Textdaten
Autor: Unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Basel.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 37, S. 292-294
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger's Volksblatt
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Straßburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[292]

Basel.


Den Eindruck werde ich nicht vergessen, welchen Basel auf mich machte, als ich – ein junger Student – es zum ersten Male von der Rheinbrücke aus, von der auch obiges Bild genommen ist, betrat. Junges Blut läßt sich bekanntlich leicht begeistern, und wie konnte ich anders als in gehobener Stimmung sein, da ich die Stadt betrat, deren Hochschule mit ihren berühmten Lehrern mir für den Beginn meiner Lernzeit eine „gütige Mutter“ werden sollte, und deren Bewohner mir schon so lange als in hohem Grade bieder, ehrenhaft und fromm bekannt waren! Aber bald wurde ich nicht wenig herabgestimmt. Das Universitätsgebäude sah so nüchtern aus (auf unsrem Bilde ist es links nur wenig sichtbar), und die biederen Basler waren für mich so gut wie nicht vorhanden. Aber freilich, wie kann auch ein herein geschneiter junger Mann erwarten, daß ihm da und dort Thüren sich öffnen, wenn er ein gänzlich Unbekannter ist? Er mag zufrieden sein, wenn er etwa am Weihnacht Abend von der Straße aus die Lichtlein glänzen sehen und ahnen kann, wie „heimlich“ es da drin im Familienkreise sein muß.

Wie verschieden ist doch der Menschen Wesen! Manche sind, sobald wir mit ihnen zusammentreffen, schon von vornherein so liebenswürdig, daß wir uns nach dem ersten Begegnen erstaunt fragen: Wie kam es doch, daß diese Leute dich so freundlich aufnahmen? Aber bald [293] werden wir gewahr, daß sie durch ihre höflichen verbindlichen Worte nur den äußeren Verkehr zu einem angenehmen gestalten wollen, während wir ihnen im Grunde des Herzens gleichgültig sind; mit demselben gewinnenden Wesen werden sie nachher den X und dann den Y aufnehmen. Das ist nicht Basler Art. Ein großes Fragezeichen machen diese an den, welcher ihnen nahe kommt, sie wollen wissen, ob er auch einer der Schwindler ist, welche – oft unter den glattesten Lebensformen – sich einzuschmeicheln verstehen, um dann das Vertrauen ihrer Bekannten zu täuschen, oder ob ein Herz in ihm schlägt, auf das man eine treue Freundschaft gründen kann. Haben sie sich von dem Letzteren überzeugt, ja dann ist es der Mühe werth, einen Basler zum Freunde zu haben. Wenn man daher die Klage oft aussprechen hört, die Bürger dieser Stadt seien so verschlossene Leute, so werden diejenigen darin nicht einstimmen, denen es beschieden war durch längeren Aufenthalt mit Männern in Verbindung zu kommen, welchen sie die größte Hochachtung zollten, und die sie treu erfanden und – so weit dies bei Menschen der Fall ist – lauter wie Gold.

Verschiedene Ursachen wirken zusammen, um Basel ein besonderes Gepräge zu geben; vornehmlich dürften wir den Grund, warum es so ist, wie es ist, in einem Dreifachen finden: in seiner Gewerbsthätigkeit, in dem Einfluß seiner Hochschule, in dem wohlthätigen und frommen Sinn seiner Bürger.

Basler Reichthum ist sprichwörtlich und nicht erst seit gestern. Man zählt dort die Millionäre nach Dutzenden. Aber es ist meist kein leicht zugefallener Besitz, dessen sich diese erfreuen. Schon von ihren Eltern haben sie viel geerbt, und auch deren Eltern und Voreltern hinterließen ihren Nachkommen eine breite Grundlage, auf der sie sicher und stetig fortbauen konnten. „Wie schwer wurde es mir,“ meinte ein Basler, „bis ich zur ersten Million die zweite hatte!“ Er hat sie sich in rastloser Arbeit erworben. Wenn Du an Werktagen in das Haus eines solchen Geldfürsten kommst, siehst Du den Herrn mit seinen Leuten des Tages Last und Hitze tragen und vielleicht nur schwer vermagst Du die Frau von ihrer Dienerin zu unterscheiden, so einfach gekleidet ist sie und so emsig sieht sie überall nach, legt allenthalben mit Hand an. Ist′s ein Wunder, wenn sie mit häuslichem Sinn mehrt den Gewinn? Besonders wurde die Seidenbandanfertigung, welche viele Tausend Arbeiter beschäftigt, zu einer Goldgrube für die Basler. Und nicht nur für jene Geldgrößen; denn Viele erfreuen sich dort wenn auch nicht eines nach Millionen zählenden Besitzes, so doch eines gediegenen Wohlstandes. Das sieht man z. B. in den Sommerferien. Während sonst Handwerker und sogenannte kleine Geschäftsleute Jahr aus, Jahr ein zu Hause bleiben, wollen viele ihrer Basler Berufsgenossen im Sommer ihr Alltagsleben auf einige Wochen verlassen. Sie gehen mit den Ihrigen „auf’s Land“ und kommen neugestärkt wieder zurück. Auch ist es das Zeichen eines auf weite Kreise sich erstreckenden Wohlstandes, daß die Basler „Zinstragende Ersparnißkasse“ im Jahre 1876 bei einer Einwohnerzahl von 50.900 die hohe Ziffer von 16.529 Guthaben mit einem Vermögen von 7.869.988 Franken aufzuweisen hatte, so daß durchschnittlich auf 3 Einwohner ein Einleger mit einem Betrag von 476 Franken kam.

Die so sehr entwickelte Gewerbs- und Handelsthätigkeit würde für die Bewohner leicht die Gefahr in sich schließen, daß sie im Haschen nach irdischem Besitze die idealen und ewigen Güter vernachlässigen. Dagegen bilden nun die vielen Unterrichtsanstalten und besonders die im Jahre 1460 gestiftete Hochschule ein heilsames Gegengewicht. Mit besonderer Liebe hängen die Basler an der letzteren. Die Schweiz hat bekanntlich 3 deutsche Hochschulen (außer Basel noch Bern und Zürich), weshalb sie keine derselben mit völlig ausreichenden Mitteln ausstatten kann. Da treten nun die Bürger helfend ein. Es ist nichts Seltenes von Gaben für Universitätszwecke zu hören, die sich hoch in die Tausende belaufen, ja sogar Lehrstühle wurden von Privaten begründet, so schenkte z. B., wie verlautete, ein Basler 100.000 Franken zur Errichtung eines solchen, ein anderer überläßt die Bücher, welche er sich kauft, sogleich der dortigen Bibliothek zum allgemeinen Nutzen u. s. w., kurz die Vermuthung ist kaum zu kühn, daß die Basler nöthigenfalls ohne jegliche staatliche Unterstützung ihre Hochschule allein durch Privatbeiträge aufrecht halten würden.

Zeitweise hatte dieselbe nur wenige Studenten, oft unter 100, deren Zahl hat sich jedoch in neuerer Zeit auf 200 und noch mehr gehoben. Unter den Lehrern sind solche von europäischer Berühmtheit, und gar viele deutsche Gelehrte haben da eine liebe Heimath gefunden oder ihre Lehrthätigkeit hier begonnen und in der Begeisterung ihrer Jugend gewirkt, während sie in ihren späteren Lebensjahren wieder in′s alte Vaterland zurückkehrten.

Bekanntlich ist der Unterschied zwischen berühmten Gelehrten und guten Lehrern ein sehr großer. Wie oft freut sich der Student darauf, einen Mann kennen zu lernen, an dessen Schriften er sich in weiter Ferne erquickt hatte. Er hat sich ein schönes Bild von ihm entworfen, sieht ihn im Geiste begeistert und begeisternd in Mitten der lautlos horchenden Studenten. Aber wie ganz anders ist die Wirklichkeit! Als ob die Buchdruckerkunst nicht erfunden wäre, sitzen solche Berühmtheiten oft auf ihrem Lehrstuhl und meinen, ein dürftiger Auszug aus ihren Büchern sei für die jungen Söhne der Wissenschaft noch gut genug. Sie ruhen aus auf ihren Lorbeeren, verwenden ihre Hauptkraft auf ihre gedruckt erscheinenden Bücher und lassen die ihnen anbefohlenen Studenten darben. Es ist wahrhaft betrübend, was manche ihren Zuhörern zu bieten wagen.

Wie dankbar dagegen ist der strebsame junge Mann solchen Lehrern, denen man es ansieht, wie gewissenhaft sie die Vorbereitung auf eine „Vorlesung“ nehmen, denen man es abfühlt, daß sie sich auf dieselbe freuen und daß sie so ganz bei der Sache sind. Ihr Vortrag dringt [294] aus der Seele und zwingt darum auch die Herzen der Hörer mit urkräftigem Behagen.

Wer von denen, die in den letzten Jahrzehnten in Basel studirten, sollte sich z. B. nicht des Philosophen Steffensen mit Freude und Dankbarkeit erinnern? Da kommt er herein, zwar mit einem kranken Körper, aber wie blitzt sein Auge, wenn er auf dem Lehrstuhl sitzend mit den aufmerksam Zuhörenden nun in geistige Gemeinschaft tritt und von seinem Sokrates und Plato so begeistert spricht, daß einem bisweilen die Thränen in die Augen treten möchten, und wenn er an unserm Denker Kant nachweist, mit wie sittlichem Ernste dieser die Fragen des Lebens erfaßte und mit Haller vor Ueberschätzung der Wissenschaft warnt: „In das Innre der Natur dringt kein erschaffener Geist“. Da sieht man es: Hier spricht kein Buch, sondern eine Persönlichkeit, ein ganzer Mann, in dem das, was er vorträgt, kein hergesagter Wissensstoff ist, in dem es vielmehr selbst Leben wurde. Darum hat er auch nichts Geschriebenes vor sich, frei spricht er und so weiß er Jünger jeder Wissenschaft in seinem Hörsaale zu vereinigen und mit der „Liebe zur Weisheit“ (so heißt Philosophie wörtlich übersetzt) zu erfüllen.

Oder ich versetze mich wieder einen Augenblick unter die Zuhörer des berühmten Kunstkenners und Geschichtsschreibers Jakob Burckhardt. Er kommt soeben zur Thüre herein und gleich beginnt er. Er setzt sich nicht einmal auf den Lehrstuhl, sondern bald stellt er sich da, bald dort hin und erzählt uns mit einer Herrschaft über die Sprache, mit einer Kenntniß des behandelten Gegenstandes so feurig von dem Schönen in der Kunst und von den Größen der Menschheit, daß uns das Herz warm wird und wir meinen, das sei ja Alles so einfach, die Sprache mache gar keine Schwierigkeit. Wir hören eben nur das, was nach langem Forschen und nach vieler Mühe so leicht daherfließt, als sprudle es unmittelbar hervor wie ein Quell aus der Bergwand. – Ja, Basel′s Hochschule, wie hast du treffliche Lehrer besessen! Wie viele Männer, von nahe und ferne, die grau geworden sind in den verschiedensten Lebensstellungen, denken noch mit Wonne zurück an die Stunden, die sie dort in dem einfachen Gebäude verbrachten, als sie wandelten in den hehren Hallen der Wissenschaft!

Als dritten Grund von Basel’s Blüthe nannten wir den wohlthätigen frommen Sinn seiner Bewohner. Dafür Beispiele anzuführen, fällt nicht schwer. Erst im Jahre 1877 feierte die dortige „Gemeinnützige Gesellschaft“, die Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, das Fest ihres 100jährigen Bestehens. Im Jahre der Stiftung zählte sie 174, im Jahre 1876 aber 1530 Mitglieder. Unter den Aufgaben, welche sie sich setzte, nennen wir nur die folgenden: Verbesserung der Gefängnisse; Versorgung entlassener Sträflinge; Einschreiten gegen Thierquälerei; Unterstützung der Kranken; Förderung des Turnwesens; Unterhalt von Schwimm- und Badeanstalten, einer Schlittschuhbahn; Hebung des Unterrichts, des Schul-, Volks- und Kirchengesangs; Vergrößerung der Jugend-, Bürger- und Arbeiterbibliotheken; Verbesserung des Volkskalenders; Abhaltung öffentlicher Vorträge; Bereicherung der Sammlungen für Kunst und Natur; Verschönerung der Umgebungen Basel′s; Förderung gewerblicher Zwecke; Errichtung von Speiseanstalten, Arbeiterwohnungen u. s. w., u. s. w.

Einzelne Basler Bürger haben wahrhaft Großartiges geleistet, so z. B. Merian, welcher auf eigene Kosten eine prachtvolle Kirche aufführen ließ und nicht müde wurde, auch für andere Zwecke mit vollen Händen auszustreuen.

Und wer sollte, um unter den religiösen Anstalten nur Eine zu erwähnen, noch Nichts vom Basler Missionshaus gehört haben. Wie steht es so schmuck und doch so einfach mitten im Garten da, wie könnte es erzählen von den vielen Tausenden, die daran bauten, von den wackeren Männern, die, in ihm gebildet, auszogen in alle Welt, um das Evangelium zu predigen, von den vielen Tausenden, die durch deren Unterricht und Vorbild angeleitet wurden zu einem ehrbaren Wandel, erzogen zu brauchbaren Mitgliedern der Gesellschaft und, was mehr heißen will als alles Andere, zu Menschen, die Frieden gefunden haben für ihre Seele. Ist es nicht einem Baume gleich, von dem Segensfrüchte gestreut wurden über Weiße und Schwarze, über fein Gebildete und Ungebildete? Oder solltest nicht auch Du Dich freuen, wenn Du sehen würdest, wie Leute, die vorher, in Laster versunken, ein unstätes Leben führten und einander stets bekriegten, nun an friedliche Arbeit sich gewöhnten und wie auch aus ihrem Mund und in ihrer Sprache Loblieder zum Vater im Himmel emporsteigen[1]?

Ja viel des Schönen und Erfreuenden birgt es, das rheinbespülte Basel!

Die Stadt selbst zerfällt – um dies kurz zu erwähnen – in die beiden durch den Rhein getrennten Theile: Klein- und Groß-Basel (unser Bild zeigt uns Groß-Basel). Sie hat im Innern ein alterthümliches Aussehen, während die neuen Stadttheile mit vielen schönen Anlagen und Landhäusern geschmückt sind. Merkwürdige Gebäude (z. B. das Münster) und reiche Sammlungen besitzt es in großer Zahl.

Obige Zeilen reden besonders von Lichtseiten der Basler. Daß auch die Kehrseite nicht fehlt, z. B. mit dem Reichthum vielfach Mißbrauch getrieben wird, bei der zahlreichen Arbeiterbevölkerung manche Ausschreitungen vorkommen, daß unter Anderm auch im Verkehr mit Deutschen die republikanische Staatsform als die „alleinbeglückende“ weit überschätzt wird, wer wollte das verwunderlich finden? Nur der, welcher da, wo Menschen sind, ein Bild sehen möchte, in dem tiefe Schatten fehlen!

Während ich so schreibe, ist mir′s, als sei ich über Berg, Fluß und Thal in eine seit vielen Jahren vergangene Zeit und in einen fröhlichen Kreis von Jugendfreunden zurückversetzt und als höre ich dieselben singen und mich selbst einstimmen in die Worte:

Stoßt an; Basel soll leben!

Anmerkungen der Vorlage

  1. Die evangelische Missionsgesellschaft hat bei einer Jahreseinnahme von ungefähr 700.000 Mark etwa 180 europäische Sendboten und 280 Eingeborene im Dienste, welche sich der Pflege von ungefähr 11.000 Gemeindegliedern widmen.