Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Lanner, Joseph
Band: 14 (1865), ab Seite: 130. (Quelle)
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Lanna, Adalbert (Industrieller, geb. zu Budweis in Böhmen 23. April 1805). Sein Vater war ein nur wenig vermögender Schiffmeister zu Budweis. Der Sohn besuchte das Gymnasium und ging zu Anfang der Zwanziger Jahre nach Prag, um die Technik zu studiren; unter Gerstner, der auf den strebsamen Jüngling nicht ohne Einfluß geblieben sein mochte, hörte er die Mechanik. Nach beendeten Studien widmete er sich dem Geschäfte seines Vaters, erlernte im Schiffgarten zu Budweis den praktischen Schiffbau und die Schifffahrt und that dann als Steuermann, indem er des Vaters eigene Zillen – wie die Moldaukähne heißen – führte, praktische Dienste. Sein Drang nach Selbstständigkeit und die der Jugend eigene Sehnsucht nach der Ferne, bestimmten ihn zu einer Fahrt nach Hamburg, wo er den Handel mit böhmischen Eichenstämmen einzuleiten beabsichtigte. Er unternahm die [131] Fahrt und lange war nichts von ihm, oder, was die Eltern sehr besorgt machte, wenig Tröstliches, wie von verunglückten Speculationen, einer Flucht nach Amerika u. dgl. m. zu hören. Schon hatte die Mutter in ihrer Herzensangst eine Wallfahrt nach Maria-Zell unternommen und als sie von derselben zurückkehrte, ihren Sohn frisch und gesund daheim gefunden. Der Erfolg dieses ersten Ausflugs war ein über alle Erwartung günstiger gewesen. Nicht nur hatte L. Etwas gesehen und Vieles erfahren, sondern sich im Interesse seiner Sache nach allen Seiten umgethan und einen ununterbrochenen gewinnreichen Holzhandel nach Deutschland, besonders nach Hamburg angeknüpft. Bald wurde nun L. k. k. Schiffmeister in Budweis, begründete außer dem Handel mit Holz auch noch den Exporthandel mit anderen in Böhmen leicht zu erwerbenden und im Auslande gesuchten Artikeln, u. a. mit Graphit, wovon ganze Ladungen nach England und bis nach Amerika gingen, so daß das Geschäft bald im hohen Grade schwunghaft sich gestaltete. Aber L. sah bald ein, daß seine eigenen Mittel nicht ausreichten, um das so günstig Begonnene auf die Dauer in gleichem Schwunge zu erhalten. Die Association sollte ihn in den Stand setzen, seine Unternehmungen zu fördern. Mit den mächtigen Waldgrundherrn des südlichen Böhmens, mit dem Fürsten Schwarzenberg, Grafen Bucquoi, Grafen Czernin schloß L. unter günstigen Bedingungen Contracte für Holzlieferungen aus deren Wäldern auf Jahre hinaus. Bei dieser großartigen Ausdehnung des Holzgeschäftes blühte auch der Schiffsbau, den L. immer nebenher betrieben hatte. Schon im Jahre 1835 konnte L., als Kaiser Ferdinand Budweis besuchte, achtzig seiner Schiffbauer in Matrosenkleidung zum festlichen Empfange des Monarchen aufstellen; und bereits seit vielen Jahren laufen an dreihundert Zillen jährlich vom Stapel des Schiffgartens, von denen die meisten in die Elbe hinübergehen und dann mit sammt ihrer Ladung oben in Norddeutschtand verkauft werden. Ob dieses mächtigen Betriebes zu Wasser hieß L. bald im Volksmunde, wenngleich scherzweise, doch deßhalb nicht minder treffend „Der Admiral der Moldau“. Mit dem stetigen Aufschwunge des Hauptgeschäftes entstanden nach und nach kleinere Schöpfungen, als: eine Brettersäge, eine Parkettenfabrik, eine mit einem Walzwerk für Gyps und Graphit verbundene Kunstmühle u. dgl. m. Diese zahlreichen Unternehmungen, die zunächst auf einen raschen Absatz der Waare angewiesen waren, richteten L.’s Augenmerk auf eine Verbesserung der Verkehrswege zu Wasser und zu Land, welche überhaupt dringend noth that. So wurde auf seine Vorstellungen von Seite der Regierung die Regulirung der Luznic und Nezarka veranlaßt und ihm übertragen, er konnte nun die Hölzer aus dem südlichen Böhmen leichter in die Moldau überführen; nun folgten die Regulirung der Moldau von Hohenfurt an und jene der Elbe bis zur sächsischen Grenze. Ebenso wurde über seine Anregung die Kettenbrücke in Prag gebaut und der Bau von ihm ausgeführt. Auf diese Art trat L. nach und nach aus der Sphäre des einseitigen Gewerbtreibenden und rückte in die Reihe des großen Industriellen hinauf, der, während er seine eigenen Interessen fördert, dadurch Tausend und Tausend Arbeitskräfte beschäftigt, eine Menge kleinere Industrien in’s Leben ruft und so auf den Wohlstand des Landes und seiner Bewohner mittel- und unmittelbar mächtig einwirkt. Der rastlose Unternehmer, dessen [132] prüfendem Blicke nichts entging, blieb aber, so Großes er bereits wirkte, dabei noch immer nicht stehen. Das Augenmerk der Menschheit war auf die Kohle, auf diesen Schatz, kostbarer als Gold, gefallen, und auch L. wurde in diesem Sinne ein leidenschaftlicher Schatzgräber. Schon hatte er den als Geognosten und Mineralogen bekannten Naturforscher Zippe veranlaßt, im Süden Böhmens nach nutzbaren Mineralien zu forschen, jedoch war die Mühe nicht belohnt worden. Glücklicher war L. auf einer anderen Seite. Eine von einem Bergmanne auf eigene Rechnung unternommene, aber wieder aufgegebene und zum Verkauf angetragene Kohlengrube bei Kladno ließ L. durch Zippe untersuchen, und da dieser Gelehrte das Vorhandensein eines Kohlenlagers von einiger Ergiebigkeit in Aussicht stellte, associirte sich L. mit dem bekannten Industriellen Klein [Bd. XII, S. 44] und mit dem Prager Bürger Nowotny, und bald stieß man beim Graben auf ein Kohlenlager von fünf bis sechs Klafter Mächtigkeit. Dieß ist der Anfang des jetzt so großartigen Kohlenwerkes zu Kladno, dessen ursprünglicher Eigenthümer, der Bergmann Wania, von den wackeren Unternehmern zum Director der neu angelegten Werke ernannt wurde. Da sich unweit Kladno reiche Lager von Eisenstein fanden, so beabsichtigte L. in Kladno Hochöfen anzulegen und dort Eisen zu fabriciren. Aber dieser Gedanke fand bei seinen Collegen keinen Anklang, überdieß erklärten die Sachverständigen, daß die Kladnoer Coakse für den Hochofenbetrieb ungeeignet seien und noch andere nicht geringe Hindernisse stellten sich den Absichten L.’s entgegen. Dieser aber ließ den Gedanken nicht fallen, wenn er sich auch für jetzt dessen Ausführung eben nicht zur Hauptaufgabe machte. Vor Allem wollte L. den Gegenstand und dessen technische Verarbeitung in allen Einzelnheiten genau kennen. Er machte also, um sich mit der Hochofenmanipulation genau bekannt zu machen, Reisen, besuchte bloß aus diesem Anlasse Schottland, um dort aus eigener Anschauung den vervollkommneten Hochofenbetrieb kennen zu lernen. Nun hatte er sich selbst überzeugt und die Gutachten der Sachverständigen erwiesen sich ihm als mangelhaft. Seinem praktischen Blicke, dem Instincte seines eigenen Geistes in diesem Falle mehr vertrauend, als den Aussprüchen der nicht selten mit eigenthümlicher Blindheit geschlagenen Sachkenner, begann er im Jahre 1853 allein in Kladno Hochöfen neuer Construction anzulegen und in der That, die verleumdeten Kladnoer Coakse eigneten sich zu seinem Betrieb über alles Erwarten. Dem ersten Hochofen folgte unter so günstigen Auspicien alsbald ein zweiter. Sollte aber mit dem Kladnoer Eisenwerke und den Kohlengruben der volkswirthschaftliche Zweck nach seinem ganzen Umfange erfüllt werden, dann mußte die Beischaffung des Eisensteins aus den entfernten Erzlagern erleichtert und das fertige Fabricat, ebenso wie die Kohle, bequemer und billiger in’s Land, besonders nach Prag transportirt werden können. Erst wenn es gelang, das Buštěhrader Revier, in welchem auch Kladno lag, durch Eisenschienen mit dem Hauptstrome des commerciellen Lebens zu verbinden, erst dann war an einen wirklichen Flor seiner vielfachen Werke und auch Kladno’s zu denken. So bildete sich durch Lanna’s Bemühungen eine Actiengesellschaft zum Bau einer Eisenbahn von Kladno nach Kralup, der Station an der Staatsbahn. Diese Bahn, die Buštěhrader [133] genannt, wurde in kurzer Zeit eine der bedeutendsten Kohlenbahnen der Monarchie, denn das Buštěhrader Revier liefert jährlich an zehn Millionen Centner Kohle, von denen der größte Theil auf diesem Schienenwege transportirt wird. Aus ähnlichem Anlasse, und gleichfalls durch Lanna’s Bemühungen entstand die Reichenberg-Pardubitzer Bahn, deren Bau L. in Verbindung mit Klein übernahm und im April 1859 vollendete; und die Pilsener Bahn, durch welche Prag mit Pilsen und mit der bayerischen Grenze verbunden und das Willkischen’sche Walzwerk bei Pilsen, welches meist das in den Kladnoer Hochöfen verfertigte Eisen verarbeitete, dem eigentlichen Kern der ganzen Gewerkschaft näher gerückt wurde. Noch eines von L. in’s Leben gerufenen Projectes muß hier um so mehr gedacht werden, als dessen national-ökonomische Bedeutung noch lange nicht ihren Höhenpunct erreicht hat. Im Einverständnisse mit seinen Associé’s Nowotny und Klein strebte er schon im Jahre 1855, die Vereinigung der umliegenden Werke gewissermassen zu einem großartigen Industriecomplex mit einer Tendenz herbeizuführen. Es gelang ihm, von den Nachbarn den Industriellen Florent Robert und den Commerzienrath Lindheim für den Plan zu gewinnen, und indem noch die österreichische Creditanstalt ein Capital von vierthalb Millionen Gulden unter der Bedingung leistete, daß sie je nach Umständen mit diesem Capital als Theilnehmer der Coalition zutreten könne, bildete sich die Prager Eisenindustrie-Gesellschaft, durch welche nicht nur die ganze Gewerkschaft einen bemerkenswerthen Aufschwung in kürzester Frist nahm, sondern auch das industrielle Leben von ganz Böhmen bedeutend gewonnen hat. Wenn neben diesen großartigen Unternehmungen Lanna’s auch andere vorkommen, welche nicht gelangen, wie z. B. die Fabrication verbesserter und hübscherer Holzschuhe, die Errichtung der Warmwasser-Röstanstalt für Flachs zu Krumau, so trug am Nichtgelingen nicht er die Schuld, sondern ist dieselbe theils in dem Widerstande des Volkes gegen jede Neuerung, theils im Mangel der entsprechenden leitenden Kräfte zunächst zu suchen, in beiden Fällen aber hatte L. die Förderung der Industrie durch Ausführung besserer und tüchtigerer Arbeit zunächst im Auge. Bei so vielen und so großartigen Unternehmungen vergaß aber L. nie die Stadt, wo seine Wiege gestanden, und wo er die ersten Keime jener Bildung und Thätigkeit erlangt hatte, welche in der Folge so nutzbringend sich erweisen sollten. Gewann Budweis mit seinem dortigen Schiffbau, den Mühlen, der Spedition von Böhmen nach Südösterreich und umgekehrt, überhaupt schon durch den Aufschwung der Unternehmungen Lanna’s, so gab doch L. der Stadt noch besondere Beweise seiner Dankbarkeit; er nützte dem Handel der Stadt und ihres Kreises als Präsident der 1850 constituirten Handels- und Gewerbekammer in mehr als einer Weise. Von der Londoner Ausstellung zurückgekehrt, regte er 1852 die erste Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in Budweis an. Im Jahre 1854 gründete er den dortigen Musikverein nebst der stark besuchten Musikschule; im Jahre 1856 regte er die Gründung der Sparcasse an, welche bald eine der bedeutendsten Oesterreichs wurde und deren Capitalseinlage am Schlusse von 1858 weit über eine Million Gulden betrug. Als L. vor einigen Jahren von Budweis nach Prag übersiedelte, schenkte er der Stadt ein umfangreiches Grundstück [134] und eine Schuldforderung von 4000 fl., um den Bau eines Waisenhauses zu ermöglichen, dessen Grundstein am 2. Juni 1858 gelegt wurde und für das er die Bezahlung der sämmtlichen dazu gehörigen Handwerker- und Taglöhnerarbeiten übernahm. So bietet Lanna das Bild eines Mannes der Neuzeit Oesterreichs, der, den Blick auf das Praktische gerichtet, durch seine energische Willenskraft alle Hindernisse bewältigt, wenn es gilt, Etwas, was er für gut erkannt, zu verwirklichen. Nicht von dem Strome sich treiben lassend, nimmt er vielmehr seinen eigenen Lauf und indem er sich selbst mächtig fördert, fördert er auch die Wohlfahrt seiner Mitbürger und des Gemeinwesens, denen er beiden neue Erwerbsquellen eröffnet, oder die schon vorhandenen wesentlich verbessert. Wenn aber L. hier ein Industrieller der Neuzeit Oesterreichs genannt wird, so geschieht dieß darum, weil, so energisch er in der vormärzlichen Periode thätig war, seine eigentlich großartigen volkswirthschaftlich-industriellen Unternehmungen denn doch erst in die Zeit nach 1848 fallen.

Von Haus zu Haus. Illustrirte Blätter für geistige Erholung und Anregung (Prag, Kober und Markgraf, 4°.) 1860, Nr. 7, S. 80: „Bilder aus dem österreichischen Industrieleben“. – Bohemia (Prager Blatt, 4°.) Jahrg. 1860, Nr. 130, S. 1207. – Porträt. Ein wohlgetroffener Holzschnitt im Kober’schen Blatte „Von Haus zu Haus“, Jahrg. 1860, Nr. 7, S. 80, ohne Angabe des Zeichners und Xylographen.