BLKÖ:Staudinger, Franz (Zeitungsherausgeber)

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Staudinger, Anton
Band: 37 (1878), ab Seite: 269. (Quelle)
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2. Franz Staudinger lebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien, wo er eine Zeitung, betitelt „Der heimliche Botschafter“, in den Jahren 1791, 1792 und 1793 herausgab. Diese Zeitung wurde aber nicht gedruckt, sondern durch Abschriften vervielfältigt und den sehr zahlreichen Abonnenten in ihre Wohnungen zugestellt. Weckt schon diese Art des Erscheinens das Interesse dafür, so wird dasselbe in Anbetracht der denkwürdigen Zeit, in welcher sie erschien, als nämlich die französische Revolution in Zenith stand, nur noch gesteigert. Auch der Inhalt war ganz dazu angethan, das Interesse für das Blatt zu steigern. Aus der Regierungsperiode Kaiser Leopolds II. und dem ersten Regierungsjahre Kaiser Franz’ II. ist im Vergleich mit den Mittheilungen aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia und des Kaisers Joseph II. über Wien nur sehr wenig bekannt geworden, und doch waren diese drei Jahre für die Geschichte des Wiener Culturlebens nicht weniger interessant wie die früheren und späteren. Wien trug gerade in jenen Jahren einer ungewöhnlichen Aufregung, veranlaßt durch die tragischen Ereignisse im Westen Europas, welche ihren Verlauf immer sichtlicher Weise gegen den Osten nahmen, ein eigenthümliches Colorit. Der Adel war überaus ungenirt, die Theilnahme des Volkes für rohe Vergnügen durch die Pariser Emeuten gefördert, steigerte sich, es gab keinen Tag ohne Ausschreitungen und Schandgeschichten. Die gemeinen Bierhäuser mit ihren tanzenden Bacchantinen, die Thierhetze mit ihrem blutigen Spectakel, die sogenannte Ochsentheilung mit ihren widerlichen Ausschweifungen, der Glückshafen, die verpönten Hanserl- und andere gleichfalls verbotene Spiele standen in voller Blüthe und in keiner Zeit war Wien der Schauplatz so vieler Saufgelage, Raufhändel, Diebstahle, Einbrüche und Straßenräubereien, ja selbst so vieler Morde und Todtschläge, da auch die Todesstrafe aufgehoben war, wie eben damals. Daß also die drei Jahrgänge von Staudinger’s geschriebener Zeitung, deren Inhalt aus pikanten Histörchen, zahlreich mitgetheilten Tagesbegebenheiten und die Sinne der Leser prickelnden Vorfällen besteht, sich großer Theilnahme erfreuten und noch heute, nach bald hundert Jahren, ihr Interesse behaupten, begreift sich leicht. Auch politische Nachrichten theilte „Der heimliche Botschaften“, jedoch immer nur mit größter Discretion, mit. Franz Staudinger’s Comptoir befand sich auf dem Spittelberge in der Burggasse (heut Neubau) Nr. 50 im „goldenen Dattelbaum“. Das Abonnement kostete für den Monat 30 kr. und mußte mittelst der Klepperpost zugesendet werden. Bei wichtigen Anlässen erschien der „heimliche Botschafter“ auch mit Extrablättern. Er erschien jeden Dienstag und Freitag, jedesmal zwei Quartblätter stark. Staudinger selbst besuchte zu seiner Zeit ein ganz kleines unbedeutendes Kaffeehaus im Strobelgäßchen. Die Neuigkeiten, die dort von fünf bis sechs unterrichteten Gästen aufgetischt wurden, oder die er diesen mittheilte, bildeten den Inhalt der geschriebenen Zeitung. In Limwärt’s Kaffeehause wurde sie gewissermaßen redigirt. Der Redacteur der „Theater-Zeitung“. Adolph Bäuerle, besaß ein vollständiges Exemplar dieses für Wiens Sittenzustände in den ersten Jahren [270] des letzten Decenniums des vorigen Jahrhunderts so wichtigen geschriebenen Zeitungs-Blattes. Herausgeber dieses Lexikons hat selbst dieses interessante geschriebene Journal gesehen und zum großen Theil gelesen. Dasselbe ist mit der so reichen Bibliothek ihres Besitzers verschleudert worden. Wohl mag noch hie und da unter den Papieren und Büchern einer oder der anderen älteren Wiener Familie sich das merkwürdige Blatt finden, worauf mit diesen Zeilen mit Absicht aufmerksam gemacht wird. Ueber Franz Staudinger’s eigene und sonstige Lebensschicksale, wie über das Aufhören des „heimlichen Botschafters“, ist mir nichts Näheres bekannt. Wenn ich nicht irre, brachte die „Theater-Zeitung“ im Jahrgange 1858 Auszüge aus Staudinger’s „Botschafter“. –