Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Bei Carl Vogt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 463
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[463] Bei Carl Vogt. Wenn man Genf den Rücken wendet mit seinem bunten, lebendigen Treiben, seinen prächtigen, großartigen Läden und seinem Schwindel à la parisienne, und schreitet am neuen Museum vorüber der schlammigen Arve zu, so erinnern den Wanderer bald schattige Baumgruppen und ländliche, zierliche Behausungen daran, daß sich hier, fern von dem geschäftlichen, wie politischen Getümmel, der Genfer Gemüthlichkeit ihre Wohnstätten erbaut hat. Verfolgen wir unsern Pfad, bis uns durch die Bäume die ersten Häuser des freundlichen Carouge entgegen schimmern, so liegt uns zur Rechten ein kleines Landgut, ja der kleinsten und unscheinbarsten eines, die wir auf unserm Wege getroffen; aber doch sind wir am Ziele: es ist Plainpalais, hier wohnt Carl Vogt.

Ich kannte Carl Vogt schon jahrelang. Ich hatte ihn gehört im deutschen Parlament, hatte ihn später oft gehört in der schweizerischen Bundesversammlung, kannte seine wissenschaftlichen Werke, die meisten seiner Broschüren, sowohl naturwissenschaftlichen wie politischen Inhalts. In allen diesen Richtungen war er mir stets als ein starrer, gewaltiger, ich möchte fast sagen, schonungsloser Vorkämpfer seiner Principien erschienen, als ein Mann, der nicht selten mit seinen glänzenden Geisteswaffen seine Gegner zerschmetterte oder, wie er selbst sagt, „seine Stacheln gegen die Giftmichel emporrichtete“, wenn sie seine Persönlichkeit anzutasten gewagt hatten. Ebenso hatte ich häufig seinen schlagenden Witz, sein heiteres geselliges Talent bewundert. Aber heute sah ich ihn zum ersten Mal in seiner Familie, zum ersten Mal die Seite seines Charakters, welche nur wenige seiner Freunde, seine Feinde aber gar nicht kennen – weil er sie oft absichtlich verhüllt: seine herzliche Gemüthlichkeit.

Wir betraten bald die Höhle des „Reichsregenten“ und „Reichsverräthers“, das Innere der einstöckigen Villa, an die ein nicht allzugroßer Garten grenzt. Ueberall Bequemlichkeit, überall die größte Ordnung, nirgends der Luxus, von dem sich die Feinde Vogt’s den Verfasser des „Köhlerglaubens“ und der „Studien“ umgeben denken. Im Salon freilich hängt manches schöne Oelgemälde, alle Wände sind damit geziert. Aber Vogt selbst hat sie gemalt; alles sind sprechende Erinnerungen an seine Tage in Nizza, an manche Alpengegend, die er durchstreift, ehe er hier in Genf einen häuslichen Heerd gründen konnte. Ein Paar alte, verblichene Bilder rühren noch von der Hand seiner Großmutter her, und mit großer Behaglichkeit erzählte er mir, wie er zwei schöne deutsche Landschaftsgemälde von einer reichen Berner Patrizierin um einen Spottpreis gekauft, da diese durch das stete Sinken der österreichischen Staatspapiere im letzten Jahre recht herunter gekommen war. Am Interessantesten war mir aber Vogt’s Studirzimmer, denn hier zeigt er sich uns mit einem Blicke als Naturforscher, Politiker und Mensch. Man staunt über Vogt’s Productivität, wenn man die Resultate seiner mühevollen Forschungen bandweise nebeneinander aufgestellt sieht; man staunt aber noch mehr, wenn man die Stöße von Zeitungen durchblättert, in denen er seine Grundsätze und seine Vertheidigung gegen die Angriffe der Presse von halb Europa seit mehr als zehn Jahren niedergelegt hat. Und neben all diesen Erzeugnissen seines unablässigen Ringens für Wahrheit und Recht, zeigt uns eine noch unvollendete Staffelei im Hintergrunde des Zimmers, mit was Vogt in seinen Mußestunden die Feder vertauscht. Noch häufiger aber verbringt er diese kurzen Stunden im Schooße der Seinen.

Ich habe oft Leute gefunden, die mit ihren Gästen table d’hôte speisten oder ihnen zu Hause sybaritische Gastmähler gaben, um durch den Gläserklang die häuslichen Mißklänge zu übertönen; ich habe wieder andere gefunden, in deren Salon man des Gastes wegen süße Gesichter schnitt, sich gegenseitig viel vorschwatzte von Familienzärtlichkeit etc. Von dem Allen siehst Du bei Carl Vogt nichts! Man weicht Deinetwegen nicht ab von seiner gewöhnlichen Lebensweise, man gibt sich Dir, wie man einmal ist, vielleicht manchmal etwas eigenthümlich, etwas derb, aber gerade dadurch fühlt man sich so „heimelig“ bei Carl Vogt, als wäre man selbst ein Glied seiner Familie. Bei alledem habe ich wenig Häuser gefunden mit einem so innigen, traulichen Familienleben wie hier. Nichts trübt das Verhältniß der Ehegatten zu einander, nichts das der Eltern zu den Kindern. In seiner Familie ist Vogt ganz Vater und Gatte, so liebevoll und kindlich heiter, mit den Kindern ballspielend, lachend und schäkernd wie ein Kind.

Ich weiß, auch über seine Schwelle ist die Lüge und die Verleumdung geschritten. Nichts ist den „Giftmicheln“ in der Vogt’schen Familie heilig genug gewesen, das sie nicht besudelt hätten mit ihrem Hauche. Vogt ist ein Materialist, ein Republikaner, also Grund genug in ihren Augen, um ihn der Ueppigkeit, der Liederlichkeit und wer weiß, was Alles, zu beschuldigen. Alles erlogen! Man frage nur in Genf nach, frage Alle, die Vogt persönlich kennen, und man wird bald hören, daß trotz der wüthenden Verleumdungen und Schimpfereien gewisser deutscher Blätter der Ruf des einstmaligen „Reichsverwesers“ in seiner Heimath ein durchaus reiner und makelloser ist, den zu vertheidigen, eine Beleidigung für den wackern Mann wäre.