Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 58 (1889), ab Seite: 260. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
in der Wikipedia
Alois Würzner in Wikidata
GND-Eintrag: 101529007, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Würzner, Alois|58|260|}}

Würzner, Alois (Sprachforscher, geb. in Wien 17. Juli 1855). Nachdem er das Gymnasium zu Wien in der Josephstadt, dann in Krems an der Donau besucht hatte, bezog er 1873 in ersterer Stadt die Hochschule, wo er an der philosophischen Facultät vornehmlich Geschichte und neuere Sprachen betrieb. Noch während seiner Studien wirkte er als Lehrer der französischen Sprache am erzbischöflichen, damals in Wien befindlichen Knabenseminar und als supplirender Lehrer des Deutschen und Französischen an der Staatsrealschule im VII. Bezirke Wiens. 1876 nahm er [261] einen mehrmonatlichen Urlaub, den er in der französischen Schweiz verlebte, um sich mit dem mündlichen Gebrauch des Französischen vertraut zu machen, dann legte er 1878 die Lehramtsprüfung aus der französischen und englischen Sprache ab und begab sich nun mit einem Reisestipendium nach Paris und London. Nach seiner Rückkehr wurde er zunächst wirklicher Lehrer an der k. k. Realschule in Steyr. 1880 erweiterte er seine Lehrbefähigung durch Ablegung der Lehramtsprüfung aus der deutschen Sprache für Oberrealschulen und kam 1881 an die Staats-Oberrealschule zu Sechshaus bei Wien. Infolge von Ueberanstrengung leidend, nahm er einen längeren Urlaub, den er in Südtirol und Italien verbrachte, wo er sich zugleich mit italienischen Sprachstudien beschäftigte. Nach seiner Rückkehr erlangte er 1884 an der Wiener Hochschule das Doctorat der Philosophie und wurde zunächst Professor an der k. k. Staatsrealschule auf dem Neubau, welche Stellung er 1888 mit einer gleichen an der k. k. Staatsrealschule auf der Landstraße in Wien vertauschte. Würzner ist in seinem Fache auch schriftstellerisch thätig. Im Schulprogramm zu Steyr 1879 und zu Wien 1887 erschienen seine wissenschaftlichen Abhandlungen: „Ueber Chaucer’s lyrische Gedichte“ und „Ueber die Orthographie der ersten Quartausgaben von Shakespeare’s „Venus und Adonis“ und „Lucrece“. Zur Methodik des fremdsprachigen Unterrichts an Realschulen veröffentlichte er in der „Oesterreichischen Zeitschrift für das Realschulwesen“ folgende Abhandlungen: 1879: „Wer soll Deutsch an der Oberrealschule lehren?“; – 1880: „Verwerthung der historischen Grammatik des Englischen im Unterrichte“ und 1885: „Verwerthung der Phonetik im Unterrichte der Aussprache des Französischen und Englischen“. Außerdem hat er für die genannte Zeitschrift und für folgende deutsche Fachblätter: „Englische Studien“, „Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte“, „Phonetische Studien“ und „Anglia“ zahlreiche Recensionen über verschiedene in das Gebiet der neueren Sprache einschlägige Werke geschrieben und im Verein mit Prof. Dr. E. Nader herausgegeben: „Englisches Lesebuch für höhere Lehranstalten“ (Wien 1886, Alfr. Hölder) und „Lehrbuch der englischen Sprache, l. Theil: Elementarbuch“ (ebd. 1889). Bei dem Umschwunge in der Methodik des Unterrichts moderner Sprachen ist es am Platze, den Standpunkt zu bezeichnen, auf welchem Würzner als Lehrer steht. Der obligate Unterricht in den modernen Sprachen ist an den österreichischen Realschulen erst 1870, und zwar vorwiegend mit humanistischer Tendenz eingeführt worden. Das Französische und Englische sollte an der Realschule das vertreten, was Latein und Griechisch von jeher an den Gymnasien war. Dies führte zu einer Methode im Unterricht der modernen Sprachen, der dem der antiken Sprachen zu sehr nachgebildet war. Zu der grammatisirenden Methode des Unterrichts kam noch die einseitige Ausbildung der Lehramtscandidaten, die ihr Schwergewicht in theoretisch-philologische Schulung verlegte und in Bezug auf Fertigkeit im Gebrauche einer lebenden Sprache, namentlich im mündlichen Verkehr, sehr viel zu wünschen übrig ließ. Allein eine lebende Sprache kann und soll nicht wie eine todte betrieben werden. Und selbst bei dieser erscheint uns die übliche Methode als nichts weniger denn eine richtige. Die Folge jenes Sprachbetriebes [262] der sich hauptsächlich um Grammatik und Uebersetzung aus der Muttersprache in das fremde Idiom drehte, war: daß ganz unbefriedigende Resultate erzielt wurden. In Deutschland, wo die geschilderten Zustände schon seit langer Zeit bestehen, macht sich seit ungefähr zehn Jahren eine immer mächtiger werdende Bewegung nach Reformen des neusprachlichen Unterrichts geltend, und hat diese Bewegung auch in Oesterreich ihre Vertreter gefunden. Wenn man diese naturgemäßen Reformen kurz zusammenfaßt, so ergeben sich nachstehende Forderungen: 1) Verwerthung der Lautphysiologie im Unterrichte zur Hebung und Besserung der Aussprache (es ist nämlich vom Laut auszugehen und nicht vom Buchstaben); 2) die Lecture steht im Vordergrund des Unterrichts, und zwar werden schon im Anfangsunterricht anstatt der zusammenhanglosen Einzelsätze zusammenhängende Texte vorgeführt, nach und an diesen wird die Grammatik erlernt; 3) die Uebersetzungen aus dem Deutschen in die fremde Sprache sind entweder ganz oder doch für den Anfangsunterricht aufzugeben, und an ihre Stelle treten Uebungen, die sich auf dem Gebiete der fremden Sprache selbst bewegen, wie Dictate, Umformungen, Nacherzählungen u. d. m. Für die angedeutete Sprachreform ist Würzner wiederholt in Wort und Schrift eingetreten. In dem oben angeführten englischen Elementarbuch, dem ersten im österreichischen Staate, das die Forderungen der Sprachreform berücksichtigt, hat Würzner die neue Methode im Wesentlichen durchgeführt.

Deutscher Literatur-Kalender für das Jahr 1884. Herausgegeben von Jos. Kürschner (Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 32°.) XI. Jahrg., S. 550.