BLKÖ:Pichel, auch Pichl, Wenzel

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Picek, Wenzel Jaromir
Band: 22 (1870), ab Seite: 220. (Quelle)
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Pichel, auch Pichl, Wenzel (Tonsetzer, geb. zu Bechin in Böhmen im Jahre 1741, gest. zu Wien im Juni 1804). Seit seinem siebenten Jahre erhielt er, und zwar von dem Bechiner Schulrector Johann Pokorny, Unterricht in der Musik. Im Jahre 1753, damals 12 Jahre alt, kam er als Sängerknabe nach Brzeznicz in das Jesuitenseminar, wo er bei dem Genusse der dortigen Stiftung das Gymnasium besuchte. Nach beendeten Humanitätsclassen begab sich P. nach Prag, fand als Violinspieler [221] im St. Wenzels-Seminar Aufnahme und hörte zu gleicher Zeit an der Prager Hochschule Philosophie, dann Theologie und zum Theile auch die Rechte. Im Jahre 1762 erhielt er an der Haupt-Pfarrkirche am Thein eine Anstellung als erster Chorgeiger und nahm zu gleicher Zeit selbst Unterricht im Contrapuncte bei dem berühmten Capellmeister Joseph Segert. Im Jahre 1764 folgte er einem Rufe des kunstliebenden Bischofs von Großwardein, Patachich [Bd. XXI, S. 341], als Vicedirector seiner Capelle, wo er in den Nebenstunden sich mit der Abfassung mehrerer lateinischer Operetten beschäftigte, als: „Olympia Jovi sacra“; – „Pythia seu ludi Apollinis“; – „Certamen Deorum“, u. m. a., wozu er selbst und der bei dem Bischofe als erster Capellmeister angestellte Dittersdorf [Bd. III, S. 316] die Musik componirte. Nachdem er im J. 1769 einen Ruf als Musikdirector nach St. Petersburg abgelehnt, nahm er einen ähnlichen Posten bei Louis Grafen Hartig an, ging zwei Jahre später als erster Violinist zum k. k. National-Theater in Wien, in welcher Stellung er verblieb; bis ihn im Jahre 1775 die Kaiserin Maria Theresia, nachdem sie seine musikalischen Talente rühmen gehört, zum Musikdirector für den Erzherzog Ferdinand Este, damaligen Gouverneur und General-Capitän der Lombardie ernannte. 21 Jahre bekleidete P. dieses Amt in Brüssel und in Mailand und hatte während dieser Zeit Gelegenheit, nicht nur mit den ersten Componisten jener Zeit, welche in Italien lebten oder dahin kamen, bekannt zu werden, sondern auch die merkwürdigsten Städte der Halbinsel, als Rom, Neapel, Florenz, Mantua, Parma, Venedig, Ferrara u. a. kennen zu lernen. Als die Franzosen im Jahre 1796 in der Lombardie einfielen, kehrte P. im Gefolge des Erzherzogs Ferdinand nach Wien zurück. Seit seiner Rückkehr arbeitete P. sehr fleißig, sowohl in Kammer- als Kirchenmusik, und brachte mehrere große Werke, unter anderen ein Te Deum und eine solenne Messe, zur Aufführung, welche am 22. September 1799 von der italienischen Nation in Wien zur Danksagungsfeier für die Räumung Italiens von dem Feinde in der dasigen italienischen Kirche von 180 Tonkünstlern mit großem Beifalle veranstaltet wurde. Noch einmal, im Jahre 1802, besuchte er mit seiner Tochter, die eine ausgezeichnete Sängerin und am Hofe der Herzogin von Parma, Erzherzogin Maria Amalia, als Kammerfrau angestellt war, seine Heimat Böhmen, dann kehrte er nach Wien zurück, wo er im Juni 1804, während eines Concertes, das er bei Joseph Fürsten Lobkowitz spielte, am Schlagflusse im Alter von 63 Jahren starb. Die philharmonische Gesellschaft in Mantua hatte P. im Jahre 1779, jene von Bologna im Jahre 1782 das Diplom eines ordentlichen Mitgliedes zugesendet. Einen zweiten Antrag, der ihm im Jahre 1782 von Seite des russischen Hofes als Capellmeister mit ansehnlichem Gehalte gemacht worden, hatte P., der damals noch in Italien war, auch abgelehnt, weil er nicht den milden Himmel Italiens mit dem rauhen nordischen Klima vertauschen mochte. Die Zahl seiner meist in Amsterdam und Lyon gestochenen Werke beträgt im Ganzen 45 Nummern; außerdem hat er aber noch eine große Anzahl Compositionen während seines Dienstes bei dem Bischöfe Patachich in den Jahren 1764–1769, dann während seines mehr als zwanzigjährigen Aufenthaltes in Italien in den Jahren 1776–1796 und nach seiner [222] Rückkehr in Wien in den Jahren 1798 bis 1803 vollendet. Die Zahl seiner Werke stellt sich folgendermaßen: Opern: 4 lateinische; 1 deutsche; 8 französische; 3 Opere serie italiane; 4 komische italienische Opern; – Kirchenmusik: 14 solenne Messen; 4 Pastoralmesse; 1 Todtenmesse; 2 Choralmessen; 17 kleine Messen; 22 Psalmen; 9 Offertorien; 1 Te Deum solenne; 4 Tantum, ergo; 1 Dies irae; 4 Miserere; 6 Motetten; 2 Graduale; – Kammer- und andere profane Musik: 1 Cantate; 29 Concerte, darunter mehrere große; – 3 Concertini; 89 Symphonien, darunter eine betitelt „die neun Musen“, eine zweite „die drei Grazien“, eine dritte „die zwölf Götter der alten Mythologie“, unter diesen Symphonien sind mehrere auf ganzes Orchester; 17 Serenaden, darunter 4 große; 30 Sonaten; 12 Sonatinen; 6 Fugen; 49 Capriccio; 224 Variationen; 6 Arrietten; 64 Duetten; 39 Trio; 172 Quartetten; 21 Quintetten; 6 Sesetten; 7 Septetten; 7 Ottavini. Im Ganzen also 887 Nummern, darunter eine große Anzahl von ansehnlichem Umfange, auch viele für ganzes Orchester und für die verschiedensten Instrumente. Dlabacz in seinem Künstler-Lexikon führt sie einzeln auf und bemerkt unter Nr. 66: „Varii Quartetti (148 Nummern), Quintetti e Sestetti per Signor principe Esterhazi“, welche also in der obigen Zahl 887 nicht mit inbegriffen sind. Ferner hat Pichl Mozart’s „Zauberflöte“ mit böhmischem Texte versehen und mehrere böhmische Lieder und Gesänge in Musik gesetzt. Ueber den ästhetischen Werth der Compositionen dieses „berühmten Componisten und Violinisten“, wie ihn Gerber nennt, liegt leider in den verschiedenen musikgeschichtlichen Werken nichts vor. Merkwürdiger Weise scheint er ungeachtet seiner immensen Fruchtbarkeit ganz vergessen.

Dlabacz (Gottfr. Johann), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Gottl. Haase, 4°.) Bd. II, Sp. 457. – Gerber (Ernst Ludwig), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 711. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, gr. 8°.) S. 686 [nach diesem geboren im Jahre 1743, gestorben im Jänner 1805). – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach; fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden 1857, Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 186. – Dalibor. Časopis pro hudbu, divadlo a umění vůbec, d. i. Dalibor. Zeitschrift für Musik, Theater u. s. w. Redigirt von Emanuel Melis (Prag, 4°.) VII. Jahrg. (1864), Nr. 3, S. 19 [Uebersetzung des Artikels in Dlabacz’ „Künstler-Lexikon“). – Biographie des Adalbert Gyrowetz (Wien 1848, Mechitaristen-Druck, gr. 8°.) S. 36.