CCLXXI. u. CCLXXII. Szenerien am Trollhätta in Schweden. Der obere und der Gullöfall Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLXXIII. Baden bei Wien
CCLXXIV. Salzburg
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BAADEN BEY WIEN
(Schloss Weilburg)

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CCLXXIII. Baden bei Wien.




Unter den ausgezeichnetsten Punkten der reizenden Umgebungen der österreichischen Kaiserstadt nimmt Baden die erste Stelle ein. Gleich außerhalb der Barriere steigt die Chaussee den Wienerberg hinan, von dessem Gipfel ein Monument uralter deutscher Kunst, – eine Säule mit der Figur des Gekreuzigten, – (seltsam nennt sie das Volk die Spinnerin am Kreuze), einsam in die Lüfte ragt. Hier erfreut der prachtvollste Rückblick auf die Residenz. Eine kurze Stunde führt über Jägersdorf und an der sagenreichen Teufelsmühle vorbei nach Neudorf, dessen Schlößchen aus schönen Anlagen gar freundlich herausschaut. Schornsteine, die, wie die Thürme, aus großen Gebäuden hervorragen, lassen irgend eine großartige metallurgische Industrie vermuthen; man erstaunt, wenn man hört, daß sie alle einer Bierbrauerei angehören, der bedeutendsten und besten in ganz Oesterreich. Außerhalb Neudorf lenkt die Straße in westlicher Richtung ab; erst an Weinbergen hin, dann, über Gundramsdorf und Pfaffstädtchen, eine Anhöhe hinan und da erspäht das forschende Auge das Ziel, das schöne Baden, malerisch am Eingange eines tiefen Thals (des Helenenthals) gelegen, und an drei Seiten von grotesk geformten Felswänden umschlossen.

Baden ist nicht blos seiner Heilquellen wegen berühmt, sondern auch als eine der Sommerstationen der österreichischen Aristokratie und der guten Gesellschaft der Hauptstadt. Während die meisten übrigen deutschen Bäder mit den immer häufiger einkehrenden Flüchtlingen Albion’s brittische Sitten angenommen haben, ist doch Baden ganz österreichisch geblieben. Es gibt da keine Londoner Routs, Westendstutzer, Schneider, Sprachlehrer, Tanzmeister zu Dutzenden, oder englische Familien, die, wie bei der westlichen Namensschwester, zu Hunderten feste Wohnsitze aufschlagen, Priester und Pensionate nähren, Pferderennen halten, Wettspiele treiben aller Art und der ganzen Gesellschaft den Typus einer englischen Colonie aufdrücken. Fehlt es auch an englischen Besuchern nicht, so ist doch ihr Einfluß auf Ton und Sitte viel zu unbedeutend, um den österreichischen Charakter in beiden zu schwächen.

[103] Die Badehäuser, deren man jetzt 19 zählt, sind sehr ansehnliche Gebäude. Sie erhalten das Wasser durch Röhrenleitungen meistens von der Hauptquelle, welche im Innern des sogenannten Calvarienberges entspringt. Ein an 50 Fuß langer, durch den Fels gehauener Gang führt zu einer geräumigen Höhle, wo die Quelle aus einem 20 Fuß tiefen Kessel, kochend und mit prasselndem Geräusch, armsdick hervorsprudelt und dicke Dampfwolken von sich stößt. In einer Stunde gibt sie an 800 Kubikfuß Wasser her, dessen Wärme von 27 bis 29° Reaumur wechselt. Es sind meistens Gesellschaftsbäder und diese sind so gebaut, daß jedes 100 bis 200 Personen auf einmal fassen kann. Sie werden in der Regel den Einzelbädern vorgezogen; doch kann man auch diese erhalten. Prachtvoll ist das sog. Frauenbad, mit höchst geschmackvoller Einrichtung und Kliebers schöner Gruppe des Aesculaps und der Hygiea im großen Badesaal. Im Theresienbade badet man nur in Wannen; hier sind auch Schwefel- und Tropfbäder eingerichtet.

Die Badezeit ist von 4 bis 10 Uhr Morgens. Die Heilkraft von Baden’s Quelle war schon den Römern bekannt, und eine Menge in der Nähe ausgegrabener Alterthümer und Spuren von römischen Bauwerken lassen den damaligen Ruf Badens ahnen. Bei krankhaften Zuständen, welche von Schwäche in Folge unmäßigen Lebensgenusses herrühren; ferner bei Lähmungen, bei Abspannung des Nervensystems, im Anfange schleichender Lungenübel, bei hysterischen und hypochondrischen Leiden, bei gichtischen und rheumatischen Wehen, in allerhand Hautkrankheiten, Contracturen etc. haben sich die Baden’schen Wasser immer wohlthätig, und oft als ein imperatives Heilmittel erwiesen. Schädlich, vermöge ihrer Erregungskraft, sind sie vollsaftigen und auch solchen Personen, die schon gänzlich entkräftet sind. Die Frequenz der Badegäste ist seit einer Reihe von Jahren im steten Zunehmen, und übersteigt in einer Saison oft 9000. Das Leben ist hier, obschon es durch den Aufenthalt des kaiserlichen Hofs und der Erzherzöge, von denen fast jeder seinen eigenen Pallast hat, äußerst glänzend erscheint, doch nicht theuerer, als an andern deutschen Bädern ersten Ranges. In dem bunten, strahlenden Treiben der Hunderte von Fürstlichkeiten, welche sich hier versammeln, der Menge von Excellenzen, wirklichen und Exministern, christlichen und jüdischen Millionairs und Vettern aus Bremen von allen Theilen der Welt, kann der anspruchlose Badegast sich ganz unbeachtet bewegen, und für Beobachtung ist ihm dabei das reichste Feld geöffnet. Für die Communikationsmittel ist verschwenderisch gesorgt. Eilwagen gehen täglich zweimal nach Wien und zurück, und in der Badezeit sind immer eine große Anzahl Lohnkutscher und Fiaker auf den öffentlichen Plätzen, dem Winke des Badegastes gewärtig, um ihn in die reizende Umgebung, oder zu einer Landpartie zu führen.

Das gewöhnliche Ziel der Spaziergänger ist das Helenenthal, das sich, voller Naturschönheiten, – Felsen, Grotten, Höhlen und kleinen Wasserfällen, umgeben von altersgrauen Ruinen (Raubenstein, Scharfeneck, Rauheneck), – weit in das Gebirge hinstreckt. Der Park ist von großartiger Anlage, mit einem Tempel des Aeskulaps [104] und einem geräumigen, 150 Personen fassenden Kiosk, von dem man eine vortreffliche Aussicht hat. Auch der Lang’sche Garten ist häufig besucht und seiner Visten wegen berühmt. Nicht minder der des Grafen Alexandrowitz. Weitere Ausflüge sind Schloß Markenstein, drittehalb Stunden von Baden; Gumboldskirchen (wohin der Weg durch lauter Rebengelände führt); Engersdorf mit seiner Wallfahrtskirche „Maria-Heil“ und Mödling, dessen Brühlthal mit Naturschönheiten angefüllt ist. Hoch ragen dort die Ruinen der ehrwürdigen Markgrafenburg, wo Heinrich Jagomirgott, der Gründer Wiens, hauste; und gegenüber der Liechtenstein, die Stammburg des bekannten Fürstengeschlechts. Letztere wird noch theilweise erhalten; in der uralten Capelle ist noch Gottesverehrung, im Rittersaale hängen noch die alten Familienbildnisse, und im Bankettsaale die Rüstungen und Waffen der Ahnherrn; aber in geringerer Entfernung unten im Thale prangt das neue Schloß, die Sommerresidenz des Fürsten, voll morgenländischer Pracht. Nahe dabei, auf einem Berge, steht ein schönes Denkmal auf der Stelle, wo die Krieger begraben liegen, welche dem letzten Fürsten in der Schlacht bei Aspern das Leben retteten.

Baden, die Stadt, hat mit den eingebauten benachbarten Weilern etwa 600 Häuser und 5000 Einw. Im Verhältniß zu ihrer Größe ist sie die schönste Stadt der österreichischen Monarchie. Die Menge der Palläste kaiserlicher Prinzen und anderer österreich. Großen erregt Erstaunen; vereint mit ihrer herrlichen Lage erinnern sie an die Umgebungen Rom’s zur Kaiserzeit, an ein Tusculum und Hadrian’s Tiburtina.