BLKÖ:Steinheil, Karl August

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 38 (1879), ab Seite: 97. (Quelle)
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Steinheil, Karl August (Naturforscher, geb. zu Rappoltsweiler im Elsaß am 12. October 1801, gest. 14. September 1870). Die vorübergehende Thätigkeit dieses ausgezeichneten Mannes im Dienste des Kaiserstaates gestattet uns nur eine flüchtige Skizze seines Lebensganges, doch sollen die Quellen genau angeben, wo sich Ausführliches über ihn verzeichnet findet. Sein Vater Karl Philipp war Generalrentmeister der Grafschaft Rappoltstein, folgte aber 1807 seinem Fürsten, dem ersten Könige Bayerns, nach München, so daß der Sohn in frühester Kindheit nach München kam. Seine schwächliche Gesundheit gestattete nicht den Schulbesuch, daher erhielt er bis 1821, in welchem Jahre er die Universität Erlangen bezog, Privatunterricht im Elternhause. In Erlangen studirte er von 1821 bis 1823; in diesem Jahre ging er nach Göttingen, wo Gauß, im folgenden Semester nach Königsberg, wo Bessel sein Lehrer war. Im Jahre 1825 kehrte er nach Perlach bei München ins Elternhaus zurück und errichtete sich daselbst eine Privatsternwarte und mechanische Werkstätte. Eine von der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften im Jahre 1835 gestellte Preisaufgabe für einen Photometer zur Messung der relativen Helligkeiten der Sterne löste Steinheil und seine Arbeit wurde am 14. Februar 1835 mit dem Preise gekrönt. In Folge dessen wurde S., der schon seit 1827 außerordentliches Mitglied der Münchener Akademie der Wissenschaften war, ohne Bewerbung in den Staatsdienst gezogen, zum Conservator der mathematisch-physikalischen Sammlung des Staates und zum ordentlichen Professor der Mathematik und Physik an der Münchener Hochschule ernannt. Bis November 1849 diente B. in Bayern. Während dieser Zeit stellte er im J. 1837, der Erste, die von Oersted[WS 1] gemachte Entdeckung des Elektro-Magnetismus in seiner vollen Consequenz ausnützend, den Telegraphen her, welcher die Sternwarte bei Bogenhausen mit seinen Localitäten in München verband. Wenn ihm auch vom Zunftneid der Erfinder die Priorität dieser Erfindung, nämlich des eigentlichen Telegraphen, bestritten wird, ein Stück haben unzweifelhaft diese Einrichtungen aller Orten von ihm und nur von ihm entlehnt: nämlich die Reduction aller Drahtleitungen auf die Hälfte durch ihre Verbindung mit dem Erdboden. Ihm verdankt man zuerst die Anwendung von Glas und Bergkrystall als Material für Maßstäbe und für Gewichte bei Messungen und Wägungen, welche eine constante Genauigkeit erfordern und durch Construction aus diesem Materiale ermöglichen; er construirte, der Erste, die Kugel-, dann die Bandwaage, und das non plus ultra aller der Waagen in der Schneidewaage mit Spiegelscala, welche ein oder zwei Hundertstel eines Milligramms nicht allein abzulesen, sondern wirklich zu wägen gestattet. Eine [98] weitere Erfindung S.’s ist das Pyroskop, eine Vorrichtung, womit Feuerwächter auf Thürmen, auch bei Nacht den Ort des Brandes sicher und leicht bestimmen können. Ferner sind die von ihm erfundenen galvanischen Uhren und ein Apparat, die Kugelspritze genannt, zu erwähnen. Seine Versuche mit einem Kreisel, der, in Verbindung mit dem Dampfkessel einer Locomotive gesetzt, Kartätschenkugeln abschoß, wurden in den bewegten Tagen des Jahres 1848 gemacht und so vielversprechend befunden, daß das königlich bayerische Kriegsministerium den Werth dieser Erfindung zunächst für die Festungsvertheidigung anerkannte. Steinheil’s bald darauf erfolgte Uebersiedlung nach Wien schnitt die weitere Verfolgung dieser Sache ab. Die leidende Menschheit verdankt ferner S. das Verfahren, durch Anwendung von Drähten, welche mit elektrischen Batterien in Verbindung gebracht werden, kranke Theile, zu denen, wie z. B. zu Zähnen, ihrer Lage wegen schwer zu gelangen, und wobei vorerst den Drähten in aller Ruhe die richtige Lage gegeben werden muß, auszubrennen. Fernere Erfindungen S.’s sind: der Heliotrop, eine Spiegelvorrichtung, um das Sonnenlicht mit Sicherheit nach sehr entfernten Orten zu werfen; das Ocular-Heliometer zur Bestimmung der Distanzen und Richtungen zwischen zwei einander nahen Puncten am Himmel; das Passage-Prisma und das Chronoskop, beide zur Zeitbestimmung, u. m. a. Als es im Jahre 1849 sich auch in Bayern um die Einführung des elektrischen Telegraphen für den großen Verkehr handelte, da geschah das kaum Glaubliche, daß man S., der den ersten Telegraphen zwischen München und Bogenhausen aufgestellt, vollständig übergangen hatte. So verstehen es die Ränke einer vielverzweigten Bureaukratie, die reinsten Absichten des edelsten Regenten in den Acten zu umgehen, oft zu fälschen. Und so etwas konnte einem König Max II. geschehen! Da nahm Steinheil die Aufforderung, die von Minister Bruck an ihn erging, an und trat als Sectionsrath in das k. k. österreichische Handelsministerium, wo er die Einrichtung des Telegraphenwesens in Oesterreich übernahm. Er löste diese Aufgabe mit einer des Gelehrten von echtem Schrot und Korn würdigen Unbefangenheit, da er, selbst vor fast anderthalb Decennien der erste Erfinder, alle mittlerweile ins Leben getretenen Verbesserungen prüfte und das der weiteren Entwicklung Fähige anwendete. Als dann Bruck im Jahre 1851 vom Ministerium zurücktrat, fand auch der schöpferische Geist S.’s in der vorzugsweise administrativen Arbeit kein Genügen, S. nahm zuerst einen Urlaub, bat später um seine Entlassung und kehrte in den bayerischen Dienst zurück. Am 19. November 1849 hatte S. München verlassen, um in den österreichischen Staatsdienst zu treten; im Jänner 1852 hatte er in Oesterreich Urlaub genommen, war nach Bern gegangen, zur Errichtung des Telegraphendienstes in der Schweiz, und am 23. Juli 1852 nach in Oesterreich erhaltener Entlassung wieder nach München zurückgekehrt, wo er seinen früheren Posten einnahm. Daselbst wirkte und arbeitete er in seinem Gebiete bis wenige Tage vor seinem Tode. Im Jahre 1854 begründete er in Schwabing bei München eine optisch-astronomische Werkstätte, eine würdige Schwester des älteren Utzschneider-Frauenhofer’schen[WS 2] Institutes, welche die trefflichsten physikalischen Instrumente liefert, unter anderen die Spectral-Apparate, [99] mit welchen Kirchhof[WS 3] das Sonnenlicht analysirt hatte. Im Jahre 1867 wurde er auf der Berliner Conferenz für die europäische Gradmessung von der für die Maßvergleichungen niedergesetzten Commission zur Mitgliedschaft berufen. Bis kurze Zeit vor seinem Hintritte erfreute sich S. ungetrübter Gesundheit. Da erblindete er am 23. August 1870 an einem Auge. Das war aber kein eigentliches Erblinden, sondern nur der erste Vorbote des beginnenden Endes. Allmälig breitete sich die Lähmung über die anderen Theile des Körpers aus und am frühen Morgen des 14. Septembers hatte der edle, rastlose Forscher ausgelebt, S. war 69 Jahre alt geworden. Er war seit 1. Februar 1848 correspondirendes Mitglied der Wiener kaiserlichen Akademie der Wissenschaften mathem.-naturw. Classe. Seine Schriften verzeichnet Poggendorff’s Lexikon. Aus der im Jahre 1827 geschlossenen Ehe mit seiner Cousine Amalia Steinheil aus Frankfurt am Main überleben ihn nebst seiner Gattin sechs Kinder.

Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1870, Nr. 356 und 357: „Nekrolog Steinheil’s“. Von Prof. Seidel. – Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (Wien, 8°.) XXI. Jahrg. (1871), S. 205. – Poggendorff (J. C.), Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften (Leipzig 1863, J. Ambr. Barth, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 996.

Anmerkungen (Wikisource)