BLKÖ:Wetzel, Johann Karl I.

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 55 (1887), ab Seite: 183. (Quelle)
Johann Karl Wezel bei Wikisource
Johann Karl Wezel in der Wikipedia
Johann Karl Wezel in Wikidata
GND-Eintrag: 118632108, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Wetzel, Johann Karl I.|55|183|}}

Wetzel, auch Wezel, Johann Karl. Wir haben es hier nur mit zwei gleichzeitig lebenden Personen mit gleichen Taufnamen, aber mit einem Rattenschwanze verschiedener Schreibungen des Familiennamens: Wetzel, Wezel, [184] Wötzel, Wözel, Wezl zu thun. Beide Namensträger stehen zu Oesterreich in einigen nur vorübergehenden Beziehungen. Der wichtigere und auch interessantere ist Johann Karl I. Wetzel (geb. in Sondershausen am 31. October 1747, gest. daselbst am 28. Jänner 1819). Nachdem er in Leipzig, wo er mit Gellert in einem Hause wohnte, die Rechte beendet hatte, wirkte er einige Zeit als Erzieher in adeligen Familien, machte mit einem seiner Zöglinge größere Reisen und lebte dann abwechselnd in Leipzig und Wien als Privatgelehrter. In letzterer Stadt als Theaterdichter beschäftigt, soll er sich der Gunst des Kaisers Joseph erfreut haben. In der That hat Wetzel als dramatischer Dichter zu seiner Zeit nicht Unerhebliches geleistet. Schon 1772 veröffentlichte er das dramatische Gedicht „Filibert und Theodosia“, das aber unbeachtet blieb, nicht so das fünfactige Trauerspiel „Der Graf von Wikham“, welches 1774 im Druck erschien. Der Dichter, der damals 27 Jahre zählte, zeigt in diesem Stücke, daß er Shakespeare fleißig studirt und daß Goethe’s „Götz von Berlichingen“ nachhaltigen Einfluß auf ihn geübt habe. Doch wendete er sich – da das große Publicum der ernsten Muse immer weniger hold, oder weil er in sich die komische Ader stärker pulsiren fühlte – dem Lustspiele zu und hat uns in vier (bei Dyck in Leipzig 1778–1787 erschienenen) Bänden fünfzehn Stücke hinterlassen, von denen das eine und das andere bei geschickter Anpassung auf die heutige Bühnenart noch immer günstige Aufnahme finden könnte. Sein komisches Nachspiel „Wildheit und Grossmuth“ (1784) ist sogar ins Französische übersetzt und in Paris mit Beifall aufgeführt worden. Auch auf dem Gebiete der Romandichtung hat er nicht gewöhnliches Talent gezeigt. Die Romane: „Lebensgeschichte Tobias Knaut’s des Weisen, sonst der Stammler genannt“, 4 Bände (1773 u. f.), für dessen Verfasser sogar von Einigen Wieland gehalten wurde, dann: „Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne“, 2 Theile (1776); – „Peter Marks und die wilde Betty, zwei Ehestandsgeschichten“ (1779) und „Hermann und Ulrike“, 4 Bände (1780) fanden zu seiner Zeit dankbare und zahlreiche Leser und auch Gnade vor der Kritik. Noch sei bemerkt, daß Wetzel mit dem philosophischen Schriftsteller Dr. Ernst Platner in eine Polemik gerieth. Die Wirksamkeit unseres Schriftstellers in Wien, wo er, wie oben gesagt, Jahre lang als Privatgelehrter und dann als Theaterdichter lebte, sowie der Umstand, daß ihm Kaiser Joseph seine Huld zuwandte, hätten denn doch schon einen Forscher in der Wiener Cultur- und Literaturgeschichte bestimmen sollen, den Dingen genauer nachzugehen und uns Näheres über Wetzel, dessen tragikomisches Ende auch psychologisches Interesse darbietet, zu berichten. Wetzel verfiel nämlich aus hochmüthiger Selbstüberschätzung, in der er selbst seine Mutter verleugnete, bald nach seiner Rückkehr nach Leipzig in eine Gemüthskrankheit, welche um 1786 in gänzliche Geisteszerrüttung überging. In diesem traurigen Zustande floh er die menschliche Gesellschaft, ließ sich Nägel und Bart wachsen, hielt sich für einen Gott, und gab den von ihm verfaßten Schriften den Titel: „Opera dei Wezelii“. So lebte der Unglückliche noch volle 33 Jahre in seiner Vaterstadt Sondershausen und während seiner Krankheit, in der er bis zu seinem im Alter von 72 Jahren erfolgten Tode von seinen Angehörigen und wohlthätigen Menschen unterstützt wurde, schrieb [185] er die „Werke des Wahnsinns von Wezel dem Gottmenschen“, welche auch den Nebentitel führen: „Gott Wezel’s Zuchtruthe des Menschengeschlechtes“ 4 Bändchen und sogar (Erfurt 1804) gedruckt erschienen sind! Von einer Aufführung der zahlreichen Schriften Wetzel’s können wir umso eher Umgang nehmen, da sie für Oesterreich belanglos sind und er eben nur als Wiener Theaterdichter in Betracht zu ziehen war. Bemerkenswerth aber erscheint es, daß Laube, Wolfgang Menzel, Rudolf Gottschall ihn gar nicht kennen und nur Goedeke in seinem „Grundriß zur deutschen Dichtung“ (Bd. II, S. 681, Nr. 487) ihm jene Aufmerksamkeit zuwendet, die er unter allen Umständen verdient. – Ein anderer nicht minder eigenthümlicher Kauz ist Johann Karl II. Wetzel. Dieser Schriftsteller (Ort und Jahr seiner Geburt ist uns unbekannt) lebte lange Zeit, wie unser Gewährsmann Gräffer berichtet, von 1812–1835 in Wien, worauf er nach Jena zog. In ersterer Stadt schlug er sich noch durch, in letzterer aber verfiel er in arge Noth und soll daselbst schon das Jahr darauf, 1836, in kläglichster Hilflosigkeit gestorben sein. Gräffer, in dessen Verlage Wetzel’s letztes Werk erschien, entwirft von dem Manne, der zu jener Sorte Menschen gehört, die Bücher schreiben, mit denen sie Hausirhandel treiben, nur um zu leben, ein wehmüthiges Bild. Der Autor trug seine Bücher von Haus zu Haus zum Verkauf. Aufsehen erregte seine Schrift: „Meiner Gattin wirkliche Erscheinung nach ihrem Tode. Eine wahre anlängst erfolgte Geschichte“, welche innerhalb eines Jahres, 1804/1805, vier Auflagen erlebte und mehrere Schriften für und wider zur Folge hatte. Bevor er nach Wien gekommen, hatte er in Leipzig eine stattliche Reihe philosophischer Schriften (Anthropologie Psychologie, philosophische Propädeutik, Metaphysik u. s. w.) herausgegeben. Während seines Aufenthaltes in Wien betrat er praktischere Gebiete, und die Titel seiner daselbst herausgegebenen Schriften sind: „Grundriss einer pragmatischen Geschichte der Declamation und der Musik, nach Schocher’s Ideen“ (Wien 1814, Mösle, gr. 8°.): – „Kurzer Grundriss einer declamatorisch-charakteristischen Statistik and Physiognomik aller gebildeten Staaten and Völker, nach Schocher’s Ideen“ (ebd. 1815, Mösle, gr. 8°.); – „Unmittelbare praktische Declamirschule oder Auswahl der schönsten Gedichte erhabenen and traurigen Inhalts, so charakterisirt and bezeichnet, dass sie auch ohne Vorbereitung sogleich gut vorgelesen werden können“ (ebd. 1817, 8°.); – „Grundriss eines allgemein interessanten umfasslichen Lehrgebäudes oder System der Declamation und Mimik mit Anwendung ihrer Gesetze auf Musik, Poesie, Oper, Pantomime und Ballet“ (ebd., 2. Aufl. 1817; die erste erschien 1814, 8°.); – „Versuch einer völlig zweckmässigen Theaterschule oder der einzig richtigen Kunst und Methode, vollkommener Kunstschauspieler, Opernsänger. Pantomime und Ballettänzer in höherem Grade und in kürzerer Zeit zu werden, als auf dem bisherigen Wege“ (ebd. 1818, 8°.); – „Schöne Vorlesekunst für alle gebildeten Personen beiderlei Geschlechtes“ (2. Aufl. 1817, 8°.). Man sieht diesen Schriften, deren Titel völlige Trompetenstöße sind, schon den Hunger ihres Verfassers an, der um Gottes Willen doch auch leben will. Schließlich gab er unter dem Pseudonym Freimund Wolter das „Handbuch einer Universalhistorie oder eine wirklich pragmatische Geschichte der Menschheit“ (Wien 1820, Gräffer, gr. 8°.) heraus, wovon aber nur der erste Band erschienen ist. Was den in den Schriften Wetzel’s wiederholt angeführten Schocher betrifft, den Gräffer einen „berühmten [186] Aesthetiker“ nennt, so war derselbe Privatgelehrter, der außer ein paar kleineren Schriften auch eine „Todtenfeier Leopolds II.“ (Leipzig 1792, gr. 4°.) herausgegeben hat und am 9. März 1810 gestorben ist. Gräffer meint, Wetzel habe eine Partie der Manuscripte Schocher’s – über den wir übrigens weiter nichts erfahren konnten – an sich bekommen. In Deutschland schrieb sich Johann Karl II. Wetzel mit e, in Wien mit ö (Wötzel).

Becker (J. N.). Wezel seit seinem Aufenthalt in Sondershausen (Erfurt 1799, 8°.] – Brümmer (Franz). Deutsches Dichterlexikon. Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten (Eichstätt und Stuttgart 1877, Krüll, 4°.) S. 496. – Jördens (Karl Heinrich). Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten (Leipzig 1806 u. f.) Bd. V, S. 332 –345. – Kurz (Heinrich). Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller (Leipzig 1859, Teubner, schm. 4°.) Bd. III, S. 306 b, 375 a, 381 a, 384 b, 507 a. – Reichsanzeiger, 1799 im Juli: „Auch ein Wort über Wezel. Von Gräter“. – (Wigand’s) Conversations-Lexikon, Bd. XV, S. 186. – Zeitung für die elegante Welt, 1805, Nr. 49.