Ballade vom Tode der Kinderfrau

Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Werfel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ballade vom Tode der Kinderfrau
Untertitel:
aus: Wir sind, S. 38-40
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Kurt Wolff Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[38]

Ballade vom Tode der Kinderfrau

War dem Wein und dem Gelächter,
War dem bunten Haus entflohn.
Straßenabwärts hört er seine Schritte kommen.
In dem Raum der Nacht, in dem öden Raum ein wilder Ton.

5
Und er ist beklommen,

An der Ecke keine Droschke, auf dem Platz kein Wanderer und Wächter.

Schon steht er vor seinem Tore,
Bis der Schlüssel innen spricht.
Stufen steigt er, wohlbekannte Stufen...

10
Überhell brennt das Minutenlicht

Und erlischt. – In seinem Korridore
Tastet er sich vorwärts – und er möchte rufen;

Rufen einen Namen leise,
Ach, er fühlt sich wie ein Kind...

15
Bis ein altes Pepičku vom weiten

Ihm erwidernd, aus dem Schlaf erwidernd ihm beginnt,
So wie immer in den alten Zeiten.
Und schon ruft er ängstlich, nach gewohnter Weise.

[39]

Ängstlich ruft er viele Male

20
Bis er in der Küche steht.

In der Küche, wie in eines Hofes Mitten,
Ohne Fenster und Gerät...
Nur vom Uhren-Wächtergang beschritten.
Ruft erst ängstlich, dann erregt, (wie ahnte er) und sucht nach einem Feuerstrahle.

25
Mit der Kerze in das kleine

Zimmer tritt er zitternd ein.
Jene Alte sieht er schlafen, schlafen in dem Bergland ihrer Kissen.
Und er kann nicht schrein,
Glaubt zu träumen, stampft und will nichts wissen.

30
Aber alles ruht und nur ein Schatten tanzt im Kerzenscheine:


(Tote haben allerorten
– Kleine Kinder, alte Fraun –
Weit sich über uns erhoben, ja erhoben, liegen sie dahingestreckt.
Niemand wagt es hinzuschaun.

35
Und vor Toten hast du mehr Respekt,

Als einst vor dem dunkeln Lehrer mit den bösen Worten.)

Und er wurde so verlegen
Und er war so ungeschickt,
Sollte er ihr Herz behorchen, Leute wecken?

40
Doch er hat nicht hingeblickt,

Schamvoll wollt er fliehn und sich verstecken.

[40]

Denn er dachte, war ich krank, wie wußte sie zu pflegen.
Seine Augen hat er zugemacht,
Und die Hand lag auf dem Wasserkrug.

45
Erster Traum, Dominospiel und kleine Eisenbahn wuchs nun ins Grauen.

Die ihn einst zu Bett gebracht,
Die seinen jungen Schlafgeruch noch an sich trug,
Hart und weise lag sie da und kaum mehr anzuschauen.

Manches konnte sie bereiten,

50
Ging die schöne Mutter abends aus.

Sommerfrische und Spaziergang, alle Dinge, die vergangen, ja vergangen, sind mit ihr nun weitentrückt,
Wandelnd im durchsichtig und entlegenen Haus
Und so leis an sie gedrückt,
Wie an einem blauen Tage, Kinder ihre Mutter wohl begleiten.

55
Doch der Jüngling weinte nimmer.

Der begrabenen Gefühle voll
Machte er sich auf, die Nachbarn, die verschlafenen Nachbarn herzuholen.
Aber ehe jener Lärm erscholl,
Hängte um den Spiegel er ein Tuch verstohlen

60
Und verließ fast immer noch im Traum das Sterbezimmer.