BLKÖ:Wittelshöfer, Leopold
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Wittenberg, Leopold | ||
Band: 57 (1889), ab Seite: 155. (Quelle) | |||
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[156] zu überwinden, bevor der damalige Commandant von Wien die Concession ertheilte; weitere Schwierigkeiten bildete der Mangel an Mitarbeitern, Lesern und Abonnenten; die Aerzte in Wien und in den Provinzen kannten noch nicht das Bedürfniß einer regelmäßigen Lectüre von medicinischen Wochenblättern, und Wittelshöfer konnte nur schrittweise sich ein Lesepublicum und Theilnahme unter seinen Collegen erwerben. Seitdem hat die Zahl der medicinischen Wochenblätter ungemein zugenommen; in Wien allein wurden seit der Gründung der „Wiener medicinischen[WS 1] Wochenschrift“ etwa 30 derartige Blätter ins Leben gerufen, von welchen viele allerdings schon wieder vom Schauplatze verschwunden sind; aber nicht nur in Wien, auch in allen Provinzhauptstädten Oesterreichs und in sämmtlichen Universitätsstädten Deutschlands, Rußlands, Frankreichs, der Türkei, Walachei, Schwedens und anderer Länder sind medicinische Wochenschriften der Wiener in Form, Aussehen und Eintheilung nachgebildet erschienen und erscheinen deren noch immer. Wittelshöfer verdankte der freisinnigen Richtung, welche er seiner Wochenschrift in allen Fragen des Unterrichts- und Sanitätswesens gab, einen außerordentlichen Erfolg. Die sich treubleibende Haltung im liberalen Sinne, die Unerschrockenheit und Unparteilichkeit nach jeder Richtung hin gewannen ihm einen großen Kreis der hervorragendsten Mitarbeiter in Oesterreich und Deutschland, wie das aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des Blattes 1875 erschienene Autorenverzeichniß nachweist. Diese Tendenz der Wochenschrift, die freisinnige Behandlung der wichtigsten Fragen des Unterrichts-, Sanitäts-, Administrationswesens, zog dem Redacteur Wittelshöfer gar vielerlei Unannehmlichkeiten zu; sein Blatt wurde etwa 30mal confiscirt, er selbst stand wiederholt vor Gericht wegen Preßvergehen. Seine erste Anklägerin war die Gemeinde Wien; zweimal trat die Staatsanwaltschaft im Dienste der clericalen Partei und einmal für das Kriegsministerium gegen ihn auf, und einmal ward er von einem Privatkläger vor Gericht gezogen. Er wurde stets verurtheilt, aber immer wieder amnestirt, und er hat nur die eine Genugthuung, daß alle von ihm angegriffenen Maßregeln und Einrichtungen, um derentwillen er verurtheilt ward, bald in seinem Sinne und nach seinen Vorschlägen abgeändert wurden. Als Journalist erfreut er sich sowohl bei seinen ärztlichen als journalistischen Collegen großer Beliebtheit, wie er auch im Publicum große Popularität genießt. Im Jahre 1875 wurde er mit der Erbauung und Einrichtung des Sanitätspavillons auf dem Wiener Weltausstellungsplatze betraut. Der Pavillon war mehr auf Wunsch der deutschen Kaiserin Augusta, als den Leitern der Weltausstellung entsprechend, ins Werk gesetzt. Wittelshöfer erhielt keinerlei Unterstützung von irgend einer einflußreichen Seite, er unternahm, gestützt auf die ihm ertheilte Vollmacht, den Bau des Pavillons nach eigenem Plane, setzte sich mit den Militär-Sanitätsbehörden im In- und Auslande in Verbindung, bewog die Fabricanten chirurgischer Apparate und aller möglichen Behelfe für Verwundetentransporte zur Theilnahme, trat in Verkehr mit den Hilfsvereinen in Frankreich, Italien, Rußland und Deutschland; stellte Eisenbahnzüge zum Transporte verwundeter Krieger auf und arrangirte im Vereine mit den Professoren Billroth und Baron Mundy einen Congreß ad hoc, [157] der von den hervorragendsten Militärärzten, Professoren der Chirurgie und Fabricanten aus ganz Europa besucht war. Er veröffentlichte einen Katalog der ausgestellten Gegenstände des Sanitätspavillons und leitete denselben mit der Leidensgeschichte seines Unternehmens ein. Der Sanitätspavillon war von vielen Tausend Menschen besucht; alle Potentaten und hochgestellten Gäste, welche nach Wien aus Anlaß der Weltausstellung gekommen, erschienen im Pavillon, nahmen die unstreitig höchst interessante, weil neue Exposition in Augenschein und zollten Dr. Wittelshöfer, der die Besucher daselbst empfing, das größte Lob. Die Kaiserin Augusta richtete an ihn zwei eigenhändige Schreiben und übersendete ihm eine große goldene Medaille, geziert mit ihrem Bildnisse; die Regenten von Bayern, Preußen, Schweden, der Niederlande, der Türkei zeichneten ihn mit Comthur- und Ritterkreuzen und lobenden Anerkennungen aus. Auch hat er durch die Gründung des „Militärarztes“, einer Beilage zur „Wiener medic. Wochenschrift“, wesentlichen Antheil genommen an der Reorganisation des Militär-Sanitätswesens und an der Verbesserung des Loses der Militärärzte in Oesterreich. Er wurde vom Kriegsminister von Kuhn in die große Commission berufen, welche die genannten zwei Reformfragen durchführen sollte, und als das Resultat dieser Berathung nicht zufriedenstellend sich erwies, ward ein Fünfer-Comité niedergesetzt, in welches man ihn gleichfalls berief. Dieses letztere berieth die vorgelegten Fragen und kam zu dem erwünschten Ziele; sein Ergebniß ist die zu Recht bestehende Militär-Sanitätsorganisation und der Personalstatus, wie er in der Armee festgestellt ist. Alle Ministerien, der niederösterreichische Landesausschuß u. a. m. haben schon in Sanitätsfragen Wittelshöfer’s Kenntnisse und Erfahrungen in Anspruch genommen, ebenso wurde er wiederholt vom Auslande um Gutachten angegangen. Die „Wiener medicinische Wochenschrift“ und „Der Militärarzt“ nehmen aber nicht ausschließlich seine schriftstellerische Thätigkeit in Anspruch. Schon 1854 erschien von ihm ein Buch, betitelt: „Wiens Heil- und Humanitätsanstalten, ihre Geschichte, Beschreibung und Einrichtung“ (Wien, Seidl, gr. 8°.), welches, obwohl nunmehr veraltet, noch immer in einzelnen Theilen maßgebend ist. Im Jahre 1858 veröffentlichte er „Die Versorgungshäuser in Wien“, eine Broschüre, die in den betreffenden Kreisen nicht geringes Aufsehen machte. Auch läßt er seit 23 Jahren alljährlich ein „Taschenbuch für Civilärzte“ erscheinen, welches in den weitesten ärztlichen Kreisen als beliebtes Vademecum bekannt ist.
Wittelshöfer, Leopold (Redacteur der „Wiener medicinischen Wochenschrift“, geb. zu Groß-Kanizsa in Ungarn am 14. Juli 1818). Leopold, dessen Vater Buchhalter eines angesehenen Geschäftshauses in Groß-Kanizsa war, besuchte das Gymnasium seines Geburtsortes und setzte seine Studien nach Uebersiedlung seiner Eltern nach Pesth in letzterer Stadt fort. Im Jahre 1835 bezog er daselbst die Universität als Hörer der Medicin, aber schon im zweiten Jahre ging er zur Fortsetzung seiner Studien nach Wien, wo er 1841 das Doctorat der Medicin erlangte. Da er schon ein Jahr vorher seinen Vater durch den Tod verloren hatte, sah er sich seiner mißlichen Vermögensverhältnisse wegen gezwungen, die Spitalspraxis in Wien abzukürzen und sich zu Raab in Ungarn als praktischer Arzt niederzulassen. Daselbst gelang es ihm in der kürzesten Zeit, sich eine ansehnliche Klientel zu verschaffen; er wurde zum Honorarphysicus des Comitates ernannt und war in den ersten Familien der Stadt und des Comitates gern gesehen. Er betheiligte sich auch in hervorragender Weise am politischen Leben, und den mit den bedeutendsten Führern des Comitates Befreundeten fand das Jahr 1848 in Mitte der Bewegung für die liberalen Principien. Als die Nationalgarde gebildet wurde, welche sich später in die Honvédtruppe umgestaltete, war er eines der thätigsten Mitglieder desselben; er verrichtete anfangs Nationalgardistendienst und rückte später mit den Honvéds als Stabsarzt aus, machte die ersten Kämpfe gegen die österreichische Armee mit und zog sich im October 1848 von der activen Truppe zurück, indem er die Leitung des großen Militär-Krankenhauses in Raab übernahm, in welchem er, Oesterreicher, Ungarn und Russen mit gleicher Aufmerksamkeit und Opferwilligkeit behandelnd, bis zur vollständigen Wiederherstellung der Ruhe verblieb. Diese Dienstleistung wurde als Kriegsdienst betrachtet und mit der kaiserlichen Kriegs-Erinnerungsmedaille belohnt. Die Zeit der Reaction trat ein, das Denunciationswesen blühte in Ungarn nicht minder als im übrigen Europa. Wittelshöfer wurde vielfach als „gefährliches Individuum“ bezeichnet, und zwar in einer Weise, daß man ihm selbst von militärischer Seite anrieth, Raab zu verlassen, da er sonst trotz des Wohlwollens von Seite der ihm befreundeten Officiere und Auditore bald nicht mehr vor Untersuchungen und Plackereien geschützt werden könnte. Er verstand den Wink, übersiedelte 1850 nach Wien und faßte den Plan zur Gründung der „Wiener medicinischen Wochenschrift“, der ersten medicinischen Zeitschrift in Deutschland und Oesterreich in der Form und Einrichtung eines Wochenblattes. Er hatte viele Schwierigkeiten- Quellen. Fremden-Blatt. Herausgegeben von Gustav Heine (Wien, 4°.) 17. November 1869, Nr. 317 u. f.: „Proceß Michaelis-Wittelshöfer“. – Constitutionelle österreichische Zeitung (Wien, kl. Fol.) 1864, Nr. 308: „Preßproceß des Dr. Wittelshöfer“. – Neue Freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1869, Nr. 1878 u. f.: „Schwurgerichtsproceß gegen die Medicinische Wochenschrift“. – Berliner Revue. Von J. von Moerner. 39. Band, Heft acht und folgende (1864): „Der Jude Wittelshöfer und der christliche Frauenorden“. – Morgen-Post (Wiener polit. Blatt) 1864, Nr. 309, im Feuilleton: „Urtheilsspruch gegen Dr. Wittelshöfer“. – Oesterreichische Zeitung. Redigirt von Adolf Neustadt (Wien 1864) Nr. 308 u. f.: „Preßproceß“. – Wurzbach v. Tannenberg (Const.). Bibliographisch-statistische Uebersicht der Literatur des österreichischen Kaiserstaates vom 1. Jänner bis 31. December 1855. III. Bericht (Wien, gr. 8°.) Bd. II, S. 844, Marginal 27681–27763.
- Büste. Der Bildhauer Pflugmacher in Wien modellirte im Auftrage des Dr. Lamatsch [158] [Bd. XIV, S. 17, Nr. 2] Wittelshöfer’s Büste aus Terracotta. Dieselbe wurde dem berühmten Arzte bei einem Festmahle, welches ihm einige Freunde 1867 im Hôtel „zum goldenen Lamm“ in der Wiener Leopoldstadt gaben, feierlich überreicht. Die Festrede zur Enthüllung der Büste hielt Hofschauspieler Sonnenthal, der in schwunghaften Worten Wittelshöfer’s zahlreiche Verdienste hervorhob, wie sie auch in vorstehender Lebensskizze dargestellt sind.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: medinischen.