BLKÖ:Potocki, Johann (Reisender)
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 23 (1872), ab Seite: 161. (Quelle) | |||
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[162] Dieses ungeheure Werk sollte mit dem Zuge des Darius nach Szythien beginnen und mit dem zehnten Jahrhunderte nach Christi Geburt abschließen und dieser Zeitraum von etwa 15 Jahrhunderten in 69 Büchern behandelt werden. Als erster Band dieses umfangreichen Sammelwerkes erschienen im Jahre 1793 die „Chroniques, memoires et recherches“ [die Titel seiner Schriften folgen weiter unten]. In der Ausführung dieses Gedankens wurde jedoch der Graf durch neue Reisen unterbrochen, die freilich wieder auch zur Aufsuchung von Materialien für sein Geschichtswerk nöthig wurden, wenngleich ihn auf denselben vielfache Gegenstände von ihm wichtigen Interesse immer wieder abzogen. So begab er sich denn im Jahre 1793 von Neuem auf Reisen, und zwar nach Deutschland, wo er mehrere Jahre hindurch theils bei dem Prinzen Heinrich von Preußen, der ihn hochschätzte, theils in Wien, theils auf gelehrten Ausflügen in verschiedenen deutschen Städten verlebte. Auf denselben verweilte er auch einige Zeit, im Jahre 1794, in Niedersachsen, dann in Mecklenburg, in den Umgebungen von Hamburg und Lübeck, überall nach den Spuren und Resten des Slaventhums, die dort sich vorfanden, forschend. Im Jahre 1797 wendete Graf Johann sein Augenmerk anderen Objecten zu. Er war nunmehr russischer Unterthan geworden und wollte die entfernten Gebiete dieses großen Reiches kennen lernen; um die Ueberlieferungen Herodot’s und anderer alter Schriftsteller an Ort und Stelle zu prüfen, unternahm er im Jahre 1798 eine wissenschaftliche Reise nach dem Kaukasus, wo er ein ganzes Jahr, mit ethnographischen Forschungen beschäftigt, verlebte. Nach seiner Rückkehr begab er sich nach St. Petersburg, um die Ergebnisse seiner Forschungen niederzuschreiben und ihren Druck zu überwachen. Kaiser Alexander I., dem Forscher in besonderer Huld zugethan, ernannte ihn zu seinem geheimen Rathe und wies ihn dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu, während zahlreiche gelehrte Akademien des Auslandes ihm ihre Diplome übersandten. Im Jahre 1803 unternahm er – und dieses Mal zunächst zur Stärkung seiner durch viele Strapazen hart angegriffenen Gesundheit – eine Reise nach Italien, wo er fast das ganze Jahr verweilte. Nach seiner Rückkehr nach Petersburg wurde er in der Eigenschaft eines Obmannes der gelehrten Section, der großen russischen Gesandtschaft zugewiesen, welche unter Führung des Grafen Golowkin nach China bestimmt war, um mit dem himmlischen Reiche neue Handelsverbindungen zu eröffnen. Aber feindselige Einflüsse vereitelten dieses große Vorhaben und Potocki mußte, wie die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft, in Kiachta Halt machen. Die folgenden Jahre 1808 und 1809 brachte P. auf seinen Gütern in Volhynien, vornehmlich in Tulczyn, den Winter aber in Krzemieniec zu, wo er in der dortigen Lyceal-Bibliothek, die ihm manche Bereicherung verdankt, fleißig arbeitete. Im Jahre 1810 kehrte er nach Petersburg zurück und beschäftigte sich theils mit historischen Arbeiten, theils mit der Redaction der dort erscheinen, den französischen Zeitung: „Le Conservateur Impérial“, welche viele Artikel aus seiner Feder enthält. Nach dem Kriege des Jahres 1812 zog er sich aber ganz auf seine Güter zurück und lebte auf denselben in Podolien, Volhynien und der Ukraine, in den letzten Lebensjahren eine Beute tiefster Schwermuth, von welcher umnachtet, er auch, erst 54 Jahre alt, sein Leben endete. Groß ist die Zahl seiner Schriften, deren größerer Theil der Erforschung der Geschichte slavischer Völker gewidmet ist. Jene, welche die Chronologie und die alle Geographie derselben behandeln, fanden in der gelehrten Welt, selbst im Ausland unbedingte Anerkennung. Wie schon bemerkt worden, schrieb er Alles in französischer Sprache und ließ, in besonderer Eigenthümlichkeit, von seinen verschiedenen Werken nicht größere Auflagen als von 100 Exemplaren machen, weßhalb dieselben so selten sind, daß sie selbst in größeren Bibliotheken nicht vorgefunden werden. Die Titel seiner Schriften sind: „Voyage en Turquie, en Egypte fait en 1784“ (Warschau 1788, 12°.); – … edition 2de révue, corrigée et augmentée de voyage en Hollandie fait pendant la révolution 1787“ (Warschau 1789, 8°.), eine polnische Uebersetzung der zweiten Ausgabe erschien ebenda im Jahre 1789 und dann in Krakau im Jahre 1849; – „Essai sur l’histoire universelle et recherches sur celle de la Sarmatie“ (Breslau 1789, 4°.; auch in 2 Bänden Warschau 1789, 8°.); – „Essai d’aphorismes sur la liberté“ (Warschau 1791, 4°.); – „Voyage dans l’empire de Maroc fait en l’année 1791. Suivi du voyage de Hafez, récit oriental“ (ebd. 1792, 8°.); – „Chroniques, Mémoires [163] et Recherches pour servir à. l’histoire de tous les peuples slaves“ (ebd. 1793, 4°.); – „Réceuil de parades représentées sur le théâtre de Lancut dans l’année 1792“ (ebd. 1792), es ist dieß eine Sammlung von sechs Comödien satyrischen Inhalts; – „Voyage dans quelques parties de la Basse Saxe pour la récherche de antiquités Slaves fait en 1794“ (Hamburg 1794, mit 31 Tafeln Abbildungen); – „Fragments historiques et géographiques sur la Scythie, la Sarmatie et les Slaves“, 4 vol. (Braunschweig [Berlin] 1796, 8°., mit Karte); – „Mémoire sur un nouveau Périple du Pont-Euxin ainsi que sur la plus ancienne histoire de peuple du Taurus, du Caucase et de la Scythie“ (Wien 1796, 4°.), mit Karte), später von Klaproth im 1. Bande von Potocki’s „Voyage dans les Steps d’Astrakhan“ wieder abgedruckt; – „Histoire primitive des peuples de la Russie …“ (Petersburg 1802, 4°.), dieses Werk schrieb P. mit besonderem Hinblicke auf das 4. Buch Herodots, gleichsam als Commentar desselben; – „Dynastie du second livre de Manethon“ (Florenz 1803, 8°., n. A. Petersburg 1805, 4°.); – „Histoire ancienne du gouvernement de Cherson“ (Petersburg 1804, 4°.); – „Histoire ancienne du gouvernement de Podolie“ (ebd. 1805, 4°.); – „Histoire ancienne du gouvernement de Volhynie“ (ebd. 1805, 4°.), diese drei letztgenannten Werke schließen sich ergänzend an die obige Urgeschichte Russlands (Histoire primitive etc.) an; von dem letzten, der Geschichte Volhyniens, erschien auch im Jahre 1829 eine russische Uebersetzung; – „Examen critique du fragment égyptien connu sous le nome d’ancienne chronique“ (Petersburg 1808, 8°.); – „Principes de Chronologie pour les temps antérieures aux Olympiades“ (ebd. 1810, 4°.); – „Atlas archéologique de la Russie européenne“ (ebd., 2. Aufl. 1810, 6 Karten in Fol.; 3. Aufl. 1826); – „Voyage dans le steps d’Astrakhan et du Caucase …“ 2 Bände (Paris 1829, mit 7 K. K. u. 2 Kart.), dieses Werk gab mit eigenen Zusätzen Klaproth heraus; – „Manuscrit trouvé a Saragosse“ (Paris 1804), in diesem von P. in seinen Mußestunden niedergeschriebenen Romane schildert er die Abenteuer eines spanischen Edelmannes und gibt dabei anziehende Darstellungen der Sitten der Mauren, Spanier und Sicilianer. Nachdem die erste, nur 100 Exemplare starke Auflage erschöpft war, theilte P. das Werk in zwei Abtheilungen, die erste betitelt: „Avadoro, histoire espagnole“, 4 Bde. (Paris 1814, 12°.), die zweite betitelt: „Dix journées de la vie d’Alphonse von Worden“ 3 Bde. (ebd. 1814, 12°.). Dieses Werk wurde öfter noch wiedergedruckt; im Jahre 1842 von einem Grafen Chorchams an das Pariser Journal „La Presse“ als Original verkauft, das Plagiat aber noch nach dem Abdrucke entdeckt; viele Jahre später erst erschien eine polnische Uebersetzung: „Rękopism znaleziony w Saragossie“, von E. Chojecki, in 6 Bänden (Leipzig 1847) und wieder abgedruckt in Gertsmann’s Hausbibliothek (Biblioteka domowa [Bruxelles 1862, tom 24–29]). – J. M. Quérard in seinem Werke: „La France littéraire“ (Paris 1835 u. f, 8°.) Bd. VII, S. 296, schreibt dieses Werk dem Grafen Joseph Potocki zu. Die Ansicht Barbier’s, der ganz richtig den Grafen Johann P. als Autor bezeichnet, findet Quérard „d’autant plus hasardée et guère vraisemblable, si l’on fait attention au genre d’écrits qui portent le nome de comte Jean Potocki“. Als wenn die größten Gelehrten nicht auch poetische und romantische Allotria geschrieben hätten! – Viele in Handschrift hinterlassene Arbeiten des Grafen P. befinden sich in der gräflichen Bibliothek zu Willanow, in der Ossoliński’schen zu Lemberg und in der Pawlikowski’schen zu Medyka (jetzt wohl zu Lemberg). Ausführlichere Mittheilungen über des Grafen Johann Leben gibt Baliński in seiner in den Quellen bezeichneten Schrift. Der Graf Johann war, wie aus der angeschlossenen Stammtafel ersichtlich, dreimal vermält, hatte aus jeder Ehe Kinder und seine letzte Frau überlebte ihn um 35 Jahre. Graf Johann ist in directer Linie Großvater des gewesenen österreichischen Minister-Präsidenten Grafen Alfred P. [s. d. S. 147] und des Reichsraths-Abgeordneten Grafen Adam [S. 153, Nr. 2]. Nach dem „Genealogischen Taschenbuche der gräflichen Häuser“ 1862 ist Graf Johann erst am 12. December 1816 gestorben. [Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon. Zweite Abthlg. Bd. IV, S. 737, Nr. 5 [nach diesem gest. zu Oladowka 1816). – Baliński (Michael), Wizerunki i rostrząśnienia naukowe, Bd. VI, S. 66 u. f. – Przyjaciel ludu, d. i. der Volksfreund (illustr. polnisches Volksblatt, schm. 4°.) 1837, S. 357 [164] u. 365: „Jan Potocki (mit Porträt im Umrisse auf S. 360). – Woycicki (K. Wl.), Historyja literatury polskiej w zarysach, d. i. Geschichte der polnischen Literatur in Umrissen (Warschau 1848, Sennewald, gr. 8°.) Bd. III, 304 (nach diesem gest. zu Sewerynow bei Berdyczow am 20. November 1815). – Chodynicki (Ignacy), Dykcyonarz uczonych Polaków etc., d. i. Lexikon der gelehrten Polen (Lemberg 1833, 8°.) Bd. II, S. 341. – Encyklopedyja powszechna, Bd. XXI, S. 434. – Rycharski (Lucyan Tomasz), Literatura polska w historyczno-krytycznym zarysie, d. i. Polnische Literatur im historisch-kritischen Grundriß (Krakau 1868, Himmelblau, gr. 8°.) Bd. II, S. 69 u. 70. – Biographie nouvelle des Contemporains etc. (Paris 1824 et s., à la librairie histor., 8°.) Tome XVIII, p. 45. – Porträt. Jean Potocki. Schenck et Me Farlane Lithrs Edinburgh (4°.). –
22. Johann Potocki (Reisender, Geschichtsforscher, geb. 8. März 1761, gest. 2. December 1815). Ein Sohn Joseph’s P. von der Lancuter Linie und einer Gräfin Ossolińska. Graf Johann zeigte in früher Jugend ungewöhnliche Geistesgaben, insbesondere ein vortreffliches Gedächtniß. Seine Erziehung erhielt er zugleich mit seinem Bruder Severin in Genf und Lausanne; er verlegte sich mit großem Eifer auf Erlernung der alten und neueren Sprachen und eignete sich von letzteren die französische so vollkommen an, daß er sie besser sprach und schrieb als seine eigene Muttersprache, worin auch der Grund zu suchen ist, warum er seine sämmtlichen Werke in derselben verfaßte. Außerdem besaß er eine gründliche Kenntniß der griechischen und römischen Classiker, besonders der historischen. Nach seiner Rückkehr in’s Vaterland trat er zuvörderst in die österreichische Armee ein und machte im Jahre 1778 als Cavallerie-Officier den bayerischen Erbfolgekrieg mit. Nach dem Friedensschlusse unternahm er, seiner längst gefühlten Reiselust folgend, in den Jahren 1778 und 1779 zunächst eine längere Reise nach Italien, Sicilien, Malta, wo er Malteserritter wurde, und nach Tunis, welche erste Reise seinen Entschluß zu anderen größeren hervorrief. Im Jahre 1783 trat er aus dem Verbande der österreichischen Armee, vermälte sich mit der Prinzessin Julie aus dem Fürstenhause Lubomirski und unternahm schon im folgenden Jahre seine Reise nach Constantinopel und nach zweimonatlichem Aufenthalte daselbst nach Egypten, wo er Alexandrien, Cairo und die Pyramiden besuchte und in dieselben den sprechenden Vers von Delille: „Leur masse indestructible a fatigué le temps“ eingrub. Ueber Venedig zurückkehrend, begab er sich nun nach Paris, wo er vier Jahre verlebte und im Frühlinge 1787 nach Holland ging, wo eben damals der Bürgerkrieg wüthete. Die politischen Wechselfälle seines eigenen Vaterlandes riefen ihn in dasselbe zurück, und dort in den Reichstag gewählt, kam er den Obliegenheiten eines Volksvertreters mit allem Eifer nach. Die Muße, die ihm sein Beruf als Abgeordneter ließ, benützte er theils zu Studien, theils zur Herausgabe seiner Reisewerke. zu welchem Zwecke er in seinem Palaste in Warschau eine eigene Druckerei errichtete, die er überdieß auch der öffentlichen Benützung überließ. In seinem Eifer für die Sache des Vaterlandes verpflichtete er sich auf dem Reichstage im Jahre 1789 zur Auszahlung einer jährlichen Summe von 18.000 fl. poln. zur Vermehrung der Sappeurs und versicherte diesen Betrag auf seinen Gütern. Im Jahre 1791 ging er wieder auf Reisen und besuchte nun England, Spanien und Marokko, von wo ihn neuerdings die politischen Ereignisse seiner Heimat in dieselbe zurückriefen. Im nächsten Jahre trat er als Freiwilliger in der Eigenschaft eines Ingenieur-Hauptmanns in die heimische Cavallerie-Brigade ein, mit welcher er unter dem Befehle seines Bruders Severin den Feldzug des Jahres 1792 mitmachte. Indessen lag er wie vor seinen wissenschaftlichen Studien und Arbeiten ob, und damals entstand in ihm der großartige Gedanke einer Bearbeitung der alten Geschichte des ganzen Slaventhums, zu welcher er durch Beischaffung von Materialien aus allen nur denkbaren Geschichtsquellen die Voranstalten traf.