitete mit zitternder Hand die abgerissenen Blätter vor dem Flößer aus.

„Ja, ja, freilich wohl, das habt Ihr halt in meiner Joppe gefunden,“ bestätigte Franzl, ohne, wie es schien, auf die Sache besondere Bedeutung legen.

„So erzähl’ mir und nur schnell, wo und wie ist das in Deine Hand gekommen?“ drängte ungestüm der Jäger.

„Nu, das kann ich schon sagen,“ meinte Franzl gleichmüthig. „Ihr wißt’s ja selber, daß von uns aus Holz- und Kohlenflöß’ ’nuntergehen über Passau und Linz und bis Wien. Unterhalb Passau, wo’s in die Donau geht, bleiben wir allemal einen Tag dort im Ländwirthshaus, weil die Flöß’ für die Donau aneinander gehängt werden. Dort im Wirthshaus setzt sich neben mir – es wird voriges Jahr im October gewesen sein,“ besann sich der Franzl, „ich hab’ gerad’ meinen Janker (Jacke) getrocknet, weil drauß’ so ein böses Wetter war – setzt sich also neben mir Einer hin und fragt mich aus von meiner Heimath, wo die Fahrt hingeht und so allerhand. Es war ein kleines altes Mannerl, hat mir recht gefallen, und ich muß ihm auch gefallen haben, denn er war so gemein (freundlich) mit mir und war dengerscht (doch) ein feiner Herr, soll in der Näh’ dort eine Eisenschmelze und ein großes Hammerwerk haben.“

Die Blicke der gespannt aufhorchenden Zuhörer richteten sich auf den Jäger, denn die Blässe, die sein Gesicht überzog, und das Zucken seines Mundes ließen auf eine tiefe innere Erschütterung schließen. Nur der Flößer-Franzl, der seine Scheu vor demselben vollständig überwunden, bemerkte nichts und fuhr treuherzig in seiner Mittheilung fort: „Wie die Wirthsleut’ draußen waren, hat er zu mir gesagt: ‚Ich frag’ Dich nicht umsonst; wär’ ich nicht so alt und gebrechlich, ging ich selbst in Deine Heimath. Mich hat schweres Unglück getroffen; aber gern wollt’ ich Alles verschmerzen, hätt’ ich nur meinen ältesten Sohn wieder.‘ Auf Das bin ich näher zu ihm hingerückt und hab’ ihn ein wenig trösten wollen; er hat mir aber mit der Hand abgewehrt und mir weiter erzählt, daß ein Sohn von ihm heimlich fort ist und nichts mehr von sich hören läßt. Auf vieles Nachfragen hat er zuletzt ’rausgebracht, daß er sich in unserer Gegend herinn’ aufhalten soll. Er hat gleich an alle Landgerichte geschrieben, hat aber bis jetzt noch nichts Gewisses erfahren können. Ich hab’ ihn gefragt, wie sein Name sei, und da sagt’ er mir: ‚Karl Steiner.‘“

Rasch fuhr sich der Jäger mit der Hand über das Gesicht, um seine Herzensbewegung zu verbergen, und winkte mit der andern dem Erzähler, fortzufahren.

„Er hat ihn mir auch beschrieben, daß es ein schmächtig’s Bürschl ist mit lichtem Haar und ohne Bart, soll ein kurzes blaues Röckl tragen und eine Studentenkappe. Ich hab’ ihm gesagt, [318] daß bei uns in Nußdorf ein neuer Jagdgehülf’ angestellt worden ist, daß ich ihn aber nicht kenn’ und nicht gesehen hab’, denn als Holzknecht kommt man nicht gern zusamm’ mit den Jägern, geht ihnen lieber aus dem Weg. Auf Das hin hat er mich nimmer ausgelassen, der alte Herr, hab’ ihm fest versprechen müssen, daß ich ihn auf dem Rückweg aufsuch’, und da hat er mir nachher den Brief mitgegeben, hat mir die Zech’ ’zahlt und hat mir viel versprochen, wenn ich Den find’, dem der Brief gehört. Hab’ viel bei uns herinn’ herumgefragt in die Berg’ und gesucht, aber Alles umsonst. Ich will’s gesteh’n,“ fuhr der Flößer-Franzl fort und blinzelte den Jäger pfiffig von der Seite an, „anfangs hab’ ich auf Euch stark Verdacht gehabt – der Bart hätt’ mich nicht irr’ gemacht, den habt Ihr Euch halt steh’n lassen – aber Ihr heißt ja Max Hellmann und nicht Karl Steiner. So ist der Brief alleweil in der Joppen stecken ’blieben, ich hab’ alle Hoffnung schon auf’geben, und wenn ich manchmal einen Pfropfen für meinen Stutzen gebraucht hab’, hab’ ich halt ein Stück ’runtergerissen. So, da habt Ihr jetzt die ganze G’schicht’. Kennt Ihr vielleicht das alte Mannerl, weil Ihr gar so viel Antheil nehmt?“ bemerkte der junge Bursche noch.

„Es ist mein Vater!“ rief der Jäger schmerzlich berührt und legte beide Hände über die Augen.

Tiefe Stille herrschte in dem Stübchen. Keiner der Anwesenden sagte ein Wort, und die Neugierde, die zuerst auf allen Mienen zu lesen war, hatte sich rasch in den Ausdruck aufrichtigen Mitleids verwandelt. Aller Groll und Haß gegen den Jäger war verschwunden, und als er nun die Hände vom Gesichte zog und alle die bestürzten und wahrhaft theilnehmenden Blicke auf sich gerichtet sah, ging auch ihm das Herz auf. Er streckte der Wirths-Resei und dem prächtigen Burschen an seiner Seite herzlich die Hand entgegen und sagte bewegt: „Ich fühle, daß ich hier unter guten Menschen bin, und Ihr sollt meine Geschichte hören.“




5.


„Mein Vater,“ hub der Jäger nach kurzer Pause an, „besitzt in der That bei Passau ein großes Hammerwerk mit Fabrik, und ich denke nur mit Wehmuth an die erste glückliche Zeit meiner Kindheit. Mein Vater war ein rastlos thätiger, braver Mann, meine Mutter die beste liebreichste Frau, und ich genoß mit meinem um ein Jahr jüngern Bruder und einer ältern Schwester eine sorgfältige Erziehung. Wir liebten uns als Geschwister und theilten uns auch gleichmäßig in die Liebe der Eltern, bis ein unglücklicher Vorfall plötzlich das stille Glück und den Frieden in der Familie zerstörte. Durch die Unachtsamkeit eines Dienstmädchens stürzte mein Bruder Konrad aus dem Fenster und nur die aufopferndste sorgsamste Pflege konnte das schwer verletzte Kind am Leben erhalten; aber nur zu bald zeigten sich die traurigen Folgen des Sturzes an einem verkrümmten Rückgrat, das ein Jahr später sich zum vollständigen Höcker ausbildete. Alle Sorge und Liebe der Eltern häufte sich von da an auf das unglückliche Kind, und ich und meine Schwester traten gänzlich in den Hintergrund. Jeder Wunsch des jüngern Bruders mußte uns Befehl sein; wir mußten unser liebstes Spielzeug ihm zur Zerstörung überlassen, uns allen seinen kindischen Einfällen fügen, und es wurde streng geahndet, wenn wir uns dessen einmal weigerten. Die Eltern thaten, was sie ihm an den Augen absahen, und hatten bald nicht mehr den Muth, ihm irgend etwas abzuschlagen. Es konnte nicht fehlen, daß Konrad durch solche übergroße blinde Liebe im höchsten Grade eigenwillig und launenhaft, mit der Zeit aber boshaft, starrsinnig und gegen mich und Marie recht lieblos wurde.

War es bei dem Vater mehr das Mitleid mit dem armen verkrüppelten Knaben, daß er ihn für seine Unarten nicht strafen wollte, so suchte die Mutter durch verdoppelte Zärtlichkeit und übertriebene Nachsicht ihn für die erlittenen Schmerzen zu entschädigen.

Still und fügsam nahm meine Schwester die Strafen hin, die oft nur Konrad für irgend einen schlimmen Streich gebührten, ich aber, von Natur rasch und hitzig, ertrug es nicht so geduldig, wenn ich zum Sündenbock für den verzogenen Liebling gemacht wurde, der bald die ganze Familie nach Herzenslust quälte und tyrannisirte. Die ungerechte Bevorzugung erweckte in meiner Seele Groll und Bitterkeit, ich konnte es nicht ertragen, daß ich nicht mehr den gleichen Platz im Herzen der Eltern einnahm, und nur die sanfte Marie hielt mich schon damals von manchem heftigen Ausbruche den Eltern gegenüber ab. Zuletzt verhärtete sich auch mein Gemüth aus Mangel an Liebe und glücklich pries ich die Zeit, als ich im sechszehnten Jahre von Hause fortkam, um in einer größern Stadt die Handlung zu erlernen. Die Nachrichten, die ich während meiner Abwesenheit vom elterlichen Hause durch Marie empfing, lauteten nicht erfreulich. Das alte traurige Verhältniß verschlimmerte sich aber noch, da wir nach kurzer Krankheit unsere Mutter verloren, die vor ihrem Scheiden dem Vater einzig nur die Sorge um Konrad auf die Seele gebunden hatte. Ich sollte die Wirkung davon bald verspüren. Als ich nach drei Jahren zurückkehrte und voll froher Hoffnung in’s Vaterhaus eilte – ich hatte mich ja so gut gehalten und brachte die besten Zeugnisse mit –, wie schnürte es mir die Brust zusammen bei der kalten gleichgültigen Begrüßung des alternden Vaters! Wie mit eisiger Rinde aber legte es sich um mein warmes Herz, als Konrad mir seine feuchte magere Hand mit heuchlerischem Grinsen entgegenstreckte, denn es konnte mir nicht entgehen, mit welch feindseligen und tückischen Blicken er zu dem gesunden schlankgewachsenen Bruder hinaufschaute. Er war jetzt womöglich noch mehr verwachsen und verkrümmt, hatte sich aber geistig auffallend entwickelt und führte schon seit einem Jahre die sämmtlichen Geschäftsbücher mit musterhafter Pünktlichkeit. Ich selbst kam mir unter den Meinen vor wie ein Eindringling. Ich fühlte mich überall überflüssig und all’ mein Bemühen, das Vertrauen meines Vaters zu gewinnen und das, was ich gelernt, zum Vortheil des Hauses zu verwerthen, war vergebens. Konrad, der inzwischen zu seinen schlimmen Eigenschaften auch noch die der Heuchelei und Lüge gefügt, hatte den schwachen alten Mann ganz gegen mich eingenommen, und während er selbst sich dem Vater immer unentbehrlicher zu machen und seinen Schwächen zu schmeicheln verstand, versäumte er keine Gelegenheit, mich bei ihm anzuschwärzen und alle meine Handlungen in falschem Lichte darzustellen.

Unter solchen Umständen trieb es mich bald wieder fort und leicht war mein Abschied, als ich ein paar Meilen von unserer Besitzung in einer Glashütte einen Comptoirposten erhielt. Mit Eifer und Liebe versah ich zwei Jahre lang mein Berufsgeschäft, und es wurde mir von Seite meines Principals manche Begünstigung zu Theil. Dazu gehörte auch, daß ich mit einem meiner Collegen, an den mich die innigste Freundschaft fesselte, auf die Jagd gehen durfte, denn zu dem großen Hüttenwerk gehörten ausgedehnte Waldungen. Die ersten glücklichen Erfolge machten mich bald zum leidenschaftlichen Jäger. Ich schaffte mir einen guten Hund an, ging nun am liebsten allein auf die Pürsch und war selig, konnte ich herumstreifen in dem großen wildreichen Walde und mich ungestört meinem Lieblingsvergnügen überlassen. Aber ich bin einmal zum Unglück bestimmt, und auch das sollte zu meinem Verderben führen!“ rief der junge Mann schmerzlich aus und es schien, als wollte er jene Vorgänge noch einmal an seinem Geiste vorüberziehen lassen, denn längere Zeit saß er stumm, die Stirn in die Hand gestützt.

Niemand unterbrach das Schweigen, und Jedes wartete um so begieriger auf die Fortsetzung der Erzählung, als ganz sicher ein Jagdabenteuer zu erwarten stand. Der Alte rückte mit seinem Holzblock näher heran, auch der kleine Glaasei streckte seinen struppigen Kopf weiter und neugieriger aus seinem Heulager durch das Loch in der Decke hervor. Der Flößer-Franzl und die Wirths-Resei aber ließen trotz aller gespannten Aufmerksamkeit den günstigen Augenblick nicht vorübergehen, ohne einander fröhlich zuzunicken.

„Jeden freien Tag,“ fuhr der Jäger fort, „benutzte ich zur Jagd, und einmal, es war an einem Feiertag, war ich wieder allein und streifte weiter als sonst in’s Gehölz, ohne zum Schuß zu kommen. Der Abend nahte wieder und ich wollte eben auf eine Lichtung heraustreten, da sehe ich einen prächtigen Sechsender sich dort äßen. Ich hatte den besten Wind, konnte mich aber nicht näher anpürschen. Auf meinen Schuß ging er wohl flüchtig, ich bemerkte jedoch, daß er stark schweißte, setzte sogleich meinen Waldmann auf die Fährte und war gewiß, ihn bald in irgend einem Dickicht wieder zu finden. Weiter und weiter führten mich mein Hund und mein Jagdeifer in den Forst, da schlug mein Waldmann plötzlich an und der Hirsch brach vor mir durch [319] das Gebüsch. Ich fuhr rasch mit dem Stutzen auf und hatte schon den Finger an dem Tupfer, da sprang ein Jäger, das Gewehr in Anschlag, mir gerade in den Schuß. Ich hörte nur noch den Knall meiner Büchse, ließ sie dann aus den Händen fallen und stürmte, von Entsetzen gepackt, immer tiefer in den Wald. Gepeinigt von namenloser Angst irrte ich die halbe Nacht umher, und erst da machte ich die Entdeckung, daß ich schon am Abend auf fremdes Revier gerathen war und nothwendig vom Jäger für einen Wildschützen gehalten worden war. Das raubte mir vollends alle Fassung. Mein Erstes war, daß ich mich noch in derselben Nacht meinem Collegen und Jagdgefährten anvertraute. Dieser rieth mir, die Gegend schleunigst zu verlassen, und besorgte mir von einem seiner Freunde Papiere und einen Paß. In der kurzen Zwischenzeit hielt ich mich bei ihm verborgen, als aber zu meiner heimlichen Abreise schon Alles bereit war, faßte ich in meiner Rathlosigkeit den Entschluß, mich meinem Vater zu entdecken und um seine Vermittlung in der unseligen Sache zu bitten. Hatte er sich auch die ganze Zeit über kaum um mich gekümmert, so hoffte ich jetzt dennoch auf seine Hülfe.

Erlaßt mir die Schilderung meines Empfangs im elterlichen Hause. Sie hatten dort, weiß Gott durch wen, schon von meinem Unglück erfahren, denn mein Verschwinden und die Verwundung des Jägers wurden natürlich rasch in Zusammenhang gebracht. Ich bot Alles auf, um meine Unschuld zu betheuern; aber mein Vater, ganz beherrscht von Konrad, der mich ihm als Wildfrevler und Mörder hingestellt, wollte mich gar nicht anhören. Umsonst war mein und meiner Schwester Flehen, umsonst umklammerte ich die Kniee des alten Mannes und bat unter Thränen, mir zu glauben und mich nicht zu verstoßen – er blieb unerbittlich und nannte mich die Schande seines Hauses. Da irrte mein Blick seitwärts, und ich gewahrte das triumphirende höhnische Lächeln meines Bruders, der ja schon seit Langem kein Mittel gescheut, mich förmlich aus dem Wege zu räumen. Das war zu viel – ich sprang auf und stürzte fort mit dem festen Vorsatze, nie wieder daheim zurückzukehren, wo mir so hart und grausam begegnet worden. So wanderte ich in meinem namenlosen Elend innaufwärts bis nach Wasserburg. Dort erhielt ich auf Verabredung mit meinem Freunde die erste sichere Nachricht über die Folgen jenes unglücklichen Zufalls. Wie eine Felsenlast fiel es mir von der Brust und ich athmete wieder freier auf. Der Schuß hatte zum Glück nur leicht gestreift und durch die Bemühung jenes braven Collegen und das Dazwischentreten meines Principals klärte sich auch das Mißverständniß auf, und der verwundete Revierjäger stand von jeder gerichtlichen Verfolgung ab. Mich konnte aber nichts mehr bewegen, in die alten Verhältnisse zurückzukehren, und ich kann heute noch kaum ohne Schauder an die erlittene Angst und an jenen Auftritt zu Hause denken. Mein Plan war zuerst, mich in den großen Hammerwerken Tirols nützlich zu machen, da kam ich in Eure Gegend und entschied mich rasch zu einem längern Aufenthalte. In der Bitterkeit meines Herzens aber wollte ich für die Meinigen verschollen sein, und jene Papiere, die von einem Forstpraktikanten stammten, verschafften mir leicht die erledigte Gehülfenstelle in Nußdorf. Beim Herumstreifen in Euren prächtigen Bergen hatte sich auch die Jagdlust auf’s Neue in mir geregt. Doch das war es nicht allein, was mich hier bannte. Ich fand, was ich lange vergebens ersehnt, ein liebendes Herz. Das Mädchen, dem ich mich zu eigen gab, ließ mich meine herzlosen Verwandten vergessen und machte einen so glücklichen Menschen aus mir, wie ich es nach dem Erlebten nur sein konnte.

Rathe ich nun recht, so sagen mir die Ueberbleibsel dieses Briefes, daß mein Bruder gestorben ist, meine gute Schwester, wenn sie überhaupt noch lebt, vielleicht auf den Tod krank lag und daß all’ Dies den verblendeten alten Mann mürbe gemacht und seinem verstoßenen Sohne wieder näher bringt. Ich werde heute noch mit dem Förster reden und bin entschlossen, zu meinem Vater zurückzukehren, sobald es mein dienstliches Verhältniß erlaubt, und doch thue ich es nicht mit der rechten Freude. Dort finde ich wohl wieder die alte Heimath, aber mit ihr auch alle trüben Bilder und Schmerzen, die sich an sie knüpfen, und hier, wo ich eine neue, schönere zu gründen gehofft, hier verschmäht mich das Wesen, das mir das liebste ist auf der Welt – und so soll ich denn wieder nur elend bleiben!“

Mit pfiffigem Lächeln erhob sich der Heu-Anderl von seinem Holzblock und trat auf den Jäger zu.

„Jetzt hab’ ich ihn lang’ genug angehört, den Jammer, könnt’ einen Stein erbarmen!“ rief er aus. „Da nehmt meine Hand, so aufrichtig hab’ ich’s noch keinem Jäger ’geben, und weil Ihr auch schon auf fremdem Reviere gejagt habt, seid Ihr erst recht mein Freund, und die Freundschaft mit dem Heu-Anderl hat gewiß noch Keinem gereut. Aber jetzt den Kopf in die Höh’, frisch in die Welt ’neingeschaut, denn da heroben bin ich alleweil nur lustige Gesichter gewohnt.“

Der Alte nahm auf der Ofenbank dicht neben dem Jäger Platz, und mit schlauem Ausdrucke den weißen Schnauzbart streichend, fuhr er vertraulich fort: „Daß Euch der Schatz die Lieb’ aufgesagt hat, da könnt’ sich höchstens ein Blinder d’rüber verwundern. Das dümmste Diendl müßt’s schon lang’ gespannt haben, daß Ihr der Resei schon wochenlang auf Tritt und Schritt nachsteigt, und die Hagen-Lene gehört gewiß nicht zu den Dummen.“

Die Bemerkung des Wildheuers brachte in der Gesellschaft eine lebhafte Bewegung hervor.

„Eifersüchtig wäre sie!“ rief der Jäger und es ging ihm plötzlich ein strahlender Hoffnungsstern am verdüsterten Liebeshimmel auf. Er hätte dem klugen Alten um den Hals fallen mögen und konnte nicht begreifen, wie er nicht selbst schon auf diese Lösung des Räthsels gekommen. Nun war Alles gut. Wenn sie nur irre geworden an seiner Liebe, wenn sie nur Zweifel in seine Treue setzte, sollte sie von ihrem Wahne bald geheilt sein.

„Jetzt geht mir ein Licht auf!“ rief auch Resei hoch überrascht aus, indeß der Flößer-Franzl, der wohl wußte, daß er selber das Ziel der Sehnsucht des Jägers gewesen, innerlich belustigt vor sich hin schmunzelte.

„Schau, die Lene!“ fuhr das Mädchen fort, sich zu verwundern. „Drum geht sie alleweil so trübsinnig ’rum, thut so geschämig und geht mir überall aus dem Weg. Das gute Madel, ist sonst meine beste Cameradin gewesen, erst seit sie ’s mit einem Jäger hat“ – hier färbte ein flüchtiges Roth der Verlegenheit ihre Wangen – „sind wir seltener zusamm’kommen. Und wie sie jetzt aussieht, völlig verschwinden thut’s, das arme Diendl! Das muß anders werden, der will ich den Kopf zurecht setzen und das auf der Stell’. Jetzt leidet’s mich schon nimmer da!“ Und das Mädchen sprang entschlossen auf und drängte rasch zum Gehen. Dann plötzlich ergriff sie des Forstgehülfen Hand.

„Herr Maxl, oder Herr Karl, wie ich jetzt sagen muß,“ sprach sie ihm tröstend zu, „den Kummer um die Lenerl gebt auf, die will ich schon zusamm’richten und das heut’ noch. D’rum macht nur schnell fort, Leut’! Und Dir sag’ ich behüt’ Gott, Anderl, ich komm’ bald wieder ’rauf.“

„Will’s hoffen,“ sagte der Alte und geleitete seinen Besuch vor die Thür, während sein Bub’, flink wie ein Eichhorn, die Leiter herabkletterte.

Die Sonne, die sich schon tief gegen die Bergspitzen im Westen neigte, beschien nur glückliche Gesichter in der heimkehrenden Gruppe. Bei einer Windung des langsam absteigenden Bergwegs, von wo aus man des Alten Hütte gerade noch erblickte, schickte der Franzl einen lustigen Juchzer hinauf, den gleich darauf der Glaasei mit geschwungenem Hute von oben herab beantwortete.




6.


Die Wirths-Resei eilte in ihrer Ungeduld voraus, um den Kahn am Ufer loszubinden, und war auch die Erste, die hineinsprang. Mit kräftigen Armen zog der Flößer die Ruder, nachdem das Mädchen auf dem mittleren Sitzbrett neben dem Jäger Platz genommen.

„Mir läßt’s keine Ruh’ nimmer,“ sagte sie, „und ich kann’s kaum erwarten, bis ich bei der Lene bin, und heut’ müßt Ihr noch zusamm’kommen, ich kann den armen Narren nicht länger leiden seh’n, und am End’ ist doch blos mein Franzl schuld. Aber eine Freundschaft,“ setzte sie hastig hinzu, „müßt Ihr mir auch thun, Herr Karl, ich hab’ auch ein Anliegen an Euch.“

„Von Herzen gern, wenn ich’s im Stande bin,“ erwiderte der Jäger und schaute ihr freundlich in’s Auge.

„O gewiß, ich weiß’s ja, meine Godl hält ein großes Stück auf Euch und ich will mir heut’ Abend einmal das Herz nehmen [320] und ihr gesteh’n, daß ich den Franzl so gern hab. Wenn Ihr aber zuerst so ein bissel d’rum ’rum reden und zufällig auf den Franzl kommen wolltet, wie er so ein braver fleißiger Bub’ ist – recht ’rausstreichen sollt Ihr ihn, versteht Ihr! – nachher thät’ ich mich halt viel leichter und ich könnt’ Euch nicht genug Dank sagen.“

„Recht gern will ich das thun, Mädel, wenn nur auch Du meine Lene beruhigst und ihr den Irrthum benimmst.“

„Habt keine Sorg’!“ entgegnete zuversichtlich das Mädchen und der Kahn stieß auf das jenseitige Ufer.

„Deine Sachen schick’ ich der Resei,“ sagte der junge Mann während des Aussteigens lächelnd zu Franzl und benahm ihm und dem Mädchen damit jede weitere Befürchtung in Bezug auf sein letztes Jagdstückchen; „wenn ich Dir aber gut rathen soll, gieb das Jagen auf. Es geht nicht immer so gut aus weder für den Wilderer, noch für den Jäger.“

Der Jäger schlug die Richtung rechts durch einen jungen Eichenschlag gegen Brannenburg ein. Das Mädchen aber faßte ihren Burschen bei der Hand, zog ihn in der gleichen Richtung auf einen Fußweg durch die hohen Kornfelder, und mit wichtiger Miene und erhobenem Zeigefinger redete sie eifrig auf ihn ein:

„Franzl, morgen richt’st Dich fein sauber zusamm’, denn heut’ auf die Nacht sag’ ich’s der Godl, daß Du mein Bub’ bist, daß ich um die ganze Welt keinen Andern will, und morgen mußt halt nachher Du den Gescheidtern machen. So viel hab’ ich schon gemerkt bei der Godl, daß wir’s schon durchsetzen bei ihr.“

„Diendl, keine größere Freud’ hätt’st mir nicht machen können,“ rief der Flößer-Franzl, „an mir soll’s nicht fehlen!“ Und hell aufjubelnd schlang der stattliche Bursche den Arm um das Mädchen, und sie fest an sich drückend, hörte man ihn durch die leise bewegten Kornfelder fröhlich singen:

„Jetz’ bin i’ kreuzlusti’
Und juchez’ und lach’,
Kimm’ ’heut’ no’ zu’n Fensterl’n,
Lieb’s Diendl, bleib’ wach!

Und darfst Di’ nit sorgen,
I’ kimm’ so schö’ staad,
Als wenn i’ a’ Gambsei
B’schleicha thaat.“

Dem Hagengütchen war das glückliche Paar schon ganz nahe gekommen, da erst wand die schöne Resei sich aus dem Arm des Burschen, von dem sie sich nun rasch verabschiedete, um ihr Vermittelungsamt zu beginnen.

Die Hagen-Lene hatte die Beiden, starr vor Staunen, schon lange vom Fenster aus beobachtet. Es fiel ihr wie ein Schleier von den Augen, daß wenigstens ihre Cameradin, die Wirths-Resei, nicht zur Verrätherin an ihr geworden und schon ihren eigenen rechtmäßigen Schatz habe. Doch blieb ihr zum Nachdenken über die tröstliche Entdeckung nicht lange Zeit, denn mit heftiger Bewegung wurde die Stubenthür aufgerissen und die Genannte stand mit hochgeröthetem Antlitz vor ihr und rief halb athemlos im gutherzigsten Tone: „Wie, Lene, geh’ ein Bissel mit mir in den Garten ’raus, ich hätt’ nothwendig mit Dir was zu reden!“ Und ehe sie in ihrer Beklommenheit ein Wort zu entgegnen vermochte, war sie von der resoluten Resei schon beim Arm gefaßt und im Sturmschritt zur Stube hinaus in die Laube gezogen.

Der Jäger hatte unterdessen auch schon das Wirthshaus erreicht. Der düstere Ausdruck in seiner Miene war fast in Heiterkeit übergegangen, offen und freundlich grüßte er die Gäste, als er in das Herrenstübchen eintrat, und kaum konnte er die Gelegenheit erwarten, sich des übernommenen Auftrags bei der Frau Wirthin zu entledigen.

Es dauerte auch nicht lange, so nahm die von Natur sehr redselige Alte mit dem gewohnten Spruch: „Mit Verlaub, Herr Maxl!“ neben dem Jäger Platz, der seines ruhigen und anständigen Benehmens willen bei ihr sehr wohlgelitten war. Anfangs wollte die Unterhaltung nicht recht in Gang kommen, doch wußte der junge Mann das Gespräch unmerklich auf ihre Pflegetochter zu lenken. Von da an steigerte sich das Interesse der Frau, und bald war der Jäger in vollem Zug. Er erzählte ihr von seinem heutigen Zusammentreffen mit dem Mädchen am Sulzberg, sein Erlebniß mit dem Flößer-Franzl und damit in Kürze seine eigene Geschichte. Ehe die alte Wirthin vor Verwunderung über das Gehörte nur zu Athem kommen konnte, steuerte er keck auf sein Ziel los, rühmte ihr den Vortheil eines tüchtigen, rührigen jungen Wirthes für den Betrieb der Wirthschaft, und lenkte geschickt wieder auf den Franzl über, den er für des Mädchens Erwählten halte und der, wie sie selber wisse, in der ganzen Gegend als ein guter Sohn und arbeitsamer Mensch bekannt war.

Da trat Resei in voller Hast in’s Gastzimmer. Sogleich machte sie sich am Schenktische zu thun, von wo aus man durch die offene Thür in das Herrenstübchen sehen konnte. Mit freudeleuchtenden Blicken sah sie die Beiden in vertraulicher Unterredung beisammensitzen. Wie gerne hätte sie jetzt in dem Gesicht der Alten, das sie so gut kannte, lesen mögen, aber leider wandte ihr diese den Rücken zu. Dafür that ihr ein gegenüber hängender Spiegel die Freundschaft und zeigte ihr die gutmüthige, in jeder Falte hochverwunderte Miene der alten Godl, wie sie mit ihren klugen Augen eifrig den Worten des Jägers folgte und durch leises Kopfnicken jedem Satze innerlich zustimmte.

Wäre das junge Mädchen jetzt draußen im Walde oder in den Bergen gewesen, so hätte sie ihrer frohlockenden Seele durch einen Juhschrei Luft gemacht, denn was in dem Gesichte der alten Pflegemutter geschrieben stand, bedeutete nur Gutes. Hier zwischen den engen Wänden aber war sie in größter Verlegenheit, und wußte sie das vor Glückseligkeit überwallende Herz kaum zu beschwichtigen. Sie hatte außerdem eine wichtige Botschaft für den Jäger und wollte ihn um Alles jetzt nicht stören. Voll lebhafter Unruhe trieb sie sich in der Wirthsstube zwischen den paar Gästen auf und ab. Erst da sie bemerkte, daß das Gespräch allmählich in’s Stocken und die Alte in’s Nachdenken gerieth, machte sie sich in der Nähe der Thür durch ein Geräusch bemerkbar, und als sich der Jäger endlich nach ihr umschaute, winkte sie ihm mit den Augen. Dieser hatte selber Eile, mit seiner Vertrauten zu sprechen. Er nahm so schnell als möglich Abschied von der alten Frau, und draußen im Hausgang erwartete ihn auch schon seine Verbündete.

„In einer guten halben Stunde“, raunte sie ihm heimlich zu, „seid bei der großen Buche hinter’m Garten, da bring’ ich die Lene hin.“

„Tausend Dank!“ klang freudig des jungen Mannes Erwiderung und er reichte ihr im Fortgehen flüchtig die Hand, doch das Mädchen ließ ihn nicht sobald los.

„Nun, wie steht’s?“ sagte sie flüsternd, indem sie sich vorsichtig nach allen Seiten umschaute. „Hat die Godl nichts einzuwenden gegen den Franzl?“

„Alles steht gut, Mädel, nur das Wildern muß er halt lassen.“

„Ah was, Dummheit, das ist so schon ’rum! Als meinem Buben hab’ ich ihm die Freud’ ’lassen, aber meinem Mann, dem wollt’ ich’s austreiben!“ Und Resei’s Augen blitzten so entschlossen, daß der Jäger an der zum Besten Franzl’s geübten strengen Disciplin in ihrem künftigen Hausregiment nicht den leisesten Zweifel hegte.

„In einer halben Stunde also!“ rief er ihr lächelnd noch zu und entfernte sich durch den Garten.

Sorgfältig vermied das Mädchen, ihrer alten Pathe in den Weg zu kommen, denn ihr erregtes brennendes Gesicht hätte ihr inneres Glück verrathen. Sie mußte sich erst noch sammeln, ehe sie über das süße Geheimniß ihrer Liebe sich auszusprechen vermochte. Auch machte sie sich bald auf den Weg nach dem Hagengütchen, um dem Jäger ihr Versprechen zu halten.

Schon geraume Zeit saß dieser dort auf der steinernen Bank unter der Buche und schaute nach der Richtung, von wo die beiden Mädchen kommen mußten. Die Minuten wurden ihm zu Stunden und unverwandt hing sein Blick am Gartenthürchen. Da ging es endlich auf und die Mädchen kamen über den Wiesengrund auf ihn zu. Der dicke Stamm des mächtigen Baumes verdeckte ihn fast ganz und sie waren schon ziemlich nahe da, ehe sie ihn gewahrten. Er aber hatte mit Entzücken sein liebes blondes Mädchen von Weitem schon beobachtet und mußte sich mit Gewalt zurückhalten, ihr nicht entgegenzueilen und sie an sein heißschlagendes Herz zu nehmen.

Getheilt zwischen dem Gefühl des Unrechts, das sie an dem Geliebten begangen, und der grenzenlosen Freude, den Verlorengeglaubten wieder zu besitzen, kam Lene über und über erglühend, mit gesenkten Wimpern langsam und zaghaft näher und ließ es [322] willenlos geschehen, daß Resei sie bei der Hand nahm und mit einem kräftigen Ruck rasch vor den Jäger hinzog.

„So, da habt Ihr jetzt Euer Diendl, Herr Karl, sie ist Euch von Herzen gut, macht’s aus miteinander!“ rief die Wirths-Resei und lachte über das ganze schelmische Gesicht. „Laßt Euch,“ fügte sie vertraulich dem Jäger zuflüsternd bei, „bei der Hagenbäuerin keinen Verdruß anmerken; daß sie so grob war, ist ihr selber zuwider genug.“

Und während Lene mit dem erstickten Ausruf: „Mein lieber Herrgott, kann’s denn sein, nach so viel Leid und Elend, so viel Glück und Freud’!“ an die Brust des überglücklichen Jägers sank und, von seinem Arm umfangen, mit versagender Stimme gelobte, daß sie nie mehr an ihm zweifeln wollte – sprang Resei im Fluge den grünbewachsenen Hang empor, auf dem der zitternde Abendstrahl spielte. Sie war außer sich vor Freude und jubelte wie eine Lerche laut hinaus in den goldenen Abendhimmel, ungewiß, was sie im Grund der Seele augenblicklich mehr beglückte, daß sie und ihr lebensfrischer Franzl ein Paar würden, oder die Wiedervereinigung jenes schmerzensreichen Liebespärchens, die sie in ihrer Gutherzigkeit so rasch bewirkt.

Die Dämmerung war inzwischen hereingebrochen. Der Jäger und sein Mädchen saßen, innig aneinander geschmiegt, noch unter der Buche, und Lene horchte hoch auf über seine Mittheilungen und die frohe Aussicht, die sich ihnen jetzt eröffnete, indeß ihre Cameradin schon in voller Geschäftigkeit in der Wirthsstube waltete.

In halb freudiger, halb ängstlicher Erwartung sah Resei an diesem Abend Gast um Gast das Haus verlassen, und je leerer es in der Wirthschaft wurde, desto enger wurde es ihr unter dem Mieder und die frischen vollen Wangen flammten immer höher auf. Endlich hatte auch der letzte Zecher sich auf den Heimweg gemacht, sie hatte bis auf eins die Lichter ausgelöscht und die Krüge zusammengetragen. Die tägliche Abrechnung mit der alten Wirthin begann und war heute, an einem Wochentage, auch bald zu Ende.

„Gut’ Nacht, Resei, sei morgen bei Zeiten auf, weißt ja, es kommt in aller Früh der Kufsteiner Bot’,“ sagte die Frau, indem sie mit dem eincassirten Gelde zum Wandschränkchen schritt. Das schalkhafte Lächeln, das schon den ganzen Abend über das gute runde Gesicht gezuckt, wurde noch schelmischer, da sie keine Antwort vernahm und das Mädchen mit niedergeschlagenen Augen verlegen am Schenktisch zögern sah. „Nu, Resei,“ meinte sie nach einer Weile, „willst heut’ nicht in’s Bett?“

„Ja, Godl,“ ließ das Mädchen sich seltsam schüchtern vernehmen, „aber ich hätt’ zuerst noch ein Anliegen.“ Dabei getraute sie sich kaum aufzuschauen und zupfte eifrigst an ihrem Schürzenbande.

„Was ist’s denn, Resei?“ fragte die Alte scheinbar ganz harmlos.

Kurz athmend, mit halb abgewandtem Gesicht hub das Mädchen stockend an: „Weil die Godl neulich gesagt hat, ich soll vor ihr keine Heimlichkeit haben – so muß ich halt heut’ der Godl sagen, daß ich schon lang’ einen – einen Schatz hab’. Wir Zwei haben einander so viel gern, daß Eins für’s And’re könnt’ sein Leben lassen – und wenn ich den Buben nicht krieg’ – geh’ ich gleich lieber dem Inn zu!“

„Hoho, so schlimm wird’s wohl nicht werden!“ entgegnete die Alte und blickte mit komischem Lächeln über ihre Brille hinweg nach dem Mädchen, das immer noch halb abgewandt mit zitternden Fingern an der Schürze spielte. „Wer ist’s denn nachher eigentlich?“ forschte sie bedächtig. „Einen Namen wird er doch haben.“

„Ja, es ist – es ist – es ist der Flößer-Franzl!“ stieß Resei endlich hastig hervor. „So, jetzt ist’s in Gottes Namen einmal heraus, jetzt athm’ ich völlig leichter,“ fügte sie aufathmend hinzu und fuhr mit der Hand über die glühend heiße Stirn, als wollte sie sich den Angstschweiß abwischen.

„Hab’ weiter noch nichts gehört von dem Flößer-Franzl,“ sagte die alte Wirthin mit verstelltem Ernst, „als daß er stark auf’s Wildern geht.“

„Das ist aber auch Alles, was man ihm nachsagen kann,“ fuhr das Mädchen mit lebhafter Bewegung und raschen Tones zur Vertheidigung Franzl’s auf, und das ist auch grad’ keine Schand’! Er ist ein fleißiger, braver, ehrlicher Bursch’, er erhält seine alte Mutter ganz allein, und das sag’ ich der Frau Godl rundweg: einen Buben, der sich nicht traut, eine Gemse ’runterzuholen, den möcht’ ich meiner Lebtag’ gar nicht! Ist aber der Franzl erst der Meinige und ist ein hausgesessener Mann, nachher hat sich’s aufgehört mit dem Schießen, da bleibt der Stutzen schön ruhig am Nagel hängen.“ Erschrocken über sich selbst, daß sie sich zu solchem Eifer hatte hinreißen lassen, schaute sie jetzt der alten Godl ängstlich prüfend in’s Gesicht.

„Das ist alles recht, Resei,“ sagte diese, die sich nicht länger verstellen konnte, mit ihrem freundlichsten Lächeln, „aber bringen mußt mir ihn ja doch – ich kann nicht selber zu ihm gehen.“

„Ich wollt’ ja die Frau Godl grad’ drum bitten,“ rief das Mädchen mit ausbrechender Freude, „daß ich ihn auf morgen früh herbestellen dürft’.“ Und auf das schmunzelnde Nicken der Alten fiel sie ihr um den Hals, umfaßte sie, als ob sie dieselbe nie wieder loslassen wollte, und küßte im zärtlichsten Ungestüm wieder und wieder das gute runzlige Gesicht.

„Aber jetzt mach’ und geh in’s Bett, Resei,“ sagte die Wirthin gerührt und wehrte das stürmische Mädchen von sich.

Leicht und schwebend, wie von ihrem Glück getragen, flog Resei die Stiege hinauf nach ihrer Kammer, die ihr trotz der Dunkelheit voll Sonnenglanz erschien, und wartete am halbgeöffneten Fenster in lebhafter Ungeduld auf den Franzl, um ihm heute noch die große Freudenbotschaft zu verkünden.

[341]
7.


Es war ein schöner klarer Morgen. Die Wasser des Inns erglänzten im jungen Sonnenlicht und wie in Gold getaucht schauten die Häupter der Berge in’s Thal. Von den thaufrischen Matten läuteten die Herdenglocken herab, helle Jodler klangen wider von den Felsenwänden und in Wiese und Wald blitzten im Sonnenschein, von arbeitsamen Händen geschwungen, schon die Sense und die Axt.

Da that die Thür des kleinsten Häuschens in Brannenburg sich auf und hervor trat, stattlich herausgeputzt in seiner Sonntagsjoppe, das schmucke Sträußchen sammt der nickenden Feder am Hut, der Flößer-Franzl neben einem alten grauen Mütterchen. Sie schlugen den Fußweg durch’s Dorf ein, und unbekümmert um all die neugierigen Blicke der Dorfleute, die zu Feld oder Berge zogen, rief er Jedem einen lustigen guten Morgen zu, plauderte angelegentlich mit seiner Begleiterin und behielt unverwandt das Ziel seines Weges, das Wirthshaus, im Auge. Je näher sie demselben aber kamen, desto einsilbiger wurde die Unterhaltung zwischen Mutter und Sohn, und als der Franzl jetzt die steinernen Stufen am Wirthsgebäude hinter dem alten Weiblein hinanstieg, fühlte er sich unwillkürlich an den Hals, denn es war ihm nicht anders, als schnüre ihm das lose gebundene Halstuch plötzlich die Kehle zu.

Da erschien, recht wie ein Engel in der Stunde der Angst, seine Resei, winkte ihm mit ihren schwarzen Augen Muth zu, schüttelte dem Mütterchen eilig die Hände und zeigte stumm auf die Thür der guten Kammer, wo die Frau Godl die Vorstellung des Freiers erwartete. Tapfer legte der Franzl unter den Augen seines Mädchens die paar Schritte zurück, gerade vor dem Eingang aber fing er heftig zu schlucken an, die Halsbinde mußte wieder drücken, und so leicht und sicher der prächtige Bursche sich auf den höchsten Kuppen und Spitzen der Berge bewegte, so unbeholfen und ängstlich stolperte er jetzt hinter seiner alten Mutter in das Prunkgemach der Frau Wirthin.

Resei konnte sich bei aller Beklommenheit kaum des Lachens erwehren. Sie folgte ihm aber nicht, sondern blieb dicht vor der Thür stehen und hielt den Athem an, um kein Wort von der Entscheidung über ihr Schicksal zu verlieren. Dabei preßte sie die Hände fest auf ihr Busentuch, als ob sie fürchtete, das laut pochende Herz könnte die Lauscherin verrathen. Sie vernahm indeß nur ein undeutliches Gemurmel, die Godl saß zu weit von der Thür und ihr schneidiger Bub’ schien seine kräftige Stimme vor der wohlhabenden künftigen Schwiegermutter gewaltig zu dämpfen. Wohl eine halbe Stunde verbrachte sie so im Hausgange, und als endlich die Thür geöffnet wurde, suchte sie mit begierigen Augen in den Mienen der Heraustretenden zu lesen. Franzl riß sie bald aus allem Zweifel. Seine großen ehrlichen Augen strahlten in Wonne und hinter dem Rücken der zwei alten Frauen, die sich gegeneinander in Redseligkeit erschöpften, schleuderte er den Hut in die Höhe, daß er von der Decke zurückprallte. Das war gewiß ein gutes Zeichen!

„Resei, thu’ Dein Fürtuch ’runter, und geh’ mit in die Kirch’,“ sagte gleich darauf die Wirthin. „Sie läuten g’rad’ z’samm’ und Du hast es auch nöthig, unsern Herrgott um sein’ Segen zu bitten in Dein’ künftigen Stand.“

Dem Mädchen ging mit diesen Worten ein ganzer Himmel voll Seligkeit auf und in der nächsten Minute schon hatte sie ihren Buben zum Kirchgang bei der Hand gefaßt. Jetzt war ja die Einwilligung schon ausgesprochen, und wenn die Frau Godl am hellen lichten Tag mit dem Franzl und seiner armen Mutter durch das Dorf ging, konnte sie gewiß auch gar keine Einwendung mehr haben. Ihr heißer Händedruck sagte dem jungen Burschen, wie glücklich sie war.

Die beiden Matronen schritten feierlich langsam voraus, und Franzl, der jetzt wieder seine gewohnte stolze Haltung und die ungehemmte Bewegung seiner Glieder gewonnen, besprach sich auf dem ganzen Wege mit seinem Mädchen in flüsterndem Tone und theilte ihr die Zustimmung der Frau Godl und alle ihre guten Lehren und wohlgemeinten Warnungen wortgetreu mit. Daß er seine alte Mutter mitgebracht, hatte sie besonders wohlgefällig aufgenommen.

In der Kirche angekommen, nöthigte die Wirthin das darüber ganz verdutzte alte Mütterchen in ihren eigenen Betstuhl in der vordersten Reihe, und dem Franzl trat bei diesem Anblick die erste Thräne seit seinen Kinderjahren in’s Auge. In inniger Andacht knieten nun die vier Menschen vor dem Altare, und vielleicht noch nie hatte ein junges Paar so aufrichtig die Segnungen des Himmels auf eine gute alte Frau herabgefleht, als der Flößer-Franzl und die Wirths-Resei es in dieser Stunde thaten.

Als nach dem Gottesdienste sich die übrigen Kirchgänger allmählich zerstreut hatten, neigte sich die alte Wirthin den jungen Leuten zu und sagte mit leiser weicher Stimme: „So, Kinder, jetzt gebt Euch die Hand da vor unserm Herrgott – meinen Segen habt Ihr!“

Mächtig ergriffen legten Franzl und Resei die Hände ineinander, inbrünstiger falteten die alten Frauen die ihrigen und beteten mit der Innigkeit des Mutterherzens für das Glück der Kinder.

Nachdem sie die Kirche verlassen und eben das eiserne Gitter des Friedhofs passirt hatten, erblickte die glückliche Gruppe ein Mädchen, das von dem Hügel hinter dem Wirthshause mit einem Tuche nach der Landstraße winkte. Man sah nur noch die Staubwolken, die der Reisewagen aufwirbelte, dem diese Abschiedsgrüße galten.

„Das ist ja gar die Lene!“ rief Resei, die das Mädchen zuerst erkannte. „Der Jäger reist wohl gar schon heim, das muß ich gleich wissen! Godl, wir kommen im Augenblick nach,“ und rasch schlug sie mit Franzl einen Seitenweg ein, um dem Mädchen zu begegnen.

„Jetzt ist er fort!“ rief ihr Lene mit hervorstürzenden Thränen entgegen. Sie konnte vor innerer Bewegung nichts weiter sagen und Resei bot ihre ganze Beredsamkeit auf, sie zu trösten.

Nachdem sie selber in der Eile erzählt, wo sie eben herkamen und daß die gute Godl in Alles gewilligt hatte, reichte Lene, durch ihre Thränen lächelnd, ihr und dem Flößer glückwünschend die Hand und sagte wehmüthig: „Wenn wir nur auch schon so weit wären! Ich hätt’s nicht vermeint, daß ’s so schnell geht, aber der Forstner hat gesagt, er will ihn keine Stund’ von seinem Glück abhalten, und da hat’s ihm keine Ruh’ nimmer ’lassen. Er will mir schreiben, wie’s ihm geht, und in vier Wochen will er mich abholen, das hat er mir fest versprochen.“

„Und das wird er auch halten, der Karl, und wenn’s seinem Vater zehnmal nicht recht wär’!“ versicherte Resei mit aller Bestimmtheit, legte tröstend ihren Arm um den Hals des Mädchens und begleitete sie bis zum Hagengütchen.

„Nimm Dich nur zusamm’, Lene,“ sagte sie beim Fortgehen, „die paar Wochen sind bald ’rum, such’ mich fleißig heim, und jeden Brief, den er Dir schreibt, mußt mich gleich lesen lassen. Und jetzt, Franzl, laß Dir sagen,“ wandte sie sich auf dem Heimweg an diesen und faßte ihn unter dem Arm, „laß Dich nicht so viel nöthen (zwingen) und lang’ fleißig zu – die Godl wird Euch recht aufwarten – und leg’ das dalkete (ungeschickte) Wesen ab, red’, wie Dir der Schnabel gewachsen ist, das hat sie am liebsten.“

„Will’s schon recht machen, Resei,“ versicherte der Franzl treuherzig und lachte sie vergnügt an.

„Und nachher muß ich’s doch meinem Alten droben auch noch erzählen, der wird d’reinschauen, Bub’!“ jubelte das Mädchen, und im Uebermaß der Freude hätte sie gern Jeden umarmt, der ihr in den Weg kam. Mit leuchtenden Blicken zeigte sie nach dem waldgeschmückten Sulzberg, der so freundlich herüberschaute, und gedachte dankbar des muntern Alten droben, während Franzl im Geiste mit halber Wehmuth von all den herrlichen Jagdfreuden Abschied nahm, auf die er als „hausgesessener“ Mann fortan verzichten sollte.

Noch am Nachmittage desselben Tages setzte Resei auf einem Kahne über den Inn, und bald darauf hallte ein mächtig lauter, glückseliger Juhschrei durch die Berge. Der Heu-Anderl, der eben nach dem Wetter ausschaute, weil er leichtes Gewölk [342] aufsteigen sah und an der Berglehne Grummet zum Trocknen ausgebreitet hatte, rief verwundert aus: „Wen treibt’s denn heut’ noch zu mir ’rauf? Meiner Six, die schwarzauget’ Wirths-Resei ist’s!“ setzte er bei, als sie später zwischen den Bäumen auftauchte.

„Ja, die ist’s, Alter,“ rief ihm das Mädchen zu, „das glücklichste Diendl in den ganzen Bergen. Mich hat’s nimmer gelitten drunten, bis ich Dir nicht Alles haarklein gesagt hab’,“ und sie zerrte den überraschten Wildheuer über den Rasenfleck vor seinem Häuschen in die Stube.

Mit der ganzen Lebendigkeit ihres Wesens erzählte sie die Vorgänge des gestrigen Abends und des heutigen Morgens, und der Alte hörte höchlich ergötzt zu. Als sie aber am Schlusse des Berichtes unter der Schürze ein Fläschchen hervorzog mit den Worten: „Da heroben bei Dir ist’s in der Früh’ schon bald kalt, hab’ Dir was mitgebracht, das Dir warm macht, was Extrafein’s, trink’s auf unsere Gesundheit,“ da lächelte der Alte wohlbehaglich, und das Mädchen von der Seite anblickend, erwiderte er: „War doch so ungeschickt nicht, daß ich den Franzl so gut versteckt hab’. Wenn der Jäger Dein’ Buben gefangen hätt’, bevor er den Brief in der Joppen gefunden hat, wär’s so gut wohl nicht abgegangen.“

„Anderl, das vergeß’ ich Dir nie, und wenn Dir der Winter da heroben einmal gar zu grob wird, findest Du bei mir alleweil eine Stube drunten, und Deinen Glaasei will ich auch recht sauber ’rausputzen.“

„Laß es gut sein, Diendl, das grobe Wetter, die rauhen Felsen und der Anderl passen am besten zusamm’, – ich verlass’ meine Berg’ nicht! Willst aber dem Glaasei einmal eine Hosen schenken – wird ihm nicht z’wider sein. Die Wilddecken dazu besorg’ ich schon selber, und auf der Hochzeit bitt’ ich mir einen Hopfer aus mit der Jungfer Hochzeiterin.“

„Ja, Alter, da hast meine Hand d’rauf, und am Ehrentisch mußt auch sitzen, das setz’ ich bei der Godl auch noch durch.“ Damit schlug sie fröhlich in die Hand des Alten.

„Einen schönen Gruß an Franzl!“ rief er der Davoneilenden noch nach und ging dann, mit wonniglichem Vergnügen nach seinem Fläschchen schielend, in die Stube zurück.

Die Kunde von der Verlobung der schönen Resei mit dem Flößer-Franzl hatte sich seit dem gemeinsamen Kirchgange blitzschnell im Orte verbreitet, und man begrüßte in dem jungen Paare schon die künftigen Wirthsleute von Brannenburg. Schüttelte auch Mancher den Kopf dazu, daß ein armer Häuslerssohn auf das schöne Anwesen kam, die Meisten gönnten es dem braven Burschen doch, und die jungen Dirnen, denen der schmucke lustige Flößer-Franzl wohl schon lange in die Augen gestochen, fanden Resei’s Wahl gar nicht so übel.

In den beglückenden Vorbereitungen für den künftigen Hausstand verging den jungen Leuten Woche um Woche, und als ein wichtiges Ereigniß wurde es betrachtet, wenn ein Brief von dem ehemaligen Forstgehülfen ankam. Dann führte der Abend jedes Mal die beiden Mädchen zusammen, da wurde Zeile um Zeile gelesen und wieder gelesen, die Antwort mit Franzl berathen und von der Resei glücklich auf’s Papier gebracht. Der Hagen-Lene zitterten, wie sie sagte, Hand und Herz so stark, daß sie unmöglich selber schreiben konnte. Die Nachrichten ihres Karl, den sie am liebsten noch immer Maxl nannte, lauteten nur günstig – der Vater, der ihm jetzt schon das ganze ausgedehnte Geschäft übergeben, hatte ihn mit liebevoller Herzlichkeit aufgenommen und suchte sein Unrecht auf alle Weise gut zu machen, die Schwester war nach schwerer Krankheit wieder genesen und seine Sehnsucht nach dem lieben Bergkinde wuchs mit jedem Tage. Die Rosen blühten wieder auf den feinen blassen Wangen des stillen Mädchens, und als nun der letzte Brief kam, der die Einwilligung seines Vaters zu ihrer Verbindung brachte und den Tag der Rückkehr des Geliebten bestimmte, da klopfte es stürmisch in der seligen jungen Brust, ein liebliches Lächeln erhellte die sanften Züge, als sie das kostbare Schreiben in’s Mieder steckte, und von dem Tage an zählte sie die Stunden bis zu seiner Ankunft.

Im Wirthshause herrschte indessen das regste Treiben, die Zurüstungen zur Hochzeit wurden lebhaft betrieben, und der Flößer-Franzl ordnete und wirthschaftete schon seit der ganzen Erntezeit in den Oekonomiegebäuden. Die von Karl Steiner festgesetzte Frist bis zu seinem Eintreffen war noch nicht verstrichen, da rollte eines Tages unter der Gluth der Mittagssonne der Postwagen schwerfällig die Straße herauf.

„Blas, Schwager, blas!“ rief der Passagier zum Kutschenschlag hinaus, als der Wagen schon vor dem Wirthshause stand und sich noch Niemand sehen ließ.

„Ja, Herr, die hören und sehen halt nichts vor lauter Hochzeitmachen,“ antwortete der Postillon und knallte dazu aus Leibeskräften.

„Herrschaft, das ist ja gar der Jäger schon!“ klang’s dem Reisenden jetzt in hellem Tone entgegen, indeß von einer Knabenhand der Wagenschlag aufgerissen wurde.

„Ei, Glaasei, bist Du’s?“ rief Karl Steiner – denn er war es wirklich – heiter aus und wollte dem ihn fröhlich anstarrenden Knaben das Gepäck übergeben. Doch der war schon wieder verschwunden.

Durch Wirthsstube, Stall und Scheune verkündete er jubelnd, daß der Jäger-Maxl wieder da sei, und als Resei auf diesen Ruf im Hausgange erschien und dem Ankömmling mit frohem Gruß entgegeneilte, hatte Glaasei schon über den Gartenzaun gesetzt und war in vollem Laufe auf das Hagengütchen zu.

Es dauerte nicht lange, so schaute Karl wieder in die schüchternen blauen Augen des lieblichen jungen Wesens, das ihm schon morgen in die alte Heimath folgen sollte, mit der er selber wieder völlig ausgesöhnt war, seit der alte Vater erklärt, das Mädchen, das er sich zur Lebensgefährtin erwählt, würde ihm eine liebe Tochter sein, und je eher er sie bringe, desto lieber segne er ihren Bund. Herzlich drückte er die Hände der Freunde, die er hier gewonnen, und ein Festschmaus, wie ihn das Wirthshaus in Brannenburg nie gesehen hatte, vereinigte Abends eine fröhliche Gesellschaft, in der mit Einschluß des Försters und Schulmeisters Niemand fehlte, der zu dem scheidenden Brautpaare in freundlicher Beziehung stand.

Im vertraulichsten Geflüster saßen die zwei alten Frauen, die Wirthin und die Hagenbäuerin, nebeneinander und hatten noch gar Wichtiges zu besprechen, denn Lene’s Mutter, seit Jahren Wittwe, wollte dem einzigen Kinde nach Passau folgen, und die alte Wirthin hatte das Hagengütchen angekauft, um sich später einmal darauf zurückzuziehen. Nicht minder beschäftigt war das junge Volk. Jungfräulich erröthend nahm Lene die Glückwünsche ihrer Freundinnen hin, und Karl sah sich von jungen Burschen umdrängt, die früher dem Jäger-Maxl nie die Hand entgegengestreckt hätten. Immer lebhafter wurde die Unterhaltung und manch’ treffendes Schnadahüpfel aus Franzl’s sangfertigem Munde erhöhte noch die Heiterkeit.

Da erschienen spät am Abend noch zwei Gäste in der offenen Thür, ein paar prächtige Gestalten, denen trotz der grauen Locken des Einen Frische und Frohsinn aus den hellen Augen lachten.

„Grüß Gott beisamm’!“ hatte der Alte kaum ausgerufen, als ihnen Alle entgegenschrieen: „Der Anderl! Der Glaasei!“

Vater und Sohn trugen heute ihre Joppen zusammengerollt auf der Schulter, denn nur so konnte man die weiten, blendend weißen Hemdärmel sehen, in denen sie prangten. Die Wirths-Resei, die ihren hohen Freunden rasch entgegengeeilt war, hatte sie Beide so stattlich herausgeputzt, und während sie den Alten zu der Frau Godl führte, blieb der Junge mit strahlendem Gesicht vor der Gesellschaft stehen und ließ sich von allen Seiten bewundern. Bald betastete er seine neue gemslederne Hose, bald schielte er hinab auf den schmucken grünen Hosenträger, der stattlich von dem weißen Hemde abstach, und indem er stolz den Kopf in den Nacken warf, steckte er den Daumen unter den breiten Querstreifen, denn dort stand ja in großen Buchstaben mit Seide gestickt: Nikolaus Flinsberger 1824.

„Schöne Geschichten gehen bei Euch droben vor am Sulzberg,“ sagte die alte Wirthin am oberen Ende der Festtafel zu Anderl, doch war ihr Lächeln zu wohlwollend, als daß es als ein Vorwurf hätte gelten können. „Hab’ geglaubt, bei Euch droben geben sich blos die Füchs’ und Hasen Gut’ Nacht.“

„Im Winter schon, Frau Mutter,“ lachte der Wildheuer und drehte die weißen Bartspitzen keck in die Höhe, „aber im Sommer auch die sauberen Buben und Diendl.“

Resei wies ihm und dem Glaasei ihre Plätze unter den Gästen an, und die Gegenwart des jovialen Alten, dem sie Alle gut waren, steigerte noch die allgemeine Lust.

[343] Der Mond breitete schon sein volles mildes Licht über die wunderschöne Landschaft, als die letzten Gäste das Wirthshaus verließen und ihren Gehöften zuschritten. Nur Drei von der Gesellschaft, der Franzl, Anderl und sein Bub’ nahmen, mit allerlei Handwerksgeräth und mit Kraxen beladen, ihren Weg in der sternhellen Nacht gegen den Inn. Die Tochter der Berge sollte recht nach Gebirgesart die Reise zu Wasser in die neue Heimath machen und ein dort bereit gehaltenes Floß zogen die Männer nun näher an das Gestade. Dann ging es rüstig an ein Hämmern und Zimmern, und als kaum der Morgen graute, war schon eine prächtige Hütte auf dem Floß erbaut. Der junge Glaasei hatte die Nacht über fleißig Kränze gewunden, die das ganze Floß, den Eingang zur Hütte und selbst die Ruderstangen schmückten. Blauweiße Fähnchen, von Resei heimlich besorgt, flatterten schon lustig im Morgenwinde und prüfend spazierte Anderl am Ufer auf und ab und betrachtete mit scharfem Auge das gemeinsame Werk. Kopfschüttelnd wendete er sich dann an Franzl, der eben noch zwei frischgrüne Tannenbäumchen am vorderen Rande des Flosses aufrichtete.

„Eins fehlt halt dengerscht (trotzdem) noch, Franzl,“ sagte er, „ein Paar Eichenbuschen mit einer Scheibe in der Mitt’ müssen noch her. Das gehört sich für ein’ Jäger.“

„Ist recht, Anderl, aber mach’, sonst kommt uns die ganze Gesellschaft auf den Hals.“ Und das Sägen und Hämmern tönte auf’s Neue durch die Morgenstille.

Im schönsten Glanze der aufgehenden Sonne lag das Thal, als vom Wirthshause her sich ein langer festlicher Zug bewegte. Der alte Schulmeister hatte alle musikalischen Kräfte des Dorfes aufgeboten und unter Geigen- und Trompetenklang kamen Karl und Lene, von dem halben Dorf begleitet, an’s Ufer.

Sie schienen tief ergriffen, als sie das reichgeschmückte Fahrzeug erblickten, an dessen Rudern vier stattliche Gebirgssöhne die Hüte schwangen und dem Brautpaare ein Hoch ausbrachten. Ueberaus herzlich war der Abschied von all’ den guten Menschen und kaum ein Auge blieb trocken. Die alte Wirthin und die Hagengütlerin weinten die hellen Thränen, die jungen Bräute lagen sich lange in den Armen und als die schwarze Resei, der es ein großer „Verdruß“ war, daß sie nicht länger dablieben, um auf ihrer Hochzeit zu tanzen, die Cameradin fragte, ob sie denn, so weit von den Bergen, nicht das Heimweh fürchte, schaute das blonde Mädchen mit einem Blick auf ihren Karl, der es klar sagte: „Wo er ist, ist meine Heimath, mein Leben, mein Himmel!“ – Der frühere Jäger schüttelte dem Förster, dem Franzl, dem Anderl wortlos die Hand und als sein feuchter Blick nochmal über all’ die prächtigen Gestalten und treuherzigen Gesichter hinglitt, blieb er auf dem kleinen Glaasei haften, der kein Auge von dem schönen Floß verwandte, und plötzlich, als ob es ihn dränge, außer seiner Liebe noch eine lebendige Erinnerung an die herrliche Gebirgsgegend mitzunehmen, sagte er zu dem Buben: „Glaasei, wenn Du mit willst – Du sollst es gut haben bei uns, ich will für Dich sorgen.“

Der Knabe schwieg betroffen – der Antrag kam so unerwartet, es klang so verlockend, auf dem prächtigen Floß in die Welt hinaus zu reisen! Der alte Anderl aber schaute ängstlich auf den Buben, daß er so lange mit der Antwort zögerte. Doch dieser, der mit glühendem Gesichte vor sich hingestarrt, hatte kaum das Haupt erhoben, so zeigte er mit ausgestrecktem Arm nach den Bergen, die ihre riesigen Häupter und Zacken in den im Morgenlichte rosig glänzenden Himmel streckten, zeigte nach dem Wilden Kaiser drüben, dessen rauhe Schroffen im Silberglanze leuchteten, und fragte mit funkelndem Auge: „Sagt selber, Herr, ob Einer fort geh’n kann, der da daheim ist?“

„Jetzt kenn’ ich Dich als meinen Buben!“ rief der Alte voll Freude aus und er hob den echten kleinen Oberländer an die vor Bewegung klopfende Brust. Wenige Minuten später gab er seinem Sprößling einen Wink und sie verloren sich unbemerkt zwischen den Bäumen.

Die Stunde der Abfahrt hatte geschlagen. Das junge Paar und die alte Mutter, der der Abschied von der Heimath doch recht nahe ging, hatten das Fahrzeug bestiegen, und als das Floß vom Ufer mit Stangen abgestoßen war, wollte das Hochrufen und Hüteschwenken kein Ende nehmen und die heiteren Musikklänge, die des Schulmeisters Taktschlag kräftig zusammenhielt, fielen rauschend ein.

Schon schwamm das Floß in Mitte des stolzen Flusses, da krachte plötzlich ein Böllerschuß und rollte in hundertfältigem Echo donnerartig durch die Berge. Alle schauten überrascht hinter sich nach der Waldblöße, aus der eine leichte Rauchwolke aufstieg. Karl Steiner aber trat an den Rand des Flosses und schwenkte mit bewegter Miene nochmal seinen Hut, wie ihm der Flößer-Franzl zurief: „Das war der letzte Gruß vom Heu-Anderl am Sulzberg!“

Th. Messerer.