BLKÖ:Sedlnitzky, Leopold Graf

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 33 (1877), ab Seite: 295. (Quelle)
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Sedlnitzky, Leopold Graf (Bischof von Breslau, geb. zu Geppersdorf in Oesterreichisch-Schlesien am 29. Juli 1787, nach seiner eigenen Angabe, gest. in Berlin 25. März 1871. Ein Sohn des Grafen Joseph, aus dessen Ehe mit Josepha Gräfin Haugwitz und ein Bruder des ehemaligen Präsidenten der Polizei- und Censur-Hofstelle in Wien, Joseph Grafen Sedlnitzky [s. d. S. 284]. „Beide Eltern“, wie der Graf selbst schreibt, „waren im römisch-katholischen Glauben erzogen, demselben mit allem Ernste zugethan und sahen ihn als den einzigen Weg des Heils an, ohne darum weniger liebevoll gegen Andersdenkende zu sein.“ Die ganze Umgegend war streng katholisch. Die Erziehung des jungen Grafen wurde einem römisch-katholischen Geistlichen anvertraut. Seine erste Jugend verfloß zum großen Theile in der Umgebung von Geistlichen. Als er zwölf Jahre alt war, fand sein Vater nach der „damaligen mißbräuchlichen Sitte“ sich veranlaßt, eine Domherrenstelle im Breslauer Hochstifte für seinen Sohn nachzusuchen, die dieser auch erhielt. Die Ernennung fand am 26. März 1798, die Einführung mit der ersten Tonsur am 25. August 1798 Statt. Im Mai 1802 ertheilte der damalige Fürstbischof von Breslau, Joseph Fürst Hohenlohe, dem fünfzehnjährigen Domherrn die Investitur für ein Canonicat bei der Collegiatkirche zum h. Jacobus und Nikolaus in Neiße. Im October 1804 bezog Graf Leopold die Universität in Breslau und begann zwei Jahre später die theologischen Studien. Seine Lehrer waren Exjesuiten oder deren Schüler. „Wie so Viele wurde auch ich in der Ueberzeugung bestärkt, daß die katholische Kirche, auf dem apostolischen Grunde ruhend, nach Heiligkeit strebend, allein die wahre sein könne, wie ich auch glaubte, daß sie von Gott bestimmt sei, einst alle Confessionen in sich aufzunehmen.“ So steht es in den Aufzeichnungen des Grafen aus den Tagen seiner theologischen Studien. Im Juni 1811 wurde er in der Collegiatkirche zum h. Kreuz zum Priester geweiht. Ungeachtet seiner Vorliebe für seelsorgerliche Dienstleistung entschloß er sich, dem Lehramte sich zuzuwenden. In diese Zeit fiel die Säcularisation der geistlichen Güter, die Aufhebung der Klöster und Capitel. Da berief ihn unerwartet der Fürstbischof als Assessor und Secretär in das Vicariatsamt, von welchem die geistlichen Geschäfte der Diöcese geleitet werden. Während er in diesem Dienste thätig war, trat er aus eigenem Antriebe und mit großer Freude einer Gesellschaft bei, welche die h. Schrift unter Christen aller Confessionen verbreitet. Während der Fürstbischof diesen Schritt billigt, wird derselbe von seinem unmittelbaren Vorgesetzten verdammt. „Auf die kirchlichen Verordnungen“ schreibt Graf Leopold, „gegen das Bibellesen hingewiesen, konnte es mir nicht schwer werden, eine große Anzahl Beispiele aus allen Jahrhunderten anzuführen, die mit dem Verbote in entschiedenem Widerspruch stehen. .... Ich mußte aber den Schmerz erleben, daß die h. Schriften, welche an das Vicariatsamt gesendet waren, mit Beschlag belegt wurden, obwohl sie mit bischöflicher Approbation versehen waren.“ Nach einiger Zeit wurde Graf S. Domcapitular und Mitglied der schlesischen Regierung. [296] Als solchem fällt ihm die Beaufsichtigung der katholischen Gymnasien zu. Er gewahrt bald, daß die protestantischen denselben in wissenschaftlicher Hinsicht überlegen sind. Er bemühte sich nun, die katholischen auf die gleiche wissenschaftliche Höhe zu bringen. „Hatte ich auch schon zuvor das Verhältniß der katholischen Kirche zur protestantischen mir klar zu machen gesucht, so wurde ich doch erst jetzt durch meine Stellung gedrängt, mich hierüber gründlicher zu belehren. Um jedoch über das Wesen der protestantischen Kirche größere Klarheit zu erlangen, entschloß ich mich, auf die Schriften zurückzugehen, welche einen symbolischen Charakter an sich tragen und noch eine relative Geltung besaßen. Trotz der geringen Meinung, die ich von dem Protestantismus als Kirche hegte, hatte ich doch für fromme gläubige Mitglieder derselben alle Achtung und stand mit ihnen in freundschaftlichen Verhältnissen. So mit H. Steffens, E. M. Arndt, Schleiermacher, Fürst Hardenberg, Ober-Präsident Merkel.“ – Im März 1830 wurde Graf Sedlnitzky durch Minister von Altenstein als erwählter Domprobst confirmirt und durch den Bischof von Ermeland, Fürst zu Hohenzollern, eingeführt. „Bald darauf wurde der „auf ewig verbotene“ Jesuitenorden von Rom wieder hergestellt. Das machte großes Aufsehen nicht nur bei den Protestanten, sondern auch bei Katholiken und wurde von allen Seiten ungünstig aufgenommen. Auch wurde der Orden damals in den meisten Staaten verboten. So legte ich ein geringes Gewicht darauf, nur war es mir ein trauriges Zeichen der Zeit, daß keine besseren Werkzeuge gewählt wurden, als die Glieder eines Ordens, der wegen seiner sittlichen und religiösen Grundsätze in so üblem Rufe stand. ... Ebenso beklagenswerth war mir das Ueberhandnehmen des Wallfahrtenwesens mit allen daranhängenden religiösen und sittlichen Uebeln. Dann die Steigerung der Heiligenverehrung, die weit über das Maß hinaus, das durch das Verhältniß der Creatur zu ihrem Schöpfer vorgezeichnet ist, bis zur Andichtung fast göttlicher Eigenschaften fortgeht. Sodann die Förderung der Andachten von wunderthätigen Bildern, Statuen, der Glaube an deren Wunderkraft, dann an die Amulette, Medaillen, Rosenkränze und anderer todter Gegenstände, sowie der Ablässe. Dazu die wiederholten Bibelverbote, die mir als die verderblichsten Verirrungen der Zeit erschienen.“ Es trug eine Anzahl von Geistlichen der Diöcese beim Fürstbischof um Abschaffung der lateinischen Sprache bei der Messe und des Cölibats an. Der preußische Cultusminister eiferte dagegen. Fürstbischof von Schimonsky legte den Petenten Strafen auf. Der Ober-Präsident Merkel vertheidigte sie. Da kam der König Friedrich Wilhelm III. nach Breslau und bescheidet den Grafen Sedlnitzky als Vertrauensmann in dieser Angelegenheit zu sich. Der Graf vermittelte eine würdige Beilegung des Streites und Straflosigkeit der Geistlichen. Er selber wünscht die Aufhebung des Cölibats, „weil durch das Gelübde der Ehelosigkeit die christliche Idee von der Ehe zerstört wird.“ Sein Mißtrauen gegen Rom und dessen Absichten begann Gestalt zu bekommen. Aus Acten und Thatsachen gewann er die Ueberzeugung, wie sehr bald nach der Rückkehr der Curie nach Rom das irdische Wesen die Oberhand gewann und die Lust zu herrschen dahin drängte, die Allgewalt in der Person des jedesmaligen Papstes zu vereinigen. Auch drängte sich ihm bald die [297] Einsicht auf, ein wie mächtiges Werkzeug zur Erreichung dieses Zweckes der Jesuitenorden werden kann. Es wurde ihm klar, daß bei der großen Macht des römischen Stuhles mit Hilfe der Curie, der Jesuiten und der Diplomatie die von Gott in seiner Kirche gestiftete apostolische Ordnung nochmals zerstört werden könnte, aber auf Kosten des Friedens der Kirche, des christlichen Staates und der christlichen Familie. Zwei Jahrzehnde hindurch beschäftigte sich Graf Sedlnitzky auf das Eifrigste mit dem Studium der Kirchengeschichte, und nun erschien die ganze Glorie der apostolischen Zeit vor seinem geistigen Auge, während der Heiligenschein der Päpste immer mehr und mehr erblaßte. Im Jahre 1835 starb der Fürstbischof von Schimonsky. Das Capitel erwählte den Grafen Sedlnitzky als ältesten Prälaten zum Bisthumsverweser, dann einstimmig zum Bischofe. Erst auf Wunsch seines Königs nahm, der Graf die Wahl an, der wiederholte Berufungen auf einen bischöflichen Sitz entschieden abgelehnt hatte. Aber eine römische Partei hatte bald sich gegen ihn gebildet und über jede seiner Maßregeln in gehässigster Weise nach Rom berichtet. Anonyme Drohbriefe und Pamphlete erschwerten ihm in nicht geringer Weise sein oberhirtliches Amt. Indessen errichtete der Fürstbischof in Breslau eine Anstalt zur Hebung der Vorbildung der katholischen Geistlichkeit, für welche der König 40.000 Thaler bewilligte. Da erhielt er, statt auf üblichem, amtlichem Wege, unter der Hand durch dritte Personen ein vom 18. Jänner 1839 datirtes Schreiben des Papstes Gregor XVI., das er seinem Inhalte nach anfänglich für apokryph hielt und nicht weiter beachtete, bis er, darauf wiederholt aufmerksam gemacht, darüber sorgfältige Nachforschungen anstellte, welche ihn bald von der Aechtheit des Schreibens überzeugten. In diesem Schreiben beschuldigte der Papst den Bischof, daß er Anlaß zu allgemeinen Klagen wegen seines pflichtwidrigen Gebarens gebe, daß er in der so wichtigen Angelegenheit der gemischten Ehe gesetzwidrig verfahre, daß er, ungeachtet die Bücher des Hermes vom h. Stuhle verworfen sind, doch ein Begünstiger der Hermesianer sei, daß er seinem h. Amte untreu geworden, und dergleichen Vorwürfe mehr. Auf dieses Schreiben antwortete S. am 18. Juni 1839 in würdigster Weise, alle Anklagen entschieden widerlegend, spricht aber zugleich den Entschluß aus, die Bischofswürde niederzulegen. Dieses Schreiben sendete aber der Graf nicht unmittelbar an die Curie, sondern, der Vorschrift gemäß, an das geistliche Ministerium nach Berlin, durch welches es an seine Adresse nach Rom gelangen sollte. Nun erhielt der Bischof die Nachricht, der König wünsche, daß die in seinem Schreiben die Resignation betreffende Stelle wegbleiben möge, da der König die Ueberzeugung trage, die von dem Bischof vorgebrachten Gründe würden nicht unbeachtet bleiben. Nach Jahresfrist erhielt Graf S. ein zweites päpstliches Schreiben – wieder voller Vorwürfe und Anklagen, welche nur noch schärfer und eindringlicher lauteten. Der Graf entwarf seine Rückantwort, worin er sich lediglich auf sein früheres Schreiben berief und nunmehr sein Amt entschieden ohne Rückhalt niederlegte. Mit diesem Entwurfe reiste er nach Berlin, wo inzwischen Friedrich Wilhelm IV. die Regierung angetreten hatte. Die Durchlesung des päpstlichen Schreibens hatte den König sofort die verwickelte Sachlage erkennen lassen. Aber [298] nichtsdestoweniger äußerte er den Wunsch, der Bischof möge seine Resignation zurücknehmen. Als der Graf darauf entgegnete, daß, wenn er sein Amt nicht freiwillig niederlege, die Regierung mit Rom in die widrigsten Kampfe verwickelt werden würde, erklärte der König, daß er diesen Kampf nicht scheue, auch könne bei der vorgeschrittenen geistigen Bildung beider Kirchen ein solcher Kampf nur von kurzer Dauer sein. Nur hierin hatte der König nicht richtig gesehen. Seit jenem Conflicte dauert der lange früher begonnene Kampf immer noch fort und statt abzunehmen, scheint er heftiger und verderblicher zu werden. Erst auf wiederholte Bitten und Vorstellungen des Fürstbischofs genehmigte der König dessen Amtsniederlegung. Nachdem die Resignation angenommen war, ernannte der König den Fürstbischof zu seinem wirklichen geheimen Rathe, mit der Verpflichtung, den Aufenthalt in seiner Nähe zu nehmen. So resignirte Graf Sedlnitzky ohne sich irgend eine Competenz vorzubehalten, auf sein Bisthum und siedelte nach Berlin über. Denen, die durch seinen Abgang von Breslau gelitten, gewährte er Pensionen. In Berlin lebte er sehr still und zurückgezogen. Aus seinen Ersparnissen sammelte er einen Fonds für Gründung des „Paulinums“ und „Johanneums“. Das Paulinum ist eine von dem Bischofe 1862 gestiftete und reich dotirte Pensionsanstalt für unbemittelte Gymnasiasten unter Aufsicht eines classisch gebildeten, verheiratheten Inspectors und eines Adjuncten. Auf diese Weise ist den Zöglingen zugleich ein freundliches Familienleben und Förderung in ihren Studien geboten. Die Anstalt ist für evangelische Zöglinge bestimmt. Dann stiftete der Graf im Jahre 1869 das „Johanneum“. Zu diesem Zwecke kaufte er in der Nähe der Berliner Universität ein Haus und richtete es zu Wohnungen für etliche zwanzig Studirende der evangelischen Theologie ein. Er sorgte nun dafür, daß die Studenten in einem gemeinschaftlichen Speise- und Musiksaale billige und gute Verpflegung und kameradschaftliche Geselligkeit finden. Drei Professoren aus der theologischen, philosophischen und juristischen Facultät und ein Geistlicher führen die Aufsicht über das Johanneum, doch in einer Weise, daß der dort Aufgenommene in seiner akademischen Freiheit nicht allzusehr beschränkt werde. Neben diesen beiden von ihm gegründeten Anstalten übte der Graf Wohlthätigkeit im ausgedehntesten Maße. Arme und Kranke unterstützte er auf das Ergiebigste. Gemeinnützigen Vereinen, den Typhus-Waisen in Schlesien brachte er reiche Opfer. Seiner Bürgerpflicht ist er stets nach seiner Ueberzeugung treu geblieben. Noch am 6. März 1871, wenige Wochen vor seinem Tode, trat der 84jährige Greis zur Wahlurne. Lange war man im Ungewissen, ob er noch Katholik sei, oder zum evangelischen Glauben übergetreten sei. Erst ein Schreiben, welches sein Nachfolger auf dem Bischofssitze von Breslau aus am 17. Februar 1863 an den Grafen richtete, worin er die Frage an ihn stellte, ob er noch ein Glied der katholischen Kirche sei, erwiederte der Graf, „daß er nach einer langen, reiflichen Ueberlegung sich von dem hohen Werthe des evangelischen Glaubens überzeugt hatte und diesem gemäß sich in seinem Gewissen gedrungen fühlte, denselben zu bekennen und sich der Gemeinschaft der evangelischen Kirche anzuschließen.“ Dieser Uebertritt aber war am 12. April 1863 in aller Sülle und ohne alle Formalitäten erfolgt, indem er einfach und [299] ohne vorherige Anmeldung an dem Abendmahle in der Friedrich-Werder’schen Kirche zu Berlin theilnahm. Seit der Reformation ist Leopold Graf Sedlnitzky der erste deutsche Bischof, der sich zum evangelischen Bekenntnisse wendete. Nach einer kurzen Krankheit endete ein Hirnschlag sein irdisches Leben. Seine Leiche wurde nach Schlesien gebracht, um in Rankau bestattet zu werden. Denn in schlesischer Erde sollte sie nach seinem Willen ruhen. Auch in seinem Testamente hatte er Schlesien reichlich bedacht.

Selbstbiographie des Grafen Leopold Sedlnitzky von Choltic, Fürstbischofs von Breslau, gest. 1871. Nach seinem Tode aus seinen Papieren herausgegeben. Mit Actenstücken (Berlin 1872, Stulp u. Hertz, 8°.). Porträt. Unterschrift: Leopold Graf Sedlnitzky. Zeichnung von F. Graf Harrach. Holzschnitt von A. Vogel.