BLKÖ:Strambio, Cajetan

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Strakosch, Moriz
Band: 39 (1879), ab Seite: 230. (Quelle)
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Strambio, Cajetan (Arzt, geb. zu Cislago im Mailändischen um 1755, gest. in Mailand 3. Mai 1831). Sein Vater, ein tüchtiger Arzt, bestimmte ihn für denselben Lebensberuf. Er schickte ihn auf die Universität Pavia, wo zu jener Zeit die medicinischen Wissenschaften von ausgezeichneten Aerzten gelehrt wurden, unter denen wir nur den berühmten Borsieri von Kanilfeld [Band II, S. 76], Professor der praktischen [231] Heilkunde an der dortigen Klinik, hervorheben wollen. Nach beendeten Studien betrieb Strambio die ärztliche Praxis zu Carnago, einer Ortschaft im Gebiete von Seprio, später zu Trezzo an der Adda. Es war im Jahre 1782, als in Italien eine aussatzartige Krankheit, dort „Pellagra“ genannt, verheerend auftrat und von den Aerzten theils verkannt, theils gar nicht erkannt, namentlich unter der armen Bevölkerung sich in erschreckender Weise verbreitete. Weder die Wissenschaft, welche nach dem Sitz der Krankheit forschte, noch die Regierung, welche Alles that, um der Zunahme derselben vorzubeugen, erzielten einen nennbaren Erfolg. Die bedeutendsten Aerzte, wie Frapoli, Gherardini, Zanetti, gingen mit dem ganzen Reichthum ihrer Erfahrung an die Erforschung des Uebels, das große Hospital in Mailand (Spedale Maggiore) und die patriotische Gesellschaft hatten Prämien darauf gesetzt, aber kein Gelehrter erschien, um den Preis zu holen. Inzwischen war Strambio seinerseits auf das emsigste mit dem Studium der Krankheit beschäftigt und veröffentlichte zunächst seine Schrift: „De pellagra, Cajetani Strambio M. D. Observationes in regio pellagrosorum nosocomio factae a calendis junii anni 1784 usque ad finem anni 1785“. Diese Abhandlung lenkte die Aufmerksamkeit der Regierung auf den Verfasser, und auf Vorschlag des obengenannten Borsieri, welcher die Geschicklichkeit seines Collegen schätzte, wurde derselbe von Kaiser Joseph II. zum Chefarzt des im Jahre 1784 eigens für die von der Pellagra Befallenen in Legnano errichteten Spitals ernannt. In dieser Eigenschaft wirkte er bis zur Schließung dieser Anstalt Ende 1788. In jener Zeit veröffentlichte Strambio noch die folgenden Schriften, Fortsetzungen seiner ersten: „De Pellagra, annus secundus; sive observationes, quae in regio nosocomio, quod in oppido Legnani pellagrae morbo laborantibus augusta pietas constituit Cajetanus Strambio regius ejusdem nosocomii director collegit anno 1786“ (Mediolani 1787); – „De Pellagra, annus tertius, sive observationes etc.“ (ibid. 1787). Nach Aufhebung des Spitals in Legnano kam Strambio als Primararzt an das große Spital zu Mailand, wo er zur Fortsetzung seiner Studien über diese Seuche die speciell für Pellagrakranke eröffnete Abtheilung zugewiesen erhielt. Als Ergebniß seiner mehrjährigen Beobachtungen veröffentlichte er im Jahre 1794, und zwar diesmal in italienischer Sprache, noch zwei neue Abhandlungen, worin er gegen den sich vordrängenden Brownianismus, dessen Anwendung in der genannten Krankheit ihm als geradezu unzulässig erschien, mit Entschiedenheit zu Felde zog. Da sich dieses neue System in der ärztlichen Welt wider Erwarten schnell einbürgerte, so hatte er, als Gegner desselben von allem Anbeginn, keinen leichten Kampf zu bestehen, der freilich mit seinem Triumphe endete, als selbst die Förderer des Brownianismus, dessen Unhaltbarkeit erkennend, Gegner dieser Reizlehre wurden. In seiner Stellung als Spitalsarzt entfaltete er eine unermüdliche Thätigkeit und galt nicht blos im Krankenhause, sondern auch außerhalb desselben als ein theilnehmender Arzt, als ein wahrer Schutz und Hort der leidenden Menschheit. In der Folge wurde er Director der Irrenabtheilung, [232] und auch hier brach sich sein Humanismus Bahn, zu einer Zeit, wo man die Irren mehr als vernunftlose Thiere, denn als vernunftgetrübte Menschen betrachtete und demgemäß behandelte. Er forderte in seinen Berichten und Anträgen an die Regierung dringend den Bau eines neuen Irrenhauses an Stelle der Senavra, von welcher er bis in die Einzelheiten hinein nachwies, wie mangelhaft sie in den Grundbedingungen einer dem schwerst leidenden Theile der Menschheit gewidmeten Anstalt sei. Er forderte eine solche, gelegen in ländlicher Gegend, in gesunder Luft, in angenehmer, das Auge erfreuender Lage, mit reichlichem Wasserzufluß, mit großen licht- und luftreichen wohnlichen, behaglich eingerichteten Räumen, mit Gartenanlagen, mit Plätzen, geeignet zu mannigfachen Verrichtungen, daneben aber eine ganz neue, man möchte sagen: moralische Heilmethode. Man sieht, Strambio nahm mit seinen Principien in der psychiatrischen Behandlung der Geisteskranken einen Standpunct ein, welcher sich erst ein halbes Jahrhundert später Bahn zu brechen und festen Boden zu gewinnen begann. Er schrieb in einer seiner Abhandlungen die denkwürdigen Worte: „Was sollen alle diese gepriesenen Heilarten, die Abschwächungsmethode, die Reizmittel und alles Andere, was die medicinische Mode erfunden hat, wenn der Arzt es nicht versteht, mit moralischen Hilfsmitteln die Seele zu heilen. Der Arzt wäre doch wahrhaft lächerlich, welcher in der Pharmazie ein Mittel finden wollte für Jenen, dessen Geist durch versagte Liebe, durch gezwungene Ehelosigkeit oder durch Vermögensverlust getrübt worden“. So hatte sich Strambio bereits auf jenen Standpunct in der Psychiatrie emporgeschwungen, der heute siegreich gegen alle Anhänger der alten Zwangsmitteltheorie behauptet wird. Neben diesen beiden Hauptrichtungen seines medicinischen Wirkens, welche im Vorstehenden gezeichnet wurden, war er sonst noch in seinem Fache praktisch und theoretisch thätig; er veröffentlichte in letzterer Beziehung verschiedene Abhandlungen in Fachblättern, u. a. über eine in den Jahren 1795/96 ausgebrochene Viehseuche, deren Ansteckbarkeit und pathologischen Charakter er gründlich erörterte; über das Wesen und die Bedeutung der Fieber; über Affectionen des Gehirns und den Kreis ihrer Ausdehnung im Hinblick auf ihren Ursprung, und mehrere andere. So entwickelte Strambio bis in sein hohes Alter eine segensreiche Thätigkeit. Seine Hauptarbeit aber bleibt immer die Untersuchung über Wesen, Erscheinungen und Heilung der Pellagra, und sein Sohn Johann wahrte das Andenken des Vaters und der Hauptarbeit desselben, indem er dessen Ansichten und Lehren in der unter dem Titel: „Cagioni, natura, sede della Pellagra desunta dai libri di Gaetano Strambio“ (Milano 1824, Bocca, 8°.) herausgegebenen Dissertation zusammenfaßte. Eine deutsche Uebersetzung erschien unter dem Titel: „Abhandlung über das Pellagra; aus dem Italienischen mit Zusätzen aus Allioni’s neuester Schrift und Anmerkungen von K. Chr. Weigel“ (Leipzig 1796 [Joachim], 8°.).

Castiglioni (Cesare), Su’ i Titoli ad una publica Riconoscenza del già tempo defunto Dottore Caetano Strambio. Parole del Dottor fisico (Milano 1857, Chiusi, gr. 8°.).