Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 58 (1889), ab Seite: 269. (Quelle)
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Wunder, Franz (Industrieller, geb. zu Eisenstadt in Ungarn um die Mitte der Dreißiger-Jahre, gest. in Wien 1876). Nach dem frühen Tode seines Vaters, welcher Magistratsbeamter in Eisenstadt war, besuchte er das Oedenburger Gymnasium, zu dessen besten Schülern er bald zählte, dann bezog er die Hochschule in Wien, um sich an derselben dem Studium der Rechte zu widmen, für welches er übrigens wenig Neigung zeigte. Vom Hause nur sehr kärglich unterstützt, fand er während dieser Zeit in der Fächermalerei eine Erwerbsquelle, obgleich er darin völlig Autodidakt war, da er nie einen systematischen Zeichenunterricht erhalten hatte. Bei dem Fleiße [270] und der Sorgfalt, welche er dieser Arbeit widmete, kam allmälig sein eigentliches Talent zum Durchbruch, und er entwickelte sich bald zu einem tüchtigen Ornamentisten in Zeichnung und Composition. Als er dann die Rechtsstudien beendigt hatte, war er einige Zeit als Hofmeister thätig, in welcher Stellung ihm Muße genug übrig blieb, sich in der ihm liebgewordenen Nebenbeschäftigung weiter auszubilden und zu vervollkommnen. Zuerst arbeitete er für eine kleine Wiener Firma, dann für August Klein, und zuletzt wurde er in Weidmann’s Lederkunstarbeiten-Fabrik angestellt. Nachdem er einige Jahre in derselben thätig gewesen, eröffnete er 1872 in Gemeinschaft mit J. Kölbel ein kunstindustrielles Atelier, das bald zu ausgezeichnetem Rufe gelangte. Dabei wirkte er in seinem Fache auch schriftstellerisch und richtete sein ganzes Sinnen und Trachten auf die Wiedererneuerung der alten verloren gegangenen Ledertechnik, über deren Bedeutung er sich bald vollkommen klar geworden war. Darin kam ihm eben seine humanistisch classische Vorbildung trefflich zu statten, und er wurde, wie es in einem ihm gewidmeten Nachrufe heißt, ein „Kunsthandwerker im edelsten Sinne des Wortes“. Wohlvertraut mit der Geschichte der Kunst, ging er nicht irre, sondern zielbewußt auf die richtigen Muster los, deren Bedeutung ihm auch klar vor Augen stand. Das Erste, was er nun vornahm, war, nach alten Mustern der Hofbibliothek und des österreichischen Museums die alte Lederintarsia zu versuchen, welche er endlich meisterhaft zu Stande brachte, so daß seine Arbeiten mit den etwas früheren und gleichzeitigen der Franzosen und Engländer den Wettbewerb aufs beste aushielten. Ueber die bei dieser Technik nach der Reihe vorzunehmenden Arbeiten hat er auch unter dem Titel „Handvergoldung“ ein kleines Tableau für Schüler und Arbeiter dieses Faches eingerichtet, das ohne jede Beschreibung sofort verständlich wird und die ganze Technik durch den bloßen Anblick förmlich lehrt. Nachdem er dieses eine Ziel erreicht und in vollendeter Weise in dasselbe einschlägige Arbeiten hergestellt hatte, wurde er durch einen in Lederplastik durchgeführten Bucheinband aus dem 16. Jahrhundert, der im Besitze des österreichischen Museums war, angeregt, auch diese völlig verschollene Technik zu erneuern. Obwohl bereits nicht unbedenklich leidend, unterzog er sich doch diesen anstrengenden Arbeiten und löste nach halbjährigen mühevollen Versuchen die schwere Aufgabe in vollkommenster Weise. Auch darüber verfaßte er eine Lehrdarstellung und in einem Briefe an den damaligen Vicedirector des österreichischen Museums, J. Falke, eine Beschreibung dieser Technik, welche von Camillo Sitte in der unten verzeichneten Quelle mitgetheilt ist. Wunder war übrigens nicht allein Decorateur als Zeichner, sondern auch praktischer Arbeiter. Das Schwierigste an allen besseren Stücken, welche aus seinem Atelier hervorgingen, pflegte er durchaus mit eigener Hand anzufertigen, und die von ihm herrührenden Arbeiten zeichnen sich durch große Genauigkeit, Geschmack und Vollendung aus. Mit seinem Geschäftsgenossen hatte er auch die Wiener Weltausstellung 1873 beschickt, und die Prachteinbände, Cassetten, Lederbilder, Lederrahmen, Fächer u. s. w. aus seinem Atelier fanden allgemeine Anerkennung; sie behaupteten sich neben den Arbeiten aus den Fabriken Klein und Weidmann und übertrafen manche derselben in der stylgerechten Anordnung [271] und Ausführung; Wunder selbst aber ist als der Erneuerer der alten Ledertechnik bei Bucheinbänden anzusehen, welche im Laufe der Zeit völlig in Vergessenheit gerathen war.

Salzburger Gewerbeblatt, 1877, Nr. 6. S. 41: „Erneuerung der Ledertechnik bei Bucheinbänden“. Von Camillo Sitte. – Amtlicher Katalog der Ausstellung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder Oesterreichs (Wien, Druck des Journals „Die Presse“ 1873, 8°.) Seite 326, Nr. 303.