BLKÖ:Langiewicz, Marian

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Langhaider, Sylvester
Band: 14 (1865), ab Seite: 121. (Quelle)
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Langiewicz, Marian (Dictator in der polnischen Revolution 1863 und 1864, geb. zu Krotoschin im Großherzogthume Posen 5. August 1827). Sein Vater war praktischer Arzt zu Krotoschin und begab sich im Jahre 1830 nach Polen, um sich an dem damaligen Aufstande zu betheiligen, starb aber bald darauf in Warschau; Marian’s Mutter, Eleonora, ist eine geborne Kluczewska. Marian besuchte das Gymnasium in Posen und bezog zu Ende der Vierziger Jahre die Universität Breslau, wo er sich in der philosophischen Facultät einschreiben ließ und Naturwissenschaft, besonders Mathematik studirte. Im Jahre 1848 begab er sich nach Prag und verlegte sich dort unter Čelakovský vornehmlich auf das Studium der slavischen Sprachen. Bei Gelegenheit des dort abgehaltenen Slavencongresses wurde er mit den Häuptern der Slavenbewegung, mit Bakunin, Mieroslawski u. A. bekannt. In einiger Zeit – nachdem die in Oesterreich wiederkehrende Ordnung seine Pläne gekreuzt haben mochte – kehrte er nach Breslau zurück, wo aber seines Bleibens auch nicht lange war, da die Hilflosigkeit seiner Lage ihn zwang, eine Hauslehrerstelle bei einem Gutsbesitzer in Polen anzunehmen. Erst nach zwei Jahren war er wieder im Stande, seine eigenen Studien von Neuem aufzunehmen, und er kehrte nun nach Breslau zurück und ging von dort nach Berlin. In Berlin trat er als einjähriger Freiwilliger bei der Garde-Artillerie ein und brachte es bis zum Bombardier. Als solcher wurde er zur Zeit der Mobilisirung Preußens im Jahre 1859 einberufen, verrichtete aber Officiersdienste, wodurch seine praktischen Militärkenntnisse bedeutend erweitert wurden. Nach eingetretener Demobilisirung begab er sich zu seiner Mutter nach Krotoschin, von wo er noch im Herbste des nämlichen Jahres nach Berlin zurückkehrte, zur Fortsetzung seiner Studien. Mathematik und Strategie trieb er mit besonderem Eifer. Am 16. Juli 1860 reiste er nach Paris, wo er an der neu gegründeten Mieroslawski’schen Militärschule als Lehrer der Artilleriewissenschaften angestellt wurde. Aber noch in demselben Jahre begab er sich nach Italien und machte als Adjutant des Generals von Milbitz die Expedition Garibaldi’s nach Neapel mit. Nach Beendigung derselben wirkte er als Lehrer der Artilleriewissenschaften an der polnischen Militärschule in Genua und trat, als diese nach Cuneo verlegt wurde, von seinem Posten zurück, worauf er sich nach Paris begab. In Paris erreichten ihn die Nachrichten von dem in seinem Vaterlande ausgebrochenen Aufstande. Er eilte nun unverweilt nach dem Schauplatze der Insurrection, wo er zunächst als Insurgentenanführer in Litthauen durch sein Organisationstalent, seine große Bravour und Umsicht Aufsehen erregte. Bald wurde das revolutionäre Central-Comité auf den 35jährigen, ebenso waghalsigen als entschlossenen und umsichtigen Häuptling aufmerksam, betraute ihn mit der obersten Gewalt und proclamirte ihn mit Manifest vom 10. März 1863 zum Dictator. Aber nicht lange behauptete L. diese [122] Würde. Was die wahre Ursache seines Rücktrittes gewesen, wird erst die Zeit aufhellen. Man sprach von einer aus Paris an ihn ergangenen Weisung, abzutreten; von anderer und am meisten glaubwürdiger Seite heißt es: L. hielt sich fortwährend in der Nähe Krakau’s und war bewacht und beengt vom hohen Adel, der hier von jeher in kritischen Momenten sich zusammenfindet. Der Dictator ließ im Drange der Ereignisse Manches ungerügt hingehen, endlich kam es zum Ausbruch. Mehrere junge Polen von hohem Adel, die mit ziemlich bedeutendem, aber auch meist unzuverlässigem Anhange aus dem Krakau’schen zu ihm gestoßen waren, wünschten Officiere zu werden. L. zog bürgerliche und auch mehrere adelige junge Leute vor, die sich in früheren Gefechten bereits bewährt hatten und wies die Bittsteller ab. mit der Aufforderung, sich der ersehnten Charge vorerst würdig zu zeigen. Die jungen Leute ignorirten diesen Ausspruch des Dictators völlig und machten sich, der alten „polnischen Wirthschaft“, diesem Urgrunde des finis Poloniae getreu, selbst zu Officieren über die von ihnen mitgebrachten Leute. Nach der für die Polen siegreichen Schlacht bei Zagosc stellte Langiewicz dieselben vor ein Kriegsgericht, in das sich inzwischen sehr viele Mitglieder des hohen Adels eingedrängt hatten und verlangte die Verurtheilung zum Tode; das Urtheil lautete jedoch auf Freisprechung. Langiewicz legte nun sofort die Dictatur nieder und zog sich mit seinem weiblichen Adjutanten, dem Fräulein Pustowojtoff, und sechzehnhundert seiner persönlichen Anhänger, die zumeist schon bei Sandomir unter ihm gefochten, zurück, nachdem er auf dringendes Anstürmen der Aristokraten einen Brief veröffentlichte, worin er als Grund seines Rücktrittes eine wichtige Reise, die er vorhabe, vorschützte. Unter diesen Verhältnissen erreichte er, ganz unbehelligt von den Russen, die keine Ahnung von dem Geschehenen hatten, Opatowicze. Nun wollte L. durch österreichisches Gebiet – auf kürzestem Wege – auf dem rechten Weichselufer in’s Lublinische gelangen, wo er tüchtiger zusammengesetzte, gesinnte und geführte Banden vorhanden wußte. Auf einem Kahne setzte er mit mehreren Gefährten über die Weichsel. Als er am 19. März 1863 beim Zollhause ankam, und seinen Paß, der von Norwegen ausgestellt war und auf den Namen eines Polen und seines achtzehnjährigen Sohnes lautete, zur Revision übergab, wurde von verschiedenen Seiten laut sein Name gerufen, so daß es sich unbezweifelt herausstellte, daß ihm bereits der Verrath vorausgeeilt war, um seine Reise abzukürzen. Mieroslawski wird allgemein als Urheber dieser Wendung der Dinge bezeichnet. L. wurde nun nebst seinem weiblichen Begleiter angehalten und nach Krakau gebracht, wo er bis zum 2. April in Haft gehalten wurde. Von dort kam er am 3. April nach Tischnowitz in Mähren, wo er einige Zeit internirt blieb. Ein in den letzten Tagen des Aprils 1863 unternommener Fluchtversuch des Dictators mißlang und hatte zur Folge, daß L. am 28. d. M. nach Josephstadt in die Festung gebracht wurde, wo an ein Entweichen nicht zu denken war. Um die Mitte des Jahres 1864 wurde L., dem die Schweiz mittlerweile das Bürgerrecht verliehen hatte, seitens der Solothurner Cantonal-Regierung von der österreichischen Regierung als freier Schweizer Bürger reclamirt. Auch wurde im November d. J. durch den Dr. Rechbauer, Mitglied des Abgeordnetenhauses des österreichischen [123] Reichsrathes, eine vom 14. November 1864 aus der Festung Josephstadt datirte Petition an den Reichsrath überreicht, worin L. um seine Freilassung bittet und den ihm in Oesterreich mit materieller Gewalt aufgedrungenen Zustand als eine Verletzung der österreichischen Gesetze, des Völkerrechtes und der Humanität erklärt. Endlich erfolgte am 28. Februar 1865 seine Freilassung. Er verließ Josephstadt, passirte bei Fürth die bayerische Grenze, begab sich bis Ulm mit österreichischer Escorte, und dort von dem eidgenössischen Oberst Rothpletz empfangen, in dessen Begleitung nach München, wo er am 2. eintraf und sich als Major in’s Fremdenbuch einzeichnete. Von München begab er sich in die Schweiz, um sein Bürgerrecht in Greuchen (Canton Solothurn) anzutreten. Am 27. März dankte er in Bern der Bundesbehörde für die vielen Beweise der Theilnahme, die ihm diese während seines Aufenthaltes in Josephstadt gegeben. – Sein vielgenannter weiblicher Adjutant, den die Volksüberlieferung gegraft, das Fräulein Henriette Pustowojtoff, ist im Jahre 1845 zu Wierzchowisko im Gouvernement Lublin geboren und die Tochter des im Jahre 1858 zu Turowice verstorbenen russischen Generals Pustowojtoff, welche mit ihrer Mutter, einer gebornen Polin Namens Kossakowska, der Tochter des polnischen Majors Marian Kossakowski, auf ihrem Gute in Turowice lebte. Im J. 1861 wurde Henriette wegen regierungsfeindlichen Demonstrationen nach Zytomir in Gewahrsam gebracht, aus welchem sie nach zehn Monaten entsprang und in die Moldau entfloh, dort in Bukarest lebte und am 22. Jänner 1863 in Szydlowice bei Langiewicz eintraf. Sie war aber nicht der Adjutant des Dictators, sondern des Generals Czachowski. Sie wurde zugleich mit Langiewicz, als er die Weichsel überschiffte, festgenommen. Ihr männliches Soldatencostüm, welches sie trug, so lange sie im Lager sich befand, vertauschte sie später mit den Gewändern ihres Geschlechtes. Alles Amazonenhafte, Abenteuerliche, Unsittliche u. dgl. m., was man von ihr in Umlauf gesetzt, ist erdichtet, sie ist eine einfache polnische Patriotin, der für die Sache ihres Vaterlandes ihr Leben, aber nicht ihre Ehre feil ist.

Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) 1863, Nr. 1031. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, 4°.) 1863, Beilage zwischen Nr. 151 und 157: „Langiewicz in Josephstadt“. – Waldheim’s Illustrirte Zeitung (Wien, Fol.) II. Jahrgang (1863), S. 760. – Mußestunden, herausg. von Waldheim (Wien, 4°.) 1863, S. 149 u. 180. – Presse (Wiener politisches Blatt) 1863, Nr. 67, 102, 117, 175; 1864, Nr. 138, 166, 347 [sämmtliche Mittheilungen in der „Kleinen Chronik“ des Abendblattes]; 1865, Nr. 71 und 75. – Fremden-Blatt (Wien, 4°.) 1865, Nr. 79 u. 89 – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Nr. 182 u. 184. – Morgenpost (Wiener politisches Blatt) 1863, Nr. 103: „Ein Besuch bei Langiewicz“. – Breslauer Zeitung 1863, Nr. 175: „Ein Besuch bei Langiewicz“. – Süddeutsche Zeitung 1863, Nr. 137: „Ein Besuch bei Langiewicz“. – Innsbrucker Nachrichten 1863, in Nr. 70 des Unterhaltungsblattes. – Böhmisch-Leipaer Anzeiger 1863, Nr. 14. – Deutsche allgemeine Zeitung (Leipzig, 4°.) 1863, Beilage Nr. 108. [Nachrichten über L.’s Fluchtversuch aus Tischnowitz“.] – Bayerische Zeitung 1863, Morgenblatt zu Nr. 143, 144, u. 145: „Originalskizzen aus dem polnischen Aufstande. III. Langiewicz und sein Stab“. – Kreisblatt für die Kreise Elberfeld, Barmen u. s. w. 1863, Nr. 19. – Der Adler (Leipzig, kl. Fol.) 1863, Nr. 77. – Kronika, d. i. die Chronik (Krakauer polit. Blatt) 1863, Nr. 52 u. 54: „Parę szczegółów o korpusie Dyktatora Langiewicza po wygranej pod Grochowiskami“, d. i. Ein paar Einzelnheiten über das Corps [124] des Dictators Langiewicz nach dem Unfall bei Grochowisk; – dieselbe Zeitung 1863, N. 63 und 653: „Wycieczka do Langiewicza w Goszczy“, d. i. Ein Ausflug zu Langiewicz in’s Lager bei Goszcza. – Illustrated London News (englische illustrirte Zeitung), Nummer vom 4. April 1863. – Porträte. Alle illustrirten Blätter, die Waldheim’sche Illustrirte Zeitung, die Leipziger Illustrirte, die Mußestunden, die Illustrated London News enthalten in den oben angegebenen Nummern das Porträt des Dictators. – Daß ein Charakter wie Langiewicz für die Bühne ausgebeutet werden würde, war wohl zu erwarten, aber dieses Mal ging England den Franzosen und Deutschen voran. Im Londoner Victoria-Theater wurde im März l. J. ein Stück „The wrongs in Poland“ mit großem Erfolge gegeben, in welchem Langiewicz die Hauptrolle spielt. Die Begebenheiten des polnischen Aufstandes und der Handlungen des Dictators sind, wie es die Engländer mit ihren Pferden zu thun pflegen – englisirt. – Noch eines Umstandes ist zu gedenken. Die Engländer waren von dem Namen des Dictators, als er als Tagesheld im Zenith seines Ruhmes stand, so erfüllt, daß sie ihn als Arzt zu dem am Stein leidenden Leopold, Könige der Belgier, schickten, um an ihm die Stein-Operation zu vollziehen. Die Sache verhält sich nämlich so: Die drei englischen[WS 1] Blätter „Daily News“, „Advertiser“ und „Standard“ haben den Namen des berühmten Arztes Langenbeck, der in der That zu dem leidenden Könige Leopold nach Brüssel berufen worden, mit Langiewicz verwechselt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: englichen.